Neuanfang mit Rechtsdrall?
27:01 Minuten
Am 28. April wählen die Spanier ein neues Parlament. Es könnte spannend werden: Nach wie vor polarisiert der Katalonien-Konflikt das Land und erstmals werden der rechtsextremen Partei Vox Chancen eingeräumt, ins Parlament einzuziehen.
Wie macht man Wahlkampf in Zeiten, in denen die Menschen erst recht nichts von Politik wissen wollen? Wie in den zurückliegenden Ostertagen, wo die Spanier Entspannung und Besinnung suchten. Und wo die malerischen Osterprozessionen in großen und kleineren Städten den Takt bestimmten. Die Politik möge den Osterfrieden bitte nicht stören, hatten manche Veranstalter schon gewarnt. Pablo Casado hat seinen eigenen Dreh gefunden.
Casado ist Spitzenkandidat der konservativen Volkspartei, kurz PP, Partido Popular. Der 38-Jährige steht auf einem kleinen Plätzchen in der Altstadt der kastilischen Stadt Ávila mit ihrer spektakulären Stadtmauer und wirbt für sich mit dem Hinweis, er sei selbst in einer örtlichen Bruderschaft und werde gleich an der Prozession teilnehmen.
"Wir sind offen für alle"
Später zieht er sich eine violette Tunika über und eine Kapuze. Diese Bilder liefen: der fromme Casado, in Andacht bei den Menschen. Und manche Botschaft hatte er bei seiner kurzen Ansprache vor der Prozession schon unter die Leute gebracht:
"Wir werden wieder regieren. Und wir sind dabei offen für alle. Für die, die uns wählen - und die, die uns nicht wählen. Für Freunde und Gegner, für jene, die zuletzt zu Hause geblieben sind und jene, die uns die Treue gehalten haben. Wir sind eine erneuerte, regenerierte Partei!"
Und das ganze verband er mit dem Schlachtruf: "Viva Ávila, viva España!"
Der letzte Ministerpräsident der Volkspartei, Mariano Rajoy, war 2018 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt worden, zerrieben durch Krisen und Korruption. Pablo Casado will ihn beerben. Aber er läuft schlechten Umfrageergebnissen hinterher: seine PP würde deutlich verlieren, hätte allenfalls Chancen auf Platz 2 im Parlament.
Was nicht völlig ausschließt, dass Casado am Ende doch die Nummer Eins einer Regierung werden könnte. Denn auf dem rechten Flügel hoffen drei Parteien auf eine gemeinsame Mehrheit: Das wäre ein echter Rechtsruck in Spanien.
Einer der möglichen Bündnispartner ist für schöne Fernsehbilder in eine Biker-Montur geschlüpft und macht mit 30 anderen Motorradfahrern eine filmreife Tour durch die sonst so beschauliche Sierra bei Madrid. Motorradfahrer sind auch Wähler, sagt sich Albert Rivera, der 39-Jährige Chef der rechtsliberalen Partei Ciudadanos, zu deutsch: Die Bürger. Wie er da auf seiner Maschine thront, will er jung, dynamisch und etwas "macho" rüberkommen.
"Gewinnt Sánchez, bleibt alles beim Alten"
Die Liberalen hatten sich früher als Gegengewicht zu den großen Parteien, den Sozialisten und den Konservativen aufgestellt: gegen Korruption, gegen verkrustete Strukturen, gegen das System, in dem die beiden großen Parteien das Rennen stets unter sich ausmachten. Nun will Rivera die amtierende Regierung des amtierenden Sozialisten Sánchez ablösen.
Wenn Sánchez gewinnen würde, so der Liberale Rivera, dann bleibe alles beim Alten. Und das Land werde gespalten. Dagegen haben sich die Volkspartei und Ciudadanos – in Abgrenzung zu dem Konflikt in Katalonien – die Einheit des Landes auf die Fahnen geschrieben und würden auch nicht vor einem Bündnis mit der ultrarechten Partei Vox zurückschrecken, wie es aussieht.
40 Jahre nach dem Tod des Diktators Franco hätte man ein solches Sammelbecken von Alt-Franquisten und Rechtskonservativen nicht mehr für möglich gehalten. Vox könnte gar zweistellig werden, fischt im Lager derer, die unzufrieden sind allgemein mit der Politik, mit dem Streit um Katalonien und mit der steigenden Zuwanderung.
Viele spanische Wähler sind noch unentschlossen
Er sei sicher, dass die Regierung falsche Angaben über das tatsächliche Ausmaß der Migration mache, sagt Vox-Chef Santiago Abascal. Er werde dafür sorgen, dass das spanische Volk durch ihn alles erfahre.
Nach den letzten Umfragen hätten die drei Parteien vom rechten Flügel zusammen keine Mehrheit im Parlament. Allerdings: Viele spanische Wähler gelten als unentschlossen. Deswegen verschärft sich der Ton in der Auseinandersetzung der Parteien, das konnte man bei den beiden Fernsehdebatten in den vergangenen Tagen beobachten.
Pedro Sánchez, der amtierende Ministerpräsident von der sozialistischen Partei PSOE, hat einen Vorteil. Von der Körpergröße überragt er seine Konkurrenten, außerdem sieht er nach weit verbreiteter Auffassung am besten aus. Eine Bekannte meinte neulich: Wo so wenig über Inhalte gestritten werde, entscheide sie sich für den Hübschesten. Das sei eben Pedro Sánchez: 47 Jahre alt, Typ netter Schwiegersohn.
Die Umfragen sehen Sánchez als Sieger
Er musste Neuwahlen ausrufen, weil seine Minderheitsregierung gescheitert war. Durch die Wahl des Termins, dem 28. April, kam es zur kürzesten Wahlkampagne aller Zeiten: eben auch über Ostern.
Sánchez setzt weniger auf die Debatte mit dem Gegner, als vielmehr auf seinen Amtsbonus. Und die Umfragen sehen ihn als Sieger.
"Die Rechte steht für Korruption, Ungleichheit und Konfrontation der Territorien. Wir dagegen haben die Chance, ein Spanien ohne Ungleichheit und Korruption zu schaffen - für soziale Gerechtigkeit. Wir sind kurz davor, eine Regierung der Stabilität bilden zu können. Aus eigener Kraft!"
Die Sozialisten als stärkste Partei?
Dass aber die Sozialisten wie früher allein auf eine Mehrheit im Parlament kommen, ist sehr unwahrscheinlich. Stärkste Partei - ja. Aber auch sie müsste sich wohl einen Partner suchen. Die linke Bewegung Podemos bietet sich an. Podemos ist als Konkurrenz zu den Sozialisten groß geworden. Es gibt tiefe Gräben und ein sehr unterschiedliches Verständnis von linker Politik. Doch Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias streckt die Hand aus:
"Es scheint, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder tun sich Ciudadanos, die Volkspartei und Vox zusammen oder wir machen eine Koalition mit den Sozialisten. Ich sage klar: Trotz aller Schwierigkeiten, trotz des Misstrauens, dass die Sozialisten ihre Versprechen nicht immer erfüllen, sind wir bereit für eine solche Regierung!"
Nur: Es ist nicht gesagt, dass auch ein solches Linksbündnis zusammen auf die nötige absolute Mehrheit im Parlament käme. Also – und das birgt Sprengstoff – könnte der Sozialist Sánchez wie schon zuletzt im Parlament auf Stimmen aus dem Baskenland und Katalonien angewiesen sein. Denn auch im Nationalparlament, dem Kongress, sitzen Vertreter der Regionalparteien – in der Sprache der politischen Gegner rundweg als Separatisten bezeichnet.
"Katalonien" als Reizwort im Wahlkampf
Und das ist das Besondere an diesem kurzen, aber hitzigen Wahlkampf. Es geht natürlich um Arbeitslosigkeit, um Renten, um den ländlichen Raum. Aber das besondere Reizwort dieser Kampagne ist "Katalonien". Wie belastet dieses Thema ist, zeigte sich vor ein paar Tagen im andalusischen Ort Coripe. Dort verbrennt man an Ostern traditionell eine Puppe des Verräters Judas. Und dieser Brauch wird manchmal abgewandelt.
Diesmal sah die Puppe aus wie der ehemalige katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont, der Katalonien verfassungswidrig unabhängig machen wollte. Auf diese Puppe wurde mehrfach geschossen. Puigdemont wurde in Coripe unter Hochrufen abgefackelt. Fassungslos steht man davor und ahnt, wieviel Sprengstoff das Thema Katalonien in diesem Wahlkampf hat.
"Wir haben schon vor kurzem bei den Regionalwahlen in Andalusien gesehen, dass die Katalonien-Krise die öffentliche Debatte beherrscht. Und zwar nicht nur in Katalonien, sondern in ganz Spanien. Die Katalonien-Frage polarisiert wie nichts anderes."
Der Politikwissenschaftler und Kolumnist Jordi Amat. Er sitzt zu Hause an seinem Schreibtisch in seiner Wohnung in Barcelona. Ein paar Häuser weiter befindet sich eine jener Schulen, die Schauplatz dramatischer Szenen wurden: Als Polizisten versuchten, zu verhindern, dass Menschen hier bei einem illegalen Referendum ihre Stimme abgeben. Die Bilder prügelnder Polizisten gingen um die Welt.
Das ist gut eineinhalb Jahre her. Die Träume von einer baldigen Unabhängigkeit Kataloniens sind meist Ernüchterung gewichen. Und doch bleibt das Thema emotional aufgeladen. Was auch an einem Gerichtsprozess liegt, der derzeit in Madrid stattfindet.
Katalanische Seperatisten angeklagt wegen "Rebellion"
Vor dem Obersten Gerichtshof müssen sich zwölf führende katalanische Separatisten verantworten, darunter auch ehemalige Minister der katalanischen Regionalregierung. Sie sind - unter anderem - der "Rebellion" angeklagt, ähnlich dem Hochverrat in Deutschland. Ihnen drohen lange Haftstrafen. Die Urteile dürften in den kommenden Monaten fallen.
In Katalonien verfolgen viele Menschen den Prozess intensiv. Auch deshalb, weil die Gerichtsverhandlungen live im Fernsehen übertragen werden - über Stunden. Damit will der Oberste Gerichtshof für Transparenz sorgen: Niemand soll behaupten können, dass es bei dem Verfahren unfair zugegangen sei. Genau das unterstellen aber viele Separatisten dem Gericht. Für sie ist das Ganze ein Schauprozess, die Angeklagten "Politische Gefangene".
Staatsanwalt Javier Zaragoza weist das zurück: "Nach unserem Urteil ist das ebenso lächerlich wie ungerechtfertigt. Es wird versucht, jene zu Opfern einer politischen Verfolgung zu stilisieren, die sich der Spaltung und des schweren Verfassungsbruchs schuldig gemacht haben – und die paradoxerweise den Staat auf die Anklagebank setzen wollen."
"Dieser Prozess wird nichts lösen"
Der katalanische Vizeregierungschef Pere Aragones ist da ganz anderer Meinung. Er sagte beim Prozessauftakt: "Dieser Prozess wird nichts lösen. Es gibt einige in der spanischen Regierung, die eine harte Strafe wollen. Doch eine harte Strafe wird nur mehr Probleme mit sich bringen. Die katalanischen Bürger werden niemals ihre politischen Ziele aufgeben."
Die Empörung über den Prozess ist unter den Separatisten groß. Die Wut eint jene, die sich ansonsten in herzlich wenig einig sind: Vor allem nicht in der Frage, wie die Unabhängigkeit zu erreichen ist. Das Lager um den frühen Regierungschef Puigdemont will die Unabhängigkeit rasch – auch wenn der Preis dafür hoch sein sollte. Die gemäßigteren Kräfte sehen die Unabhängigkeit eher als langfristiges Ziel und geben sich kompromissbereiter.
Separatistische Parteien könnten wahlentscheidend werden
Separatistische Parteien treten auch bei der Spanien-Wahl am Sonntag an – und dürften künftig im spanischen Parlament vertreten sein. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse könnten sie sogar das Zünglein an der Waage sein, welche Koalition künftig zustande kommt. In jedem Fall sind sie eine Herausforderung für den künftigen Ministerpräsidenten, wer immer es sein wird.
Der bisherige Amtsinhaber Pedro Sánchez hat versucht, mit den Separatisten ins Gespräch zu kommen. Auszuloten, wo es vielleicht Kompromisse geben kann. Für den Konservativen Pablo Casado war schon das zu viel: "Verräter, notorischer Lügner, Egozentriker, Machtbesessener, Schande für Spanien" – die Zeitung "El País" zählte nicht weniger als 21 Beleidigungen, die Casado Sánchez in einer Rede Anfang Februar an den Kopf warf.
Für den Politologen Jordi Amat ist die verbale Prügel ungerechtfertigt: "Er ist seit langem der erste Politiker, der anerkennt, dass es ein politisches Problem in Katalonien gibt. Für die Volkspartei und Ciudadanos ist das tabu: Für sie gibt es kein Problem – auch wenn mir selbst das wahnsinnig blind erscheint. Sánchez hat einen Imageverlust riskiert, allein, weil er sich mit den Separatisten auf ein Gespräch eingelassen hat."
Tatsächlich haben aber schon die ersten Gespräche gezeigt, wie schwer es ist, zu Kompromissen zu kommen. Die Separatisten wollten und wollen von ihrem vermeintlichen Recht auf Selbstbestimmung nicht abrücken. Sánchez wiederum war nicht bereit, über die Einheit Spaniens zu verhandeln – die in der Verfassung festgeschrieben ist. Die katalanischen Separatisten ließen daraufhin Pedro Sánchez mit seinem Haushaltsentwurf auflaufen. Hätten sie ihre Zustimmung gegeben, hätte Sánchez genügend Stimmen zusammen gehabt. So aber sah er sich Mitte Februar gezwungen, Neuwahlen auszurufen.
Dass am kommenden Sonntag gewählt wird – dafür tragen die Separatisten eine große Mitverantwortung. Als sie Sánchez ihre Unterstützung verweigerten, nahmen sie in Kauf, dass künftig konservative Hardliner in Madrid sitzen könnten. Mit einer konservativen Regierung dürfte die Suche nach Auswegen aus dem Konflikt allerdings schwieriger werden. Die Feindbilder würden aber auch klarer, im Sinne eines "Wir gegen die". Gut möglich, dass das manch einem Politiker durchaus gelegen kommt.
Vox am erfolgreichsten in Andalusien
Ein Samstagmittag in Málaga. Die Stadt ist voll. Touristen schlendern durch die Fußgängerzone, Einheimische erledigen ihre Einkäufe. An der Hafenpromenade bildet sich eine Menschentraube – rund um einen Stand der Rechtsaußen-Partei Vox. Sie ist hier in Andalusien so stark wie kaum anderswo in Spanien: Bei der Regionalwahl im Dezember holte die Partei knapp elf Prozent der Stimmen und zog ins Regionalparlament ein. Das hat sie bisher nirgendwo geschafft. Prognosen hatten Vox ein bis zwei Abgeordnetensitze vorausgesagt – es wurden schließlich zwölf von 109.
Hier am Stand in Málaga will niemand von der Partei mit der Presse sprechen: Die Politiker winken ab, als sie ein ARD-Mikrofon sehen und schwenken lieber große Spanien-Fahnen. Francisco dagegen möchte reden, der Rentner hat sich gerade mit Vox-Info-Broschüren eingedeckt. "Na ja, ich weiß nicht so recht. Vielleicht wäre es gut, diese Partei zu wählen. Doch im Moment überzeugt sie mich noch nicht komplett. Wenn Vox wirklich etwas ändert, zum Beispiel die Wirtschaft in Andalusien voranbringt, das wäre was!"
"Es musste ein Wechsel her"
Pilar hat sich dagegen schon festgelegt: Sie will bei dieser Wahl Vox ihre Stimme geben. So wie sie es auch schon bei der Regionalwahl getan hat. Dass es in Andalusien zu einer politischen Wende kam, freut die 50-Jährige. Endlich, sagt sie, wurden die Sozialdemokraten nach 36 Jahren an der Macht abgelöst – von einem Bündnis rechter Parteien.
"Ich bin glücklich darüber. Erst einmal, weil ich politisch immer dem rechten Zentrum angehört habe. Und zweitens, weil wir die Sozialdemokraten einfach leid waren. Es gab so viele Fälle von Korruption. Gut, in der konservativen Volkspartei auch. Aber es musste ein Wechsel her. Und dass der nun da ist, macht mich glücklich."
Genau diesen Wechsel wünscht sich Pilar auch im Parlament von Madrid. Durch Vox. Eine rechtsextreme Partei, die sich für die Einheit Spaniens einsetzt, gegen feministische Bewegungen Stimmung macht, den Stierkampf fördern will, Tierschützer als "Psychopathen" bezeichnet und Einwanderer als Hauptgrund für die Kriminalität im Land sieht.
30 Prozent für Vox bei Regionalwahl
Mit dem Auto geht es raus aus Málaga, zwei Stunden Richtung Osten in die Provinz Almería. Sie ist der Teil von Andalusien, in dem die Rechtsaußen-Partei Vox die meisten Anhänger hat. In der Kleinstadt El Ejido holte Vox bei der Regionalwahl fast 30 Prozent der Stimmen, mehr als jede andere Partei. Aus dem Nichts zur stärksten Kraft – das hat Vox nirgendwo sonst in Andalusien geschafft. Juan José Bonilla ist stolz darauf, er koordiniert die Arbeit der Partei in der Stadt.
"El Ejido war bisher immer ein Ort, in dem sehr viele Menschen die konservative Volkspartei PP gewählt haben. Doch wahrscheinlich hat die Politik der PP die meisten Einwohner hier nicht mehr erreicht, sie wollten etwas Neues. Eine Partei, mit der sie sich stärker identifizieren können als mit der PP."
El Ejido ist keine südspanische Stadt wie jede andere: Wer über die Hauptstraße geht, sieht überdurchschnittlich viele Dunkelhäutige und Frauen mit Kopftuch. Die Ausländerquote liegt bei 62 Prozent. Und das hängt mit dem wichtigsten Wirtschaftszweig der Gegend zusammen: der industriellen Landwirtschaft. Rund um El Ejido stehen Gewächshäuser, hunderte, tausende, kaum ein Fleck ist nicht mit ihnen bebaut. Und hier arbeiten fast ausschließlich Afrikaner.
Die Immigration spiele eine große Rolle für die Bewohner der Stadt, sagt Vox-Mann Bonilla. Er spricht von einer Unsicherheit im Ort, die Menschen hätten genug von illegalen Einwanderern. Tatsächlich geht fast jeder in El Ejido auf das Thema ein, wenn man ihn auf die politische Lage anspricht. Zum Beispiel Pepe. Er wünscht sich, dass die Amtszeit von Ministerpräsident Sánchez endet.
"Sánchez hat dasselbe getan wie sein Vorgänger Zapatero: Jedem Papiere gegeben, der welche wollte. Das geht nicht. Spanien kann nicht so viele Menschen aufnehmen. Wir Spanier haben zu wenig Jobs, wo soll Arbeit für die ganzen Leute her?! Wir sind nicht so, wie man uns oft darstellt, keine Rassisten. Aber es gibt hier einfach zu viele Menschen."
Dabei ist El Ejido die Gemeinde Andalusiens mit der geringsten Arbeitslosigkeit, sie liegt bei 12 Prozent. In vielen anderen Teilen der Region sind mehr als 30 Prozent der Bevölkerung arbeitslos gemeldet. Spitou kann die Skepsis Ausländern gegenüber daher nicht verstehen. Er kommt aus dem Senegal und arbeitet in der Landwirtschaft – in einem der tausenden Gewächshäuser unter Plastikplanen.
"Da ist es 50 Grad warm, im Schatten! Dort geht kein Spanier rein. Es stimmt einfach nicht, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen. In dem Betrieb, in dem ich arbeite, sind mit mir 30 Afrikaner beschäftigt. Kein einziger Spanier. Wenn ein Spanier reinkommt, dann ist es unser Chef."
Spitou spricht von einem angespannten, gereizten Verhältnis zwischen Spaniern und Afrikanern in El Ejido. Allerdings fühle er sich heute wohler in dem Ort als vor 19 Jahren, als er dort ankam.
"El Ejido 2000". Das hat sich Vielen in der Gegend wie eine Marke eingebrannt. Spitou spricht von Grausamkeiten, die man damals erlebt habe. Was war passiert? Im Jahr 2000 ermordeten drei marokkanische Plantagenarbeiter zwei Spanier. Es folgten Ausschreitungen im Ort: Hetzjagden auf Afrikaner, ein Mob brannte ihre Geschäfte und Hütten nieder.
Für Juan José Bonilla, den Vox-Koordinator von El Ejido, waren die Ereignisse im Jahr 2000 die einschneidendsten seines Lebens, sagt er. Denn einer der Männer, der von Marokkanern getötet wurde, war Juans Vater. "Nun, viele sagen, ich sei aus Rache zu Vox gegangen – wegen der Dinge, die vor 19 Jahren passiert sind. Aber das ist eine persönliche Geschichte. Dramatisch für mich und vor allem für meine Schwestern, die jünger sind. Das Problem der Immigration ist heute genauso schlimm wie im Jahr 2000 oder vielleicht noch schlimmer. Die Behörden haben nichts dafür getan, um die Sache in den Griff zu bekommen."
"Vox betreibt politische Hetze"
Es geht weiter ins andalusische Hinterland. Hier ist Vox nicht so erfolgreich wie an der Küste – möglicherweise auch weil hier das Thema Einwanderung nicht so sichtbar ist, die Menschen nicht direkt mit ankommenden Booten aus Afrika konfrontiert sind. In Granada hat Vox bei der Regionalwahl im Dezember aber aus dem Stand immerhin 11,3 Prozent geholt.
Auch wenn die Partei damit nur fünftstärkste Kraft wurde – den Bürgermeister der Universitätsstadt beunruhigt das Ergebnis, vor allem mit Blick auf die Kommunalwahl Ende Mai. Francisco Cuenca ist Politiker der sozialistischen Arbeiterpartei. "Viele Menschen glauben die Lügen, die die Populisten verbreiten und verfallen in Angst. Vor allem in den neuen Medien, in den sozialen Netzwerken, herrscht Verunsicherung bei den Menschen. Vox betreibt politische Hetze und tischt Lügen auf."
Dass Vox so erfolgreich werden konnte, sieht der Politiker auch als Konsequenz aus der Wirtschaftskrise in Spanien in den vergangenen Jahren. Und er gesteht ein, dass seine Partei, die Sozialisten, hier und da bessere Konzepte hätte präsentieren müssen.
"Wie viele Städte erholen auch wir uns nur sehr langsam von der Krise. Diese Krise war tiefgreifend. Nach so einer Phase entwickeln Menschen Angst. Angst vor Fremdem, Neuem und Unbekanntem." Zum Beispiel vor den vielen Einwanderern. Eine Partei, die dann das Traditionelle betont, das alte, vertraute Spanien, habe es in diesem Moment bei den Menschen leicht, so der Bürgermeister.
Ángel Cazorla sieht den Hauptgrund für den Erfolg von Vox allerdings nicht beim Thema Immigration. Für den Politologen an der Universität Granada spielt die Katalonien-Krise eine wichtigere Rolle. "Ein Hauptproblem, das Vox aufgezeigt hat und womit viele Spanier unzufrieden sind: Die Unfähigkeit der klassischen Parteien, mit dem Katalonien-Konflikt vernünftig umzugehen. Das hat bei vielen Menschen nationalistische Gefühle ausgelöst und ihren Stolz, ein Spanier zu sein, größer gemacht."
Für den Politikwissenschaftler ist Vox eine Partei, die es schafft, Problemen in Spanien einen Namen zu geben. Eine typische rechtspopulistische Partei, die mit Gefühlen spielt und oft komplexe Themen für die Menschen scheinbar einfach zu lösen darstellt.
"Hier kommen viele Faktoren zusammen – und alle finden sich in Vox wieder. Das ist eine Marke, die es erlaubt, sich auszudrücken. Vox ist nicht neu, früher war die konservative Volkspartei eine Art Sammelbecken für Rechtsaußen-Politiker. Vox hat ihren Kurs salonfähig gemacht, vorher war er im Verborgenen."
Der Aufstieg der Partei Vox ist ohne die Katalonien-Krise nicht zu verstehen. Wenn in Katalonien spanische Flaggen von den Rathäusern verschwinden oder Bilder des Königs verbrannt werden, dann bleibt das im Rest des Landes nicht ohne Reaktion. Im Wahlkampf lieferten sich die konservativen Parteien von Ciudadanos bis Vox denn auch einen Wettlauf darin, wer die Einheit Spaniens am entschiedendsten verteidigt. Komplexe Themen kamen dagegen nur am Rande vor.
Politische Landschaft zersplittert und polarisiert
Dabei hat Spanien drängende Probleme: Die Zukunft der Renten ist ungewiss, die Staatsverschuldung hoch und die Jugendarbeitslosigkeit ebenso. Es ist offen, ob die neue spanische Regierung diese Probleme kraftvoll anpacken kann. Wenn es diese neue Regierung denn überhaupt geben wird. Die politische Landschaft ist zersplittert und polarisiert, die Spitzenkandidaten sind sich sichtlich nicht grün.
Es dürfte daher schwierig werden, eine Koalition zu bilden – und die Spanier werden sich vermutlich wieder einmal in Geduld üben müssen. 2016 hat es Monate der Verhandlungen und eine zusätzliche Neuwahl gebraucht, bis die neue Regierung endlich stand. Immerhin: Das Land ist trotzdem nicht im Chaos versunken.