Spezialhelme

Therapie für kleine Köpfe

Babys sollten nicht permanent auf dem Rücken, sondern ab und zu auf dem Bauch liegen, damit sich der Kopf nicht dauerhaft verformt.
Babys sollten nicht permanent auf dem Rücken, sondern ab und zu auf dem Bauch liegen, damit sich der Kopf nicht dauerhaft verformt. © imago/McPHOTO
Von Lydia Heller |
Viele Eltern legen ihre Babys fast nur auf den Rücken, weil es heißt, so sei das Risiko des plötzlichen Kindstods geringer. Doch die einseitige Lage führt zu Verformungen, die Medizinern zufolge mehr sein können als ein kosmetisches Problem.
"4. Stock, Kinderklinik und Kinderchirurgie"
Universitätsklinikum der Technischen Universität Dresden, Spezialsprechstunde für Schädeldeformitäten bei Guido Fitze.
"Nehmen Sie ihn nochmal ein bisschen weiter runter, dass ich mal von oben kucken kann, ja genau."
Zusammen mit Nadine Schröder sitze ich im Behandlungsraum. Die junge Frau ist mit Söhnchen Finn gekommen, sieben Monate alt. Der Professor umspannt seinen Kopf mit den Händen, prüft die Abstände zwischen Stirn und Hinterkopf.
"Man sieht schon noch eine deutliche Abflachung links hinten. Wenn das besser wird, dann würde ich sagen: Wir machen nichts mit dem Helm. Wenn nicht, dann müsste man sich darüber schon nochmal Gedanken machen."
Mögliche Folgen: Probleme mit Kiefergelenken und Halswirbelsäule
Ich schaue Finn an: ein Babygesicht, große Augen, Stupsnase – fit wirkt er und fröhlich. Dreht er sein Köpfchen, erkenne aber auch ich: links ist der Hinterkopf weniger gewölbt als rechts. Eine Verformung, die Kinderärzte etwa seit Mitte der 90er-Jahre immer häufiger – und mit Sorge – beobachten.
"Das Problem ging los, als man propagierte, dass man eine Prophylaxe gegen den plötzlichen Kindstod einführen sollte, dass das Kind eine strenge Rückenlage beim nächtlichen Schlaf einnehmen soll. Diese Empfehlung wird offenbar durch viele Eltern so ernst genommen, dass die Kinder nur noch auf den Rücken gelegt werden und damit Schädeldeformitäten entstehen können."
Seitlich flache Hinterköpfe wie bei Finn zum Beispiel. Zwar gibt es noch keine gesicherten Langzeitstudien, die zeigen, ob solche Verformungen Folgen haben können – und wenn ja, welche. Mediziner befürchten jedoch, dass sie mehr als nur ein kosmetisches Problem sind.
"Man geht davon aus, dass einerseits zum Beispiel Früharthrosen bei Fehlbelastung in den Kiefergelenken vorkommen. Dass die permanente Zwangslage des Kopfes in einer bestimmten Haltung zu Blockierungen im Bereich der Halswirbelsäule führt, wir sehen Fehlpositionen der Kiefergelenke, wir sehen Fehlpositionen der Ohren, so dass wir davon ausgehen müssen, dass diese gesamte Funktionseinheit – Kopf, Halswirbelsäule – darunter wahrscheinlich nachhaltig leiden wird ."

Ich schlucke. Auch mein Sohn hatte noch lange nach der Geburt einen flachen Hinterkopf rechts. "Legen Sie ihn oft auf die linke Seite", sagte meine Kinderärztin damals und: "Keine Sorge, später wachsen da die Haare drüber". Aber: Früharthrosen? Wäre ein Helm nicht vielleicht doch besser gewesen? Guido Fitze beruhigt mich: Säuglingsschädel seien weich und formbar, Asymmetrien wachsen sich meist aus.
"Normalerweise ändert man die Lage des Kopfes oder man legt das Kind auch am Tag auf den Bauch, dass es den Kopf selber halten muss."
Helmtherapie nur in besonderen hartnäckigen Fällen
Fällt den Babys das schwer, können Physiotherapeuten und Chiropraktiker helfen, ihre Muskeln zu stärken oder Blockaden der Halswirbelsäule zu lösen.
"Und dann wird eine kontinuierliche Ausprägung in homogener Schädelform von ganz alleine generiert. Und dann kommt es nicht zu solchen Deformitäten."
Nur, wenn diese Verformungen trotzdem bleiben, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie eine Helmtherapie. In diesem Fall wird die Schädelform zunächst in einem speziellen Scanner vermessen – ein kartongroßer schwarzer Kasten mit Glasboden.
"Die müssen kurz stillhalten, die Kinder. Und dann wird der Kopf abgescannt. Sie sehen das gerade – das dauert fünf Sekunden, fertig."
Arite Koch vermisst rund sechs bis acht Babys pro Woche – etwa ein Viertel kommt mit Verformungen, bei denen eine Helmtherapie erwogen wird.
"Und dann entsteht das 3D-Bild auf dem PC."
Nach dem 3D-Modell des Babykopfes passen Orthopäden dann individuell eine sogenannte Kopf-Orthese an: ein leichter, aber sehr fester Kunststoffhelm, ähnlich dem, wie ihn Eishockeyspieler tragen.
"Also wir verformen mit dem Helm nicht aktiv den Kopf – sondern wir stimulieren das Wachstum in eine bestimmte Richtung."
Das gelingt um so besser, je früher die Behandlung beginnt – optimalerweise zwischen dem vierten und sechsten Monat. Und: je konsequenter sie durchgeführt wird.
Erfolg nach fünf Monaten mit Helm rund um die Uhr
"Die ersten zwei bis drei Tage waren extrem schwierig. Es war warm unter dem Ding, es hat gestört, drehen ging gar nicht. Wir hatten ja auch Angst, weil das ja ziemlich fest ist, am Anfang. Wie fest zieht man das? Das war schwierig am Anfang. Aber dann hat sich das eingeregelt, dann ging‘s super eigentlich. Und ab dann: eigentlich 23 Stunden am Tag."

Sandra Birndt ist mit Bruno gekommen, zur Nachkontrolle. Noch vor einem Jahr, erzählt sie, sei der Kopf ihres Sohns so schief gewesen, dass er beim Liegen immer wieder in dieselbe Haltung rollte. Fünf Monate lang hat Bruno deshalb einen Helm getragen. Vom Ergebnis ist die Mutter beeindruckt – und ich auch: Eine Asymmetrie ist kaum noch zu sehen. Und trotzdem: Nur wirklich schwere Schädelverformungen sollten mit einem Helm behandelt werden, sagt Guido Fitze.
"Es ist durchaus nicht unproblematisch, im Sommer, dass ein Kind den ganzen Tag mit so einem Helm auf dem Kopf rumläuft. Es kann zum Hitzestau kommen. Es gibt auch Kollegen, die postulieren, dass das Kind Selbstbildstörungen behält, wenn es sich mit dem Helm sieht, dass es psychologische Begleitprobleme geben kann."
Begleitet werden sollten auf jeden Fall einige Eltern, die ganz unkritisch die Kopfform ihrer Kinder korrigieren lassen wollen. Weil sie den symmetrischen Normschädel einfach schöner finden.
"Ein sehr kleiner Anteil kommt auch und möchte eine Helmtherapie haben, das muss man auch sagen. Da geht’s dann darum, dass man in erster Linie die Eltern im Umgang mit dem Kind berät."