Hören Sie hier auch die Einschätzung der Publizistin Liane Bednarz zum Höcke-Interview beim Mitteldeutschen Rundfunk:
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Das altbekannte Toleranz-Dilemma
08:27 Minuten
Im Sommerinterview des MDR wurde der AfD-Politiker Björn Höcke befragt. Rechtsextremen diese Form der Präsentation zu bieten, bleibe schwierig, sagt der Soziologe Matthias Quent. Denn so gebe man Intoleranten Raum, um die Toleranz abzuschaffen.
Das Format des Sommerinterviews des Mitteldeutschen Rundfunks mit dem AfD-Politiker Björn Höcke bleibe ambivalent, sagt Matthias Quent. Der Soziologe leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena.
"Eine Situation, in der man nur weniger falsch vorgehen kann", sagt Quent. Moderator Lars Sänger habe einiges richtig gemacht, in manchen Situationen sei er aber überfahren worden "mit diesen Parolen, die von Björn Höcke als Reaktion auf konkrete Sachthemen kamen."
Die Art der Gesprächsführung trage aber auch zur Verharmlosung von Höcke bei, so Quent:
"Wie so oft wurde auch in diesem Gespräch durch die Gesprächsführung, durch die Gesprächssituation suggeriert, dass es sich bei Rechtsextremismus, AfD und Björn Höcke um zwei, wenn nicht drei unterschiedliche Komplexe handeln würde, dabei ist es ein und dasselbe. Es ist eine gespaltene Gesprächssituation, Björn Höcke zu fragen, wie er sich zu Rechtsextremen positioniert – er ist ja selber einer."
Keine Neuigkeiten
Aus der journalistischen Perspektive seien keine neuen Erkenntnisse als Ergebnis des Interviews gewonnen worden. Aber auch Höcke habe sich nicht "als der einflussreiche, charismatische, starke Mann" seines rechten Parteiflügels präsentieren können. Quent sagt, für ihn habe Höcke im Interview sehr dünnhäutig und angespannt gewirkt.
"Er hat sehr aggressiv reagiert und die Fragen nicht beantwortet, sondern letztlich mit rechtsradikalen Allgemeinplätzen um sich geworfen." Auf sehr konkrete Fragen habe Höcke immer mit Bedrohungsszenarien, mit globalen Bedrohungen und Untergangsgeschichten geantwortet.
Unlösbares Toleranz-Paradoxon
Grundsätzlich könne man so ein Interview im Rahmen des Rundfunks besser gestalten, sagt Quent, etwa mit einem einleitenden Teaser, der darstellt, dass man es hier nicht mit einem normalen Politiker zu tun hat.
"Man hätte Björn Höcke auch als einen der wichtigsten rechtsextremen Hassprediger Deutschlands vorstellen und einführen können. Das hätte immer noch nicht das prinzipielle Dilemma gelöst, ob man den Intoleranten den Raum einräumen muss, die Toleranz abzuschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, um mal dieses alte Poppersche Toleranz-Paradox anzuführen. Die Debatte geht also noch viel weiter."
Der Philosoph Karl Popper hatte in seinem 1945 erschienenen Buch "Die offene Gesellschaft" das Toleranz-Paradoxon so beschrieben:
"Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen."
(mle)