SPD verlangt "kluge Angebote" für Nordafrika
Die Sozialdemokraten sind unzufrieden mit der Bundesregierung wegen deren Haltung im Streit um die Flüchtlinge aus Nordafrika. In Europa fehle ein "fairer Ausgleich" und gegenseitige Unterstützung bei der Aufnahme der Menschen, sagte der SPD-Politiker Wiefelspütz.
Ute Welty: Zwei große Europäer machen sich daran, ein großes europäisches Problem zu lösen: Der italienische Ministerpräsident Berlusconi empfängt heute den französischen Staatspräsidenten Sarkozy, um mit ihm über nordafrikanische Flüchtlinge zu sprechen.
Bleibt die Frage nach der Rolle Deutschlands, und die geht jetzt sofort an Dieter Wiefelspütz, den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!
Welty: Berlusconi und Sarkozy wollen heute, wie gehört, eine gemeinsame Erklärung abgeben. Wie viel Gemeinsamkeit ist denn da zu erwarten? Denn die Interessenslage ist ja doch recht unterschiedlich.
Wiefelspütz: Ich glaube, dass viel Egoismus zum Ausdruck kommen wird, und meine Besorgnis ist auch sehr groß, dass das Schicksal der Flüchtlinge aus Nordafrika politisch instrumentalisiert wird.
Welty: Und das heißt für Deutschland: Soll die Bundesregierung sich einmischen oder abwarten?
Wiefelspütz: Nun, so ganz zufrieden kann man mit der deutschen Rolle nicht sein. Die Bundesrepublik Deutschland ist der wichtigste Mitgliedsstaat der Europäischen Union, der größte Staat, der reichste Staat der Europäischen Union, und auch bei uns sind die Reflexe sehr häufig so, auch in dieser Angelegenheit, auf gar keinen Fall, keine Flüchtlinge nach Deutschland. Und es ist ja in der Tat so, dass aus Nordafrika – ganz anders als die Panikmache, die da betrieben worden ist – so gut wie keine Flüchtlinge bei uns aufgetaucht sind.
Welty: Und die Zahlen in Italien halten sich ja auch – in Anführungszeichen – in Grenzen. 26.000 Menschen sind inzwischen auf Lampedusa, auf dieser ersten italienischen Insel im Mittelmeer angekommen, und viele von denen, weil sie eben aus Tunesien kommen und auch französisch sprechen wollen, weiter nach Frankreich. Also von daher ist die Interessenslage zwischen Frankreich und Italien ja wirklich eine gemischte.
Wiefelspütz: Das ist sicherlich so. Viele dieser Flüchtlinge wollen wohl eher nach Frankreich, weil sie dort Angehörige haben, weil es auch traditionell vielfältige Beziehungen zwischen Tunesien und Frankreich gibt. Lampedusa ist sozusagen nur eine Zwischenstation. Andererseits muss man einfach sehen, dass 25.000, 26.000 Flüchtlinge, ich will das jetzt gar nicht gering schätzen, aber das ist keineswegs eine Zahl, mit der nicht Italien klarkommen könnte. Da ist vieles unangemessen dramatisiert worden. Italien ist ein Land mit 60 Millionen Einwohnern. Lampedusa kommt mit 25.000 Flüchtlingen nicht klar, aber Italien schon, wenn man das wirklich will.
Welty: Wenn Italien mit 60 Millionen Einwohnern mit diesen Flüchtlingen klarkommt oder mit dieser Anzahl von Flüchtlingen, dann müsste es Deutschland mit mehr als 80 Millionen ja auch tun.
Wiefelspütz: Das ist richtig, das haben wir in der Vergangenheit auch getan. Bitte bedenken Sie, in den 90er-Jahren haben wir mehrere Hunderttausend Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen, mancher von diesen Flüchtlingen ist inzwischen längst verwurzelt in Deutschland, also das geht schon. Aber auch in dieser Situation mit einer unklaren Lage in Nordafrika zeichnet sich nicht unbedingt die Bundesregierung aus durch große Tatkraft. Im Grunde ist der Reflex doch sehr, sehr stark, bloß keine Flüchtlinge aus Nordafrika nach Deutschland. Und das ist angesichts dessen, was in Nordafrika auch alles noch geschehen kann, nach meiner persönlichen Überzeugung viel zu wenig.
Welty: Was müsste denn geschehen, Herr Wiefelspütz?
Wiefelspütz: Ich denke, dass in der Europäischen Union es nach wie vor fehlt an einem fairen Ausgleich, wenn es zu größeren Flüchtlingszahlen kommt. Das System ist eigentlich im Moment so, dass jeder für sich alleine kämpft, und äußerstenfalls dann, wenn es zu einer großen, gigantischen humanitären Katastrophe kommt, ist man bereit, einander zu helfen. Aber im Grunde ist es im Moment eigentlich so, dass jeder nur die eigenen Interessen wahrnimmt. Und das ist zu wenig. Da müsste eigentlich Deutschland ein Motor sein einer fortschrittlichen Lösung, und die kann eigentlich nur sein, dass man bei den Lasten, die auftreten, sich fair unterstützt und auch Flüchtlinge mit aufnimmt da, wo das nötig ist.
Ute Welty: Das heißt, Sie würden auch die bisherige Regelung infrage stellen wollen, dass der Asylantrag immer im Ankunftsland gestellt wird? Denn damit sind die Länder an den EU-Außengrenzen ja doch erheblich benachteiligt.
Wiefelspütz: Also ich will die jetzige Situation nicht in Bausch und Bogen kritisch würdigen. Man muss ja auch unterscheiden zwischen Menschen, die politische Flüchtlinge sind, und anderen Menschen, die, für die man sehr viel Verständnis haben muss, aber die im Grunde andere Motive haben, nach Europa zu kommen. Die wollen hier in den Arbeitsmarkt, die wollen hier arbeiten, vielleicht auch eine Ausbildung haben. Das ist etwas anderes als diejenigen, die sozusagen unter politischer Verfolgung leiden. Von den bislang 26.000 Flüchtlingen aus Nordafrika sind etwa 5000 bis 6000 Flüchtlinge solche, die eines besonderen Schutzes nach dem humanitären Flüchtlingsrecht bedürfen. Alle anderen sind Menschen, die im Grunde in den Arbeitsmarkt einwandern wollen. Und da gibt es schon auch unterschiedliche Regelungsbedürfnisse.
Ich denke, dass wir das Grundprinzip von Schengen gar nicht unbedingt infrage stellen sollen, es ist einfach nur so, dass dann, wenn bestimmte Grenzen der Aufnahmemöglichkeit überschritten sind, dann müsste ein System der Lastenverteilung eintreten. Das haben wir gegenwärtig nicht und da sind die großen Mängel der europäischen Regelung. Wir müssen auch viel intensiver kluge Angebote an Nordafrika machen im Sinne von Ausbildungshilfen, Möglichkeiten für Menschen, die auch vielleicht für einige Monate in Europa arbeiten könnten. Das wären Ansätze, um zu einer besseren Regelung zu kommen.
Ute Welty: Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz, danke fürs Gespräch hier in Deutschlandradio Kultur!
Bleibt die Frage nach der Rolle Deutschlands, und die geht jetzt sofort an Dieter Wiefelspütz, den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!
Welty: Berlusconi und Sarkozy wollen heute, wie gehört, eine gemeinsame Erklärung abgeben. Wie viel Gemeinsamkeit ist denn da zu erwarten? Denn die Interessenslage ist ja doch recht unterschiedlich.
Wiefelspütz: Ich glaube, dass viel Egoismus zum Ausdruck kommen wird, und meine Besorgnis ist auch sehr groß, dass das Schicksal der Flüchtlinge aus Nordafrika politisch instrumentalisiert wird.
Welty: Und das heißt für Deutschland: Soll die Bundesregierung sich einmischen oder abwarten?
Wiefelspütz: Nun, so ganz zufrieden kann man mit der deutschen Rolle nicht sein. Die Bundesrepublik Deutschland ist der wichtigste Mitgliedsstaat der Europäischen Union, der größte Staat, der reichste Staat der Europäischen Union, und auch bei uns sind die Reflexe sehr häufig so, auch in dieser Angelegenheit, auf gar keinen Fall, keine Flüchtlinge nach Deutschland. Und es ist ja in der Tat so, dass aus Nordafrika – ganz anders als die Panikmache, die da betrieben worden ist – so gut wie keine Flüchtlinge bei uns aufgetaucht sind.
Welty: Und die Zahlen in Italien halten sich ja auch – in Anführungszeichen – in Grenzen. 26.000 Menschen sind inzwischen auf Lampedusa, auf dieser ersten italienischen Insel im Mittelmeer angekommen, und viele von denen, weil sie eben aus Tunesien kommen und auch französisch sprechen wollen, weiter nach Frankreich. Also von daher ist die Interessenslage zwischen Frankreich und Italien ja wirklich eine gemischte.
Wiefelspütz: Das ist sicherlich so. Viele dieser Flüchtlinge wollen wohl eher nach Frankreich, weil sie dort Angehörige haben, weil es auch traditionell vielfältige Beziehungen zwischen Tunesien und Frankreich gibt. Lampedusa ist sozusagen nur eine Zwischenstation. Andererseits muss man einfach sehen, dass 25.000, 26.000 Flüchtlinge, ich will das jetzt gar nicht gering schätzen, aber das ist keineswegs eine Zahl, mit der nicht Italien klarkommen könnte. Da ist vieles unangemessen dramatisiert worden. Italien ist ein Land mit 60 Millionen Einwohnern. Lampedusa kommt mit 25.000 Flüchtlingen nicht klar, aber Italien schon, wenn man das wirklich will.
Welty: Wenn Italien mit 60 Millionen Einwohnern mit diesen Flüchtlingen klarkommt oder mit dieser Anzahl von Flüchtlingen, dann müsste es Deutschland mit mehr als 80 Millionen ja auch tun.
Wiefelspütz: Das ist richtig, das haben wir in der Vergangenheit auch getan. Bitte bedenken Sie, in den 90er-Jahren haben wir mehrere Hunderttausend Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen, mancher von diesen Flüchtlingen ist inzwischen längst verwurzelt in Deutschland, also das geht schon. Aber auch in dieser Situation mit einer unklaren Lage in Nordafrika zeichnet sich nicht unbedingt die Bundesregierung aus durch große Tatkraft. Im Grunde ist der Reflex doch sehr, sehr stark, bloß keine Flüchtlinge aus Nordafrika nach Deutschland. Und das ist angesichts dessen, was in Nordafrika auch alles noch geschehen kann, nach meiner persönlichen Überzeugung viel zu wenig.
Welty: Was müsste denn geschehen, Herr Wiefelspütz?
Wiefelspütz: Ich denke, dass in der Europäischen Union es nach wie vor fehlt an einem fairen Ausgleich, wenn es zu größeren Flüchtlingszahlen kommt. Das System ist eigentlich im Moment so, dass jeder für sich alleine kämpft, und äußerstenfalls dann, wenn es zu einer großen, gigantischen humanitären Katastrophe kommt, ist man bereit, einander zu helfen. Aber im Grunde ist es im Moment eigentlich so, dass jeder nur die eigenen Interessen wahrnimmt. Und das ist zu wenig. Da müsste eigentlich Deutschland ein Motor sein einer fortschrittlichen Lösung, und die kann eigentlich nur sein, dass man bei den Lasten, die auftreten, sich fair unterstützt und auch Flüchtlinge mit aufnimmt da, wo das nötig ist.
Ute Welty: Das heißt, Sie würden auch die bisherige Regelung infrage stellen wollen, dass der Asylantrag immer im Ankunftsland gestellt wird? Denn damit sind die Länder an den EU-Außengrenzen ja doch erheblich benachteiligt.
Wiefelspütz: Also ich will die jetzige Situation nicht in Bausch und Bogen kritisch würdigen. Man muss ja auch unterscheiden zwischen Menschen, die politische Flüchtlinge sind, und anderen Menschen, die, für die man sehr viel Verständnis haben muss, aber die im Grunde andere Motive haben, nach Europa zu kommen. Die wollen hier in den Arbeitsmarkt, die wollen hier arbeiten, vielleicht auch eine Ausbildung haben. Das ist etwas anderes als diejenigen, die sozusagen unter politischer Verfolgung leiden. Von den bislang 26.000 Flüchtlingen aus Nordafrika sind etwa 5000 bis 6000 Flüchtlinge solche, die eines besonderen Schutzes nach dem humanitären Flüchtlingsrecht bedürfen. Alle anderen sind Menschen, die im Grunde in den Arbeitsmarkt einwandern wollen. Und da gibt es schon auch unterschiedliche Regelungsbedürfnisse.
Ich denke, dass wir das Grundprinzip von Schengen gar nicht unbedingt infrage stellen sollen, es ist einfach nur so, dass dann, wenn bestimmte Grenzen der Aufnahmemöglichkeit überschritten sind, dann müsste ein System der Lastenverteilung eintreten. Das haben wir gegenwärtig nicht und da sind die großen Mängel der europäischen Regelung. Wir müssen auch viel intensiver kluge Angebote an Nordafrika machen im Sinne von Ausbildungshilfen, Möglichkeiten für Menschen, die auch vielleicht für einige Monate in Europa arbeiten könnten. Das wären Ansätze, um zu einer besseren Regelung zu kommen.
Ute Welty: Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz, danke fürs Gespräch hier in Deutschlandradio Kultur!