SPD-Fraktionsvize fordert Spitzengespräch zu Hartz IV-Reform

Hubertus Heil im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Im Streit um die Reform von Hartz IV wirft SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen Versagen vor. Beim vorgesehenen Bildungspaket käme am Ende eine Sachleistung von zehn Euro pro Monat heraus. Das sei völlig unzureichend.
Gabi Wuttke: Die Karlsruher Richter haben Schwarz-Gelb dazu verdonnert: Bis 1. Januar müssen die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger verfassungsgemäß sein, das heißt vor allem nachvollziehbar. Deshalb wird das Kabinett heute die umstrittenen Änderungen beraten nach dem Motto, wir haben es versucht – denn fünf Euro im Monat für Erwachsene mehr und zehn für Kinder, das werde man im Bundesrat verhindern, so Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. Am Telefon begrüße ich jetzt Hubertus Heil, der ehemalige Generalsekretär ist inzwischen der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Wirtschaft und Arbeit. Guten Morgen, Herr Heil!

Hubertus Heil: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Haben Sie sich vor einem Jahr träumen lassen, wie leicht es für die SPD in der Opposition sein wird?

Heil: Ich finde, dass wir es uns nicht leicht machen, sondern dass wir diese Regierung zu Recht attackieren, da, wo sie Fehler macht – sie macht einen Haufen Fehler –, aber dass wir auch Alternativen aufzeigen, und das gehört sich für eine anständige Opposition auch so.

Wuttke: Was sind denn die Alternativen, mit welchen Zugeständnissen würde die SPD den Widerstand gegen die Neuregelung aufgeben?

Heil: Wir müssen erst mal feststellen, dass Frau von der Leyen sich furchtbar verrannt hat. Sie hat jetzt seit neun Monaten Zeit gehabt, Vorschläge zu machen, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, und sie hat ziemlich verzögert. Jetzt drängt die Zeit. Sie bringt heute ihre Vorschläge durchs Kabinett, und ich gehe davon aus, dass sie auf uns zugehen wird jetzt in der Diskussion, das hat sie auch schon angekündigt. Ich glaube, dass das nicht ausreicht, sondern es braucht ein Spitzengespräch der Fraktionsvorsitzenden, unseres Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und der Ländervertreter bei der Bundeskanzlerin, wie gesagt, weil Frau von der Leyen der Aufgabe offensichtlich nicht gerecht wird, dieses Urteil des Verfassungsgerichts umzusetzen.

Wuttke: Sie sagen, Ursula von der Leyen hat schon gesagt, sie käme auf Sie zu, gleichzeitig sagen Sie, das reicht nicht aus. Also hilft das gar nicht mehr, miteinander zu reden?

Heil: Doch, es ist vernünftig, miteinander zu reden, aber ich will inhaltlich begründen, warum wir der festen Überzeugung sind, dass Frau von der Leyen sich verrannt hat: Zum einen ist das, was an Bildungspaket notwendig ist, um Kinder tatsächlich aus der Armut zu führen, vollkommen unzureichend. Sie hat da sehr vollmundige Ankündigungen gemacht – am Ende des Tages kommt raus, dass zehn Euro pro Monat an Sachleistungen zur Verfügung stehen. Davon kann man nicht mal sich bei einer Musikschule anmelden. Das ist also mit Erwartungen überfrachtet worden, die nicht gerecht werden. Es hilft nicht, Kinder aus der Armut zu bringen, wenn man da großartig von ... Chipkarten sich verbreiten, am Ende kommt so was raus. Wir brauchen Bildungsteilhabe für Kinder unabhängig der Herkunft, und das betrifft nicht nur Kinder von Hartz-IV-Empfängern, sondern auch von Geringverdienern. Das zweite große Thema ist die Frage: Wie kriegen wir einen Lohnabstand hin? Und das geht nicht bei Kürzungen von Sozialleistungen, sondern wir brauchen einen Mindestlohn, damit Menschen von der Arbeit auch leben können (…) (Anm. d. Red.: Schwer verständlich).

Wuttke: Über Mindestlöhne wird die Regierung sicherlich nicht mit Ihnen reden, aber mal abgesehen vom Prozedere, wer denn dieses Bildungspaket für Kinder betreuen wird – wie wollen Sie aus Ihrer Sicht mehr Leistung, besonders für Kinder, finanzieren?

Heil: Ich glaube, dass es notwendig ist, da Prioritäten zu setzen. Wenn wir in diesem Bereich sparen, wird uns das langfristig als Staat finanziell auf die Füße fallen, weil wenn die Bildungschancen so verteilt werden, dass immer noch 70.000 Kinder Jahr für Jahr unsere Schulen verlassen ohne Schulabschluss, wissen wir, wo die dauerhaft landen, nämlich in zweiter und dritter Generation in Hartz IV. Und wenn man das durchbrechen will, dann muss man dort einen Schwerpunkt setzen und investieren. Im Übrigen: Eine Regierung, die sich leistet, Geschenke zu verteilen an Klientelgruppen wie Hoteliers und dafür eine Milliarde Euro im Jahr übrig hat, aber für Kinder von Hartz-IV-Empfängern und von Geringverdienern nicht die notwendigen Bildungsleistungen organisieren kann, geht glaube ich in die falsche Richtung. Und zweitens: Die Bundesregierung wird über Mindestlöhne mit uns sprechen müssen, sonst hat sie den Geist des Karlsruher Urteils nicht begriffen. Wir haben gesagt, dass ein Lohnabstand nicht zu organisieren ist, indem man an einem menschenwürdigen Existenzminimum, vor allen Dingen für Kinder, spart, sondern das muss eine Teilhabe ermöglichen, aber gleichzeitig braucht man einen Lohnabstand, und das geht nur, indem man eine Lohnuntergrenze organisiert, sprich, beim Thema Mindestlöhne vorankommt. Und der dritte Punkt ist: Die Regelsätze müssen transparent und nachvollziehbar sein, und auch da haben wir erhebliche Zweifel. Deshalb ist es an der Zeit, dass wir Gespräche organisieren zwischen den Fraktionsvorsitzenden und der Bundeskanzlerin, auch den Ländern, um zu gucken, dass wir wirklich zu einer zureichenden Lösung kommen, und nicht uns weiter verrennen mit den Vorschlägen von Ursula von der Leyen.

Wuttke: Wenn Sie sagen, Sie wollen mehr rausholen für die Hartz-IV-Empfänger, Herr Heil, dann muss man doch an dieser Stelle vielleicht noch mal daran erinnern, dass Hartz IV ein Projekt unter roter Federführung war.

Heil: Das war damals ein Projekt, in dem alle Parteien beteiligt waren, auch die CDU, die FDP, aber auch wir Sozialdemokraten und die Grünen. Und ich bleibe dabei: Es war richtig, ...

Wuttke: Ich würde mal sagen, die SPD stand an erster Stelle, wenn ich mal Ihre Reihenfolge aufnehmen darf.

Heil: Na, wenn ich das mal sagen darf: Ich kann mich sehr gut erinnern, dass alle daran beteiligt waren und dass die CDU ganz vorne mit dabei war, um auch immer wieder Kürzungsvorschläge zu machen in diesem Bereich. Aber das ist Schnee von gestern. Tatsache ist: Es war richtig, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, das bestreitet niemand, und es war auch richtig, dass man Betreuung, Vermittlung und Hilfe versucht, aus einer Hand zu organisieren, zwischen Kommunen und Bundesagentur für Arbeit. Aber allen Parteien hat dieses Bundesverfassungsgericht was ins Stammbuch geschrieben, nämlich: Setzt euch hin und sorgt dafür, dass die Regelsätze neu berechnet werden müssen und dass es vor allen Dingen bessere Teilhabechancen für Kinder gibt. Und das ist die Aufgabe im Jahre 2010, die wir miteinander zu leisten haben, wo die Ministerin ihre Hausaufgaben nicht macht, und wo wir klare Vorstellungen davon haben, wie es gehen soll an dieser Stelle. Und deshalb werden wir unsere Position deutlich machen: Bildungschancen für Kinder ...

Wuttke: Herr Heil, ich habe ja Anfang, wenn ich Sie unterbrechen darf, ich habe ja am Anfang nicht zufällig von der SPD als Oppositionspartei anfänglich gesprochen. Wenn Sie jetzt sagen, die Verantwortung für Hartz IV sei Schnee von gestern – kann man so einfach doch nicht sagen, denn Ihre Partei will sich vom Sheriff von Nottingham innerhalb von zehn Jahren zum Robin Hood machen.

Heil: Nein, das sind ja Klischees, die Sie gerade versuchen, da zu bedienen in Ihrer Fragestellung. Wir machen uns da nicht vom Acker. Ich sage noch mal: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die war richtig und notwendig, aber wir müssen die Aufgaben dieser Zeit anpacken, und das heißt, vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass die Teilhabechancen von Kindern, von Geringverdienern und von Langzeitarbeitslosen besser werden. Und dafür gibt das Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2010 der Politik eine Riesenchance, und diese Chance müssen wir glaube ich nutzen. Und da, sage ich noch mal, haben wir klare Vorstellungen, was das Bildungspaket betrifft, was das Thema Mindestlöhne betrifft und was die Notwendigkeit betrifft, dass die Regelsätze transparent und nachvollziehbar berechnet werden. Wir haben klare Vorschläge, und jetzt muss man sehen, ob man da zu einer Lösung kommen kann. Jedenfalls ist das, was heute durchs Kabinett gebracht wird von Schwarz-Gelb, absolut unzureichend.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" im Deutschlandradio Kultur Hubertus Heil, der auch für Arbeit zuständige Fraktionssprecher der SPD im Bundestag. Herr Heil, besten Dank!

Heil: Schönen Tag!
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