Der Kümmerer
Noch nie konnte die SPD den Wahlkreis 35 rund um Ueckermünde und Torgelow direkt gewinnen. Doch der 28-jährige Patrick Dahlemann schaffte bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern die kleine Sensation. Fast alle Direktmandate rundherum gingen an die AfD.
Es sind viele Sorgen, die sich Patrick Dahlemann von der Mutter eines stark behinderten Kindes in seinem Torgelower Wahlkreisbüro anhört. Es geht um finanzielle Nöte, fehlende Teilhabe und die Probleme, die das behinderte Mädchen in der Schule hat. Dahlemann hört zu, sofort fallen ihm Menschen ein, die helfen können. Das Schicksal der Familie lässt ihn nicht ungerührt.
"Als ich mein Büro eröffnet habe, habe ich gesagt: Politik darf in der Politik nicht zu einer Floskel verkommen, dann haben wir in der Demokratie was falsch gemacht. Und ich werde Kraft da rein investieren, dass es dieser Familie besser geht. Das ist ja auch gleichzeitig die Königsdisziplin von Politik. Ich mach Politik, um den Menschen zu helfen. Und deswegen erfahr ich natürlich auch in aller Regel von persönlichen Schicksalen, wo es den Menschen nicht immer nur gut geht."
Mutige Aktion bei einer NPD-Veranstaltung
Dahlemann, 28 Jahre alt, zog vor zweieinhalb Jahren als Nachrücker in den Landtag. Dort bleibt er nun, dank seines Direktmandats. Warum holte Dahlemann, ein politischer Anti-Typ – oder vielleicht ein Prototyp – diesen für die SPD eigentlich nicht gewinnbaren Wahlkreis? Und nicht die AfD, die fast alle Direktmandate rundherum gewonnen hat?
Vielleicht auch deswegen: Vor zweieinhalb Jahren griff sich Dahlemann das "Offene Mikro" bei einer NPD-Veranstaltung vor dem geplanten Torgelower Flüchtlingsheim.
"Dann hat sich der NPD-Landesvorsitzende und Redner sehr weit aus dem Fenster gelehnt, bot mir zehn Prozent seiner Redezeit, ich sollte doch mal die gescheiterte Multi-Kulti-Politik der Bundesregierung erklären. Und ich hatte nur wenige Sekunden Zeit, zu entscheiden, und hab gedacht: Ja, das mach ich, aber ich erklär sie nicht für gescheitert, sondern appelliere an die Menschlichkeit: Warum wir genau jetzt diese Schritte machen müssen. Und ich hab nicht zu den Rechtsextremen gesprochen, sondern zu den Menschen, die an den Balkonen, an den Fenstern waren, zugehört haben, was da passiert, und das war für die gesamte Deutungshoheit beim Thema Flucht und Asyl für diese Region, hier für Vorpommern, damals ne ganz wichtige Geschichte."
Anschläge auf Dahlemanns Büro
Die nicht allen passt. Sein Auto wurde beschädigt, die Fensterscheiben seines Büros eingeworfen, Anschläge mit Buttersäure verübt. Eingeschüchtert hat ihn das nicht: Das "Bündnis Willkommenskultur" in Torgelow hat er mitbegründet, politische Arbeit bedeutet ihm Arbeit an und mit den Menschen, gleich welcher Herkunft.
"Na ja, das Thema Flucht und Asyl ist kein Thema, mit dem man vordergründig einen Blumenpott gewinnt. Aber es ist eben so wichtig, auch da den Menschen zu sagen: Was erwartet sie, was kommt in der Region auf sie zu, und ich glaube, wenn wir viel, viel früher einen festen Plan den Menschen an die Hand geben können, dann hätte das bundesweit auch noch viel früher funktionieren können, dass die Integration der Flüchtlinge klappt. Da muss Politik auch entschlossen für eintreten. Und sich da nicht immer nur in der Hoffnung, bei Wahlen ein paar Prozente zu kriegen, den Populisten geben.
Das ist übrigens mein Schulweg gewesen, als Kind. Hier bin ich immer langgelaufen."
Wie geschah das Wunder in Wahlkreis 35?
Im Ortskern von Torgelow. Dahlemann grüßt diesen und jenen, jeder kennt ihn hier:
"Hey, Dieter!"
Dieter, sagt Dahlemann später, ist sein alter Sozialkundelehrer, bei dem er in der achten Klasse politisch laufen lernte. Und Dieter hat eine Erklärung für das Wunder im Wahlkreis 35:
"Na ja, er macht mehr als die anderen. Sag ich mal so. Ne? Also Veranstaltungen, holt Leute ran, präsentiert sich, macht Infostände überall, vor allem auf den Dörfern."
Dahlemann, ein gutaussehender, junger Mann, Student. Die Frisur sitzt, die Brille sitzt, die Klamotten sowieso. Wer es böse mit ihm meint, sagt vielleicht, er ist der Schwiegersohn-Typ, was vielleicht auch stimmt. Tatsächlich ist Dahlemann ein Kümmerer, so sagen es die Menschen hier, ist von Haustür zu Haustür gelaufen, unermüdlich über die Dörfer getingelt. Dörfer, auf denen die Demokratie zu sterben droht, Dörfer, die noch nie zuvor einen Landespolitiker gesehen hatten.
"Ich kann aber nicht erwarten, als Politiker, der sein Büro in der Stadt hat, dass die Menschen zu mir in die Stadt kommen. Sondern ich muss zu ihnen gehen. Ziel war, auf jedem Dorf in meinem Wahlkreis mit einem Minister oder dem Ministerpräsidenten vorbeizukommen. Und nicht nur dort Wahlkampf zu machen, sondern da muss für ein Dorf und die Menschen etwas ganz konkretes bei rumkommen. Und ich bin froh, dass heutzutage wieder so viele mitziehen und mitmachen und für die Demokratie mit anpacken."
Dahlemann wohnt in seinem Elternhaus – mit seinen Eltern. Hat keine Wohnung in der Landeshauptstadt Schwerin, in die er zur Sitzungsperiode abtaucht, sondern fährt jeden morgen in den Landtag und jeden Abend heim, wie andere zur Arbeit fahren. Drei Stunden hin, drei Stunden zurück, nach Torgelow. Hier ist sein Sprengel, und hier ist mehr zu tun als in Schwerin.