Wohin mit dem ganzen Strom?
Wohin mit dem Strom aus erneuerbaren Energien, wenn es zu viel davon gibt? Seit drei Jahren wird in Schleswig-Holstein ein Hybrid-Speicher getestet, der genügend Kapazität bietet, um eine Woche lang Strom für 40 Haushalte zu liefern.
Anfang Oktober wird in der Wilstermarsch Richtfest gefeiert. Die Zeremonie findet in einer leeren halbfertigen Halle statt – in Sichtweite des Atomkraftwerks Brokdorf. Nach wenigen Minuten und drei geleerten Schnapsgläsern ist alles vorbei.
"Nun ist das Glas wohl ausgeleert und weiter für mich nichts mehr wert. Drum werf ich es zum Boden nieder, zerschmettert braucht es keiner wieder. So, Scherben bringen Glück und Segen, der Bauherrenschaft auf allen Wegen."
Dabei ist die Zwischenetappe mit dem Richtfest für die Konverterstation durchaus von Wert – ebenso wie das ganze Projekt. "Nordlink" soll ab 2020 über ein rund 620 Kilometer langes Kabel Norddeutschland mit Norwegen verbinden, das mit viel Wasserkraftwerken ausgestattet ist.
Die Leitung soll helfen, Schwankungen im Netz auszugleichen – und die Strompreise senken. Gunnar Spengel ist beim Übertragungsnetzbetreiber TenneT technischer Gesamtprojektleiter für Nordlink.
"Die Idee hinter diesem Projekt ist: Die Windkraft aus Deutschland mit der Wasserkraft aus Norwegen zu verbinden. Das heißt, wenn wir viel Wind in Deutschland haben, können wir die durch den Wind erzeugte Energie nach Norwegen übertragen. Sollten wir 'ne Flaute haben, 'ne Windflaute und keine Sonne, gibt es uns die Möglichkeit, günstigen Wasserstrom aus Norwegen zu importieren."
1.400 Megawatt Kapazität wird Nordlink haben. Das entspreche etwa der Leistung von anderthalb guten Kohlekraftwerken und reiche aus, um 3,4 Millionen Haushalte zu versorgen, rechnet Spengel vor.
Liefern die deutschen Windräder gerade viel Strom, kann der in Norwegen genutzt werden – die Wasservorräte in den dortigen Kraftwerken werden dann nicht angetastet, es wird also Energie gespart. Das kann in Skandinavien auch in Trockenperioden für Abhilfe sorgen. Umgekehrt können die Norweger bei viel Regen zusätzlichen Strom nach Norddeutschland schicken.
Damit der eingespeist werden kann, braucht es an beiden Enden der Verbindung Konverterstationen. In Deutschland wird sie nahe der Stadt Wilster errichtet. Noch dominieren auf der Baustelle riesige Stahlgerippe und Betonfundamente, auf denen das Regenwasser kleine Seen bildet. Ab Mitte 2019 soll der Testbetrieb der Konverterstation losgehen, so Projektleiter Gunnar Spengel.
"Ein Konverter ist dafür da, Wechselspannung in Gleichspannung umzuformen, bzw. das ganze andersherum."
Leitungsausbau in der Bundesrepublik nur schleppend
Nordlink ist ein Milliardenvorhaben. Doch schon heute gibt es in Schleswig-Holstein Projekte, die technisch und finanziell abgespeckter daher kommen. Und sich doch mit demselben Kernproblem beschäftigen: Was wird mit dem ganzen Strom aus Windenergie, wenn der gerade nicht ins Netz eingespeist werden kann? Denn noch immer geht es beim Leitungsausbau in der Bundesrepublik nur schleppend voran um den Strom zuverlässig vom Norden in den industriereichen Süden zu transportieren.
Braderup ist ein 700-Einwohner-Dorf an der deutsch-dänischen Grenze. 2014 ging hier ein Hybrid-Speicher in den Testbetrieb. Der Speicher soll genügend Kapazität bieten, um eine Woche lang Strom für 40 Haushalte zu liefern. Ein Teil des Speichers besteht aus drei Containern. Einen von ihnen hat der Braderuper Landwirt Jan-Martin Hansen gerade aufgeschlossen.
An den beiden Längsseiten des Containers reiht sich Geräteturm an Geräteturm. Ein wenig erinnern diese Gehäuse an Serverschränke. Darin liegen die Lithium-Ionen-Batterien, eine Technologie, die auch in Handys verwendet wird – in Braderup allerdings deutlich größer ist.
"Die Lithium-Ionen-Batterie ist so getaktet, dass sie in Sekundenschnelle Strom praktisch aufnehmen kann und auch wieder abgeben kann."
Es ist vor allem der Initiative von Hansen zu verdanken, dass der Hybridspeicher hier errichtet wurde und 2014 seinen Testbetrieb aufnehmen konnte. Hansen ist bereits in den 90er-Jahren zusammen mit anderen Braderupern in die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien eingestiegen.
"Es ist so, dass es in der Landwirtschaft auf und nieder gegangen ist mit unseren Einnahmen und auch mit unserer Zukunftsperspektive. Und aus dem Grund habe ich mich seinerzeit schon früh entschieden, in die alternative Energie einzusteigen. Und das war 1993, wo ich mit 30 Leuten 1995 meinen ersten Windpark mit 17 Anlagen gebaut hab'."
Drei Bürgerwindparks werden von Braderupern und den Bürgern aus zwei Nachbargemeinden inzwischen auf dem flachen Land betrieben. Doch schon früh haben die Windmüller ein Problem bemerkt.
"Wir wollten dann noch mal eine Nummer größere Maschinen bauen und dann hieß es plötzlich: das geht alles nicht, weil jetzt ist das Netz überlastet. Und man muss sich vorstellen, das ist jetzt schon 15-20 Jahre her, da sprach man schon davon, dass die Netze überlastet sind – und heute spricht man noch davon! Und heute fangen wir an, Leitungen zu bauen. Warum ist es nicht gemacht worden? Nee, wir wurden so als nebensächliche Produktionsproduzenten angesehen und das tat nicht nötig und wir würden sowieso nicht überleben, so war vielleicht damals die Meinung und deswegen ist da einfach nicht drauf eingegangen worden von der großen Politik."
Unterstützung vom Weltkonzern Bosch
Hansen hat recherchiert und irgendwann kam ein Kontakt zum Weltkonzern Bosch zustande. Zusammen mit dem Stuttgarter Unternehmen haben die Braderuper eine Firma für den Hybridspeicher gegründet.
"In dieser Firma 'Energie des Nordens' ist die Firma Bosch beteiligt und der Bürgerwindpark Braderup-Tinningstedt beteiligt. Und wir haben einige Millionen aus unseren Budgets genommen und haben das zur Verfügung gestellt, um einen Hybridspeicher zu bauen für die Allgemeinheit. Um zu testen, um zu gucken, wie kann so was funktionieren, wie können wir so was integrieren zum späteren Zeitpunkt ins Netz?"
Hansen und Bosch sagen: Die Erfahrungen nach dem mehr als dreijährigen Testbetrieb sind positiv gewesen, der Speicher kann also genutzt werden. Doch gleichzeitig geht Bosch auch davon aus: "Mainstream" im Batteriemarkt wird der Hybridspeicher von Braderup wohl nicht werden, sondern eher ein Nischenprodukt.
Komplette Eigenversorgung möglich
Landwirt und Windmüller Hansen betrachtet das ganze aus der Braderuper Perspektive und ist zuversichtlich: Die Gemeinde könnte in Zukunft den Speicher mit den zwei Batteriesystem direkt vermarkten. Das bedeutet: Interessierte könnten die Speicherkapazitäten nutzen und der Gemeinde dafür Geld zahlen. Hansen beobachtet die Gesetzeslage und meint, ein kleines "Dorfstadtwerk" könne der Gemeinde helfen.
"Und dann wäre es natürlich nicht schlecht, wenn wir unsere eigenen Bürger mit unserem eigenen Strom versorgen könnten."
Allerdings ginge das derzeit noch nicht, weil dafür hohe Ablagen anfallen. Technisch gesehen sei eine komplette Eigenversorgung kein Problem glaubt Hansen.
"Wir haben Speicher, wir haben Biogas, wir haben Photovoltaik und wir haben die Windkraftanlagen. Also, von daher sind wir soweit in Braderup, Tinningstedt, Lexgaard, dass wir uns selbst versorgen können rundherum."