Spiegel gegenwärtiger Gesinnungsverhältnisse
Gegen die Ungerechtigkeiten der Finanzrise hatte die Occupy-Bewegung mobil gemacht. Doch nun scheint Occupy verschwunden. Was aus den Protesten geworden ist, untersuchen Peter Mörtenbeck und Helge Mooshammer und liefern eine genaue Analyse der Facetten dieser Bewegung.
Plötzlich spannt eine junge Protestbewegung ihr Netz über den ganzen Globus: Camps, Volksküchen, offene Bibliotheken und Universitäten, Guy Fawkes Masken, Vorträge, Spruchbänder und Debatten in New York, London, Frankfurt, Portland, Madrid, Hongkong und vielen Städten mehr. Mit der Besetzung des New Yorker Zuccotti Parks am 17. September 2011 tritt die "Occupy"-Bewegung unter dem Banner "Wir sind die 99 Prozent" zum ersten Mal in Erscheinung und damit eine internationale Lawine zivilgesellschaftlichen Protests los.
Das mediale Echo ist zunächst groß. Viele interessieren sich für diese neue Form des politischen Aktivismus. Die anfänglich ernsthafte Auseinandersetzung mit den Anliegen der Protestierenden weicht aber schnell den jeweiligen Diskussionen um die Duldbarkeit der Zeltstädte im urbanen Raum. Nach und nach werden die Camps geräumt.
Ein gutes Jahr später scheint nichts mehr übrig zu sein von der Occupy-Bewegung, nichts als die erneute Vergewisserung, dass Träume von einer besseren Welt an der scharfkantigen Realität platzen müssen wie schillernde Seifenblasen.
Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer sehen in ihrem Buch "Occupy, Räume des Protests" genauer hin und analysieren, welche Wirkung Occupy entfalten konnte und noch immer kann, wie und warum. Zu diesem Zweck nehmen sie unterschiedliche Perspektiven und Fragerichtungen auf die Bewegung ein.
Zunächst einmal geht es um die Motive der Bewegung: Wer versammelt sich da eigentlich auf den Plätzen? Der Slogan "Wir sind die 99 Prozent" signalisiert einen Anspruch auf die Repräsentation von Allgemeinwohl, das vom ein Prozent verletzt wird. Die Opposition gegenüber dem Finanzmarktkapitalismus und gegenüber dem wachsenden Zugriff von Marktinteressen der Schuldenwirtschaft auf immer mehr Lebensbereiche der Mittelschicht ist zwar der Ausgangspunkt des sich artikulierenden Protests; doch unklar ist, was die 99 Prozent eigentlich positiv eint.
Die Art des Protests - das Besetzen von urbanem Raum - und seine basisdemokratische Organisationsform stehen weiterhin im Fokus der Analyse und werden auf ihren symbolischen und utopischen Gehalt befragt.
Die Kategorie Raum ist hier von zentraler Bedeutung, weil sie nicht nur auf die physische Präsenz des Protests und den hiermit verbundenen Kampf um den Erhalt der Camps zielt, sondern auch auf den virtuellen Raum des Protests, auf Occupy im Internet. Die Nutzung neuer sozialer Medien führt zu einer ungekannten Spontaneität in der Mobilisierung von großen Menschenmengen, aber auch zu einer Flüchtigkeit des politischen Aktivismus, die Brückenschläge zu unvernetzten Gruppen erschwert.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit dem Wechselspiel zwischen der Occupy-Bewegung und Kunst als sozialer Interaktionsform. Die Autoren zeigen, welche Rolle Kunst sowohl für die Stabilisierung als auch für die Umdeutung des Common Sense spielt und wie Occupy auf einmal selbst zum Gegenstand musealer Archivierung wird.
Seinen Abschluss findet das Buch in einer Auseinandersetzung mit dem Potenzial der kurzlebigen Zeltstädte als Zukunftslaboratorien. Neben Raum wird hier vor allem die Kategorie Zeit als zentral für die Wirkmacht des Protests herausgestellt. Wider den oft erhobenen Vorwurf, Occupy sei daran gescheitert, eine konkrete Agenda zu setzen, gelingt es diesem Kapitel die Diversität und Mehrdeutigkeit der von Occupy verhandelten Inhalte als utopische Ressource und Strategie herauszustellen.
Trotz einer etwas unklaren Architektur überzeugt das Buch durch seine vielschichtige und ernsthafte Betrachtungsweise der Occupy-Bewegung sowohl in ihren inneren Widersprüchen, als auch als Spiegel gegenwärtiger Gesinnungsverhältnisse vor allem in den USA und Europa.
Besprochen von Simone Miller
Das mediale Echo ist zunächst groß. Viele interessieren sich für diese neue Form des politischen Aktivismus. Die anfänglich ernsthafte Auseinandersetzung mit den Anliegen der Protestierenden weicht aber schnell den jeweiligen Diskussionen um die Duldbarkeit der Zeltstädte im urbanen Raum. Nach und nach werden die Camps geräumt.
Ein gutes Jahr später scheint nichts mehr übrig zu sein von der Occupy-Bewegung, nichts als die erneute Vergewisserung, dass Träume von einer besseren Welt an der scharfkantigen Realität platzen müssen wie schillernde Seifenblasen.
Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer sehen in ihrem Buch "Occupy, Räume des Protests" genauer hin und analysieren, welche Wirkung Occupy entfalten konnte und noch immer kann, wie und warum. Zu diesem Zweck nehmen sie unterschiedliche Perspektiven und Fragerichtungen auf die Bewegung ein.
Zunächst einmal geht es um die Motive der Bewegung: Wer versammelt sich da eigentlich auf den Plätzen? Der Slogan "Wir sind die 99 Prozent" signalisiert einen Anspruch auf die Repräsentation von Allgemeinwohl, das vom ein Prozent verletzt wird. Die Opposition gegenüber dem Finanzmarktkapitalismus und gegenüber dem wachsenden Zugriff von Marktinteressen der Schuldenwirtschaft auf immer mehr Lebensbereiche der Mittelschicht ist zwar der Ausgangspunkt des sich artikulierenden Protests; doch unklar ist, was die 99 Prozent eigentlich positiv eint.
Die Art des Protests - das Besetzen von urbanem Raum - und seine basisdemokratische Organisationsform stehen weiterhin im Fokus der Analyse und werden auf ihren symbolischen und utopischen Gehalt befragt.
Die Kategorie Raum ist hier von zentraler Bedeutung, weil sie nicht nur auf die physische Präsenz des Protests und den hiermit verbundenen Kampf um den Erhalt der Camps zielt, sondern auch auf den virtuellen Raum des Protests, auf Occupy im Internet. Die Nutzung neuer sozialer Medien führt zu einer ungekannten Spontaneität in der Mobilisierung von großen Menschenmengen, aber auch zu einer Flüchtigkeit des politischen Aktivismus, die Brückenschläge zu unvernetzten Gruppen erschwert.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit dem Wechselspiel zwischen der Occupy-Bewegung und Kunst als sozialer Interaktionsform. Die Autoren zeigen, welche Rolle Kunst sowohl für die Stabilisierung als auch für die Umdeutung des Common Sense spielt und wie Occupy auf einmal selbst zum Gegenstand musealer Archivierung wird.
Seinen Abschluss findet das Buch in einer Auseinandersetzung mit dem Potenzial der kurzlebigen Zeltstädte als Zukunftslaboratorien. Neben Raum wird hier vor allem die Kategorie Zeit als zentral für die Wirkmacht des Protests herausgestellt. Wider den oft erhobenen Vorwurf, Occupy sei daran gescheitert, eine konkrete Agenda zu setzen, gelingt es diesem Kapitel die Diversität und Mehrdeutigkeit der von Occupy verhandelten Inhalte als utopische Ressource und Strategie herauszustellen.
Trotz einer etwas unklaren Architektur überzeugt das Buch durch seine vielschichtige und ernsthafte Betrachtungsweise der Occupy-Bewegung sowohl in ihren inneren Widersprüchen, als auch als Spiegel gegenwärtiger Gesinnungsverhältnisse vor allem in den USA und Europa.
Besprochen von Simone Miller
Peter Mörtenbeck und Helge Mooshammer: Occupy, Räume des Protests
transcript, Bielefeld 2012
200 Seiten, 18,80 Euro
transcript, Bielefeld 2012
200 Seiten, 18,80 Euro
Links auf dradio.de:
KritikMichael Hardt/Antonio Negri: "Wofür wir kämpfen", Frank Decker/Marcel Lewandowsky/Marcel Solar: "Demokratie ohne Wähler", Wolfgang Kraushaar: "Der Griff nach der Notbremse"
Wie der Staat menschliches Handeln beeinflusst - Kenneth Minogue: "Die demokratische Sklavenmentalität"
Studienräte und Rentner mucken auf- Franz Walter (Hg.): "Die neue Macht der Bürger" / Daniela Dahn: "Wir sind der Staat!"
Als die Massen politisch wurden - Jan-Werner Müller: "Das demokratische Zeitalter"