SPD-Chef Sigmar Gabriel

Die Kanzlerkandidatur - ein Himmelfahrtskommando

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht neben Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am 7.9. 2015 in Berlin nach einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses und der weiteren Flüchtlingspolitik.
Wohl oder übel: Sigmar Gabriel (SPD) wird wahrscheinlich als Kanzlerkandidat gegen Angela Merkel (CDU) antreten. © picture alliance / dpa
Von Frank Capellan |
Sigmar Gabriel muss sich entscheiden, ob er Kanzlerkandidat der SPD wird. Tritt er an und bringt ein mageres Ergebnis, wird er wohl seinen Parteivorsitz verlieren. Überlässt er die Spitzenkandidatur einem anderen, wäre das ein Zeichen von Schwäche. Was tun?
Sigmar Gabriel in seinem Element, Ende August, Besuch beim Fraunhofer-Institut in Jena, Kameras klicken, Wissenschaftler hofieren ihn. Der Wirtschaftsminister spricht mit ihrer neuesten Kreation. Es geht um die Arbeitswelt der Zukunft, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine, ungläubig betrachtet Gabriel den Roboter, der einen Ball greifen soll, aber leider danebenpackt.
"Also wir erkennen mindestens noch den notwendigen Forschungsbedarf."
Punkt für den Minister, die Forscher schauen betreten zu Boden. Um einen Spruch ist der gewichtige Mann nie verlegen. Als ihm eine moderne Daten-Lesebrille auf die Nase gesetzt wird, beginnt er zu flachsen. Diesmal als SPD-Chef:
"Das war ein scharfes Bild. Allerdings nur links. Links ist gut. Es ist aber nur grün. Gott sei Dank nur ein kleiner Anteil."
Parteivorsitzender, Wirtschaftsminister, Energieminister, Vizekanzler. Dieser Mann hat viele Rollen zu erfüllen, trennen lassen sie sich nie. Er ist Vertreter der Kanzlerin, wird wohl aber 2017 ihr Herausforderer sein, einer – so wie es derzeit aussieht – auf aussichtslosem Posten. Seit 2009, als die Partei nach dem 23-Prozent-Debakel am Boden zerstört war und er den Vorsitz übernahm, war es Gabriel, der den Laden zusammenhielt. Ihm gelang es die SPD hinter sich zu versammeln, die Flügel- und Richtungskämpfe von einst schienen der Vergangenheit anzugehören. Dafür erhält er bis heute öffentlichen Zuspruch, sei es von seiner Stellvertreterin und Familienministerin, Manuela Schwesig oder von Fraktionschef Thomas Oppermann
"Das ist der große Verdienst von Sigmar Gabriel, dass er die Partei wieder geschlossen hat und ihr Mut gegeben hat. Sein größtes Verdienst ist die Geschlossenheit der SPD und die Aussöhnung mit den Gewerkschaften."
SPD nicht annähernd bei 30 Prozent
Doch seit der Chef wieder am Kabinettstisch sitzt, wächst die Unzufriedenheit. Trotz sozialdemokratischer Handschrift der Regierungsarbeit gelingt es auch Gabriel nicht annähernd, die SPD wieder an die 30 Prozent heranzuführen. Der Chef zeigt Nerven, bindet die Partei nicht mehr ein, bringt mal eben unabgesprochen Dinge in die Öffentlichkeit, die sehr umstritten sind. Da verkündet er mal in Basta-Manier, dass das vielen so verhasste Freihandelsabkommen mit den USA kommt.
"Wenn der Rest Europas dieses Abkommen will, dann wird Deutschland dem auch zustimmen."
Oder er weist seinen Justizminister über ein Interview im Deutschlandradio an, die Vorratsdatenspeicherung jetzt bitte endlich durchzupauken. Keine Frage: Er ist wieder da, der alte Sigmar Gabriel, der Bauchpolitiker, der Populist, der Mann, der auch öffentlich ungehalten sein und aus der Haut fahren kann.

"Mach' ich nicht, findet kein Interview statt, suchen Sie sich einen anderen."
Gabriel trifft sich mit Pegida-Anhängern, ohne irgendwen in der Partei zu informieren, er redet einem Grexit das Wort, als sich kurzzeitig eine Mehrheit der Deutschen für den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro abzuzeichnen scheint – und muss öffentlich zurückrudern, weil ihn seine wütende Partei ermahnt, die Einheit Europas nicht aufs Spiel zu setzen.
"Kein Millimeter diesem rechtsradikalen Mopp. Bei uns Zuhause würde man sagen: Das ist Pack, was sich da rumgetrieben hat."
Auch dieser Satz kam nicht überall in der Partei gut an. Zwar spricht Gabriel im Angesicht gewaltbereiter Rechtsextremer im sächsischen Heidenau Klartext. Mit starken Worten aber, so glauben viele in der Partei, ist Merkel erst recht nicht beizukommen. "Sigmar Gabriel hat einige Fehler gemacht", sagt ein Vertrauter aus der Parteiführung. "Das weiß er auch!"
Öffentlich allerdings verweigern ihm – noch – nur ganz wenige die Gefolgschaft. Als Affront hat er es empfunden, dass selbst sein Stellvertreter Ralf Stegner, die Urwahl eines Kanzlerkandidaten befürwortete. Echte Solidarität sieht anders aus!
"Gabriel muss das machen", sagt ein Präsidiumsmitglied
Vor allem: Solange Angela Merkel Kanzlerin ist und bleiben möchte und sie in der Flüchtlingskrise nicht gravierende Fehler macht, dürfte die Kandidatur eines Sozialdemokraten ein Himmelfahrtskommando bleiben, eines, für das sich kaum ein ernst zu nehmender Mensch finden dürfte. "Gabriel muss das machen", sagt ein Präsidiumsmitglied. "Ihm ist klar, dass er nicht kneifen kann!" Darauf stellt sich auch seine Chefin ein: Angela Merkel hat erst letzte Woche in Berlin eine bemerkenswerte Gleichung aufgemacht.
"Wenn Sie Vorsitzender der SPD werden wollen oder wenn Sie Vorsitzende der CDU werden wollen, dann müssen Sie sich mit der Frage befassen: Bin ich auch bereit Kanzler oder Kanzlerin zu werden?"
Dieser Logik folgend ist die Kanzlerkandidatur des Sigmar Gabriel, um ein altes Bonmot Merkels zu benutzen – alternativlos.
Mehr zum Thema