"Speer und Er"

Rezensent: Joachim Scholl |
Als Architekt war er der Liebling Adolf Hitlers, als Reichsminister für Bewaffnung und Munition sorgte er für einen gewaltigen Aufschwung der deutschen Rüstungsproduktion: Albert Speer. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess bekannte er sich als einziger der Angeklagten für schuldig, die Richter verurteilten ihn zu zwanzig Jahren Haft.
Nach seiner Entlassung 1966 wurde Albert Speer durch seine "Erinnerungen" und die "Spandauer Tagebücher" zu einem international gefragten Autor und Kronzeugen. Dennoch blieben seine Persönlichkeit und die Rolle, die er im engsten Führungskreis um Hitler spielte, für viele ein Rätsel.

In diesem Jahr hätte Albert Speer seinen 100. Geburtstag gefeiert. Ab dem 9. Mai (heute) sendet die ARD ein mehrteiliges Doku-Drama von Heinrich Breloer. Zu diesem Projekt veröffentlicht Breloer zwei Bücher: einen Begleit- und Fotoband, der die biographische Filmhandlung nacherzählt, sowie einen Band mit detaillierten Gesprächen und Dokumenten.

In mehrfacher Hinsicht war Speer eine Ausnahmeerscheinung in Hitlers Entourage. Klug und akademisch gebildet, aus gediegenen bürgerlichen Verhältnissen stammend, in Wesen, Manieren und Umgangsformen unterschied er sich deutlich von den primitiv-brutalen Charakteren eines Göring, Himmler oder Bormann. Er verkörperte, was es nach einem Wort des englischen Historikers Hugh Trevor-Roper eigentlich gar nicht gab: den "kultivierten Nazi". Als einziger NS-Führungskader hatte er Reue gezeigt und sich in seinen Büchern, zahllosen Interviews und Statements offen zu Schuld und Verantwortung bekannt.

An Speers außergewöhnlicher Persönlichkeit entzündeten sich die spannendsten Fragen: Wie konnte solch ein Mann die kriminellen Züge des Regimes so eklatant übersehen? Waren seine Beteuerungen, vom Massenmord an den Juden nichts gewusst zu haben, wirklich glaubhaft?

Seine beiden Bücher wurden Weltbestseller, allein in Deutschland über eine Million Mal verkauft. Mit Speer konnten anscheinend viele Deutsche ihr Gewissen beruhigen: Wenn ein so mächtiger Mann nichts gewusst hat von den Verbrechen, wie sollte dann der einfache Bürger Kenntnis davon haben?

Heinrich Breloer hat Albert Speer 1981, kurz vor dessen Tod, noch persönlich kennengelernt und war, wie so viele, stark von seinem gewinnenden Wesen eingenommen. Heute sagt Heinrich Breloer:

"Meine Besuche bei den Zeitzeugen, die Vor-Ort-Besuche oder das Treffen mit ehemaligen Häftlingen im KZ Dora haben mein Bild von Albert Speer deutlich verfinstert. Am Ende war er der Manager des Grauens."

Schon bald nach Speers Tod kamen erste Dokumente zum Vorschein, die bewiesen, dass er gelogen hatte. Speer war direkt beteiligt an der Vertreibung von mehreren Tausend Berliner Juden aus ihren Wohnungen, später am Ausbau des Vernichtungslagers Auschwitz. Er war – trotz lebenslanger gegenteiliger Beteuerung – persönlich anwesend bei Heinrich Himmlers berüchtigter "Posener Rede", auf der der SS-Chef vor Gauleitern und NS-Würdenträgern ausführlich von den Massenmorden im Osten berichtete.

Nach dem Krieg "säuberte" Speer mit Hilfe von Freunden die Akten seines Ministeriums. In vielen Gesprächen mit Bekannten, der Familie, Historikern und weiteren Zeitzeugen vertieft Heinrich Breloer diese Tatsachen. Gleichzeitig entsteht das Bild eines tief gespaltenen Charakters, der schließlich selbst den eigenen Lügen glaubte; mit den Worten des Historikers Matthias Schmidt: "Speer hat sich, um zu überleben, systematisch, organisatorisch genial, selbst gefälscht."

Am Ende bleiben bedrückende Fragen nach dem menschlichen Wesen: über seine Verführbarkeit durch Macht und Ruhm, die große Kraft der Verdrängung und wie leicht anscheinend auch der hoch zivilisierte Bürger jede Barbarei zu übersehen geneigt ist, wenn es dem eigenen Fortkommen dient.

Die Lektüre von aufgezeichneten Gesprächen ist meist ermüdend. In diesem Fall wächst jedoch mit jedem Interview die Spannung: Heinrich Breloer trifft drei von Speers Kindern, er spricht mit Leni Riefenstahl, mit Rochus Misch, Hitlers letztem Leibwächter im Bunker 1945, er trifft den Chef-Dolmetscher des Nürnberger Tribunals, Richard W. Sonnenfeldt, die Historiker Matthias Schmidt und Susanne Willems, die in ihren Forschungen maßgeblich den "Mythos Speer" demontierten.

Außerordentlich erhellend sind darüber hinaus die Gespräche mit Wolf Jobst Siedler, Speers Verleger, und mit dem Hitler-Biographen Joachim Fest, der Speer als "vernehmender Redakteur" bei der Abfassung seiner Memoiren behilflich war. Alle diese dokumentierten Gespräche werden der historischen Forschung in Zukunft behilflich sein: Es gibt einen soliden wissenschaftlichen Apparat, mit ausführlichen Fußnoten, Register, Siglen- und Literaturverzeichnis.

Heinrich Breloer: Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Dokumente.
Propyläen Verlag, 608 Seiten, € 24.

Heinrich Breloer: Speer und Er. Hitlers Architekt und Rüstungsminister
(Begleitband zum Film)
Propyläen Verlag, 415 Seiten, € 24.