Spiegel in der Schattenwelt
Gundula Schulze Eldowy gilt als eine der radikalsten und mutigsten Fotografinnen der DDR. Sie ging in die Hinterhöfe, Wohnstuben, Fabriken und porträtierte Arbeiter, schräge Vögel, Trinker, Kranke, Vergessene. C/O Berlin zeigt ihre Fotos.
Gundula Schulze Eldowy: "Das Verrückte war, alle meine Freunde sind damals vom Prenzlauer Berg nach West-Berlin übergesiedelt. Ich hab das Gegenteil gemacht, ich bin noch tiefer in den Osten gezogen, nach Dresden."
Das war 1986. Gundula Schulze Eldowy, jung, unangepasst, neugierig, ist wegen ihrer ungeschönten Fotos im Visier der Stasi, sie flüchtete ins Tal der Ahnungslosen, wie man Dresden damals nannte. Dort entstand ihr Bilderzyklus "Der große und der kleine Schritt", jetzt bei C/O Berlin zu sehen.
Zum Beispiel dieses Foto aus einer verstaubten Fabrik: Auf einer kastenartigen Maschine sitzt ein Arbeiter, seine Hand umfasst einen Schaltknüppel, der Fuß drückt auf ein Pedal. Rechts neben der Maschine ein Kollege mit Gesichtsmaske, er hält einen Gasbrenner in die Luft. Die Szene wirkt wie aus einem sehr alten Science-Fiction-Film. Als Gundula Schulze Eldowy diesen Fabrikarbeitern begegnet, ist ihr bereits klar: Wenn sich etwas ändern soll, muss ich bei mir selbst anfangen.
"Die Fronten waren derartig erstarrt, dass ich mir gesagt habe, das kann nicht schlimmer werden und hab intuitiv etwas gemacht, dass mir heute erscheint wie so ein ritueller Gang durch die Stadt, ich hab nämlich gesagt, ich klopfe jetzt an die Türen, die alle zu sind und das hatte mehr symbolischen Wert, ich bin also ins Stahlwerk, ins Gummiwerk, in die Tischdeckenfabrik gegangen, in die Fischfabrik und hab gefragt, ob ich fotografieren kann."
Die Einzelgängerin interessiert sich für den Einzelnen. Und für Transformationen. Ein Bild zeigt ein Neugeborenes zwischen den gespreizten Beinen der Mutter, die Nabelschnur ist noch intakt. Nur ein paar Meter weiter: Abgetrennte Tierköpfe in einem Schlachthof. Und daneben: Ein Krebspatient auf dem OP-Tisch.
"Ich hab das nicht gemacht wie andere Fotografen, ich bin da nicht nur einen Tag durchgegangen, sondern war wochenlang da."
Die Tritte der Ausstellungsbesucher knarzen auf dem alten Turnhallenboden im ehemaligen Postfuhramt, in dem C/O Berlin angesiedelt ist. Der Putz platzt von den Wänden – und die Fotos in die Köpfe der Besucher. Die Laudatoren stehen längst auf der Bühne, als Gundula Schulze Eldowy in den Saal kommt.
Sie trägt ein fransiges Kleid, mehrere bunte Ketten bedecken die Brust, die Füße stecken in hellblauen Cowboystiefeln, die langen Haare fließen unter einem Cowboyhut hervor. Was alle wissen möchten: Warum diese drastischen Bilder?
"Wir können uns nicht selbst erkennen, wir brauchen Spiegel und nicht nur den richtigen Spiegel, sondern eben auch die anderen Menschen."
Gundula Schulze Eldowy wurde 1954 in Erfurt geboren. Als Mädchen liest sie Flaubert und Balzac. Mit 15 trampt sie nach Berlin. Sie spürt Freiheit, in den Ruinen der Stadt, mit Anfang 20 zieht sie nach Mitte. Ihre Diplomarbeit handelt von weiblicher Aktfotografie, wie sie in einem Dokumentarfilm beschreibt. Irgendwann trifft sie auch Lothar, den pockennarbigen Kauz aus der Nachbarschaft, oder Robert, der alte Zeitungen für ein paar Pfennige in den Berliner Hinterhöfen verkauft. Sie werden zu Helden ihrer Bilderserie "Berlin in einer Hundenacht".
"Ich finde, zu nichts eignete sich Berlin damals besser als zu einem Abstieg in die Unterwelt oder in die Hölle, und dazu gehörte es eben auch, in meine eigene Unterwelt zu gehen, und wenn ich dann später sage, ich bin nach Dresden gegangen und von Dresden nach New York und von New York nach Ägypten und dem Licht gefolgt, das ging nur, weil ich vorher in meine eigene Schattenwelt ging."
Noch zu DDR-Zeiten lernt Gundula Schulze Eldowy den schweizer-amerikanischen Fotografen Robert Frank kennen. Nach dem Mauerfall folgt sie seiner Einladung nach New York. Sie ist die erste ostdeutsche Künstlerin in der Community. Frank macht sie mit ihren fotografischen Vorbildern bekannt, etwa mit Diane Arbus. Bald bekommt sie eine Ausstellung im berühmten Museum of Modern Art.
Gundula Schulze Eldowy lebt heute sporadisch in Berlin. Ihre neue Heimat hat sie in einem Land gefunden, das für sie, wie das damalige Ost-Berlin, eine archäologische Stätte ist.
"Peru hat alles, es hat Meer, es hat Wüste, es hat Gebirge, es hat Dschungel, es ist ein so uraltes Land mit einer so uralten Kultur wie nichts Vergleichbares, was ich aus Europa kenne. Es befruchtet mich, es begeistert mich, ich fühle mich da sauwohl."
Mit den Ländern und der Zeit haben sich auch ihre Bilder verändert, sie sind malerischer geworden. Einige davon sind derzeit, ebenfalls bis Februar, im Kunstraum des Deutschen Bundestages zu sehen.
Informationen zur Ausstellung von C/O Berlin
Das war 1986. Gundula Schulze Eldowy, jung, unangepasst, neugierig, ist wegen ihrer ungeschönten Fotos im Visier der Stasi, sie flüchtete ins Tal der Ahnungslosen, wie man Dresden damals nannte. Dort entstand ihr Bilderzyklus "Der große und der kleine Schritt", jetzt bei C/O Berlin zu sehen.
Zum Beispiel dieses Foto aus einer verstaubten Fabrik: Auf einer kastenartigen Maschine sitzt ein Arbeiter, seine Hand umfasst einen Schaltknüppel, der Fuß drückt auf ein Pedal. Rechts neben der Maschine ein Kollege mit Gesichtsmaske, er hält einen Gasbrenner in die Luft. Die Szene wirkt wie aus einem sehr alten Science-Fiction-Film. Als Gundula Schulze Eldowy diesen Fabrikarbeitern begegnet, ist ihr bereits klar: Wenn sich etwas ändern soll, muss ich bei mir selbst anfangen.
"Die Fronten waren derartig erstarrt, dass ich mir gesagt habe, das kann nicht schlimmer werden und hab intuitiv etwas gemacht, dass mir heute erscheint wie so ein ritueller Gang durch die Stadt, ich hab nämlich gesagt, ich klopfe jetzt an die Türen, die alle zu sind und das hatte mehr symbolischen Wert, ich bin also ins Stahlwerk, ins Gummiwerk, in die Tischdeckenfabrik gegangen, in die Fischfabrik und hab gefragt, ob ich fotografieren kann."
Die Einzelgängerin interessiert sich für den Einzelnen. Und für Transformationen. Ein Bild zeigt ein Neugeborenes zwischen den gespreizten Beinen der Mutter, die Nabelschnur ist noch intakt. Nur ein paar Meter weiter: Abgetrennte Tierköpfe in einem Schlachthof. Und daneben: Ein Krebspatient auf dem OP-Tisch.
"Ich hab das nicht gemacht wie andere Fotografen, ich bin da nicht nur einen Tag durchgegangen, sondern war wochenlang da."
Die Tritte der Ausstellungsbesucher knarzen auf dem alten Turnhallenboden im ehemaligen Postfuhramt, in dem C/O Berlin angesiedelt ist. Der Putz platzt von den Wänden – und die Fotos in die Köpfe der Besucher. Die Laudatoren stehen längst auf der Bühne, als Gundula Schulze Eldowy in den Saal kommt.
Sie trägt ein fransiges Kleid, mehrere bunte Ketten bedecken die Brust, die Füße stecken in hellblauen Cowboystiefeln, die langen Haare fließen unter einem Cowboyhut hervor. Was alle wissen möchten: Warum diese drastischen Bilder?
"Wir können uns nicht selbst erkennen, wir brauchen Spiegel und nicht nur den richtigen Spiegel, sondern eben auch die anderen Menschen."
Gundula Schulze Eldowy wurde 1954 in Erfurt geboren. Als Mädchen liest sie Flaubert und Balzac. Mit 15 trampt sie nach Berlin. Sie spürt Freiheit, in den Ruinen der Stadt, mit Anfang 20 zieht sie nach Mitte. Ihre Diplomarbeit handelt von weiblicher Aktfotografie, wie sie in einem Dokumentarfilm beschreibt. Irgendwann trifft sie auch Lothar, den pockennarbigen Kauz aus der Nachbarschaft, oder Robert, der alte Zeitungen für ein paar Pfennige in den Berliner Hinterhöfen verkauft. Sie werden zu Helden ihrer Bilderserie "Berlin in einer Hundenacht".
"Ich finde, zu nichts eignete sich Berlin damals besser als zu einem Abstieg in die Unterwelt oder in die Hölle, und dazu gehörte es eben auch, in meine eigene Unterwelt zu gehen, und wenn ich dann später sage, ich bin nach Dresden gegangen und von Dresden nach New York und von New York nach Ägypten und dem Licht gefolgt, das ging nur, weil ich vorher in meine eigene Schattenwelt ging."
Noch zu DDR-Zeiten lernt Gundula Schulze Eldowy den schweizer-amerikanischen Fotografen Robert Frank kennen. Nach dem Mauerfall folgt sie seiner Einladung nach New York. Sie ist die erste ostdeutsche Künstlerin in der Community. Frank macht sie mit ihren fotografischen Vorbildern bekannt, etwa mit Diane Arbus. Bald bekommt sie eine Ausstellung im berühmten Museum of Modern Art.
Gundula Schulze Eldowy lebt heute sporadisch in Berlin. Ihre neue Heimat hat sie in einem Land gefunden, das für sie, wie das damalige Ost-Berlin, eine archäologische Stätte ist.
"Peru hat alles, es hat Meer, es hat Wüste, es hat Gebirge, es hat Dschungel, es ist ein so uraltes Land mit einer so uralten Kultur wie nichts Vergleichbares, was ich aus Europa kenne. Es befruchtet mich, es begeistert mich, ich fühle mich da sauwohl."
Mit den Ländern und der Zeit haben sich auch ihre Bilder verändert, sie sind malerischer geworden. Einige davon sind derzeit, ebenfalls bis Februar, im Kunstraum des Deutschen Bundestages zu sehen.
Informationen zur Ausstellung von C/O Berlin