Späte Würdigung für einen Meister des Abstrakten

Von Jürgen König |
Er war einer der herausragenden Vertreter der experimentellen Fotokunst, dennoch blieb Heinz Hajek-Halke bis heute weitgehend unbekannt. Das könnte sich nun ändern: Die Berliner Akademie der Künste zeigt knapp 200 faszinierende Arbeiten aus seinem Nachlass.
Die Geschichte der Fotografie wird in hohem Maß vom Gegenständlichen, von realistischer, kritischer Fotokunst dominiert. Experimentelle, künstlerisch sich dem Abstrakten annähernde Fotografie wird eher am Rande wahrgenommen. Einer der herausragendsten deutschen Vertreter dieser Richtung, Heinz Hajek-Halke, ist ein Unbekannter. Der Kurator der Ausstellung, Rolf Sachsse, Professor für Designgeschichte und -theorie an der Hochschule der Bildenden Künste Saar:

"Wann immer ich in den letzten Wochen erzählt habe, ich mach eine Ausstellung mit Heinz Hajek-Halke hier in Berlin, dann kommt unweigerlich die Frage: Wer war das? Wer ist das? Kennen wir den? Müssen wir den kennen? Und ich bin froh, dass man ihn jetzt nach dieser Ausstellung wird kennen müssen. Das ist einfach so, er ist hier mit dieser Ausstellung, indem er hier in dieser Akademie gezeigt wird, hier in der Sammlung ist, einfach auch kanonisiert, und das wird dem, was er wollte und dem, was er anstrebte als Künstler, auch gerecht."

"Der Alchimist" heißt die Ausstellung. Denn Heinz Hajek-Halke arbeitet zwar – als eigentlich klassischer Fotograf - mit Negativen, von denen er Abzüge macht, diese bearbeitet er dann allerdings sehr eigenwillig. Das zeigt schon ein Bild von 1932: ein leeres Stück Asphaltstraße im Tageslicht, im Hintergrund vor einer Hauswand ein parkendes Auto und im Vordergrund drei Herren mit schwarzem Zylinder. In das Bild hineinprojiziert der Körper einer nackten Frau – als läge sie auf der Straße und auf ihrem Leib stehen die Herren und stecken die Köpfe zusammen; Titel: "Üble Nachrede".

Auf der Grundlage solch früher Experimente entwickelt Heinz Hajek-Halke sein Spätwerk, verbindet Fotomontage, Fotogramme, grafische Elemente. Ein Fotograf des "Informel": jener Kunstrichtung der Nachkriegszeit, die die Formlosigkeit zum Prinzip machte und die Formfindung gerne dem Zufall überließ. Was Heinz Hajek-Halke mit einem Negativ machen konnte, beschreibt Rolf Sachsse am Beispiel eines Bildes "ohne Titel" von 1955.

"Er nimmt ein unbelichtetes Negativ, eine beschichtete Glasplatte, auf ihr dreht er eine gebrauchte Rasierklinge um einen Punkt herum, sodass eine kreisförmige Kratzspur entsteht, diese Kratzspur arbeitet er manuell noch ein bisschen nach, das ist ein Negativ. Dann produziert er ein weiteres Negativ, indem er eine Flüssigkeit, ein bisschen Fixierbad auf eine weitere einfache Glasplatte verteilt und die Kristallisation entstehen lässt, und dann kopiert er über diese beiden Negative noch eine ganze Menge Fotogramme von sowohl der Rasierklinge, einer zweiten Rasierklinge, irgendwelchen anderen kleinen Werkteilen, die er gefunden hatte, zusammen – sodass durch fünf, sechs, sieben Überlagerungen von Bildschichten ein Zusammendruck entsteht."

Knapp 200 Arbeiten, grandios ausgeleuchtet, zeigt die Ausstellung: Neben den erwähnten Rasierklingen erkennt man immer wieder auch Blätter, Tropfen von Klebstoff, Uhrfedern, Wunderkerzen - sie alle werden einem Arbeitsprozess unterzogen, dessen Ergebnis nurmehr wie ein abstraktes Bild zu lesen ist. Eine Formen- und Farbvielfalt, die an Gewächse und Gestein denken lässt, versehen mit Titeln wie "Lebendes Gestein", "Komposition mit schwimmenden Farben", "Verhärteter Akkord", "Verbrannte Barmherzigkeit", "Hinter dem Knochenwald", "Traumweberei", "Verknöcherte Lyrik" "Scherbenkultur", "Blutende Erde", "Filigrangespinst", "Der Mond des Lumpensammlers" oder auch: "Das Gewächshaus Paul Klees – Treibhaus der Missgunst". Es zeigt das Foto eines Gewächshauses, das durch Mehrfachbelichtung zu kubistischen Formen wird – eben wie bei Paul Klee, dem Heinz Hajek-Halke sich verbunden fühlte.

"Es ist ganz interessant, dass diese Abstraktion sich dem Spielen versagt. Einerseits wirkt sie ganz spielerisch im Machen, andererseits hat sie überhaupt nicht den Bezug zum spielerischen Erleben von Realität. Und genau das ist eigentlich das, was mich jetzt heute direkt fasziniert: Er hat gespielt, aber das Ergebnis sind ernste Bilder, die auch als Bilder Stück für Stück einzeln wahrgenommen werden können."

1898 in Berlin geboren, verbringt Heinz Hajek-Halke seine Kindheit in Buenos Aires, kehrt als Zwölfjähriger nach Berlin zurück, studiert an der Kunstgewerbeschule bei Emil Orlik, wird Gebrauchsgrafiker, entwirft Plakate, Schriften, Werbeanzeigen, interessiert sich früh schon für die Fotografie. 1934 entzieht er sich dem propagandistischen Zugriff der Nazis, zieht als Kleintierzüchter - und Fotograf - an den Bodensee. 1946 geht er nach Ehrenbreitstein bei Koblenz, 1955 wird er Dozent für Fotographik an der Hochschule der Bildenden Künste Berlin. Seine Frau stirbt früh, Kinder hat er nicht, sein Bruder war schon im Krieg erschossen worden, von seinen Studenten hält er sich fern: ein Einzelgänger. Er lehrt bis 1967, erfährt die Wertschätzung, von der er geträumt hatte, 1983 stirbt er in Berlin. Seinen Nachlass hatte er schon zehn Jahre zuvor dem Fotografen Michael Ruetz anvertraut.

"Er war ein Linksanarchist und immer ein richtiger Anarchist, der sein Lebenswerk dennoch auf Sorgfältigste konserviert hatte. Er hatte jedes Bild aufgehoben, jeden Zeitungsausschnitt, jeden Brief, jedes Dokument und das seit 1918, der Zeit seiner ersten Zeichnungen."

Vor zwei Jahren überließ Michael Ruetz große Teile dieses umfangreichen Nachlasses als Schenkung der Akademie der Künste. Die zeigt jetzt einen repräsentativen Querschnitt des Werks von Heinz Hajek-Halk, daneben zeichnerische Vorarbeiten, Arbeitsbücher. Ein faszinierender Blick auf das Werk eines abstrakten Künstlers der Fotografie, auf das Werk eines Unbekannten, der mit dieser Ausstellung kein Unbekannter mehr sein wird.