Was für eine Außenpolitik plant Trump?
Drei Wochen nach seinem Amtsantritt sind Donald Trumps außenpolitische Signale widersprüchlich. Die angeblich obsolete NATO findet er doch ganz gut. Er spricht nicht nur mit dem russischen, sondern auch mit dem ukrainischen Präsidenten. Wir fragen den SPD-Politiker Niels Annen, was Trump vorhat.
Was Trump im Nahen Osten plant, bleibt nebulös. Derweil herrscht im diplomatischen Dienst der USA großes Stühlerücken.
Hat Donald Trump einen außenpolitischen Plan - außer "America first"? Oder muss sich der Rest der Welt auf eine sprunghafte Diplomatie Washingtons einrichten? Sucht Trump den Konflikt mit China? Ist ihm die EU egal? Wer bestimmt überhaupt die amerikanische Außenpolitik – der Präsident oder seine Berater? Hat die deutsche Diplomatie schon einen Draht zu den Neuen in Washington?
Wir stellen diese Fragen dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Niels Annen, geboren 1973 in Hamburg. Der frühere Juso-Vorsitzende hat einen Master-Titel der Johns-Hopkins-Universität Washington. 2010 bis 2011 war er Senior Transatlantic Fellow beim German Marshall Fund in Washington und von 2011 bis 2013 arbeitete er für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.
Deutschlandradio Kultur: Drei Wochen ist US-Präsident Donald Trump nun schon im Amt. Doch vieles an seiner Politik ist noch nebulös oder erscheint widersprüchlich – gerade auf dem Feld der Außenpolitik. Und über die wollen wir mit jemandem reden, der sich auf diesem Gebiet gut auskennt, mit Niels Annen, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. – Guten Tag, Herr Annen.
Niels Annen: Ich grüße Sie, guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Herr Annen, der Politikwissenschaftler Karl Kaiser, der sich seit vielen, vielen Jahren mit den transatlantischen Beziehungen beschäftigt, der hat die aktuelle US-Außenpolitik kürzlich als "Abbruchunternehmen Trump" bezeichnet. "Mit manischer Energie", so schreibt Kaiser, mache sich die neue Administration daran, "in Tagen zu zerstören, was in Jahrzehnten aufgebaut wurde." – Hat er da recht oder ist das ein bisschen übertrieben?
Niels Annen: Nein, ich denke, er hat recht. Und wir müssen diese Analyse sehr, sehr ernst nehmen. Wir wissen natürlich noch nicht, ob das wirklich für die gesamte Amtszeit von Herrn Trump gelten wird. Ich glaube, man darf da die Hoffnung nicht aufgeben und wir müssen uns darauf einstellen, dass wir hart daran arbeiten müssen, die Politik dieser Administration, dieses Präsidenten zu beeinflussen.
"Trump ist Trump"
Aber von einer Illusion muss man sich, glaube ich, endgültig verabschieden, nämlich der Illusion, dass alles nicht ganz so schlimm werden würde. Das hat man uns gesagt vor den Vorwahlen der Republikanischen Partei. Das hat man uns während des eigentlichen Wahlkampfes gesagt. Ich glaube, jeder merkt: Trump ist Trump. Der wird sich nicht mehr ändern. Und die einzige Frage, die wir jetzt beantworten müssen, ist: Wie können wir versuchen, mit seinem Kabinett, mit den einflussreichen Menschen Kontakt aufzunehmen – und ich sage einmal etwas undiplomatisch –, um das Schlimmste zu verhindern? Aber die Situation ist schon ziemlich angespannt.
Deutschlandradio Kultur: Sie kennen sich in Washington gut aus, Herr Annen, sind dort vernetzt. Können Sie erkennen, wer derzeit eigentlich die amerikanische Außenpolitik bestimmt? Macht das Trump alles selbst, der ja auf diesem Gebiet ein lupenreiner Amateur ist? Oder folgt er Einflüsterungen seiner Berater?
Niels Annen: Das ist ein weiterer Grund, weshalb ich in großer Sorge bin über die aktuellen Geschehnisse. Denn wir hatten natürlich ein wenig die Hoffnung, dass er sich mit den bewährten Experten seiner Partei umgeben würde. Man darf ja nicht vergessen, Donald Trump ist ja nicht mit seiner Partei, sondern gegen seine Partei Präsident geworden. Und wenn man in die Geschichte zurückblickt, dann denkt man natürlich an den großen Streit zwischen George Bush und Gerhard Schröder über den Irak-Krieg, der unsere Beziehung ja auch belastet hat. Aber insgesamt sind wir zum Teil mit republikanischen Präsidenten, George Bush dem Älteren, aber auch Ronald Reagan, gar nicht so schlecht gefahren. Also, die Hoffnung war da, dass sozusagen das außenpolitische Establishment der Republikanischen Partei zum Beispiel im Außenministerium, im Verteidigungsministerium oder auch im Nationalen Sicherheitsrat sitzen würde. Und das ist nicht der Fall.
"Bannon hat schon jetzt für Chaos gesorgt"
Und das Schlimme ist, dass offensichtlich gegenwärtig Herr Bannon, der sozusagen Chef von "Breitbart", einem rechtsradikalen Propagandasender und Website gewesen ist, ein Mann, der mit der extremen Rechten auch in Europa ausgesprochen gut vernetzt ist und ein Anhänger der sogenannten Alt-Right, also der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten ist, nicht nur der Strategieberater dieses Präsidenten geworden ist, sondern jetzt, und das ist wirklich eine einmalige Situation, sogar im Nationalen Sicherheitsrat sitzt und offensichtlich die Strippen zieht – nicht nur in der Innen-, sondern auch in der Außenpolitik.
Deutschlandradio Kultur: Meinen Sie, der Einfluss von Steve Bannon auf Trump ist gefährlich oder kann gefährlich werden?
Niels Annen: Zumindest hat er jetzt schon für großes Chaos gesorgt. Herr Trump hat ja sehr viele sogenannte Executive Orders unterschrieben. Das sind Anordnungen, die der Präsident ohne den Kongress erlassen kann. Und insbesondere für die Entscheidung, für sieben muslimisch geprägte Staaten einen Einreisestopp, den sogenannten Muslim ban, zu ernennen, scheint nach all dem, was man hört und was man lesen kann, ja Steve Bannon verantwortlich zu sein. Eine Maßnahme, die jetzt zweimal vor amerikanischen Gerichten gescheitert ist, das wird jetzt möglicherweise vor dem Obersten Gerichtshof entschieden werden, vor allem aber eine Maßnahme, die ja das Ansehen der Vereinigten Staaten auf der ganzen Welt massiv in Mitleidenschaft gezogen hat und auch für Chaos gesorgt hat.
Denn die Immigrationsbehörden, die Einwanderungsbehörden haben ja zum Teil erst in der Nacht selber davon erfahren. Keiner wusste, wie das eigentlich umgesetzt werden soll, wie die Rechtsgrundlage ist. Fluggesellschaften haben Menschen, die ein Visum, ein gültiges Visum in ihrem Pass hatten, wieder zurückgeschickt. Also, das hat richtig Schaden angerichtet, auch zu einer großen politischen Niederlage für Herrn Trump geführt.
Aber offensichtlich ist das trotzdem etwas, was Herr Bannon als Erfolg bezeichnet. Insofern müssen wir schon davon ausgehen, dass er – im Moment jedenfalls – diesen Einfluss auf seinen Präsidenten hat. Ob das so bleiben wird, das ist nicht ausgemacht. Es gibt einen Machtkampf offensichtlich auch jetzt schon im Weißen Haus.
Und eins muss man ja mal sagen: Das Ganze ist ja noch nicht mal einen Monat jetzt her, dass er den Eid abgelegt hat, und hat jetzt schon so viel Unruhe, Chaos und Verunsicherung vor allem verbreitet, dass ich wirklich nicht so genau weiß, wie das eigentlich weitergehen soll, ohne dass es einen ernsthaften Schaden in den Beziehungen zwischen dem Westen und sozusagen der wichtigsten westlichen Macht, den Vereinigten Staaten gibt.
Deutschlandradio Kultur: Gehen wir mal ein paar Punkte durch. Die Nato zum Beispiel, die sei "obsolet" hat Trump in einem Interview gesagt. Sein Verteidigungsminister beruhigt die Bündnispartner dann wieder. Aber wie belastbar die amerikanischen Beistandsgarantien für die Nato-Staaten, etwa in Mittel-Ost-Europa noch sind, das ist ja zumindest fraglich. – Schaffen solche Unklarheiten Unsicherheiten, Begehrlichkeiten vielleicht auch?
"Länder in Europa machen sich ernsthaft Sorgen"
Niels Annen: Na, ja, wir haben zumindest gesehen, dass die Äußerungen von Herrn Trump und Vertretern seiner Regierung dazu geführt haben, dass sich Länder in Europa ernsthaft Sorgen machen über die Frage: Stehen die Vereinigten Staaten zu ihrer Beistandsverpflichtung, die sie ja eingegangen sind?
Ich persönlich glaube nicht, dass die Vereinigten Staaten den Nato-Vertrag kündigen werden. Das halte ich für eine etwas übertriebene Annahme. Aber allein schon, dass man diese Unsicherheit zugelassen hat, zeigt, dass wir es mit einer Administration zu tun haben, die andere Prioritäten hat. Das hat Herr Trump, das kann man ihm auch nicht vorwerfen, von Anfang an immer sehr klar gesagt: Es geht um "America first". Und diese Vorstellung, dass diese Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten durch die Verbindung mit befreundeten Ländern Einfluss gewinnen, auch ihre eigenen Interessen besser vertreten können, dass man durch Zusammenarbeit stärker werden kann, das scheint eine Idee zu sein, die Herrn Trump und dem Denken von Herrn Trump relativ fremd ist. Deswegen ist er auch offensichtlich jemand, der sich mit der Nato als ja einem der größten außenpolitischen Werke der amerikanischen Politik sozusagen nicht identifiziert. Das ist neu.
Gleichzeitig ist es aber offensichtlich auch ein Merkmal seiner Politik, dass er sich nicht festlegt, dass er sagt, die Nato ist obsolet, aber sein Verteidigungsminister sagt, die Nato, wenn es sie nicht gäbe, müsste erfunden werden. Das heißt, wir haben mit zwei unterschiedlichen Botschaften zu tun und wir können uns jetzt quasi aussuchen, wem wir glauben wollen. Deswegen wird also auch die Münchner Sicherheitskonferenz in wenigen Tagen, denke ich, ein Ort sein, um diese Fragen zu stellen.
Was bedeutet das denn jetzt eigentlich konkret? Also, eine Politik, die nicht besonders durchdacht, nicht besonders kohärent scheint. Aber es gibt im Moment auch zumindest keine konkreten Hinweise darauf, dass sich die USA tatsächlich aus der Nato zurückziehen würden. Also insofern: Es bleibt ein Punkt der Unsicherheit, aber jetzt auch kein Thema, wo wir uns unmittelbar jetzt Sorgen machen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Bündnismitglieder wie Polen oder die baltischen Staaten reagieren natürlich trotzdem besonders nervös auf Trumps Gedankenspiele mit der Nato. Da schwingt auch die Angst mit, Trump könnte mit Russlands Präsident Putin irgendeinen Deal zu Lasten der Mittel-Ost-Europäer machen. – Was für ein Deal könnte das sein?
Niels Annen: Ja, das ist in der Tat eine gute Frage. Wir haben ja auch in den letzten Tagen sogar beobachten können: Das finde ich sehr interessant, dass sich ja die polnische Politik verändert hat. Die polnische Regierung hat sich ja sehr kritisch gegenüber Russland, aber auch gegenüber Deutschland gezeigt. Die Partei von Herrn Kaczynski hat im Wahlkampf durchaus auch mit antideutschen Elementen – ich sage einmal – gespielt. Und die Beziehungen waren nicht besonders eng.
Europa rückt näher zusammen
Jetzt ist die Bundeskanzlerin in Warschau gewesen. Der polnische Außenminister hat gesagt, Deutschland sei der wichtigste Partner Polens. Das klang vor Herrn Trump noch ganz anders.
Also, wir sehen, dass zumindest die unklaren Signale aus Washington auch in einigen Bereichen dazu führen, dass die Europäer darüber nachdenken, vielleicht doch etwas stärker zusammenzurücken, zumindest in der Außen- und Verteidigungspolitik. Das muss ja nichts Negatives sein. Und die Frage, wie sich die amerikanische Russlandpolitik konkret entwickelt, die Frage kann ich Ihnen ja jetzt noch nicht beantworten.
Ich weiß, dass es offensichtlich so etwas gibt wie eine Grundsympathie. Herr Trump scheint jemand zu sein, der sich an vermeintlich starken, großen Männern orientiert. Das ist etwas ungewöhnlich für einen Vertreter eines demokratischen Landes. Und er scheint ein Mensch zu sein, der aus seiner eigenen Biographie heraus Probleme betrachtet, als wären sie Herausforderungen aus dem Geschäftsleben, wo man ja manchmal Probleme durch einen Deal lösen kann. Aber so funktioniert eben Außenpolitik nicht.
Und ich glaube, wir in Europa, gerade hier in Deutschland müssen aufpassen, dass es nicht eine Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland gibt, die zum Beispiel zu Lasten der Ukraine gehen könnte. Das werden wir nicht einfach so hinnehmen können.
Auf der anderen Seite, gerade meine Partei, die SPD, hat sich immer sehr dafür stark gemacht, dass die Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten besser werden, weil wir alle davon profitieren, wenn wir zu einer Entspannung im Verhältnis zu Russland kommen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, beides miteinander zu verbinden – die Stärkung des europäischen Gedankens und eine Entspannung zwischen den beiden Staaten. Aber sicher ist das nicht.
Deutschlandradio Kultur: Immerhin haben Russland und die USA ja gewisse gemeinsame Interessen schon identifiziert unter der neuen Leitung in Washington, nämlich den Kampf gegen den Terrorismus. – Was bedeutet das? Gemeinsame Sache machen in Syrien gegen den IS und für Machthaber Assad?
Niels Annen: Das wäre aus meiner Sicht eine fatale Fehleinschätzung der Lage in Syrien. Wir kommen nicht darum herum, einen politischen Prozess zu organisieren, der zumindest dazu führt, dass wir in Syrien einen Waffenstillstand vereinbaren. Und die schlichte Wahrheit ist, dass Präsident Assad nicht gegen die Terroristen der Terrormiliz IS kämpft. Er kämpft gegen die Opposition. Und dort gibt es Gruppen, die ein legitimes Anliegen haben. Es gibt auch Gruppen, die auch wir für Extremisten halten. Aber der Kampf zum Beispiel um Aleppo war kein Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat.
Der Krieg in Syrien ist eine regionale Katastrophe
Der Krieg ist inzwischen so weit fortgeschritten, hat so viele Todesopfer gefordert. Er ist zu einer regionalen Katastrophe geworden, zu einer regionalen Machtauseinandersetzung zwischen Staaten wie dem Iran und Saudi-Arabien, aber eben auch anderen Akteuren, so dass wir dort eine politische Vereinbarung brauchen, ein – auf Neudeutsch sagt man – Commitment, ein Bekenntnis der großen Regionalmächte und der Supermächte dazu, dass sie ihre jeweiligen Alliierten in diesem Krieg an den Verhandlungstisch bekommen.
Und unabhängig davon ist jede Initiative, IS gemeinsam zu bekämpfen, erstmal eine positive Initiative. Aber wenn man das eine Problem nicht löst, dann wird man kaum einen Konsens finden, gleichzeitig gemeinsam den IS zu bekämpfen. Und diese Komplexität scheint Herr Trump bisher nicht wirklich erkannt zu haben.
Deutschlandradio Kultur: Zumal er ja auch dem Iran in die Hände spielen würde, wenn er mit Russland zusammen Herrn Assad zumindest stützen würde. Das würde dann wieder Saudi-Arabien brüskieren, Israel usw. Das ist ja eine hochkomplexe Lage im Nahen und Mittleren Osten. – Sie haben nicht den Eindruck, dass Herr Trump sich besonders damit beschäftigt hat? Vielleicht interessiert er sich auch gar nicht so sehr dafür.
Niels Annen: Das ist eine nicht besonders gewagte These, die Sie hier formulieren. Das ist, ehrlich gesagt, auch bei anderen amerikanischen Präsidenten schon so gewesen. Auch Ronald Reagan, selbst Bill Clinton, hat sich nicht besonders für die Außenpolitik interessiert. Es ist ja auch in den Vereinigten Staaten im Kern nicht viel anders als bei uns. Wahlen werden meistens über innenpolitische Themen gewonnen oder verloren.
Eigene Interessen stärker formulieren
Nur, wir haben bei jedem dieser Präsidenten erlebt, dass – nachdem sie ihr Amt angetreten hatten – sie natürlich sich sehr schnell in die außenpolitische Materie eingearbeitet haben und für sich auch häufig erkannt haben, dass die Außenpolitik für einen amerikanischen Präsidenten eine globale Bühne bietet, um auch sich vor seinen eigenen Wählern zum Beispiel als starker, global gefragter, relevanter Akteur zu präsentieren.
Herr Trump scheint eine andere Sicht auf die Welt zu haben. Und das ist sicherlich ein Problem. Auf der anderen Seite gibt es vielleicht auch die Möglichkeit, ihn jetzt relativ rasch im Gespräch zum Beispiel zwischen Frau Merkel und Herrn Trump, das wird ja irgendwann stattfinden in den nächsten Monaten, auch auf einige Dinge schlicht und ergreifend hinzuweisen. Nur, dass er sich grundlegend ändern wird, darauf vertraue ich nicht. Deswegen müssen wir auch unsere eigenen Interessen, ich glaube, noch viel stärker formulieren und wir müssen vor allem darum kämpfen, dass dieses Europa zusammenbleibt.
Ich glaube auch nicht, dass es übertrieben ist zu sagen, dass die nächste Bundestagswahl nicht nur darüber entscheidet, ob Martin Schulz Bundeskanzler wird oder nicht, sondern sie entscheidet auch mit darüber, ob wir in Deutschland weiterhin eine Mehrheit für eine pro-europäische Politik in Zeiten von Le Pen und Wilders und anderen bekommen.
Also, wir können uns nicht mehr auf die amerikanische Unterstützung verlassen, aber wir werden gleichzeitig alles dafür tun, dass dieses wichtige Bündnis am Leben bleibt.
Deutschlandradio Kultur: Auf Europa kommen wir noch. Bleiben wir im Moment noch im Nahen Osten. Bisher verlassen konnte sich auf das amerikanische Bündnis oder auch das Bündnis mit den USA Israel. Die Regierung in Jerusalem war hocherfreut über den Wahlausgang in den USA. Denn Trump hatte im Wahlkampf ja die israelische Siedlungspolitik noch befürwortet. Jetzt sagt er plötzlich: Der Siedlungsbau in den Palästinensergebieten sei nicht gut für den Frieden. – Was ist denn nun seine Haltung?
Niels Annen: Ja, das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich finde das in der Tat bemerkenswert. Es gibt zwei außenpolitische Fragen, die von großer Bedeutung sind, in denen Trump sich offensichtlich milde korrigieren lässt und sich auch selber in seiner bisherigen Haltung hat überzeugen lassen, eine andere Richtung jetzt zu vertreten.
"Einige seiner Berater scheinen durchzudringen"
Das gilt für die Chinapolitik. Er hat mit Präsident Xi Jinping telefoniert. Und es ist zumindest verkündet worden, dass die Vereinigten Staaten an der sogenannten Ein-China-Politik festhalten. Es gab Zweifel, weil er ja dort ein Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin geführt hat. – Und jetzt die Bemerkung, die Sie zitiert haben, nämlich eine klare Kritik an der israelischen Siedlungspolitik, die ja nicht nur eine Kritik an der Politik, sondern auch an einem jüngst erlassenen Gesetz in der Knesset ist . Das ist bemerkenswert. Und es ist eigentlich ein gutes Zeichen, weil man doch sehen kann, dass offensichtlich einige seiner Berater mit kritischen Punkten durchgedrungen sind.
Ob das bedeutet, dass die Politik sich dauerhaft verändert, dafür ist es zu früh. Aber zumindest muss man bei all der Kritik, die ich hier ja auch vorgetragen habe, feststellen, dass das ein konstruktiver Schritt ist, der dort vorgenommen worden ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben China schon angesprochen. Abgesehen von der Taiwanfrage hat Trump ja noch einiges andere vom Stapel gelassen gegen Peking: Das Defizit in der Handelsbilanz der USA mit China hat er angeprangert, das läge an "unfairen Wechselkursen", wie er das sieht. Er droht den Chinesen mit Strafzöllen. Und außerdem wettert er gegen die chinesische Militärpräsenz im Südchinesischen Meer. – Sehen die USA in China nun nicht mehr nur einen wirtschaftlichen Konkurrenten, sondern einen regelrechten Gegner?
Niels Annen: Das wäre natürlich fatal, weil wir alle auch, wenn man ganz ehrlich ist, natürlich auch die deutsche Wirtschaft, sehr stark davon profitiert hat, dass diese Region so unglaubliche Wachstumszahlen in den letzten Jahren produziert hat. Dass wir trotz der Grenzkonflikte und regionalen Spannungen und auch der Aufrüstung in der Region, die ich mit großer Sorge betrachte, aber unterm Strich ja trotzdem eine Entwicklung haben, die von Stabilität und Prosperität getragen worden ist, davon haben wir in Deutschland, hat gerade die exportorientierte Wirtschaft sehr profiziert.
Herr Trump spricht einige Fragen an, die durchaus nicht ohne Relevanz sind. Denn natürlich ist die chinesische Aufrüstung und die zum Teil auch aggressive Haltung in einigen dieser Territorialkonflikte ein Punkt, der uns auch nicht gefällt. Aber zu glauben, dass man mit militärischer Einschüchterung und mit der Drohung von Strafzöllen dieses Problem lösen kann, das halte ich für eine Illusion.
Herr Trump scheint ja sowohl in dem Konflikt, den er mit Mexiko provoziert, als auch in der Diskussion mit China zu glauben, dass man durch eine einfache Entscheidung, oder möglicherweise durch die publikumsgerechte Unterzeichnung eines Dekretes, die Realität ändern kann. Aber Politik ist viel komplexer, viel komplizierter.
China hat kühl reagiert
Wenn die Vereinigten Staaten Strafzölle verhängen, dann muss man ja kein Prophet sein, um die Erwartung äußern zu können, dass die Gegenseite, in diesem Fall die chinesische Seite, ebenfalls Strafzölle verhängen würde. Die amerikanische Wirtschaft ist stark davon abhängig, dass die Chinesen weiterhin die amerikanischen Staatsanleihen halten und möglicherweise auch weiter erwerben. Es gibt eine gegenseitige Abhängigkeit in einer Welt, die zunehmend durch die wirtschaftliche Globalisierung getrieben und geprägt ist. Deswegen kann das, was dort zum Teil angekündigt worden ist, nicht in unserem Interesse sein.
Und was ich sehr bemerkenswert finde, ist, dass der chinesische Präsident auf diese Provokation ja ausgesprochen kühl und kontrolliert reagiert hat. Xi Jinping hat in Davos auf dem Weltwirtschaftsgipfel oder Weltwirtschaftstreffen ja eine Rede gehalten, die auch ein amerikanischer Präsident hätte halten können.
Deutschlandradio Kultur: Bemerkenswert für einen Kommunisten.
Niels Annen: Ja, das ist in der Tat bemerkenswert. Er hat sich ja dargestellt als sozusagen der Verteidiger der freien Welt. Dass das überhaupt funktioniert, dass man ihm das durchgehen lässt, das hängt auch mit der Rhetorik von Herrn Trump zusammen. Also, China ist ein wichtiger Partner. China ist auch in den letzten Jahren ein verlässlicher Partner gewesen. Aber natürlich gibt es Probleme. Es gibt auch keinen freien Marktzugang zum chinesischen Markt. Es gibt eine Aufrüstung, über die wir sprechen müssen. Aber dieser konfrontative Stil wird nicht zu mehr Sicherheit führen, auch nicht für amerikanische Unternehmen.
Deutschlandradio Kultur: Hinter dem, was wir gerade besprochen haben, Herr Annen, steckt ja die Absicht Trumps, Amerikas Wirtschaft durch Protektionismus zu stärken. Also, gegen Produkte aus Ländern, mit denen die USA eine negative Handelsbilanz haben, will er Strafzölle verhängen, wie gesagt. Und das würde neben chinesischen ganz besonders deutsche Firmen betreffen. – Ist das nicht brandgefährlich für die deutsche Wirtschaft? Die USA sind ja unser größter Handelspartner.
Niels Annen: Ja, natürlich ist das gefährlich. Es wäre gefährlich, wenn das tatsächlich die Politik von Herrn Trump sein sollte. Wir erleben einen ausgesprochen aggressiven Präsidenten in den Fragen der Außenpolitik, in den Fragen der amerikanischen Innenpolitik. Es ist ja eigentlich unvorstellbar, dass man einen Präsidenten hat, der – nachdem er morgens aufsteht – erstmal alle Welt, inklusive unabhängige Richter, beschimpft und mehr oder weniger versucht einzuschüchtern. Also, man darf das nicht auf die leichte Schulter nehmen.
"Noch keine kohärente Politik aus dem Weißen Haus"
Und auch Deutschland ist ins Visier dieser Propaganda von Herrn Trump geraten. Es ist ja der deutschen Regierung vorgeworfen worden, auch mit Währungsmanipulationen sich unlautere Wettbewerbsvorteile quasi zu erschleichen. Und Herr Trump und sein Team scheinen dabei zu übersehen, dass wir eine unabhängige Zentralbank haben, dass also weder Frau Merkel noch sonst wer in der Bundesregierung einfach sagen kann, wir verändern jetzt diese Währungs- oder Zinspolitik.
Also, wir müssen das sehr, sehr ernst nehmen. Aber auch hier haben wir bisher noch keine kohärente Politik aus dem Weißen Haus. Offensichtlich arbeitet Herr Trump ja auch mit so einer Art Rumpf-Team. Das heißt, seine Regierung steht ja noch gar nicht. Es geht immer nur um die Minister in der öffentlichen Berichterstattung, aber wichtige Berater, wichtige Abteilungsleiter, wichtige Vertreter amerikanischer Einrichtungen sind ja noch gar nicht benannt worden. Das zeigt ja auch, dass dort ein Mittelding aus politischem Extremismus und Dilettantismus am Werk ist. Also, wir werden versuchen, über die Gespräche, die jetzt natürlich Stück für Stück geführt werden, einfach auf die Faktenlage hinzuweisen und auch darauf hinzuweisen, dass eine protektionistische Wende in der Weltpolitik ja nicht nur für Deutschland ein Problem wäre, sondern auch für die Unternehmen in den Vereinigten Staaten, die ebenfalls ihre Produkte exportieren wollen. Also, die Arbeiter, die ja zu einem großen Teil Trump gewählt haben, würden auch in den Vereinigten Staaten unter einer solchen Politik leiden.
Deutschlandradio Kultur: Aber diese angeblich unfairen Handelsbeziehungen, die angeblich amerikanische Arbeitsplätze vernichten, das war ja eins der zentralen Wahlkampfthemen von Trump. Da ist er seinen Wählern ja auch irgendwie im Wort. – Also, was kann Deutschland, was kann Europa tun, wenn er dann tatsächlich doch die Zollschranken hoch zieht?
Niels Annen: Ja, Was-wäre-wenn-Fragen sind ja bei Politikern nicht so beliebt. Ich kann die aber auch nicht seriös beantworten. Ich kann ja nur sagen, dass Sie und diejenigen, die uns jetzt zuhören, sich darauf verlassen können, dass wir natürlich mit unseren europäischen Kollegen über solche Szenarien sprechen, dass wir mit der amerikanischen Regierung darüber im Gespräch sind und unsere Positionen dort mit allem Nachdruck dort vertreten werden. Dass wir aber natürlich auch das große Netzwerk, das unsere Beziehungen auszeichnet – es sind ja nicht nur Diplomaten, die miteinander reden, wir sind über Wirtschaftskontakte, kulturelle Kontakte in einer Art und Weise vernetzt, dass wir natürlich auch mit amerikanischen Unternehmensvertretern reden.
Ich kann Ihnen keine Garantie abgeben, aber ich setze sehr darauf, dass diese Diskussion, genau die Frage, die Sie mir hier jetzt gestellt haben, von amerikanischen Wirtschaftsführern dem amerikanischen Präsidenten ebenfalls vorgelegt werden wird. Das ist ja keinesfalls unumstritten.
"Trump steht unter Druck"
Und Herr Trump hat natürlich das Problem, dass er seinen Wählerinnen und Wählern versprochen hat, das Wirtschaftswachstum zu verdoppeln. Ich glaube nicht, dass es auch nur annähernd eine Chance gibt, dieses Versprechen einzulösen. Deswegen befindet er sich selber natürlich unter Druck. Das ist ja nicht nur eine Position der Stärke, aus der heraus er agiert. Insofern bleibt uns eigentlich wirklich die Option der Zusammenarbeit, aber eben auch die Option, sich mit den europäischen Partnern stärker zu vernetzen. Beides tun wir. Und wie die Bilanz am Ende aussieht, das können wir in unserem nächsten Gespräch dann gerne miteinander diskutieren.
Deutschlandradio Kultur: Die Kanzlerin reagiert ja bis jetzt ziemlich zurückhaltend auf das, was da seit drei Wochen aus Washington auf uns herein prasselt. – Finden Sie, dass Sie zu zurückhaltend ist? Sollte sie entschlossener auftreten, gerade auch als die Führungspersönlichkeit in Europa, die sie ja nun mal ist?
Niels Annen: Ja, ich weiß, der Wahlkampf rückt näher, aber ich will trotzdem hier an der Stelle sagen: Ich habe keine Kritik an dem, was Angela Merkel bisher gemacht hat. Sie hat Donald Trump gratuliert, und ich finde, auf eine pfiffige Art und Weise, indem sie ihn gleichzeitig an gemeinsame Werte und an amerikanische Verpflichtungen erinnert hat. Und das war eine klare Botschaft. Eine solche Form der konditionierten Gratulation hat es, glaube ich, noch nie gegeben. Und das ist in Washington auch verstanden worden.
Ich wünsche mir, dass die Kanzlerin möglichst schnell das Gespräch mit Herrn Trump führt, aber es darf auch nicht der Eindruck entstehen, wie das bei Theresa May der Fall gewesen ist …
Deutschlandradio Kultur: ...der britischen Premierministerin...
Niels Annen: … genau, der britischen Premierministerin, dass wir uns an so einer Art Wettbewerb beteiligen, wer als erster im Weißen Haus neben Herrn Trump sitzen darf.
Wir sind ein selbstbewusstes Land. Das haben wir nicht nötig. Dafür sind wir auch selber stark genug. Insofern, finde ich, hat die Kanzlerin die richtigen Signale ausgesendet. Ich finde es aber auch gut, dass die Minister Gabriel und von der Leyen jetzt schnell das Gespräch suchen bzw. gesucht haben. Wir werden, das habe ich schon angesprochen, auf der Sicherheitskonferenz in München die Möglichkeit haben, mit hochrangigen Vertretern der amerikanischen Regierung und des Parlaments, das darf man ja in dieser Situation nicht vergessen, weil es eine Schlüsselrolle weiterhin inne hat, auch weiter reden. Und insofern, glaube ich, hat die Bundesregierung insgesamt das bisher ziemlich gut gemacht.
Deutschlandradio Kultur: So oder so – es ist für Europa nicht leichter geworden mit dem neuen Mann im Weißen Haus, sowohl was die Wirtschaftsbeziehungen angeht, als auch, was die Verteidigungspolitik angeht. Und dann ist ja noch das Problem, dass Herr Trump von der EU generell nicht so besonders viel hält. Jetzt müsse die Stunde Europas schlagen, hören wir darum immer wieder. Jetzt müssten sich die Europäer erst recht zusammenraufen. – Was muss da passieren? Eine noch tiefere Integration der EU angesichts der Unsicherheiten im transatlantischen Verhältnis?
Niels Annen: Ja, ich würde mir natürlich eine tiefere Integration wünschen. Aber wir müssen ja die Lage realistisch beurteilen. Und die eigentliche Dramatik, die sich uns darstellt, besteht ja nicht nur darin, dass wir jetzt mit einem unberechenbaren Präsidenten in den Vereinigten Staaten klarkommen müssen, sondern die Situation ist deswegen so schwierig, weil sich Europa nicht einig ist.
Die Bundestagswahl wird richtungsweisend sein
Wir haben ja fast überall in Europa mit wenigen Ausnahmen antieuropäische, rechtspopulistische, ja rechtsradikale Parteien, die sich ermutigt fühlen durch diesen Wahlsieg. Es gibt quasi in Europa in den nächsten Monaten eine Dramaturgie. Die beginnt mit den Wahlen in wenigen Wochen in den Niederlanden. Dort liegt Herr Wilders, ein rechtsradikaler Politiker, in den Umfragen vorne. Dann kommt die entscheidende Wahl in Frankreich, wo wir gar nicht genau wissen, wie sich das Spektrum eigentlich darstellt. Der konservative Kandidat verliert im Moment durch einen Skandal. Frau Le Pen wird es mutmaßlich in den zweiten Wahlgang schaffen. Und diese Vorstellung ist natürlich sehr beängstigend.
Und deswegen kommt es dann sehr stark auf Deutschland an. Also, wir müssen dafür sorgen, salopp ausgedrückt, dass der Laden zusammenbleibt. Da wir im Moment wirtschaftlich so stark sind, politisch so stabil und viele unserer Freunde und Partner so große Schwierigkeiten haben, richten sich doch viele Augen auch auf diese Bundestagswahl und auch auf das, was wir in Berlin hier machen.
Und ich finde, es gibt so kleine Signale, die erfreulich sind. Also, den polnischen Außenminister, den habe ich angesprochen gehabt vorhin schon. Wir haben auch ermutigende Signale beispielsweise aus den baltischen Staaten, die jetzt auch darüber nachdenken, uns bei der Flüchtlingsfrage zu helfen. – Also, wir müssen dafür sorgen, dass Europa in dieser schwierigen Situation den Aufgaben gerecht wird, dass Europa funktioniert. Deswegen, ich wünsche mir weitere Schritte in Richtung Integration, aber realistischerweise geht es jetzt wirklich darum, dieses Europa zusammenzuhalten.
Deutschlandradio Kultur: Hierzulande wird ja auch gewählt, sie haben es schon erwähnt. Und als Sozialdemokrat hoffen Sie ja sicher, da drauf, dass der nächste Bundeskanzler Martin Schulz heißt. Wenn es so käme, was würden Sie ihm raten für den Umgang mit Donald Trump?
Niels Annen: Ich glaube, dass Martin Schulz ja gut vorbereitet ist. Er war Präsident des Europäischen Parlaments und er hat sich mit solchen Politikern wie Berlusconi und Orban und anderen rumschlagen müssen. Er weiß ganz genau, wo auch die deutschen Interessen liegen, wenn es um die Frage des Protektionismus geht, wenn es um die Frage der weiteren Integrationsschritte geht. Und, das darf ich, glaube ich, schon sagen, es mangelt ihm nicht an Selbstbewusstsein.
Ich habe den Eindruck, wir haben es bei Donald Trump nicht mit einem normalen Politiker zu tun. Der versteht eine klare Sprache. Und Martin Schulz spricht eine klare Sprache. Insofern, glaube ich, ist er aus vielen Gründen, aber auch wegen seiner internationalen Erfahrung, für diesen Dialog, der ja nicht ganz einfach werden wird, geradezu prädestiniert.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch.