Spätabtreibung als Tabu

"Still" geboren

Ein Grablicht zu Allerheiligen im Herbst mit Blättern
Bei der Entscheidung für eine späte Abtreibung lassen Ärzte Betroffene viel zu sehr allein. © imago/McPHOTO
Von Susanne Billig |
Ein herzzerreißend offenes Selbsterfahrungsbuch hat Sandra Wiedemann mit "Am Ende aller guten Hoffnung - Sterbehilfe im Mutterleib?" geschrieben. Nach einer späten Abtreibung brachte sie ihre unter einer seltenen Chromosomenstörung leidende und kaum überlebensfähige Tochter tot zur Welt.
Mit einer Spritze wird tödliches Gift in die Nabelschnur injiziert, kurz darauf stirbt das Kind im Mutterleib und die Mediziner leiten die Geburt ein, denn erst dann sind sie rechtlich nicht mehr zu einer Wiederbelebung verpflichtet. Auch die kleine Angel Marie wird so geboren - "still" wie ihre Mutter schreibt. In einem winzigen Sarg setzen ihre Eltern sie bei.
"Am Ende aller guten Hoffnung" heißt der herzzerreißende Bericht von Sandra Wiedemann. Darin erzählt sie in schmerzlichen Details, wie es sich für eine werdende Mutter anfühlt zu erfahren, dass das Kind in ihrem Bauch schwer behindert ist und die ersten Monate nach der Geburt höchst wahrscheinlich nicht überlebt. Angel Marie leidet unter der seltenen Chromosomenstörung Trisomie 13 - Augen und Ohren des Embryos fehlen, Mund und Nase verschmelzen miteinander und in den meisten Fällen teilt sich das Gehirn nicht in zwei Hälften. Sandra Wiedemann und ihr Mann entscheiden sich nach langem Ringen zu einer Spätabtreibung. Dabei bringt die Mutter ihr Kind, das zuvor noch im Bauch von Ärzten getötet wird, in einer künstlich eingeleiteten Geburt zur Welt - ein langwieriger und extrem schmerzhafter Prozess, schließlich sind Körper und Psyche der Mutter zu diesem Zeitpunkt noch voll auf den Erhalt der Schwangerschaft eingestellt.
In großer Offenheit geschrieben
Die Geschichte der Autorin umfasst all das: die Anfänge der Schwangerschaft, die Freude, der Schock, die Wege zu Ärzten und Krankenhäusern, die tausend Sorgen und Skrupel angesichts der Diagnose und der Optionen, die sie lässt, bis hin zur Geburt und den Gefühlen in den Wochen danach. Entstanden ist so kein klassisches Sachbuch, sondern ein Selbsterfahrungsbuch - mit allen Vor- und Nachteilen dieses Genres. Stilistisch ungelenk, gespickt mit Zitaten aus dem Buch "Der kleine Prinz" und oft nah an der Tränendrüse, aber eben auch zupackend, ungeschminkt, in großer Offenheit ist ihr Buch geschrieben. Gerade in dieser Mischung aus Naivität und Direktheit bietet das Buch Einblicke in die medizinischen Abläufe bei einer Abtreibung aus eugenischer Indikation, die Zündstoff bergen.
Ein Beispiel ist der eklatante Mangel an psychologischer Betreuung und ärztlicher Aufklärung, mit dem sich das Elternpaar konfrontiert sieht. Rat, Unterstützung, Anteilnahme, selbst medizinisches Hintergrundwissen und sogar die Erstdiagnose - all das findet die Schwangere im Internet und nicht beim medizinischen Personal, das kühl seine To-Do-Listen abarbeitet.
Mit Schickssalsschlag allein gelassen
Die Krankheit des Fötus ist niemandes Schuld, sondern eine ungute Laune der Natur und ein willkürlicher Schicksalsschlag, das lehrt dieses Buch und das erkennt am Ende auch die Autorin. Wie sehr die Schwangerschaft mit einem schwer behinderten Kind und die Entscheidung dafür, es tot zur Welt zu bringen, im Alltag von gynäkologischen Praxen und Krankenhausstationen noch immer ein Tabu sind, mit dem Eltern allein gelassen werden - darauf macht das Buch eindringlich aufmerksam und empfiehlt sich darum als Lektüre nicht nur für Betroffene.

Sandra Wiedemann: Am Ende aller guten Hoffnung - Sterbehilfe im Mutterleib?
edition riedenburg, Salzburg 2014
252 Seiten, 24,90 Euro

Mehr zum Thema