Spannend auf allen Ebenen
Frankreich verfügt über wenige international bekannte Krimiautoren. Eine dieser wenigen ist auch in Deutschland ein echter Star: Fred Vargas, eine 51-jährige Archäologin aus Paris. "Im Zeichen des Widders" heißt ihr neuer Roman, der eigentlich gar kein Roman ist, sondern eine Graphic Novel - eine wunderbare Kombination mit Zeichnungen von Edmond Baudoin, ein fein ziseliertes Gesamtwerk, spannend auf allen Ebenen.
"Das Zeichen des Widders" ist kein neuer Roman von Fred Vargas. Es ist schon gar kein "Roman mit Zeichnungen" von Edmond Baudoin. Das ist ein glatter Etikettenschwindel, den uns der Aufbau Verlag da völlig bewusst präsentiert.
Das französische Original, "Les Quatre Fleuves", aus dem Jahr 2000 trägt sehr wohl beide Verfassernamen auf dem Umschlag - denn es handelt sich ganz einfach um einen Comic oder, wenn man es gehoben formulieren möchte, um eine Graphic Novel. Und zwar um eine ganz und gar wunderbare Graphic Novel, was die Täuschungsaktion des Verlags umso überflüssiger macht.
Aber wahrscheinlich hält man beim Aufbau Verlag Comics für etwas Minderwertiges. Das tut man aber nur, wenn man sich in der zeitgenössischen Literatur nicht so genau auskennt. Und zudem liegen Text-Bild-Kombinationen ja durchaus seit einiger Zeit auch bei uns wieder voll im Trend.
In Frankreich, von jeher dem Dorado für avancierte Comics, waren sie nie out, sondern immer auch an der Spitze der kriminalliterarischen Entwicklung - Jacques Tardis Léo-Malet-Adaptionen wären da etwa zu nennen oder seine Zusammenarbeit mit Didier Daeninckx oder die Kooperation des großen Zeichners Jacques de Loustal mit dem nicht minder genialen Romancier Jerome Charyn, nur um eine lange, spannende Reihe aufzurufen. In dieser illustren Gesellschaft spielen Baudoin/Vargas schon fast in der Zweiten Liga, wobei man sehen muss, dass Vargas vor acht Jahren auch noch nicht sooo groß war wie heute.
Dennoch, die Geschichte von dem Serialkiller, genannt der "Widder", und seinem Häscher, dem Kommissar Adamsberg - den Baudoin ein bisschen so zeichnet, wie Jerome Charyn damals ausgesehen hat (das muss kein Zufall sein …) - ist auf den ersten Blick ziemlich einfach strukturiert.
Zwei kleine Diebe bestehlen das falsche Opfer. Und als sie merken, dass sie nicht nur 30.000 Französische Francs geklaut haben, sondern auch Dinge, die psychopathische Serialkiller nun mal mit sich tragen, ist es zu spät. Der eine wird umgebracht, der andere gejagt und seine ganze, sympathisch abgedrehte Familie gleich mit. Adamsbergs Intuition und Imaginationskraft aber sind stärker als jede Ranküne eines bösen Killers.
Der Comic, ohne dass er deswegen aufhört, ein Comic zu sein, ist stellenweise stark textlastig oder vermittelt zumindest diesen Eindruck, weil die Texte nicht immer in die Panels (also die Bildkästchen) eingebaut sind. Da, wo die Bilder den Text doppeln würden, werden sie lieber weggelassen. Das gilt vor allem für ein paar längere, sehr schön rhythmisierte Dialogteile.
Das erhöht aber die Signifikanz und die Gewichtung der Bilder, sodass Text und Bild stets neu untereinander ausmachen müssen, wer gerade die narrative Oberhoheit hat - wann also einstimmig erzählt wird (das heißt Bild und Text dasselbe zeigen), wann gegenläufig, wann nur mit einer Komponente etwas angedeutet, etwas mehrdeutig, etwas unklar und mysteriös gemacht wird.
Baudoin arbeitet mit kräftigen Schwarz-Weiß-Strichen (plus Wischeffekten), mit hellen und dunklen Flächen - ein Stil, der den Einfluss des Argentiniers Alberto Breccia nicht verleugnen kann und will, und vor allem atmosphärisch für Rätsel und Düsternis, fürs Numinose, mit anderen Worten: buchstäblich für den noir sorgt.
Einen zusätzlichen Reiz, der die Spannung der - wenn auf den reinen Plot reduziert - eher schlichten Geschichte ausmacht, ist die nicht-filmische Struktur der Graphic Novel. Das Buch sieht eben nicht aus wie ein Storyboard, sondern präsentiert sorgfältig entworfene Seiten, die eher von der Grafik, respektive von der Kombination von Text und Grafik, also vom Design bestimmt werden. Eine simple "Und-dann-und-dann"-Dramaturgie kann unter diesen Umständen nicht aufkommen.
Vargas und Baudoin bedienen nie das Naheliegende oder Billige. Da im Vordergrund weder die Geschichte noch die Handlung, sondern die Art der Erzählung steht, wird das Gesamtwerk so fein ziseliert, so differenziert, so witzig und manchmal so anrührend. Spannend auf allen Ebenen, sozusagen. Und da haben Comics eine Ebene mehr als Romane. Gerade für Krimis ist das ideal.
Rezensiert von Thomas Wörtche
Fred Vargas: Das Zeichen des Widders
Aus dem Französischen von Julia Schoch,
Aufbau Verlag, Berlin 2008,
222 Seiten, 22,95 Seiten
Das französische Original, "Les Quatre Fleuves", aus dem Jahr 2000 trägt sehr wohl beide Verfassernamen auf dem Umschlag - denn es handelt sich ganz einfach um einen Comic oder, wenn man es gehoben formulieren möchte, um eine Graphic Novel. Und zwar um eine ganz und gar wunderbare Graphic Novel, was die Täuschungsaktion des Verlags umso überflüssiger macht.
Aber wahrscheinlich hält man beim Aufbau Verlag Comics für etwas Minderwertiges. Das tut man aber nur, wenn man sich in der zeitgenössischen Literatur nicht so genau auskennt. Und zudem liegen Text-Bild-Kombinationen ja durchaus seit einiger Zeit auch bei uns wieder voll im Trend.
In Frankreich, von jeher dem Dorado für avancierte Comics, waren sie nie out, sondern immer auch an der Spitze der kriminalliterarischen Entwicklung - Jacques Tardis Léo-Malet-Adaptionen wären da etwa zu nennen oder seine Zusammenarbeit mit Didier Daeninckx oder die Kooperation des großen Zeichners Jacques de Loustal mit dem nicht minder genialen Romancier Jerome Charyn, nur um eine lange, spannende Reihe aufzurufen. In dieser illustren Gesellschaft spielen Baudoin/Vargas schon fast in der Zweiten Liga, wobei man sehen muss, dass Vargas vor acht Jahren auch noch nicht sooo groß war wie heute.
Dennoch, die Geschichte von dem Serialkiller, genannt der "Widder", und seinem Häscher, dem Kommissar Adamsberg - den Baudoin ein bisschen so zeichnet, wie Jerome Charyn damals ausgesehen hat (das muss kein Zufall sein …) - ist auf den ersten Blick ziemlich einfach strukturiert.
Zwei kleine Diebe bestehlen das falsche Opfer. Und als sie merken, dass sie nicht nur 30.000 Französische Francs geklaut haben, sondern auch Dinge, die psychopathische Serialkiller nun mal mit sich tragen, ist es zu spät. Der eine wird umgebracht, der andere gejagt und seine ganze, sympathisch abgedrehte Familie gleich mit. Adamsbergs Intuition und Imaginationskraft aber sind stärker als jede Ranküne eines bösen Killers.
Der Comic, ohne dass er deswegen aufhört, ein Comic zu sein, ist stellenweise stark textlastig oder vermittelt zumindest diesen Eindruck, weil die Texte nicht immer in die Panels (also die Bildkästchen) eingebaut sind. Da, wo die Bilder den Text doppeln würden, werden sie lieber weggelassen. Das gilt vor allem für ein paar längere, sehr schön rhythmisierte Dialogteile.
Das erhöht aber die Signifikanz und die Gewichtung der Bilder, sodass Text und Bild stets neu untereinander ausmachen müssen, wer gerade die narrative Oberhoheit hat - wann also einstimmig erzählt wird (das heißt Bild und Text dasselbe zeigen), wann gegenläufig, wann nur mit einer Komponente etwas angedeutet, etwas mehrdeutig, etwas unklar und mysteriös gemacht wird.
Baudoin arbeitet mit kräftigen Schwarz-Weiß-Strichen (plus Wischeffekten), mit hellen und dunklen Flächen - ein Stil, der den Einfluss des Argentiniers Alberto Breccia nicht verleugnen kann und will, und vor allem atmosphärisch für Rätsel und Düsternis, fürs Numinose, mit anderen Worten: buchstäblich für den noir sorgt.
Einen zusätzlichen Reiz, der die Spannung der - wenn auf den reinen Plot reduziert - eher schlichten Geschichte ausmacht, ist die nicht-filmische Struktur der Graphic Novel. Das Buch sieht eben nicht aus wie ein Storyboard, sondern präsentiert sorgfältig entworfene Seiten, die eher von der Grafik, respektive von der Kombination von Text und Grafik, also vom Design bestimmt werden. Eine simple "Und-dann-und-dann"-Dramaturgie kann unter diesen Umständen nicht aufkommen.
Vargas und Baudoin bedienen nie das Naheliegende oder Billige. Da im Vordergrund weder die Geschichte noch die Handlung, sondern die Art der Erzählung steht, wird das Gesamtwerk so fein ziseliert, so differenziert, so witzig und manchmal so anrührend. Spannend auf allen Ebenen, sozusagen. Und da haben Comics eine Ebene mehr als Romane. Gerade für Krimis ist das ideal.
Rezensiert von Thomas Wörtche
Fred Vargas: Das Zeichen des Widders
Aus dem Französischen von Julia Schoch,
Aufbau Verlag, Berlin 2008,
222 Seiten, 22,95 Seiten