"Gangsta-Rapper treten nach oben und unten zugleich"
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Gangsta-Rap spaltet die Geister – und zeigt die vielfältigen Perspektiven der Gesellschaft wunderbar auf, meint der Soziologe Martin Seeliger. Die fehlende Anerkennung migrantischer Realitäten in Deutschland sei die "kulturelle Software" des Genres.
"Sag mir hörst du wie das Ghetto klingt klingt / Was ich mache bleibt ein Ghetto, ring ding / Ihr werdet's nie verstehn man, ihr werdet's nie verstehn" – so heißt es bei Bushido, einem der bekanntesten Gangsta-Rapper in Deutschland, in seinem Song "Ching Ching".
Der Soziologe Martin Seeliger hat es nun zumindest versucht: In seinem Buch "Soziologie des Gangstarap – Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte" kommt Bushido prominent vor.
"Der Song ist ja noch aus einer relativ frühen Phase des deutschen Gangsta-Raps, und der weist so einige charakteristische Merkmale des Genres auf", sagt Seeliger. "Es geht also um eine Geschichte vom Rand der Gesellschaft. Bushido ist als Sohn eines Tunesiers und einer alleinerziehenden deutschen Mutter aufgewachsen, wird dann, weil er Geld mit Drogenhandel verdient, ins Heim gesteckt. Und in dem Lied geht es dann genau um diese soziale Randständigkeit und die Perspektive, die sich daraus ergibt."
Reaktion auf fehlende Anerkennung
Er habe in seinem Buch eine intersektionale Perspektive auf das Zusammenwirken von Klasse, Geschlecht und Ethnizität etabliert, so der Soziologe. "Mir persönlich am Herzen liegt eigentlich besonders die Migrationsgeschichte, die sich spiegelt in den Bildwelten des Genres", sagt er und bezieht sich auf die Arbeitskräfteknappheit hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg, die mit migrantischer Arbeitskraft im Niedriglohnsektor über Anwerbeabkommen gedeckt worden sei.
Die immer wieder geäußerte Einschätzung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, sei "eine absolute Missachtung" dessen, nicht zuletzt wegen des Anerkennungsdefizits, das daraus spreche. Und dies sei "sozusagen die kulturelle Software, die da im Hintergrund läuft, wenn die Gangsta-Rapper rappen."
Martin Seeliger sieht im Gangsta-Rap "einen Zerrspiegel innerhalb der Gesellschaft". Befrage man Menschen – ob in Neukölln, Flensburg oder Heidelberg – nach Bushido, hätten 80 Prozent eine Meinung dazu. "Für den einen ist er der Untergang des Abendlandes, für den nächsten ist es der Beweis, dass man in Deutschland alles schaffen kann, der nächste sagt, das ist misogyner Mist, die vierte Person ist Bushido-Fan und sagt, das ist alles total geiler Rap." Diese Perspektivenvielfalt zeichne unsere plurale Gesellschaft aus, und Gangsta-Rap spiegele sie wunderbar wider.
Widersprüche anerkennen
Nicht zu übersehen sei jedoch, dass der Gangsta-Rap ein Antisemitismusproblem, ein Sexismusproblem und ein Homophobieproblem hat. Das alles zeige die Ambivalenzen der Moderne als Spannung zwischen Hoch- und Popkultur, Migrationsgesellschaft und Nationalität, wirtschaftlichen Erfolgen und künstlerischem Anspruch auf.
"Wenn wir was Vernünftiges dazu sagen wollen, müssen wir eben diese Widersprüche anerkennen", meint Seeliger. Es sei ein altes Moment linker Naivität anzunehmen, dass jemand, der sich emanzipiert, umfänglich fortschrittlich sein müsste. "Man kann sich wunderbar emanzipieren, ohne allgemein gerecht oder sogar menschenfreundlich zu werden. Das sehen wir an den Gangsta-Rappern, die treten nach oben und nach unten zugleich."
(cwu)