Spenden als moderner Ablasshandel

Gewissenspolitur vor Weihnachten

Illustration: Die Hand des Weihnachtsmanns hält eine goldene Kreditkarte.
"Meine Spende ist tatsächlich eine abstruse Gewissensberuhigung", sagt Matt Aufderhorst. © imago / Panthermedia / pressmaster
Überlegungen von Matt Aufderhorst · 13.12.2021
Kurz vor Weihnachten ist die Spendenbereitschaft traditionell sehr groß. Diese finanzielle Großzügigkeit hilft aber nicht nur anderen, sie hilft uns vor allem selbst, meint der Autor Matt Aufderhorst.
Ja, ich bin ein guter Mensch – und, unverblümt eingestanden, böse zugleich: Ich fröne dem Ablasshandel. Denn selbst in einer säkularen Gesellschaft verlangen wir nach Absolution.
Wie bereits die vergangenen Jahre werde ich sowohl alle Flüge der letzten zwölf Monate, weniger als sonst, als auch alle mit dem Auto gefahrenen Kilometer, mehr als sonst, säuberlich zusammenzählen und die Summe dann per steuerlich absetzbaren Stoßseufzern ablassen.

Gutes tun - eine anzweifelbare Anmaßung

Ich suche mir dafür online eine Öko-Organisation, die mir, einerseits, verspricht, irgendwo auf der Welt für mich Bäume zu pflanzen, die, andererseits – ja, ich bin ein preisbewusster Mensch –, nicht zu teuer ist. Die Ablassraten schwanken sehr. Ein schneller Vergleich kann richtig Geld sparen. Für ein gutes Gewissen ist mir nichts zu billig.
Es sei erwähnt, dass ich vor Ewigkeiten Peter Singers Aufruf "The Life You Can Save" unter- und mich damit der praktischen Ethik verschrieben habe. Armut im globalen Süden zu verringern, mit möglichst effektiven Spenden, darum geht’s bei dieser Verpflichtung – einer, wohl wahr, anzweifelbaren Anmaßung.
Ich führe das an, um zu zeigen, dass ich nicht blind dem billigen Gewissen fröne, sondern wissen könnte, was ich, im Namen des Altruismus, zum großmütigen Jahresende an kalkulierten Wohltaten tue. Anders formuliert: scheinbar tue.

Die Sollbruchstelle im Erkentnnisprozess

Denn moralisch stellt die Strategie des billigen Gewissens eine typische Krücke des nachhaltigen Kapitalismus dar. Solch ein verwickeltes Verhalten – gut und böse zugleich zu sein – ähnelt verblüffend der Obsoleszenz in der Wirtschaft.
Obsoleszenz ist eine lukrative, halbkriminelle Methode, die dem Wachstum nützt: Produkte werden so schlau, so mangelhaft hergestellt, dass sie leider, leider exakt nach dem Ende der Garantiezeit den Funktionsgeist aufgeben. Danach bleibt nur, im besten Ab-Fall, die Sintflut des Recycelhofs.
Dass nicht nur das forcierte Veralten von Produkten solch eingeplante Sollbruchstellen kennt, sondern dass wir, als Gesellschaft, bewusst in unseren Erkenntnisprozess Verschleiß einnisten, verdrängen viele liebend gerne.

Eine abstruse Gewissensberuhigung

Diese tief in uns verwurzelte Lust am Neuen, die sogenannte "psychologische Obsoleszenz", ist ein überaus wirksames Werkzeug, um etwa regelmäßig neue Handys an die Frau und den Mann zu bringen - obwohl die Smartphones, die wir besitzen, noch tipptopp sind.
Neben dem Konsum prägt der psychologische Verschleiß allerdings auch unsere Moral – oder sagen wir: meine. Ich billige mir den billigen Ablasshandel für meine Individualverkehr-Abgase zu, anstatt konsequent auf die Schiene umzusteigen, obgleich ich um die Klimafolgen weiß.
Meine Spende ist also tatsächlich eine abstruse Gewissensberuhigung. Zugespitzt formuliert: Ich reguliere mit dem Geld die Temperatur des sittlichen Fegefeuers runter, während woanders auf der Welt die echten Brände wüten.
Eine Augenwischerei, die sich gleich die ganze Autonation Deutschland bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow geleistet hat: Ja, wir stimmen zu, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Aber wir unterschreiben nicht, bis 2035 ganz auf emissionsfreie Wagen umzusteigen.

Konsequenteres Verhalten wäre angesagt

Was zu tun wäre? Die Spendierhosen auszuziehen? Nein, im Gegenteil. Wir müssten deutlich mehr für unser, global gesehen, klimaschädliches Verhalten bezahlen und es, was der ethische Knackpunkt ist, so schnell wie möglich einstellen.
Das Versteckspiel zwischen Wissen und Gewissen, den moralischen Verschleiß, zu beenden, das wäre wirklich und wahrhaftig spendabel und "atmosfair".

Matt Aufderhorst ist 1965 in Hamburg geboren. Er ist Radio- und Fernsehjournalist und Mitbegründer von »Authors for Peace«. Er studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur. Seine Essays über Architektur und Erinnerung sind unter anderem in "Lettre International" und "WOZ" erschienen.

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