Spähskandal

"Ein Zeichen setzen"

Ein Aufkleber, mit dem Asyl für den Informanten Edward Snowden gefordert wird, klebt am 11.02.2014 auf einem Masten bei Beckedorf im Landkreis Schaumburg (Niedersachsen).
Bald Dr.? Die Universität Rostock überlegt, Edward Snowden den Ehrendoktor zu verleihen. © dpa / picture-alliance / Julian Stratenschulte
Gesa Mackenthun im Gespräch mit André Hatting |
Der Whistleblower und Enthüller des NSA-Skandals, Edward Snowden, hat auch die Wissenschaft vorangebracht. Das sagt die Prodekanin der Universität Rostock, Gesa Mackenthun. Die Professorin würdigt ausdrückliche seine empirische Leistung, die er "mit großer Umsicht und Verantwortung" durchgeführt habe. Sie setzt sich dafür ein, dass Snowden die Ehrendoktorwürde bekommt.
André Hatting: Die Ehrendoktorwürde ist eine Auszeichnung für besondere Verdienste, nicht unbedingt nur in der Wissenschaft. Oft und gern wird sie Politikern verliehen, die Altkanzler Kohl und Schmidt, die haben eine ganze Sammlung davon, und auch Angela Merkel trägt neben ihrem Doktor in Physik bereits zehn Ehrendoktortitel. Zuletzt durfte sich die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan darüber freuen. Dank der Ehrendoktorwürde der Universität Lübeck ist sie jetzt immerhin ein Doktor h. c.. Und das ist ab heute vielleicht auch der Ex-Geheimdienstmitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden. Darüber entscheidet nämlich die philosophische Fakultät der Universität Rostock. Gesa Mackenthun ist Prodekanin dieser Fakultät. Sie hat das Verfahren mit auf den Weg gebracht. Guten Morgen, Frau Mackenthun!
Gesa Mackenthun: Guten Morgen!
Hatting: Die Idee stammt aus dem November letzten Jahres – wie kam es dazu eigentlich?
Mackenthun: Ja, wir haben im Dekanat die Ereignisse des letzten Sommers aufmerksam mitverfolgt und festgestellt, dass seitens der Politik in dieser Sache offenbar nicht mehr sehr viel passieren wird. Uns war wichtig, als Wissenschaftler uns in diese Diskussion einzubringen, und zwar nicht nur, indem wir mit den Studierenden in Veranstaltungen darüber reden oder eigentliche Veranstaltungen zu diesem Thema ansetzen, sondern uns war wichtig, auch wirklich ein weithin sichtbares Zeichen zu setzen.
Hatting: Das klingt nach einer politischen Begründung. Braucht es aber nicht für eine Ehrendoktorwürde auch eine wissenschaftliche?
Mackenthun: Eine Ehrendoktorwürde ist immer die Ehrung einer Persönlichkeit in Verbindung mit einer wissenschaftlichen Leistung. Was die Persönlichkeit Edward Snowdens betrifft, besteht ja auch eine große Übereinkunft, dass er unter Verzicht auf seine eigene Freiheit aufgeklärt hat über eine massive Verletzung ihrer Freiheitsrechte und daher eine Ehrung verdient. In der Tat, Sie haben recht, ist natürlich für eine Ehrendoktorwürde auch eine Wissenschaftlichkeit notwendig. Genauer genommen spricht unsere Promotionsordnung von einer besonderen wissenschaftlichen Leistung. Aber auch die sehen wir in diesem Fall gegeben.
Hatting: Worin?
Snowdens Verdienst: Bereitstellung wichtigen Wissens
Mackenthun: Na ja, wissenschaftliche Leistungen kann es in verschiedener Form geben. Der ganze große Bereich des Mäzenatentums, politische Unterstützung, finanzielle Unterstützung von universitärer Arbeit oder wissenschaftlicher Arbeit. Das wäre vielleicht am ehesten eine um die Wissenschaft. Dann gibt es natürlich die Ehrung von Wissenschaftlern selbst, auch durch andere Fakultäten als diejenigen, in denen sie sich ihre Qualifikation erworben haben. Zum Beispiel Einstein damals durch die medizinische Fakultät der Uni Rostock. Oder kürzlich Klaus Leggewie durch die theologische Fakultät. Und drittens gibt es dann eben die Kategorie der Leistungen für die Wissenschaft. Diese Kategorie trifft auf Edward Snowden zu, denke ich, denn es geht vor allen Dingen um die Bereitstellung wichtiger Kenntnisse, die Bereitstellung wichtigen Wissens, von Archiven oder auch wichtiger Entdeckungen, mit denen die Wissenschaft dann später arbeitet.
Hatting: Das heißt also, die Tätigkeit des Whistleblowers hier, das ist eine wissenschaftliche Leistung?
Mackenthun: Das ist eine Leistung, die für die Wissenschaft relevant ist. Das ist aber auch an sich, wenn man sich dann mal genauer anschaut, was Herr Snowden wirklich gemacht hat, kann man auch feststellen, dass er nach methodischen Prinzipien gearbeitet hat, die in der Tat identisch sind mit methodischen Ansätzen, die es auch in der Wissenschaft gibt. Also zuerst mal seine empirische Leistung, die er mit großer Umsicht und Verantwortung durchgeführt hat; die Art und Weise, wie er seine Materialien kontextualisiert hat, strukturiert hat, also methodisch bearbeitet hat, analytisch durchdrungen hat – das sind alles Leistungen, die eben auch durch Wissenschaftler erbracht werden. Hinzu kommen natürlich seine ehrliche Suche nach wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit, die Suche nach der Wahrheit, das Wissen darum, dass auch die Zurückhaltung oder Unterdrückung von Wissen geächtet sein sollte in der Wissenschaft. Es gibt ja auch eine Pflicht, sowohl für Wissenschaftler als auch für andere Menschen, es gibt ein Pflicht, Wissen zu Verfügung zu stellen.
Hatting: Eine Art Aufklärungspflicht vielleicht. Im Moment wird ja viel über den Bundestagsausschuss zur NSA-Affäre berichtet. Snowden soll vernommen werden, das ist klar – wo, ist aber umstritten. Und US-Medien behaupten sogar, den Mitgliedern des NSA-Ausschusses drohen strafrechtliche Folgen, wenn sie Snowden vernehmen. Spielen eigentlich diese Berichte für die Entscheidung des Fakultätsrates eine Rolle, beeinflussen die die?
"Entwicklung hat Ehrendoktorwürde unterstützt"
Mackenthun: Man muss dazu sagen, dass seit dem Beginn unserer Erörterung – wir haben ja dieses lange Vorprüfungsverfahren gehabt mit insgesamt sieben Gutachtern, mit einer Veranstaltung im Januar und so weiter. Seit November ist ja sehr viel auch außerhalb Rostocks passiert. Insgesamt muss ich sagen, dass die ganze historische Entwicklung eigentlich eher unser Anliegen unterstützt. Also wir hatten ja auch die Verleihung des Pulitzerpreises an die Journalisten, mit denen Snowden zusammengearbeitet hat – das ist ja eine andere Stimme aus den USA als die Stimme, die Sie jetzt genannt haben. Die USA ist ja kein homogenes Land, genauso wenig wie irgendein anderes Land auf der Welt. Es gibt da sehr unterschiedliche Stimmen, und die Auszeichnung von Glenn Greenwald ist eine ganz wichtige Auszeichnung in den USA. Das sind also Entwicklungen in die eine und in die andere Richtung, die uns begleitet haben von Anfang an. Insgesamt muss ich aber sagen, dass wir im Fakultätsrat, dass unsere Diskussion doch sehr sachlich sich auch mit der Wissenschaftlichkeit auseinandersetzt und versucht, jetzt diese ganzen Diskussionen um NSA-Ausschuss und Asylverfahren außen vor zu halten. Das ist nicht Bestandteil unserer Diskussion gewesen.
Hatting: Wenn Edward Snowden heute die Ehrendoktorwürde der Universität Rostock erhält, was wird er davon haben?
Mackenthun: Über diese ideelle Würdigung hinaus hat er natürlich keinen Gewinn dadurch. Es ist jetzt keine Grundlage für ein Asylangebot oder so was. Aber die Frage ist ja, was haben wir davon, also nicht wir in Rostock, sondern wir alle. Also alle Menschen in der Welt, die sich im Internet bewegen. Natürlich ist das, was wir machen, nur ein ganz kleiner Mosaikstein, aber was wir davon haben, ist eine hoffentlich nicht abreißende Aufmerksamkeit gegenüber diesem Zustand, in dem wir im Moment leben und der aus unserer Sicht völlig unhaltbar ist, dieser Zustand der anlasslosen Massenüberwachung.
Hatting: Professor Gesa Mackenthun, Prodekanin der Philosophischen Fakultät Rostock. Die entscheidet heute darüber, ob Edward Snowden die Ehrendoktorwürde verliehen bekommt.
Danke für das Gespräch, Frau Mackenthun!
Mackenthun: Ich danke Ihnen. Schönen Tag!
Hatting: Ebenso, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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