SPD hält Ärger wegen Internet-Zensur in China für berechtigt

Herta Däubler-Gemelin im Gespräch mit Marcus Pindur · 07.08.2008
Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Bundestagsauschusses für Menschenrechte (SPD), hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) dazu aufgerufen, auf der Einhaltung der Menschenrechte in China zu beharren. Trotzdem sollten auch die guten Entwicklungen gesehen werden, sagte Däubler-Gmelin. Der Bewegungsraum für die Einzelnen sei erheblich besser geworden.
Marcus Pindur: Die Aufregung war groß, als sich herausstellte, dass die ausländischen Journalisten in Peking keinen uneingeschränkten Zugang zum Internet haben würden. Das hatte ihnen doch das IOC zugesagt. Und das IOC wiederum geriet deswegen zu Recht in die Kritik. Man sei ein wenig naiv gewesen, hieß es von da. Eine schwache Erklärung. Für die Chinesen selbst ist die Zensur des Internets der Normalzustand, nicht die Ausnahme.

Wir wollen jetzt von den aktuellen Scharmützeln darüber ein wenig abrücken. Als die Spiele nämlich 2001 nach China vergeben wurden, da hieß es oft, die Olympischen Spiele würden zu einer Öffnung und damit auch zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation in China führen. Ich bin jetzt verbunden mit der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, mit der SPD-Abgeordneten Herta Däubler-Gmelin. Guten Morgen.

Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Herr Pindur.

Pindur: Hat man sich zu viel versprochen von den Olympischen Spielen, oder hat sich tatsächlich in den letzten Jahren etwas verbessert bei den Menschenrechten in China?

Däubler-Gmelin: Das ist natürlich insgesamt schwer zu beurteilen. Es gibt eben sehr unterschiedliche Dinge, die man in China sieht. Aber man darf natürlich die Verhältnisse heute eigentlich kaum mit denen 2001 vergleichen. Insgesamt gesehen ist es heute erheblich besser. Schauen Sie, Menschenrechte ist nicht alleine Zensur, so ärgerlich es ist, dass die Chinesen ganz offensichtlich Zugeständnisse gemacht haben und die dann nicht einhalten, sondern Menschenrechte ist auch soziale Menschenrechte.

Und bei uns wird ja leicht übersehen, dass diese enorme Verringerung der Armut, die unglaubliche Bildungsoffensive, die Erfolge im Bereich von Gesundheit und Wohnungen, die China erreicht hat und das für Hunderte von Millionen Menschen, dass das natürlich auch ein unglaublich wichtiger Punkt ist. Wir sehen die Freiheitsrechte, und die sehen wir mit Recht. Und da hat China in der Tat einen erheblichen Nachholbedarf.

Pindur: Wo sehen Sie das denn besonders? Also aktuell jetzt gerade vor den Olympischen Spielen kann man das beobachten, dass eben besonders Redefreiheit und solche Dinge eingeschränkt werden. Aber die sind ja auch sonst eingeschränkt in China.

Däubler-Gmelin: Nein, eingeschränkt werden tun sie eigentlich nicht, sondern sie werden nicht in dem Maße geöffnet, wie wir das aus unserer Perspektive gerne sehen würden. Aber jetzt lassen Sie uns einfach noch mal den Vergleich zu 2001 nehmen. 2001 waren die Menschenrechte, übrigens auch die Freiheitsrechte, nicht in der Chinesischen Verfassung drin. Heute sind sie drin. Da könnte man nun sagen, das ist ein sehr großer Fortschritt, ist es auch. Aber wenn wir das mit unseren Menschenrechten vergleichen, dann ist es so, dass es eine gerichtliche Durchsetzung, also des jeweiligen einzelnen Menschen in China nur dann gibt, wenn extra Gesetze das vorsehen, und das tun sie meistens nicht.

Auf der anderen Seite können sie heute, und das ist wieder ein Vorzug der Olympischen Spiele, weil sich dann auch bei uns die Journalisten ein bisschen häufiger mit China befassen, selbst in unseren Medien sehen, dass es immer wieder Protestbewegungen chinesischer Bürger gibt. Das gab es früher überhaupt nicht, weil man da von vornherein dagegen vorgegangen ist. Das heißt, auch der Mut zu sagen, was einem nicht passt, oder zu sagen "Ich will nicht, dass mein Hutong jetzt geräumt wird oder dass da plötzlich eine Straße durchkommt und meiner Wohnung dann den Wert, den ich bezahlt habe, nimmt", das war früher gar nicht denkbar, solche Dinge sind heute denkbar. Und jeder, der sich häufiger mit chinesischen Zeitungen befasst, wird natürlich auch sehen, dass dort die Diskussion erheblich zunimmt.

Pindur: Also, Sie sehen auch, dass jetzt kurzfristig die Repression in China in Peking zugenommen hat, aber Sie sagen, über die Jahre hat sich etwas verbessert dort, hat sich etwas geöffnet.

Däubler-Gmelin: Ja, ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob die Repression wirklich zugenommen hat. Ich sehe mit großem Ärger, dass Menschen, die zum Beispiel andere verteidigen, das heißt im Bereich der Anwälte, dass denen, und zwar Einzelnen von ihnen, erhebliche Schwierigkeiten gemacht werden. Oder dass dann, wenn jemand den Kopf zu weit rauswagt, die Kontrollfreaks in der chinesischen Führung oder insbesondere auch die Machthaber in den Provinzen sagen "Nein, nein, so haben wir nicht gewettet" und dann kräftig draufschlagen, sondern insgesamt, das sagen mir nun viele meiner Studierenden, die ich jahrelang spreche und sehe, aber auch andere chinesische Menschen, insgesamt gesehen ist der Bewegungsraum für die Einzelnen erheblich besser geworden.

Pindur: Jetzt ist die Frage, was kann Politik machen? Wie kann Politik sich verhalten? Kann äußerer Druck etwas ändern an der Menschenrechtsorganisation in China? Wie soll man damit umgehen?

Däubler-Gmelin: Also, zum Thema Druck muss man halt sagen, wissen Sie, das ist ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen, das heißt, etwa 15 Mal so groß wie die Bundesrepublik, mit einem enormen Potenzial an Wirtschaft und Einflüssen, mittlerweile weltpolitisch. Von Druck verspreche ich mir deswegen nur begrenzt was. Übrigens auch nicht immer von dem moralischen Zeigefinger, weil da wird dann natürlich sehr schnell drauf geantwortet:"Was sagt ihr denn zu Guantánamo, oder zur Todesstrafe in den USA, oder zu den Folterzulässigkeiten dort?". Dann wird gesagt "Aha, ihr macht eben doch zweierlei Maßstäbe".

Wovon ich mir sehr viel verspreche, ist, dass die chinesische Regierung an dem festhält, was sie zusagt. Deswegen ist auch der Ärger jetzt um die Internetzensur, wie ich finde, berechtigt und man muss da das Internationale Olympische Komitee immer wieder mahnen zu sagen: "Nein, nein, wenn euch das zugesagt wurde, dann setzt das durch". Weil sonst verliert man in China Gesicht. Und selbstverständlich ist es gut, dass man die guten Entwicklungen sieht, die enormen Leistungen sieht, auch das wirtschaftliche Potenzial sieht, aber gleichzeitig sagt, die Freiheitsrechte, das ist ja nicht etwas Moralisches oder etwas, was nur für Deutschland gut ist, sondern das ist auch für die ganze harmonische Gesellschaft in China gut. Es ist wichtig, dass man zu den eigenen Bürgerinnen und Bürgern auch Vertrauen hat. Und das brauchen wir auch für die Weltgesellschaft, die ja ohne China überhaut nicht mehr denkbar ist in Zukunft.

Pindur: Also, eine Gradwanderung einerseits zwischen dem Beharren auf den eigenen Werten und andererseits aber darauf auch, dass Werte wie Freiheitsrechte universal sind.

Däubler-Gmelin: Ja, einfach deutlich machen, dass die eigenen Werte wie Freiheitsrechte natürlich auch von den Bürgerinnen und Bürgern in China gewollt werden und dass es auch gut ist, dass es eine sichere Gesellschaft macht, wenn man Vertrauen in die Menschen hat und Menschenrechte tatsächlich garantiert. Auch in einem solchen riesigen Reich wie in China, wo das natürlich gar nicht leicht ist, selbst wenn man in Peking etwas beschließt, dass das dann in allen Provinzen durchgesetzt wird. Da gibt es große Unterschiede.

Pindur: Vielen Dank für das Gespräch. Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag.