Spiegelkabinett der Moderne
Ein Mann legt sich sein erstes Handy zu und erhält damit unversehens die Eintrittskarte in ein anderes Leben, denn er wird ständig von fremden Menschen angerufen. Ein verwirrter Internetblogger wünscht sich nichts sehnlicher, als einmal Romanfigur zu sein. Eine Krimiautorin geht auf einer abenteuerlichen Reise in Zentralasien verloren. In neun Episoden gelingt Daniel Kehlmann in "Ruhm" ein raffiniertes Spiel mit Realität und Fiktion, elektronischer und realer Welt.
Nach dem historischen Roman "Die Vermessung der Welt" kehrt Daniel Kehlmann an die vorderste Front der Gegenwart zurück, zur modernen Laptop- und Handy-Existenz, immer unterwegs und trotzdem jederzeit erreichbar. Es ist ein Zyklus von neun Geschichten mit starken Verflechtungstendenzen zum Roman.
So schlicht der Stil zunächst daherkommt - dieses Buch ist ein nabokovianisch vertracktes Spiegelkabinett, eine Erzählbühne mit doppeltem und dreifachem Boden. Gemeinsam ist den Geschichten, dass sie von irritierenden Erfahrungen des Selbstverlustes erzählen und zugleich von den Tücken und Funktionsstörungen der vernetzten Welt.
Da legt sich ein Mann sein erstes Handy zu und erhält damit unversehens die Eintrittskarte in ein anderes Leben. Denn er wird ständig von fremden Menschen angerufen; offenbar wurde die Nummer doppelt vergeben. Nach anfänglicher Irritation lässt er sich auf das Spiel mit der fremden Rolle ein.
In einer korrespondierenden Geschichte passiert dem Schauspieler Ralf Tanner genau das Gegenteil: Anrufe bleiben aus, und langsam erlebt er die feindliche Übernahme seiner Existenz durch einen Tanner-Imitator. Wobei am Ende gar nicht mehr sicher ist, wer hier als Fälschung und wer als Original auftritt.
Wie Hohn auf die globalisierte Welt liest sich die albtraumhafte Geschichte "Osten", in der die Kriminalschriftstellerin Maria Rubinstein an einer Journalistenreise durch einen vergessenen asiatischen Winkel teilnimmt, eine komödienhafte Diktatur, in der der Fortschritt gepriesen wird und die Rückständigkeit hoffnungslos ist. Es ist eine Tour de force voller Missverständnisse und Pannen, bei der Maria Rubinstein schließlich der Welt abhanden kommt.
Kehlmann wechselt ständig die Stimmen und Tonlagen, bis hin zum grotesk übersteuerten Bloggerslang von "Ein Beitrag zur Debatte". Hier erzählt der schwer gestörte Internet-Nerd und manische Foren-Kommentator Mollwitz die desaströse Geschichte seines Auftritts in der wirklichen Welt. Es ist eine schwarze Satire auf die "demokratische" Kommunikationsgemeinschaft im Netz - ein virtueller Mob, angetrieben von Paranoia und Geltungssucht.
Zu den durchgehenden Motiven gehört die Verwandlung der Welt in Text und Literatur. Während Mollwitz sich danach verzehrt, sein unscheinbares Leben in einem Buch des Schriftstellers Leo Richter wiederzufinden, hadert die krebskranke Heldin der grandiosen Erzählung "Rosalie geht sterben" mit dem Schicksal, das ihr der Autor - auch hier: Leo Richter - zugewiesen hat. Auch Richters Freundin Elisabeth verbittet es sich, als literarische Figur verwertet zu werden, muss dann aber bei ihrem zweiten Auftritt feststellen, dass sie sich mitten in einer seiner Geschichten befindet.
Auch der Leser hatte sich bereits gewundert, warum der selbstbezogene Schriftsteller, den er zuvor als übervorsichtigen Zeitgenossen kennengelernt hatte, in der letzten Erzählung - mitten in einem afrikanischen Krisengebiet! - so cool und souverän agiert wie ein Hemingway-Held. Solch gleitender Wechsel der Ebenen produziert immer wieder subtile Komik.
Und natürlich geht es um Ruhm. Das ist mehr als die kokette Aufbereitung der Leiden der Prominenz. Figuren wie Leo Richter, Ralf Tanner und Miguel Auristos Blancos, Verfasser spiritueller Weltbestseller und eine an den Rand des Selbstmords geschickte Coelho-Parodie, dienen Kehlmann zur Auseinandersetzung mit den Schimären der Öffentlichkeit und den Mechanismen kollektiver Sehnsüchte. Im Verlauf ihrer Karrieren werden die Stars zur menschlichen Fracht unberechenbarer Kommunikationsströme - auch sie werden sich selbst unwirklich.
"Ruhm" ist ein hoch intelligentes Buch und zugleich ein Lesevergnügen, das auf Seite 203 nicht zu ende ist. Denn gleich beginnt man wieder von vorn und liest die Geschichten ein zweites oder drittes Mal, um mit erweitertem Blick neue Entdeckungen zu machen - seien es weitere Binnenverknüpfungen der Erzählungen oder externe literarische Anspielungen wie der unheimliche Taxifahrer mit dem "öligen Lächeln", der in zwei Geschichten vorkommt und an die Hadesführer in Thomas Manns "Tod in Venedig" erinnert. Er weiß ganz genau, wozu wir "all dies Elektrische" in den Taschen haben.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten
Rowohlt Verlag, Reinbek 2009
203 Seiten, 18,90 Euro
So schlicht der Stil zunächst daherkommt - dieses Buch ist ein nabokovianisch vertracktes Spiegelkabinett, eine Erzählbühne mit doppeltem und dreifachem Boden. Gemeinsam ist den Geschichten, dass sie von irritierenden Erfahrungen des Selbstverlustes erzählen und zugleich von den Tücken und Funktionsstörungen der vernetzten Welt.
Da legt sich ein Mann sein erstes Handy zu und erhält damit unversehens die Eintrittskarte in ein anderes Leben. Denn er wird ständig von fremden Menschen angerufen; offenbar wurde die Nummer doppelt vergeben. Nach anfänglicher Irritation lässt er sich auf das Spiel mit der fremden Rolle ein.
In einer korrespondierenden Geschichte passiert dem Schauspieler Ralf Tanner genau das Gegenteil: Anrufe bleiben aus, und langsam erlebt er die feindliche Übernahme seiner Existenz durch einen Tanner-Imitator. Wobei am Ende gar nicht mehr sicher ist, wer hier als Fälschung und wer als Original auftritt.
Wie Hohn auf die globalisierte Welt liest sich die albtraumhafte Geschichte "Osten", in der die Kriminalschriftstellerin Maria Rubinstein an einer Journalistenreise durch einen vergessenen asiatischen Winkel teilnimmt, eine komödienhafte Diktatur, in der der Fortschritt gepriesen wird und die Rückständigkeit hoffnungslos ist. Es ist eine Tour de force voller Missverständnisse und Pannen, bei der Maria Rubinstein schließlich der Welt abhanden kommt.
Kehlmann wechselt ständig die Stimmen und Tonlagen, bis hin zum grotesk übersteuerten Bloggerslang von "Ein Beitrag zur Debatte". Hier erzählt der schwer gestörte Internet-Nerd und manische Foren-Kommentator Mollwitz die desaströse Geschichte seines Auftritts in der wirklichen Welt. Es ist eine schwarze Satire auf die "demokratische" Kommunikationsgemeinschaft im Netz - ein virtueller Mob, angetrieben von Paranoia und Geltungssucht.
Zu den durchgehenden Motiven gehört die Verwandlung der Welt in Text und Literatur. Während Mollwitz sich danach verzehrt, sein unscheinbares Leben in einem Buch des Schriftstellers Leo Richter wiederzufinden, hadert die krebskranke Heldin der grandiosen Erzählung "Rosalie geht sterben" mit dem Schicksal, das ihr der Autor - auch hier: Leo Richter - zugewiesen hat. Auch Richters Freundin Elisabeth verbittet es sich, als literarische Figur verwertet zu werden, muss dann aber bei ihrem zweiten Auftritt feststellen, dass sie sich mitten in einer seiner Geschichten befindet.
Auch der Leser hatte sich bereits gewundert, warum der selbstbezogene Schriftsteller, den er zuvor als übervorsichtigen Zeitgenossen kennengelernt hatte, in der letzten Erzählung - mitten in einem afrikanischen Krisengebiet! - so cool und souverän agiert wie ein Hemingway-Held. Solch gleitender Wechsel der Ebenen produziert immer wieder subtile Komik.
Und natürlich geht es um Ruhm. Das ist mehr als die kokette Aufbereitung der Leiden der Prominenz. Figuren wie Leo Richter, Ralf Tanner und Miguel Auristos Blancos, Verfasser spiritueller Weltbestseller und eine an den Rand des Selbstmords geschickte Coelho-Parodie, dienen Kehlmann zur Auseinandersetzung mit den Schimären der Öffentlichkeit und den Mechanismen kollektiver Sehnsüchte. Im Verlauf ihrer Karrieren werden die Stars zur menschlichen Fracht unberechenbarer Kommunikationsströme - auch sie werden sich selbst unwirklich.
"Ruhm" ist ein hoch intelligentes Buch und zugleich ein Lesevergnügen, das auf Seite 203 nicht zu ende ist. Denn gleich beginnt man wieder von vorn und liest die Geschichten ein zweites oder drittes Mal, um mit erweitertem Blick neue Entdeckungen zu machen - seien es weitere Binnenverknüpfungen der Erzählungen oder externe literarische Anspielungen wie der unheimliche Taxifahrer mit dem "öligen Lächeln", der in zwei Geschichten vorkommt und an die Hadesführer in Thomas Manns "Tod in Venedig" erinnert. Er weiß ganz genau, wozu wir "all dies Elektrische" in den Taschen haben.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten
Rowohlt Verlag, Reinbek 2009
203 Seiten, 18,90 Euro