Sparsam erzählter Nevada-Blues
Willy Vlautin erzählt in "Motel Life" von zwei Brüdern, die von Anfang an vom Unglück verfolgt sind und versuchen, einen tödlichen Unfall zu vertuschen. In kurzen, lakonischen und eindrucksvollen Skizzen zeigt er ihre hoffnungslose Flucht. Vlautin reduziert seine Story dabei extrem auf das Wesentliche.
Eine Ente kracht durch das Fenster des Motelzimmers, in dem Frank Flannigan mal wieder einen Rausch ausschläft. Durch das zerschlagene Fenster dringt die beißende Kälte der Nacht in Nevada ein. Das wird keine heitere Geschichte, die Willy Vlautin in seinem Romanerstling erzählt, das macht er schon in den ersten Szenen klar.
Die Pflöcke für seinen düsteren Nevada-Blues schlägt er rasch ein: Franks Bruder Jerry Lee kommt ins Zimmer gestürmt, panisch vor Angst. Er hat einen kleinen Jungen überfahren. Plötzlich ist der Junge mit seinem Fahrrad auf die verschneite Straße geflitzt, Jerry Lee hatte keine Chance mehr, sein Auto zum Stehen zu bringen. Ein Unfall, aber Jerry Lee ist überzeugt davon, dass ihn dieser Unfall in den Knast bringen wird. Frank lässt sich von seiner Panik anstecken, im Schneetreiben dieser Nacht fliehen sie aus der Stadt.
"Aber an jenem Morgen, als ich die steif gefrorenen Arme des kleinen Jungen hinten im Wagen sah, da wusste ich, das Unglück hatte mich und meinen Bruder gefunden."
Das geht Frank durch den Kopf, als ihre Flucht beginnt. Das Unglück hat die beiden Brüder allerdings schon viel früher gefunden, eigentlich von Anfang an. Ihr Vater ist ein Totalausfall, ein Trinker und Spieler, der irgendwann verschwindet. Ihre Mutter schuftet sich krumm, um den beiden ein Zuhause zu geben. Als sie stirbt, ist Frank gerade 15 und Jerry Lee 17. Ihr Versprechen, die Schule zu Ende zu bringen, halten sie nur kurz durch, um sich dann mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Als sie versuchen, mit einem Güterzug aus der Stadt zu entkommen, stürzt Jerry Lee unter den Zug und verliert ein Bein. Genug Unglück für zwei Jungs aus der Spielerstadt Reno.
Willy Vlautin erzählt in kurzen, lakonischen und eindrucksvollen Skizzen von diesen Brüdern. Mangels Alternativen kehren sie nach Reno zurück. Jerry Lee schießt sich in den Beinstumpf, für einen Kopfschuss hat sein Mut nicht gereicht. Kurz vor dem Verbluten wird er gerettet und im Krankenhaus wieder zurechtgepflegt. Aber die Polizei hat den Unfall rekonstruiert, der tote Junge holt Jerry Lee wieder ein. Er flieht noch einmal mit seinem Bruder Frank, es wird seine letzte Flucht.
Eine Gegenbewegung zu dieser schwarz glänzenden Geschichte sind Franks Stories. Wenn ihn sein Bruder oder seine frühere Freundin lange genug beknien, dann erzählt Frank: Räuberpistolen, Legenden, Märchen. Er nimmt den Stoff ihres kärglichen Lebens und formt ihn um. Das hat nichts von postmodernen Geschichte-in-der-Geschichte-Spielereien. Franks Stories halten eine winzige Fahne der Hoffnung hoch. Wenigstens für Frank gibt es am Ende dieser Reise einen kleinen Ausblick auf eine andere Zukunft.
Vlautins Roman ist ein Wunder der Sparsamkeit. Er tippt die uramerikanischen Motive an: die Stadt der Spieler, die Hobos und Tramps, die Sehnsucht nach dem Ausbruch, die Gefangenschaft in der Familie. Vor jedem der kurzen Kapitel konzentrieren Schwarz-Weiss-Zeichnungen von Nate Beaty das Geschehen in einem einzigen Bild. Mit seinen höchst ökonomisch eingesetzten Erzählmitteln reduziert Willy Vlautin seinen Stoff auf das Wesentliche, so intensiv, dass es uns berührt.
Der vielfach gerühmte Leipziger Autor Clemens Meyer hat ein Nachwort zu diesem Roman beigesteuert. Er bringt ein wenig zu ausführlich die Was-bin-ich-doch-auch-für-ein-wilder-Bursche-Pose, daneben aber gesteht er seine Bewunderung für Vlautins Roman. "Melancholisch, klar und wahr", so preist Meyer Vlautins Werk, "da gibt es so viele unglaublich schöne Stellen, die zitiert werden müssten", was er denn auch ausgiebig tut. Er kommt zu dem Resümee:
"Eigentlich ist Willy Vlautins 'Motel Life' wie ein Besuch auf der Pferderennbahn - große Hoffnungen, große Enttäuschungen, Poesie und Dramatik, und wir wünschen uns, dass die Außenseiter erfolgreich sind, wir leiden und träumen mit ihnen, bis zum Schluss."
Rezensiert von Frank Meyer
Willy Vlautin: Motel Life
Roman, aus dem Amerikanischen von Robin Detje
mit einem Nachwort von Clemens Meyer
Berlin Verlag, Berlin 2008
207 Seiten, 17 Euro
Die Pflöcke für seinen düsteren Nevada-Blues schlägt er rasch ein: Franks Bruder Jerry Lee kommt ins Zimmer gestürmt, panisch vor Angst. Er hat einen kleinen Jungen überfahren. Plötzlich ist der Junge mit seinem Fahrrad auf die verschneite Straße geflitzt, Jerry Lee hatte keine Chance mehr, sein Auto zum Stehen zu bringen. Ein Unfall, aber Jerry Lee ist überzeugt davon, dass ihn dieser Unfall in den Knast bringen wird. Frank lässt sich von seiner Panik anstecken, im Schneetreiben dieser Nacht fliehen sie aus der Stadt.
"Aber an jenem Morgen, als ich die steif gefrorenen Arme des kleinen Jungen hinten im Wagen sah, da wusste ich, das Unglück hatte mich und meinen Bruder gefunden."
Das geht Frank durch den Kopf, als ihre Flucht beginnt. Das Unglück hat die beiden Brüder allerdings schon viel früher gefunden, eigentlich von Anfang an. Ihr Vater ist ein Totalausfall, ein Trinker und Spieler, der irgendwann verschwindet. Ihre Mutter schuftet sich krumm, um den beiden ein Zuhause zu geben. Als sie stirbt, ist Frank gerade 15 und Jerry Lee 17. Ihr Versprechen, die Schule zu Ende zu bringen, halten sie nur kurz durch, um sich dann mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Als sie versuchen, mit einem Güterzug aus der Stadt zu entkommen, stürzt Jerry Lee unter den Zug und verliert ein Bein. Genug Unglück für zwei Jungs aus der Spielerstadt Reno.
Willy Vlautin erzählt in kurzen, lakonischen und eindrucksvollen Skizzen von diesen Brüdern. Mangels Alternativen kehren sie nach Reno zurück. Jerry Lee schießt sich in den Beinstumpf, für einen Kopfschuss hat sein Mut nicht gereicht. Kurz vor dem Verbluten wird er gerettet und im Krankenhaus wieder zurechtgepflegt. Aber die Polizei hat den Unfall rekonstruiert, der tote Junge holt Jerry Lee wieder ein. Er flieht noch einmal mit seinem Bruder Frank, es wird seine letzte Flucht.
Eine Gegenbewegung zu dieser schwarz glänzenden Geschichte sind Franks Stories. Wenn ihn sein Bruder oder seine frühere Freundin lange genug beknien, dann erzählt Frank: Räuberpistolen, Legenden, Märchen. Er nimmt den Stoff ihres kärglichen Lebens und formt ihn um. Das hat nichts von postmodernen Geschichte-in-der-Geschichte-Spielereien. Franks Stories halten eine winzige Fahne der Hoffnung hoch. Wenigstens für Frank gibt es am Ende dieser Reise einen kleinen Ausblick auf eine andere Zukunft.
Vlautins Roman ist ein Wunder der Sparsamkeit. Er tippt die uramerikanischen Motive an: die Stadt der Spieler, die Hobos und Tramps, die Sehnsucht nach dem Ausbruch, die Gefangenschaft in der Familie. Vor jedem der kurzen Kapitel konzentrieren Schwarz-Weiss-Zeichnungen von Nate Beaty das Geschehen in einem einzigen Bild. Mit seinen höchst ökonomisch eingesetzten Erzählmitteln reduziert Willy Vlautin seinen Stoff auf das Wesentliche, so intensiv, dass es uns berührt.
Der vielfach gerühmte Leipziger Autor Clemens Meyer hat ein Nachwort zu diesem Roman beigesteuert. Er bringt ein wenig zu ausführlich die Was-bin-ich-doch-auch-für-ein-wilder-Bursche-Pose, daneben aber gesteht er seine Bewunderung für Vlautins Roman. "Melancholisch, klar und wahr", so preist Meyer Vlautins Werk, "da gibt es so viele unglaublich schöne Stellen, die zitiert werden müssten", was er denn auch ausgiebig tut. Er kommt zu dem Resümee:
"Eigentlich ist Willy Vlautins 'Motel Life' wie ein Besuch auf der Pferderennbahn - große Hoffnungen, große Enttäuschungen, Poesie und Dramatik, und wir wünschen uns, dass die Außenseiter erfolgreich sind, wir leiden und träumen mit ihnen, bis zum Schluss."
Rezensiert von Frank Meyer
Willy Vlautin: Motel Life
Roman, aus dem Amerikanischen von Robin Detje
mit einem Nachwort von Clemens Meyer
Berlin Verlag, Berlin 2008
207 Seiten, 17 Euro