"Dieser Bruch geht durch die Gesellschaft"
Der Konflikt zwischen Katalonien und der spanischen Regierung spitzt sich immer mehr zu. Der Spanien-Korrespondent des "Spiegel", Juan Moreno, erlebt, dass der Konflikt auch Freundeskreise spaltet.
Ute Welty: Der spanische Ministerpräsident muss sich über eines nicht beklagen: über mangelnde Solidarität in Europa. Deutschland, Frankreich und Italien betonten, man werde die verkündete Unabhängigkeit Kataloniens nicht anerkennen. Soweit der europäische Blick. Den spanischen können wir uns jetzt von Juan Moreno erklären lassen. Der Journalist, Buchautor und Moderator ist in Spanien geboren, derzeit arbeitet Juan Moreno als Korrespondent für den "Spiegel" in Spanien, um über die Auseinandersetzungen in der Katalonienkrise zu berichten, und die erfuhr ja eine erneute Eskalation, als das katalanische Regionalparlament jetzt für die Unabhängigkeit gestimmt hat. Madrid löste daraufhin das Parlament auf, setzte die katalanische Regierung ab und kündigte Neuwahlen an. Über diese jüngste Zuspitzung schreibt Juan Moreno im aktuellen "Spiegel", und mit uns spricht er darüber. Guten Morgen!
Juan Moreno: Hallo, guten Morgen!
Welty: In Ihrem aktuellen Text teilen Sie ziemlich aus, vor allem in Richtung Katalonien. Ist Ihnen das leichtgefallen, so eindeutig Position zu beziehen?
Moreno: Um die Wahrheit zu sagen, ich ging vor einiger Zeit noch relativ emotionslos an die Sache ran. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, meine Familie lebt zwar zu nicht unerheblichen Teilen in Barcelona, aber mir war das, ehrlich gesagt, relativ egal, und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr bin ich der Meinung, dass gerade die katalanische Regierung – und man kann ja nicht sagen, die Katalanen, weil je nachdem, welche Umfragen man sich anschaut, man muss ohnehin sehr vorsichtig sein, es kann, wenn überhaupt, von einer sehr, sehr knappen Mehrheit gesprochen werden, die die katalanische Regierung hinter sich hat, wenn überhaupt – viele bezweifeln das –, dann bleibt einem einfach irgendwann die Spucke weg.
Die basieren zum Beispiel gerade ihre gestrige Unabhängigkeitserklärung auf einem Referendum, das die Berichterstatter, die die katalanische Regierung selbst eingestellt hat und die internationalen Beobachter für nicht zulässig erklärt haben, und wir reden von einer Regierung, die 48 Prozent der Stimmen bei den letzten Wahlen geholt hat, da fällt es einem einfach schwer, Verständnis für diese Schritte zu haben.
"Irgendwann für Fakten nicht mehr zugänglich"
Welty: Dass die Situation eine journalistische Herausforderung darstellt, ist klar, aber wie groß ist die persönliche Belastung, denn wie immer das jetzt auch weitergeht, es ist ja schon viel spanisches Porzellan zerschlagen worden?
Moreno: Ja. Wir sprechen von einer gespaltenen Gesellschaft, gar nicht so sehr außerhalb Kataloniens, weil da sind die meisten tatsächlich der Meinung, dass das nicht geht, dass man nicht sagen kann, wir lösen uns vom Rest Spaniens, ohne tatsächlich eine rechtliche Basis zu haben, ganz geschweige davon, dass die Verfassung das so nicht vorsieht, sondern in Katalonien selbst – ich sprach ja gerade auch schon an –, das es eben mitnichten gesagt ist, dass die Mehrheit der Katalanen dafür ist, und man würde doch denken, dass so eine wichtige Entscheidung, wenn in Deutschland eine große, wichtige Entscheidung ansteht, die jetzt Generationen betreffen wird, dann sieht das Grundgesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit vor, damit eine breite Mehrheit der Meinung ist, also diese Entscheidung unterstützt und der Meinung ist, das ist richtig, was wir da tun. Das gibt es in Katalonien nicht, und das zerrüttet Familien, das zerrüttet Freundschaften.
Ich habe vor einiger Zeit, also vor vielleicht einer Woche, mit einem Unternehmensberater gesprochen, einen sehr analytischen, eher kühlen Typ, der kam zum Interview, war völlig fertig, weil er gerade eine E-Mail bekommen hatte von einem langjährigen Schulfreund aufgrund der Debatte, die sie am Abend davor in einer Kneipe gehabt hatten, und der hat ihm dann geschrieben, pass auf, ich habe gestern einen Freund verloren und dafür aber ein Land gewonnen, und dieser Unternehmensberater konnte die Welt nicht mehr verstehen, und das passiert gerade in Katalonien. Dieser Bruch geht durch die Gesellschaft, und da enden Abendessen unter Freunden in unglaublichen Diskussionen, weil die einen sagen, es ist richtig, was die Regierung in Katalonien macht, und die andere Seite sagt, ihr seid doch komplett verrückt.
Welty: Können Sie es noch erklären? Ist eine gemeine Frage, ich gebe es zu!
Moreno: Es ist so, ich glaube, es ist mittlerweile bei vielen Katalanen, die für die Unabhängigkeit sind, die sind ja nicht dämlich. Es ist ja nicht so, dass die nicht sehen, dass Europa ihnen komplett im Set sagt, das ist verrückt, was ihr tut, wir werden euch nicht unterstützen. Wir wissen, dass Katalonien eine Region ist, eine sehr wohlhabende Region in Spanien, die aber unglaublich vom Handel mit Europa abhängt, die vom Tourismus abhängt, und jetzt gehen die auf die Straße, demonstrieren für neue Grenzen und wollen gewissermaßen Grenzzäune errichten und sich gegenseitig dann wahrscheinlich mit Spanien dann Zölle abnehmen.
Sie wissen, dass in den letzten …, sagen wir mal vor vier Wochen gab es noch sechs Unternehmen, die dem spanischen Ibex angehörten. Das ist das Pendant zum deutschen Dax. Da gab es von den 35 Firmen, die dort gelistet sind, sieben, die in Katalonien ihren Hauptsitz hatten. Mittlerweile ist das nur noch eine. 30 Prozent des Bruttosozialprodukts, der Leistungsfähigkeit des Bruttosozialprodukts Kataloniens hat in den letzten zwei Wochen den Hauptsitz nach Restspanien verlegt. Das ist kompletter Wahnsinn. Die Katalanen, die jetzt für die Unabhängigkeit sind, die wollen diese Fakten nicht mehr hören. Das ist so ein bisschen, kann man sich vielleicht vorstellen, wie beim Brexit, dass man den Leuten vorgerechnet hat, dass man vielleicht außerhalb der Europäischen Union als Brite eben nicht so einen guten Deal bekommen wird wie innerhalb der Europäischen Union, dass man darunter leiden wird oder dass man vielleicht einen Talkshow Host wie Donald Trump nicht zum Präsidenten machen sollte.
Das ist aber … Es reicht in dieser Debatte, und es ist, glaube ich, echt ein Phänomen, dass es nicht nur in Katalonien gibt: Irgendwann kommt der Punkt, wo man für Fakten einfach nicht mehr zugänglich ist und sagt, es ist mir egal, ich fühle es anders, ich fühle mich Katalane, und es ist mir ganz gleich, was mit meiner Wirtschaft passiert. Ich glaube, in ein, zwei Jahren ist es ihnen nicht mehr ganz gleich, aber in dem Moment ist man gewissermaßen bockig und sagt, ich lass mir überhaupt nichts mehr erzählen, ich glaube euch gar nichts mehr, und ich zieh das jetzt durch. Ich glaube, in so einer Bockigkeitsphase gibt es nicht wenige der Befürworter der Unabhängigkeit in Katalonien gerade.
Landet Puigdemont im Gefängnis?
Welty: Was bedeutet das jetzt für den Verlauf der nächsten Tage? Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, einen Hebel anzusetzen, um zu deeskalieren?
Moreno: Also ich sehe, ganz ehrlich, Carles Puigdemont, den Präsidenten Kataloniens, der Regionalregierung, den sehe ich im Gefängnis. Er wurde gestern abgesetzt. Es gibt tatsächlich auch schon Pläne, dass er ins Exil nach Frankreich geht. Angeblich stehen schon Villen bereit, wo er dann vom Ausland her gewissermaßen dann sich weiter einsetzen kann für die Sache. Ich sehe derzeit … Ich sehe die Hoffnung, dass die spanische Regierung vom 1. Oktober gelernt hat. Am 1. Oktober gab es dieses Referendum, die spanische Regierung in Madrid hat daraufhin massive Polizeipräsenz gezeigt, und es kam zu furchtbaren Ausschreitungen. Die Wahrheit ist natürlich auch, diese Ausschreitungen – ich war ja vor Ort –, natürlich gab es auch Provokationen von Seiten der katalanischen Befürworter, gerade von jüngeren Leuten, die die Polizisten dann teilweise auch bespuckt haben und beworfen haben, trotzdem entschuldigt das nicht, dass es zu diesen Prügelorgien kam. Ich glaube aber, dieser 1. Oktober hat der spanischen Regierung gezeigt, dass man extrem vorsichtig sein muss. Wir haben es ja gerade auch im Beitrag gehört: Tusk hat ja auch gesagt, wenn er eins gelernt hat, ist, dass Gewalt keine Lösung ist, und ich glaube, dass die spanische Regierung sehr genau gucken wird, was sie macht.
Sie hat ja angekündigt, bereits am 21. Dezember, das ist ja nicht mehr so wahnsinnig lang hin, soll es Neuwahlen geben, und die Hoffnung ist, jedenfalls von Seiten von Madrid, dass die Katalanen bis dahin ein wenig zur Vernunft kommen und dass sie tatsächlich einfach sehen – wie gesagt, ich glaube, es sind 1.800 Firmen mittlerweile, die den Hauptsitz verlegt haben –, dass die breite Masse beziehungsweise mehr als die Hälfte der Katalanen einfach sagt, das ist ein Irrsinn, den wir hier begehen, vielleicht sollten wir gucken, ob wir nicht diese Dynamik, die wir ohne Frage kreiert haben …, und auch die Bereitschaft, die aus Madrid signalisiert wurde, durchaus auch langfristig über einen Finanzausgleich, vielleicht über noch mehr Autonomie …, wobei für deutsche Verhältnisse, es gibt kaum noch Autonomierechte, die man den Katalanen geben könnte. Der letzte Schritt, der noch fehlt, ist, dass man ihnen gewissermaßen dieselben Rechte einräumt wie den Basken, wo man das Problem ja auch hatte. Die Schwierigkeit ist aber, und darum ist diese Debatte so schwierig, die Basken liefern sechs Prozent des Bruttosozialprodukts Spaniens, die Katalanen 20 Prozent. Die Frage ist, kann sich Madrid überhaupt leisten, denen die Steuern, die sie selbst produzieren, zu überlassen oder braucht Spanien nicht – oder Madrid in dem Falle – das Geld wirklich dringend, um den Rest Spaniens auch mitzufinanzieren. Also das ist die …
Welty: Eine Frage, die wir, glaube ich, beim nächsten Mal noch mal besprechen und aufgreifen werden. Wir sind da noch nicht am Ende. Ich sehe das schon!
Moreno: Ja, ich befürchte ja!
Welty: Der Journalist und Autor Juan Moreno im "Studio 9"-Gespräch über spanische Gefühle in der spanischen Krise. Herr Moreno, haben Sie herzlichen Dank für diese Einblicke!
Moreno: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.