SPD braucht "einen ziemlich großen Schubser"

Dieter Hildebrandt im Gespräch mit Nana Brink |
Der Kabarettist Dieter Hildebrandt rät der Führung der SPD, sich anlässlich des 150. Geburtstags auf alte sozialdemokratische Grundwerte zu besinnen. Dazu gehöre, die Kleinen und Schwachen zu unterstützen und etwa für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen.
Nana Brink: 150 Jahre SPD – seit Tagen wird ja schon gefeiert, aber heute nun ist der eigentliche Tag, zumindest der Tag, auf den sich die SPD als ihr Gründungsdatum geeinigt hat: Am 23. Mai 1863 wurde in Leipzig der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet von Ferdinand Lassalle, die erste deutsche Arbeiterpartei, sozusagen die Keimzelle der späteren SPD.

Ich habe jetzt auch ein Geburtstagskind in der Leitung, auch eines, das man nicht vorstellen muss, den Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Schönen guten Morgen, Herr Hildebrandt, und erst mal alles Gute zum Geburtstag!

Dieter Hildebrandt: Danke schön!

Brink: Sie haben es ja immerhin zum Sympathisanten der SPD gebracht, so sagen Sie selbst, aber nie zum Mitglied. Warum eigentlich nicht?

Hildebrandt: Mir hat der Wolfgang Neuss mal gesagt, damals, den sie gerade rausgeschmissen hatten: Tritt nicht ein, du musst wieder austreten!

Brink: Warum das?

Hildebrandt: Er hat nicht hinterm Berg gehalten bezüglich der Kritik der SPD gegenüber, was ich auch nicht tue, und was ich auch nie getan habe. Und die Ausschlussmöglichkeiten lagen sehr nahe … ein bisschen Kritik, und die Genossen damals waren sehr, sehr kritisch gegenüber den Kritikern, und da hatten wir vereinbart, es ist auch ganz gut so, wenn man der Sache etwas ferner steht. Dann hat man die Möglichkeit, zu sagen, was einem nicht passt.

Brink: 1969 aber haben Sie ja die Wählerinitiative der SPD unterstützt, 1976 sogar einen Wahl-Spot gemacht, da fanden Sie die alte Tante aber doch noch ganz gut.

Hildebrandt: Na ja, natürlich, ich fand sie immer besser – ich muss dazu sagen, sie ist jetzt 150 Jahre alt und ich gratuliere ihr von Herzen. Es ist ja so, wenn man jetzt das Parteienangebot bei uns, so seit 150 Jahren, und die Bilanz zieht, wie sich die Parteien verhalten haben, da kommt ja inzwischen immerhin die Bewährungsprobe zwischen 1933 und 1945 dazu, anschließend kommt die Bewährungsprobe bei der Vereinigung der Parteien in der DDR, da hat sich die SPD relativ gut verhalten.

Also ... was heißt relativ: Für mich ist das die Partei immer noch von Willy Brandt, aber, wohlgemerkt, auch von Otto Wels. Und diese Partei hat ihren Namen in dieser Zeit nie ändern müssen, es blieb immer die sozialdemokratische Partei, während andere Parteien ihren Namen ändern mussten, damit sie nicht wiedererkannt werden, aus der Zeit des Dritten Reiches.

Brink: Wenn wir jetzt schon bei den Geburtstagsfeierlichkeiten sind, was gibt denn ein junger 86-Jähriger seiner 150 Jahre alten politischen Ziehtante dann heute mit auf den Weg?

Hildebrandt: Ich würde sagen, bei allem, was sie bis jetzt tut, bin ich immer noch nicht der Meinung, dass sie wirklich wieder zu den alten Zielen der sozialdemokratischen Partei zurückgekehrt ist. Ich würde diese Troika doch vielleicht einmal daran erinnern, was denn sozialdemokratische Politik sein kann. Die Zeit, in der man keine Wohnungen kriegt, weil die Wohnungen alle zu teuer werden, weil die Sanierer unterwegs sind und man angeblich dagegen nichts machen kann, das kann nicht im Sinne der sozialdemokratischen Partei sein. Dem Kleinen zu helfen, die Kleinen zu unterstützen und die Frage der Steuerungerechtigkeit nicht direkt zum Hauptthema zu machen, das würde ich ihr vorwerfen, und ich hoffe, das wird sie sich bis zu diesem Wahltag, der ja bald kommt, noch überlegen müssen.

Brink: Also braucht die bräsige Tante dann doch wirklich ein sozialistisches Lifting?

Hildebrandt: Sie braucht einen kleinen Schubser. Was heißt, sogar einen ziemlich großen Schubser. Also ich meine, eine sozialdemokratische Partei, die auf die Idee gekommen ist, um die Republik bezahlbar zu machen – was ja ein dehnbarer Begriff ist –, dieses System einzuführen mit dem Arbeitslosengeld I und II, und dann den Trick zu finden, das mit Hartz IV, und vielleicht kann man darüber reden, was das für den Staatshaushalt bedeutet hat und für die Bezahlbarkeit, aber man kann nicht darüber reden, was das für den, der es bezieht, zu bedeuten hat. Das bedeutet, er ist in ständiger Beobachtung, es wird ihm der Wohnraum vorgezogen.

Nur ein Beispiel: Bei uns in München ist es tatsächlich passiert in einer Wohnung, da zieht die Tochter aus, die Tochter zieht aus, und ist also nicht ein Wohnraumbezieher mehr, die haben also ein Zimmer zu viel. Jetzt, hat man sich gedacht, müssen die dann umziehen, das mussten sie nicht, aber es kam jemand und hat dieses Zimmer, das zu viel war, versiegelt. das heißt, die durften da wohnen bleiben, aber sie durften das Zimmer nicht betreten.

Wissen Sie, das sind so Sachen, da kann man kurz mal drüber lachen, aber danach - das Lachen bleibt einem irgendwie stecken. Die Menschen werden durchsichtig, sie müssen alles erklären, man darf ihnen ja nicht mal einen Hunderter links oder rechts in die Tasche stecken, das ist verboten, das muss man melden. Ich meine, das ist ein System, das haben Sozialdemokraten erfunden, und da werde ich ein wenig unruhig, muss ich sagen.

Brink: Also dann sagen Sie, was Sie ja vor zwei Jahren auch schon mal ganz deutlich gesagt haben: Ich verlange von dieser Partei, dass sie wieder die wird, die sie nämlich einmal war, die Partei der Arbeitnehmer. Das ist ganz schön viel verlangt heute.

Hildebrandt: Warum ist das zu viel verlangt?

Brink: Nach Hartz IV und nach dem Personal, über das Sie sich ja auch beklagen.

Hildebrandt: Sie meinen, die Menschen, die das könnten, sind nicht mehr dran?

Brink: Das haben Sie auch gesagt, ja. Nach Willy Brandt kam nichts mehr.

Hildebrandt: Habe ich das gesagt?

Brink: Ja.

Hildebrandt: Nein, das habe ich nicht gesagt, nein. Ich habe nur gesagt, sie sollte die Partei der Arbeitnehmer sein, die Partei der Schwachen. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Aber wenn Sie sagen, das ist zu viel verlangt, dann meinen Sie, eine Partei, die inzwischen regiert hat und regieren will, kann gar nicht die Partei der Schwachen und Arbeitnehmer sein. Wenn Sie das behaupten, glaube ich, muss ich Ihnen erwidern, dann sollte sie einfach nicht regieren, denn dann hat sie in ihrem Namen offensichtlich die Verpflichtung, immer die Opposition zu sein.

Brink: Ja, aber man hat ja manchmal so das Gefühl bei der SPD, dass sie so einer CDU light ist, und die gibt es ja eigentlich schon unter Frau Merkel.

Hildebrandt: Ach Gott, das ist ja immer die Vorstellung, Frau Merkel würde sich sozialdemokratischer Ziele bedienen, das glaube ich weniger. Ich glaube, sie spielt das ganz gut und nimmt den anderen die Themen weg. Das ist einfach nur Kalkül, das ist eine Berechnung.

Brink: Trotzdem noch mal zum Personal – Sie haben auch gesagt: Ich bin nicht sonderlich beglückt über das, was nach Willy Brandt entstanden ist, und ich habe mir vorgenommen, auf die nächste Generation zu warten. Sind Sie zufrieden?

Hildebrandt: Habe ich auch gesagt?

Brink: Ja.

Hildebrandt: Wann habe ich denn das alles gesagt?

Brink: In einem fantastischen Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" 2010, was ich unheimlich gerne gelesen habe.

Hildebrandt: Ja, das hat sich ja nicht geändert leider Gottes. Ich kann mich da nur wiederholen, es ist alles in Ordnung.

Brink: Also sind Sie mit dem heutigen Personal zufrieden?

Hildebrandt: Man muss mit dem zufrieden sein, was einem angeboten wird. Und ich muss sagen, es ist nicht immer so, dass der Abgeordnete, den ich mir wünsche, auch die Lust hat, es zu werden.

Brink: Herr Hildebrandt, ich bin enttäuscht – Sie sind ja nicht mal zornig auf sie!

Hildebrandt: Die Partei hat heute Geburtstag und ich auch, ich bin heute nicht bereit, meinen Zorn zu entwickeln. Ich glaube, ich wollte eigentlich heute nur guter Laune sein.

Brink: Sie wollten ein braver Neffe sein, das ist völlig in Ordnung, aber jetzt ...

Hildebrandt: Ja, genau das!

Brink: ... stellen wir uns noch eines vor, Willy Brandt wäre dieses Jahr ja auch 100 geworden, und wir stellen uns jetzt mal vor, er säße auf einer Wolke, blickte herunter – was würde er über seine Partei sagen?

Hildebrandt: Die erste Frage würde sein: Lebt Wehner noch? Und dann würde er sagen: Grüß Egon und sag, der Egon soll ein bisschen weiterarbeiten noch, weil er ist wichtig für diese Partei, die sollen ihn öfter mal fragen, nicht nur immer Helmut Schmidt.

Brink: Der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Schönen Dank für das Gespräch und einen schönen Geburtstag noch!

Hildebrandt: Ich danke Ihnen vielmals!

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