Hartmut Rosa: "Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung"
Suhrkamp-Verlag, Berlin 2016
816 Seiten, 34,95 Euro
Erscheint am 7. März
Entschleunigung ist auch keine Lösung
Viele Menschen propagieren Slow Food, Slow Work und dergleichen. Mit einem entschleunigten Leben wollen sie auf Zeitknappheit, Stress und Hektik im Alltag reagieren. Für den Soziologen Hartmut Rosa löst diese Strategie das Problem jedoch nicht.
Slow Food oder Slow Work sollen unser Leben entschleunigen und das Gefühl von permanentem Stress lindern. Der Soziologe Hartmut Rosa plädiert stattdessen dafür, der Welt anders gegenüberzutreten: weniger kontrolliert und bereit, sich auf Menschen und Dinge einzulassen.
Der Modus der Verzweiflung bringt Stillstand
"Kaum jemand findet Langsam-Sein als Selbstzweck gut", sagt er. Ihm zufolge geht es nicht um Langsamkeit, sondern um eine neue Beziehung zur Welt, die er mit "Resonanz" beschreibt. In diesem Zustand versucht der Mensch nicht, die Dinge zu kontrollieren und schnell und effizient zu handhaben. Vielmehr lässt er sich von Begegnungen mit Anderen, von Orten, von Musik, der Natur berühren und erlaubt diesen, etwas in ihm zum Schwingen zu bringen.
"Wenn wir im Alltagsbewältigungsverzweiflungsmodus sozusagen durch die Welt hetzen, dann kommt es eben zu einem Stillstehen der Schwingungen, weil wir schnell und effizient Dinge instrumentell handhaben müssen."
Wider die Steigerungslogik
Dahinter steht Rosa zufolge eine Steigerungslogik, die auch mit dem Kapitalismus zusammenhängt und die auf Kontrolle und Akkumulation abzielt: "Eigentlich hetzen wir immer nur danach, unsere Weltreichweite zu vergrößern, indem wir unsere Vermögenslage verbessern oder unser Freunds- und Bekanntennetz ausdehnen oder unsere Gesundheit steigern. Aber das ist eine Art des In-der-Welt-Seins, eine Form der Weltbeziehung, die uns eben resonanzarm macht."
Auch mit der Fokussierung auf Qualitätssicherung oder Erfolgsgarantien wollten wir Dinge verfügbar machen, "und zwar punktgenau und zeitgenau", kritisiert der Soziologe.
"Resonanz" dagegen habe immer ein Moment der Unverfügbarkeit. "Man kann es nicht garantiert herstellen. Gerade dann, wenn wir uns vornehmen, heute will ich unbedingt in diesem Modus sein, dann misslingt es uns häufig. Weihnachtsabende sind dafür ein klassisches Beispiel."
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Sie freuen sich ja vielleicht auch, weil Sie schon wach sind, obwohl Sie heute gar nichts Bestimmtes vorhaben, ein langes Wochenende vor Ihnen liegt, die Zeit sich also ja genüsslich ausdehnt. Genießen Sie diesen Moment! Es ist ein herrliches Gefühl, denn wir haben ja sehr vieles angehäuft, vieles gesammelt, nur eins fehlt uns regelmäßig: die Zeit natürlich. Vor allem die Zeit, in der wir uns nach nichts anderem sehnen, nichts anderes uns gelüstet als nach dem, was wir gerade machen, also wir fühlen uns ja sonst immer unter Druck. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa beschäftigt sich seit Langem mit den Phänomenen der Zeit, mit Entschleunigung und mit Beschleunigung, aber er ist nicht der Auffassung, dass wir einfach die Zeit anhalten sollten, so nach dem Motto, mit Entschleunigung, mit Langsamermachen, wird alles besser, nein, in seinem neuen Buch spricht er von Resonanz. Schönen guten Morgen, Hartmut Rosa!
Hartmut Rosa: Guten Morgen, hallo!
Heise: Resonanz entsteht ja, wenn etwas in Schwingungen gerät. Meinen Sie mit Resonanz, wie Sie sie verwenden, wenn mich eine Begegnung, ein Moment sozusagen in Schwingungen versetzt?
Rosa: Ja, das meine ich durchaus. Resonanz ist ein Zustand, eine Art und Weise des Verbundenseins mit der Welt, bei der tatsächlich in uns so was zu schwingen beginnt. Man kann das, glaube ich, wirklich in diese Metapher fassen, weil das eine Art des In-der-Welt-Seins beschreibt, bei dem uns Dinge noch berühren oder bewegen oder ergreifen – das sagt ja schon unsere Sprache, also etwas in Schwingung kommt –, wo wir aber auch das Gefühl haben, wir können da draußen sozusagen Klänge erzeugen, also Dinge in Schwingung bringen.
Heise: Also wir können in Schwingung bringen. Der Untertitel Ihres Buches lautet: "Eine Soziologie der Weltbeziehung". Was meinen Sie in dem Zusammenhang mit Weltbeziehung?
Rosa: Ich hatte ja, wie Sie schon gesagt haben, lange über Zeit und Zeitverhältnisse nachgedacht und mir auch überlegt, was meinen eigentlich Menschen, wenn sie von Entschleunigung reden oder darauf hoffen oder gar davon schwärmen oder wenn sie sagen, wir müssen mal innehalten. Da geht es nämlich, glaube ich, gar nicht um Langsamkeit per se. Kaum jemand findet Langsamsein als Selbstzweck gut, aber es geht darum, auf eine andere Weise in der Welt zu sein, auf eine andere Weise in Verbindung zu treten mit anderen Menschen, zum Beispiel auch mit unserer Arbeit und mit unserem Körper oder mit der Natur da draußen. Ich wollte außerdem mir die verschiedenen Weisen angucken, die Modi, mit denen wir mit der Welt in Beziehung treten können. Und da ist mir eben aufgefallen, dass wenn wir im Alltagsbewältigungsverzweiflungsmodus sozusagen durch die Welt hetzen, dann kommt es zu einer Art eben von einem Stillstehen der Schwingung, weil wir schnell und effizient Dinge instrumentell handhaben müssen. Und vielleicht können wir einen Samstagmorgen nutzen, um auf eine andere Weise uns selbst und Welt zu erfahren. Und dafür habe ich dann versucht, den Resonanzbegriff einzubringen.
Heise: Also halten wir mal fest: Es ist eben nicht allein die Zeitknappheit, die uns unter Druck setzt, sondern eigentlich, dass dieses ganze Gehetze zu nichts führt, also jedenfalls zu nichts führt, was uns wirklich berührt.
Wirtschaftssystem fördert Entfremdung
Rosa: Ja. Ich glaube, wir haben vielleicht individuell, aber eben auch institutionell, zum Beispiel in unserem Wirtschaftssystem, viel zu viel Wert gelegt, oder das ganze System ist darauf ausgerichtet, Dinge zu akkumulieren, anzusammeln, also eigentlich Ressourcen zu vergrößern, zum Beispiel das Sozialprodukt, wenn man jetzt volkswirtschaftlich denkt. Aber auch individuell hetzen wir immer danach, eigentlich unsere Weltreichweite zu vergrößern, indem wir unsere Vermögenslage verbessern oder unser Freundes- und Bekanntennetz ausdehnen oder unsere Gesundheit steigern, aber das ist eine Art des In-der-Welt-Seins, eine Form der Weltbeziehung, die eben uns resonanzarm macht.
Heise: Wenn Sie sagen uns und wir, meinen Sie da tatsächlich auch sich, beobachten Sie das bei sich genauso?
Rosa: Ja, absolut. Also ich möchte nicht ein Soziologe sein, der anderen Menschen sagt, was sie falsch machen, sondern ich beschreibe die Art und Weise, in unserer Gesellschaft zu leben, und das kann ich bei mir sehr gut beobachten. Ich stelle natürlich da schon auch einen Zusammenhang fest zwischen notorischer Zeitknappheit und Resonanzverlust. Den Gegenbegriff von Resonanz versuche ich ja, als Entfremdung zu bestimmen – also Entfremdung und Resonanz bilden ein Gegensatzpaar.
Und natürlich stelle ich fest, dass wenn man kaum Zeit hat, zum Beispiel mit den Menschen, mit denen man umgeht – bei mir sind es zum Beispiel häufig Studenten –, dann stelle ich gerade fest, dass ich mit denen nicht in Resonanz treten will, ich möchte gar nicht mich für sie öffnen oder dass sie mit mir eine wirkliche Begegnung anstreben, sondern ich möchte ganz schnell wissen, worum es geht zum Beispiel in der Sprechstunde, und versuche dann ganz schnell eine Lösung zu präsentieren. Und so geht es einem auch, wenn man ganz häufig den Ort wechselt zum Beispiel. Man reist von Ort zu Ort, dann lässt man sich nicht auf den ein, man tritt nicht in eine Beziehung mit dem, es kommt nicht zu dem, was wir Schwingung genannt haben.
Heise: Das mit dem Reisen, das ist ja was freiwillig Gewähltes …
Rosa: Nicht immer.
Heise: … ja, auch nicht immer, da haben Sie recht. Und das mit Ihren Studenten kann auch freiwillig sein, muss aber auch nicht immer. Diese Momente, wo man sich aufeinander einlässt, die passen ja eben nicht in einen Stundenplan, können eben nicht eingetaktet werden, aber wir sind in einem Leben, das sich nun mal beschleunigt hat, dem wir auch ausgesetzt sind. Wie können wir denn diese Momente trotzdem erreichen, oder geht das dann eben nicht?
Rosa: Doch, also ich glaube, Resonanz ist nicht nur eine Sehnsucht von Menschen überhaupt, sondern es ist auch ein Grundmodus des In-der-Welt-Seins, das heißt, wir alle machen solche Erfahrungen schon als Kinder. Kinder sind ganz stark Resonanzwesen, sie leben von diesem Begegnen, von dieser auch lebendigen Begegnung mit anderen Menschen, und deshalb haben wir immer einen Sinn dafür. Wir wissen noch, was es heißt, sich von einer Landschaft oder von einer Musik oder von einem Gedicht oder auch von unserer Arbeit insbesondere so berühren und bewegen zu lassen, dass wir da hineintreten können. Aber Resonanz hat – Sie haben das ja schon angedeutet – immer einen Moment der Unverfügbarkeit, man kann es nicht garantiert herstellen. Gerade dann, wenn wir uns vornehmen, heute will ich unbedingt in diesem Modus sein, dann misslingt es uns häufig – Weihnachtsabende sind dafür ein klassisches Beispiel.
Heise: Wie die Aufforderung: Sei locker!
Rosa: Ja, genau, ungefähr so.
Heise: Das geht schief.
Jeder verfügt über Resonanzachsen
Rosa: Und ich glaube tatsächlich, dass wir auch im Alltag aufgrund knapper Stundenpläne und aufgrund einer Steigerungslogik, die systemisch ist, die auch mit kapitalistischem Wirtschaften zusammenhängt, versuchen, Welt verfügbar zu machen, Dinge ganz sicher unter Kontrolle zu haben. Auch mit Qualitätssicherungsmomenten und Erfolgsgarantien und anderen Dingen möchten wir Dinge verfügbar machen, und zwar punktgenau und zeitgenau. Und das ist schon ein Modus, mit dem es schwierig wird, dann in Resonanz zu treten. Aber es ist niemandem unmöglich, also wir alle haben noch einen Sinn dafür und eine Erfahrung davon, und ich glaube deshalb, dass wir tatsächlich, auch wenn systemische Bedingungen problematisch sind, auch an uns arbeiten können, Resonanzfähigkeit wiederherzustellen.
Heise: Gibt es da konkrete Tipps? Ich meine, Sie sind jetzt nicht so ein Tippschreiber, der sagt, mach das und dann passiert das, aber haben Sie bei sich was beobachtet?
Rosa: Ja, aber wie gesagt, ich möchte keinen Ratgeber schreiben und auch kein Ratgeber sein, aber ich glaube, Menschen, ich würde sagen alle Menschen, verfügen über so etwas wie Resonanzachsen. Das heißt, es gibt bestimmte Dinge im Leben von Menschen, bei denen sie wissen, da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich mit mir und der Welt in Resonanz trete. Bei mir ist es auf jeden Fall Musik zum Beispiel. Es gelingt nicht immer, jeder kennt es: Man legt seine Lieblingsplatte auf, und es passiert irgendwie gar nichts, weil man in schlechter Stimmung ist und weil einem irgendetwas auf der Leber liegt. Aber trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, zum Beispiel bei mir, wenn ich Musik höre oder Musik mache auch – Musikmachen ist ein ganz probates Mittel oder eine ganz probate Resonanzachse, aber es gibt viele andere Dinge.
Für manche ist es, wenn sie politisch tätig sind oder wenn sie religiös tätig sind oder wenn sie in die Natur gehen, und für ganz viele ist auch Arbeit ein Resonanzfeld. Deshalb ist der Verlust des Arbeitsplatzes eben nicht nur ein Verlust von Ressourcen, sondern auch ein Verlust von einer Resonanzsphäre. Und ich glaube, was man also tun kann, ist herauszufinden, wo liegen denn eigentlich meine, nicht meine Felder, wo ich Dinge akkumulieren kann, sondern da, wo ich in Resonanz mit mir und der Welt treten kann. Und ich glaube, da findet jeder was, wenn er in sich hineinhört oder sie.
Heise: Ja, das ist vielleicht der wichtigste Punkt, erst mal auf sich selber mal gucken, jetzt nicht nur in egoistischem Sinne, sondern wirklich mal zu spüren, was will ich eigentlich. Schön! Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben, Hartmut Rosa.
Rosa: Sehr gerne geschehen!
Heise: In Ihrem Buch "Resonanz einer Soziologie der Weltbeziehung" können wir ja noch mehr darüber lesen. Ich wünsche Ihnen ein, ja, berührendes Wochenende!
Rosa: Danke schön, ebenso, auf Wiederhören!
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