Späte Ehre in Frankreich

Von Siegfried Forster |
Assia Djebar ist die erste Algerierin, die in der 1635 gegründeten Academie Francaise Einzug gehalten hat. Angesichts der seit Monaten andauernden heftigen Debatten innerhalb der französischen Gesellschaft über Erinnerung, Geschichte und Integration wurde ihre Antrittsrede mit Spannung erwartet.
Nach dem Trommelwirbel der republikanischen Ehrengarde erhielt Assia Djebar das Wort - nicht im traditionell grün-bestickten Pracht-Kostüm der Akademie mit Säbel, sondern in einem schwarzen Umhang, als Hommage an Marguerite Yourcenar, die als erste Frau in der altehrwürdigen Academie Francaise Einzug gehalten hatte. Für Assia Djebar bedeutet "unsterblich" zu sein, vor allem zwei Welten anzugehören:

"In diesem Volk der An- und Abwesenden, die also 'Unsterbliche' genannt werden, habe ich als zweiten Schutzengel Denis Diderot gewählt. Diderot, der nicht wie Voltaire Academicien gewesen war, aber dessen Phantom mich - das fühle ich - als Schutzschatten begleiten wird. Der Philosoph Diderot hatte 1751 geschrieben, dass man gleichzeitig außerhalb und innerhalb sein müsse."

Erste Algerierin, erste Muslimen in der Academie Française, eine Araberin wird unsterblich, Immigration, Integration, Frankophonie - bei den ersten Reaktionen nach der überraschenden Wahl von Assia Djebar beherrschten politische Stichwörter die Schlagzeilen. Von Sprache und Literatur war eher weniger die Rede, obwohl die Goldene Kuppel am feinen Seine-Ufer doch eigentlich als Heimstätte des Esprits gegründet wurde. War die Wahl von Assia Djebar also eine politische Wahl? Frage an Laurent Personne, Kabinettschef des Sekretärs auf Lebenszeit der Academie Française:

"Nein, nein, ich denke überhaupt nicht. In der Academie gibt es keine politischen Kriterien. Madame Assia Djebar wurde nicht nominiert, sondern gewählt. In der Academie wird man mit der absoluten Mehrheit der anwesenden Mitglieder gewählt. Was vor allem anerkannt wurde, ist ein bedeutendes literarisches Werk."

Assia Djebar kam 1936 in Algier als Fatma Zohra auf die Welt. Als erste Algerierin schaffte sie 1955 - also noch vor der Unabhängigkeit Algeriens - den Sprung in die französische Elitehochschule Ecole Normale Superieure. Sie entschließt sich, nicht in ihrer Muttersprache, sondern in der Sprache der ehemaligen Kolonialherren zu schreiben. Um ihre Familie zu schützen, wählt sie anlässlich der Veröffentlichung ihres ersten Romans "Soif" das Pseudonym Assia Djebar, eine Wahl, die sich nun als Vorsehung entpuppt:

"Djebar bedeutet viele Dinge. Mir hatte man das damals übersetzt mit 'die Unnachgiebige'. Das hat mir gefallen, ich war damals 20 Jahre alt. Dann habe ich einen Vornamen gesucht, der arabisch sein sollte und den man schreibt wie man spricht. Assia bedeutet: 'Die Trostspendende'. Erst viel später habe ich von einem marokkanischen Arabisch-Spezialisten erfahren, dass Assia auch eine Blume ist, die im Französischen 'Die Unsterbliche' genannt wird."

Mit Assia Djebars Ernennung holt die seit 1635 bestehende Academie einen peinlichen Rückstand auf. Während das Werk der in New York lebenden Algerierin außerhalb Frankreichs seit vielen Jahren geschätzt und preisgekrönt wird, fristete es in französischen Landen bisher eher ein Schattendasein, bemerkt Lucien Leitiss, Verleger des Unions-Verlags in Zürich, der das Werk von Djebar seit 25 Jahren im deutschsprachigen Raum betreut:

"Es mag vielleicht ein bisschen damit zusammenhängen, dass sie sich aus dieser literarischen maghrebinischen Szene, die es in Frankreich ja gibt, immer etwas herausgehalten hat. Sie war da eher eine Einzelgängerin. Außerdem entziehen sich ihre Werke einer schnellen Interpretation und für Frankreich ist natürlich der Maghreb, Nordafrika und insbesondere das Algerien ein Stück Innenpolitik. Und die Komplexität ihrer Werke, das Artistische, das hohe Künstlerische, daran auch, dass sie sich nicht so einfach in Schuld und Unschuld und Vorwurf und Verteidigung subsumieren lassen, hat vielleicht die Rezeption im französischen Sprachraum etwas komplizierter gemacht."

Assia Djebar erklärt sich ihre stärkere Ausstrahlung im deutschen Sprachraum eher mit einer rätselhaften Beziehung der Franzosen zur Literatur:

"Wissen Sie, es gibt einen Widerspruch. In Frankreich geht man davon aus, dass jeder die Literatur liebt. Jeder schreibt hier ein Buch. Die Literatur ist fast ihre Religion. Aber letztlich gibt es keine Mittel. Denn wenn ich eingeladen werde, dann nur um einen Vortrag zu halten. Das interessiert mich nicht, wenn ich gerade einen Roman geschrieben habe. In Deutschland hingegen kann ich Lesungen machen. Seltsamerweise habe ich das Gefühl, immer mehr die Musik der deutschen Sprache zu entwickeln, obwohl ich keine großen Anstrengungen dafür unternommen habe."

Trotz ihrer Ernennung zur Unsterblichen wird sie weiterhin auf dem Boden bleiben. Bezahlt werden die Academiciens für ihre betriebsame Arbeit in unzähligen Kommissionen und für das berühmte französische Wörterbuch nämlich nicht, es werden weder Büro noch Dienstwagen bereitgestellt und die Aufwandsentschädigung liegt bei bescheidenen 150 Euro im Monat.