SPD-Politikerin kritisiert Verteidigungsminister Jung

Moderation: Norbert Wassmund und Ulrich Ziegler |
Die SPD-Verteidigungsexpertin Ulrike Merten hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) Versäumnisse bei der Vorbereitung des geplanten Bundeswehreinsatzes im Libanon vorgeworfen. Sie hätte sich gewünscht, dass die Information der Parlamentarier "etwas zeitnaher" erfolgt wäre und die Abgeordneten weniger Informationen aus Zeitungen hätten entnehmen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn es um den Einsatz deutscher Soldaten im Libanon geht, sorgt der deutsche Verteidigungsminister mit seinen Vorschlägen immer wieder für Irritationen. Es gibt bereits Beschwerden vom Auswärtigen Amt. Die Opposition spricht von einer chaotischen Vorbereitung. Frau Merten, sind Sie denn mit der Arbeit des Verteidigungsministers in dem Zusammenhang zufrieden?

Ulrike Merten: Die Vorbereitung solcher Einsätze ist natürlich schwierig, weil man auf der einen Seite die Zusagen, die man auf internationaler Ebene gemacht hat, ja doch möglichst einhalten will. Die andere Seite ist die, dass die Abgeordneten, die am Ende ja zustimmen müssen, auch überzeugt werden wollen. Das geht am allerbesten, wenn man die Informationen so transparent wie möglich macht, wenn die Abgeordneten nicht das Gefühl haben, dass durch Äußerungen in der Öffentlichkeit schon Vorfestlegungen getroffen sind, die durch nichts mehr zu korrigieren sind. Das heißt, Transparenz und auch ein Einbeziehen der Abgeordneten zu einem möglichst führen Zeitpunkt halte ich für besonders wichtig, vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem jetzt anstehenden Einsatz. Der wird ein besonders schwieriger werden. Da gibt es schwierige Diskussionen. Da werden die Abgeordneten sehr genau abwägen. Ich rate immer dazu, den Parlamentsvorbehalt nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern ihn auch im Handeln wirklich auch so ernst zu nehmen, dass die Abgeordneten das Gefühl haben, sie werden für die Entscheidung wirklich gebraucht.

Deutschlandradio Kultur: Also, zufrieden oder nicht zufrieden?

Merten: Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle gewünscht, dass die Informationen etwas zeitnäher erfolgt wären, dass die Abgeordneten weniger Informationen aus der Zeitung hätten entnehmen müssen, sondern mehr Gelegenheit gehabt hätten, sich im direkten Gespräch informieren zu können.

Deutschlandradio Kultur: Es gab ja jetzt auch viel Verwirrung über die mögliche Zahl der Soldaten, die in den Libanon oder vor Libanons Küste entsendet werden sollen. Halten Sie diese Zahlendiskussionen, diese Zahlenspielereien für sinnvoll?

Merten: Ich rate dazu, gerade mit Zahlen in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig zu sein, weil am Ende wird ja eine Kabinettsvorlage, ein Antrag der Regierung stehen. Und da wird dann die ganz konkrete Zahl auch aufgeschrieben sein müssen. Wenn man eine Zahl genannt hat, die dann mit der in der Vorlage der Regierung nicht übereinstimmt, dann hat man ein Problem, dies in der Öffentlichkeit zu erklären. Deswegen hätte ich es glücklicher gefunden, wenn man keine Zahl genannt hätte.

Deutschlandradio Kultur: Laut Grundgesetz ist die Bundeswehr eine Verteidigungsarmee. Es gibt diesen Parlamentsvorbehalt, für den Sie ja auch stehen. Jetzt stellt sich uns die Frage: Was verteidigen wir eigentlich im Libanon?

Merten: Ja, die Frage wird natürlich nicht erst bei diesem Einsatz gestellt, sondern wir haben ja in den vergangenen Jahren immer wieder zu erklären gehabt, was wir zum Beispiel mit unserem Engagement in Afghanistan oder auch im Kosovo bewirken wollen, was das mit der Sicherheit Deutschlands zu tun hat. Das ist in der Tat ein Problem zu erklären, dass unser Engagement, der Versuch mitzuhelfen Frieden und Stabilität in diesen Regionen zu schaffen, etwas unmittelbar mit der Sicherheit der Menschen in diesem Lande zu tun hat. Ich will zugeben, dass der Erklärungsversuch an der einen oder anderen Stelle noch verbesserungswürdig ist. Aber ich glaube, wir müssen es machen, damit auch die Menschen in diesem Lande – von den Soldaten mal ganz abgesehen – wirklich wissen, warum wir uns dort engagieren und warum das wichtig ist, dass so eine Region wie der Nahe Osten eben auch die Chance auf Frieden und Stabilität hat und dass dies wieder unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit unseres Landes hat.

Deutschlandradio Kultur: Die Bundeswehr übernimmt jetzt zum dritten Mal die Führung der NATO-Schutztruppe KFOR im Kosovo für ein Jahr. Demnächst sollen Deutsche – wir haben gerade drüber gesprochen – auch im Libanon eingesetzt werden, in welcher Truppenstärke auch immer. Dann gibt es ja noch die Auslandseinsätze der Bundeswehr unter anderen im Kongo, in Afghanistan und diese Auslandseinsätze dauern ja meist länger als ursprünglich geplant. Frau Merten, gehen uns dann irgendwann mal die Soldaten aus?

Merten: Ich glaube, dass man die Einsätze nicht unbegrenzt weiterführen könnte und immer noch einen weiteren drauf packen kann. Das ist überhaupt gar keine Frage. Wir sind jetzt mit cirka 7000 Soldaten in internationalen Einsätzen. Wir waren schon mal mit über 10.000 Soldaten in Einsätzen. Das heißt, es gibt noch einen gewissen Spielraum nach oben. Das ist auch in den Planungen so vorgesehen. Gleichwohl gibt es in einzelnen Bereichen durchaus Engpässe. Das muss man genau im Auge haben. Das ist der eine Punkt. Der andere Grund, der wichtig ist, immer wieder genau zu überlegen, ist so ein Einsatz noch leistbar, hat natürlich nicht nur etwas mit der Personalstärke zu tun, sondern hat natürlich auch etwas damit zu tun: Können wir unsere Soldaten und Soldatinnen entsprechend ausrüsten, damit sie ihren Einsatz auch sicher ausüben können? Haben wir diese Möglichkeiten? Ist das verantwortbar? Das ist der zweite Punkt. Also, auf der einen Seite die Personalstärke, auf der anderen Seite die Frage, stimmt die Ausrüstung, die Möglichkeiten, wie wir unsere Soldaten in den Einsatz schicken, mit den Anforderungen und auch mit den Gefahren überein?

Deutschlandradio Kultur: Dazu gehört natürlich auch das Geld. Reicht das finanzielle Engagement auch aus?

Merten: Das ist ein Problem, mit dem wir uns nun wirklich schon seit Jahren rumschlagen, weil wir für jeden zusätzlichen Einsatz, der nicht vorhersehbar ist, wie zum Beispiel der, der jetzt ganz offensichtlich demnächst doch beschlossen werden wird, keine Vorsorge treffen konnten. Es gibt ja eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, dass solche unvorhergesehenen Einsätze eben nicht allein aus dem Einzelplan 14 zu erwirtschaften sind. Ich wäre da sehr dankbar, wenn wir so eine Möglichkeit fänden. Denn das, was wir dort tun, ist schon sehr ambitioniert. Und wir sind mit den Beschaffungsvorhaben, aber auch mit den Projekten, die auch eine Menge an Geld erfordern, schon wirklich sehr damit beschäftigt, den finanziellen Rahmen zu haben, damit wir diese Aufgaben auch wirklich alle erfüllen.

Deutschlandradio Kultur: Also, wir können mal festhalten: Bei internationalen Einsätzen sind deutsche Soldaten gefragt. Deutschland hat mehr internationale Verantwortung übernommen. Dafür gab und gibt es international viel Anerkennung. Es gibt aber auch kritische Stimmen, nicht nur von Leuten wie Oskar Lafontaine. Beispielsweise hat der FDP-Außenexperte Werner Hoyer jetzt im Zusammenhang mit dem 11. September die Frage gestellt, wo wir denn überhaupt Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus erreicht hätten. Er sagte, in Afghanistan seien diese Erfolge jedenfalls nicht zu sehen.

Jetzt läuft am 13. Oktober das Afghanistan-Mandat des Bundestages aus. Frau Merten, ganz egal, wie die Erfolge sind oder ob man sie überhaupt messen kann, eine Mandatsverlängerung gibt es doch so oder so. Denn an einen Rückzug denkt doch keiner, oder?

Merten: Ob es die Zustimmung so oder so gibt, das will ich nicht vorwegnehmen. Das hat dann am Ende der ganze Bundestag zu entscheiden. Aber ich will sehr deutlich sagen, dass ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt aus meiner Sicht nicht infrage kommt. Weil das, was bislang in Afghanistan an Aufbau gelungen ist, an Stabilisierung, das würde mit einem sofortigen Rückzug aus meiner Sicht wieder zunichte gemacht. Das heißt, die Mittel, die dort eingesetzt worden sind, würden vergeblich ausgegeben sein, denn der Prozess ist ja noch nicht abgeschlossen, noch lange nicht abgeschlossen. Deswegen muss man sich sehr gut überlegen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Ich halte die Forderung nach einem Rückzug, nach einer Nichtverlängerung des Mandats zum jetzigen Zeitpunkt nicht für verantwortbar.

Deutschlandradio Kultur: Und was eine Erweiterung angeht, werden demnächst auch deutsche Soldaten im Süden Afghanistans möglicherweise aktiv werden?

Merten: Der Bundesverteidigungsminister hat in den letzten Tagen darauf hingewiesen, dass eine generelle Ausweitung auf den Süden des Landes nicht infrage kommt, auch nicht ansteht. Insofern sind Spekulationen darüber hinfällig. Ich vertraue darauf, und das tun meine Kolleginnen und Kollegen auch, dass es beim jetzigen Einsatzraum bleibt.

Deutschlandradio Kultur: Ich würde gerne auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Sie sind seit Mai des vergangenen Jahres Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, ein interfraktionelles Gremium im Bundestag, das zumeist hinter verschlossen Türen tagen muss. Wie würden Sie eigentlich Ihre Arbeit definieren? Wie viel Einfluss haben Sie? Vielleicht können Sie einige Beispiele nennen.

Merten: Das ist sicherlich eine Besonderheit des Verteidigungsausschusses, dass er unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt. Das ist nicht immer geheim, aber es hat schon gute Gründe, dass wir dort hinter verschlossenen Türen auch Dinge beraten können, die eigentlich nicht dazu geeignet sind, dass sie auf dem offenen Markt ausgetragen werden.

Das erleichtert die Beratungen, weil das der Regierung, die wir ja jederzeit befragen können, hinzu bitten können, auch anfordern können, an den Beratungen des Verteidigungsausschusses teilzunehmen, weil die Regierung dann eben auch zu einem sehr frühen Zeitpunkt Informationen anders aufbereitet dem Verteidigungsausschuss zur Verfügung stellen kann, auch wenn vielleicht Entscheidungen noch nicht vollends getroffen sind, als sie das könnte, wenn man es mit einer öffentlichen Sitzung zu tun hat.

Ich will aber in dem Zusammenhang auf ein Problem hinweisen. Auch der Verteidigungsausschuss hat sich in seiner Art und Weise, wie er arbeitet, in den letzten Jahren auch den Mediengesetzen anpassen müssen. Das heißt, Öffentlichkeit wird immer häufiger gefordert und nicht zuletzt auch durch die Abgeordneten hergestellt. Das kann unter Umständen dazu führen, dass die Informationen, die vertraulich gegeben werden und wo es auch gut wäre, wenn sie nicht auf dem offenen Markt ausgetragen würden, immer – ich will nicht sagen – spärlicher fließen, aber die Gefahr, dass die Regierung sich veranlasst sehen könnte, mit Informationen nicht so offen umzugehen, wie es eigentlich notwendig wäre.

Deutschlandradio Kultur: An was denken Sie denn da?

Merten: Ich habe gar keinen besonderen Punkt im Auge. Ich unterstelle der Regierung auch nicht, dass sie Informationen zurückhält, aber die Abgeordneten müssen natürlich sehr genau wissen, dass diese vertraulichen Verhandlungen im Verteidigungsausschuss auch die Chance haben, möglichst offen und umfassend informiert zu werden. Ich werbe auch sehr dafür bei meinen Kolleginnen und Kollegen, zumindest mit Details nach außen sehr vorsichtig umzugehen.

Deutschlandradio Kultur: Noch mal zurück zu diesen wirklich Veränderungen, der Einsätze im Ausland. Es sind viele. Wir haben darüber geredet und wir haben so ein bisschen den Eindruck, als ob deutsche Sicherheitspolitik in den letzten Jahren ein bisschen verfährt nach dem Motto, es wird wieder nach einem Auslandseinsatz nachgefragt und wir kommen dem entgehen. Sehen Sie eine klare Linie bundesdeutscher Verteidigungspolitik oder ist das diese Ad-hoc-Politik, die eigentlich im Nachhinein erst noch mal gerechtfertigt werden muss?

Merten: Es scheint hin und wieder so zu sein, als wenn wir der jeweiligen Anfrage dann eine eher zufällige Antwort entgegenstellten. Und das, was ich in der Tat bemängele, ist, dass wir nach den verteidigungspolitischen Richtlinien es bislang immer noch nicht geschafft haben, ein Weißbuch zu haben, wo wir die Möglichkeit hätten, genau diese Dinge ein bisschen stringenter auch zu formulieren und vor allen Dingen darüber nicht nur im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft eine Debatte anzustoßen und zu führen, welches eigentlich unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen sind und nach welchen Maßgaben wir Einsätze beschließen.

Deutschlandradio Kultur: Wann wird denn der Bundesverteidigungsminister ein entsprechendes Papier vorlegen? Es sollte ja eigentlich noch in diesem Jahr vorgestellt werden, aber daraus wird wohl nichts werden. Also, wann – glauben Sie – kommt es?

Merten: Ich hoffe sehr, dass das Weißbuch noch in diesem Jahr von der Bundesregierung verabschiedet wird. Es ist ja das Weißbuch der Bundesregierung. Ich hielte es für fatal, wenn wir da eine weitere Verzögerung bekommen würden, weil dieses Weißbuch wirklich lange überfällig ist. Natürlich sehe ich, genauso wie meine Kolleginnen und Kollegen auch, dass ein Weißbuch, bevor es herausgegeben wird, auch zwischen den Ressorts abgestimmt ist. Aber wir brauchen wirklich dringend diese sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte. Wir müssen uns dringend – nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch mit der Gesellschaft – darüber verständigen, welche Rolle wir in den kommenden Jahren in der Außen- und Sicherheitspolitik spielen wollen. Dazu ist das Weißbuch dringend erforderlich.

Deutschlandradio Kultur: Wie würden Sie denn, Frau Merten, heute die deutschen Sicherheitsinteressen definieren und auch die europäischen?

Merten: Ich glaube, dass es zwischen den deutschen und den europäischen Sicherheitsinteressen eine große Schnittmenge gibt. Ich sage allerdings auch, dass uns das nicht der Aufgabe enthebt, die deutschen Interessen selbst auch noch mal zu definieren, weil ich der festen Überzeugung bin, die gemeinsame Schnittmenge besagt nichts darüber, dass es nicht möglicherweise deutsche Interessen gibt, die sich von den europäischen unterscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Das ist ja auch die Position der Union beispielsweise.

Merten: Das ist richtig. Was wichtig bleibt, ist, dass wir wissen – und das ist auch die Linie der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik –, dass wir nie isoliert, nie allein handeln können und dass wir dieses immer im Bündnis oder eben mit unseren europäischen Partnern tun werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber noch mal kurz nachgefragt: Beispielsweise französische Interessen, die in europäische Interessen einfließen, könnten doch andere sein als deutsche Interessen, wenn man Afrikapolitik und Kolonialgeschichte betrachtet. Muss man deutsche Interessen in der Sicherheitspolitik definieren, die dann in europäische einfließen? Oder ist das Primat, dass man sagt, das kommt alles unter europäische Interessen und diese nationalen haben keine Rolle mehr? Vielleicht sind sie ja trotzdem noch da.

Merten: Doch, ich glaube, dass es eigene nationale Interessen gibt. Ich halte es auch für notwendig, die zu definieren. Weil – ich sage es noch einmal – es gibt eine gemeinsame Schnittmenge, die ist auch Grundlage unseres Handelns. Trotz alldem halte ich es – auch im Hinblick auf mögliche zukünftige Einsätze – für notwendig, dass wir von diesem Automatismus wegkommen: Es gibt eine UNO-Resolution, es gibt eine Anfrage, der wir uns nicht entziehen können, ohne dass wir hinreichend erklären können, was dies unmittelbar mit den Interessen Deutschlands zu tun hat. Für diesen Klärungsprozess halte ich es für unabdingbar notwendig, dass wir uns darüber verständigen. Und – ich sage es noch einmal – das hat nichts damit zu tun, dass wir uns aus dem Bündnisrahmen oder aus dem europäischen Rahmen lösen wollen, sondern ich halte es für notwendig, diese Interessen zu formulieren. Das hat nichts damit zu tun, dass man das wie auf dem Reißbrett dann machen könnte, aber ich glaube, es ist wichtig, dies als Grundlage zukünftigen Handelns zur Verfügung zu haben.

Deutschlandradio Kultur: Brauchen wir dafür auch eine breite gesellschaftliche Diskussion, damit wir Auslandseinsätze auch deutscher Soldaten weiterhin akzeptieren und sie fördern?

Merten: Ja, das glaube ich. Das ist lange überfällig. Wir haben es in den vergangenen – man kann sagen – 15 Jahren versäumt, über die veränderten Bedingungen eine öffentliche Debatte zu führen. Wir haben uns natürlich in den Fachkreisen immer wieder darüber verständigt. Daraus ist der Transformationsprozess der Bundeswehr entstanden. Aber das, was uns nicht gelungen ist, ist, auch die Menschen in diesem Lande mitzunehmen, sie darauf einzustimmen, dass eben die Situation eine völlig andere ist als zu Zeiten des Kalten Krieges, sie darüber wirklich auch in eine Debatte zu ziehen, was eigentlich deutsche Sicherheitsinteressen sind und was das eben auch für diese Parlamentsarmee bedeutet.

Ich glaube, es reicht nicht aus, für die Einsätze der Bundeswehr eine breite parlamentarische Mehrheit zu haben. Die ist wichtig. Das brauchen die Soldatinnen und Soldaten. Aber ich glaube, sie sind genauso darauf angewiesen, dass die Bevölkerung dahinter steht, dass die Bevölkerung weiß, was die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, im Kosovo, im Kongo und demnächst möglicherweise auch im Libanon tun.

Deutschlandradio Kultur: Die Bundeswehr soll im Verteidigungsfall eingesetzt werden. Das ist das originäre Thema dieser Armee in Deutschland. Sicherheitsinteressen gelten natürlich vorrangig aus unserer Sicht in Deutschland. Da sind wir bei der Diskussion: Wie weit soll die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden? Muss der Verteidigungsbegriff unter diesem Aspekt nicht völlig neu definiert werden?

Merten: Das ist ja die Debatte, die der Bundesverteidigungsminister vor einigen Wochen angestoßen hat. In der Vorbereitung der Weltmeisterschaft hat es ja auch eine vom Innenminister angestoßene Debatte gegeben, ob die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren ausreichen. Ich habe immer dafür plädiert, diese Debatte sehr offen, aber auch sehr sachlich zu führen. Ich glaube, dass die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren, nach dem, was der Art. 35 unseres Grundgesetzes zulässt, ausreichen. Und da, wo wir Lücken haben, das sagt ja auch der Koalitionsvertrag, Stichwort Luftsicherheitsgesetz oder Seesicherheitsgesetz, da – meine ich – sollten wir sehr offen und unverstellt dran gehen und im Zweifelsfall dann auch die notwendigen Korrekturen oder Änderungen im Grundgesetz vornehmen.

Im Großen und Ganzen bin ich aber der Meinung, dass das Zusammenspiel zwischen den Sicherheitskräften der Länder, des Bundes und der Bundeswehr so ist, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sich hinreichend geschützt fühlen dürfen. Für mich ist entscheidend, dass – wenn es zu einer Ausweitung der Möglichkeiten des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren käme – dass das einen objektiven Zuwachs an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger ergäbe. Das ist ja kein Selbstzweck. Ich kann das nur an ganz wenigen Stellen erkennen, dass das so wäre – Stichwort Luftsicherheitsgesetz. Aber an anderen Stellen kann ich das so nicht erkennen. Insofern bleibt für mich das Entscheidende: Gäbe es durch einen erweiterten Einsatz der Bundeswehr im Inneren einen Zuwachs an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

Deutschlandradio Kultur: Frau Merten, zum Schluss dieses Gespräches noch eine persönliche Frage: Wir kamen darauf, weil wir in Ihrer Homepage noch mal nachgeguckt haben. Einer Ihrer Lieblingsautoren ist Stefan Zweig. Verraten Sie uns doch mal, was Sie an diesem Schriftsteller so sehr fasziniert.

Merten: Also, ich bin zu Stefan Zweig über seine Biographien gekommen. Ich habe zu den Figuren, die er dort beschreibt einen so lebendigen Zugang gefunden, der mir durch keinen Geschichtsunterricht hat vermittelt werden können. Außerdem gehört Stefan Zweig für mich zu der Gruppe von Exil-Autoren, die in so lebendiger und unnachahmlicher Weise auch den Niedergang der ja noch nicht verfestigten Demokratie zu schildern vermochten, dass ich als Nachgeborene, als nach dem Zweiten Weltkrieg Geborene, hier so viel habe lernen können und auch so viel habe erfahren können. Im Übrigen gefällt mir auch seine Sprache.

Deutschlandradio Kultur: Frau Merten, herzlichen Dank für das Gespräch.