Spiel mit der Phantasie

Von Hartmut Krug |
Heimliche Rollenspiele sind das Mittel, mit dem "Die Zofen" in Jean Genets Stück ihre Situation als Dienerinnen einer zuweilen recht herrischen Gnädigen Frau verarbeiten. Luc Bondys Inszenierung bei den Wiener Festwochen überzeugt allerdings nicht: Die Darsteller spielen bloß routiniert und es gibt keinen Spannungsaufbau.
"Die Zofen" wurden nach ihrer Uraufführung im Jahr 1947 zu einem Skandalstück wegen Jean Genets unterschwelliger Bewunderung für die Schönheit einer elegant zelebrierten Brutalität. Und die von einem realen Mordfall angeregte Geschichte über zwei Schwestern, die sich in Liebe und Hass ihrer Herrin unterwerfen, ihr zugleich aber auch nach dem Leben trachten, faszinierte wegen seiner psychologischen Raffinesse.

Denn die Zofen erkämpfen sich den Aufstieg in der gesellschaftlichen Hierarchie in heimlichen Rollenspielen, wenn auch nur in der Phantasie, indem sie die Situation zwischen Herrin und Dienerinnen nachspielen und damit zu bewältigen suchen.

Heute hat das Stück all seine Aura des Tabubruchs, vor allem aber sein Provokationspotenzial verloren, und selbst Inszenierungen, die den scheiternden Aufstand der Schwestern, bei der eine der Zofen schließlich sich selbst statt der Herrin vergiftet, politisch zu interpretieren suchten, machten es nicht mehr lebendig. So fristen Genets "Die Zofen" mittlerweile ihr Bühnenleben als dankbares Spielmaterial für drei gestandene Schauspielerinnen.

Auch Luc Bondy hat bei den Wiener Festwochen "Die Zofen" nur als Rollenfutter für drei gute Schauspielerinnen genommen, irgendeine tiefere Interpretation ist hinter seinen soliden Arrangements nicht zu erkennen. Obwohl ihm der seit langem wieder einmal aktive, mittlerweile legendäre Schaubühnendramaturg Dieter Sturm eine Fassung hergestellt hat, die die Kontraste zwischen Reinheit und Schmutz, zwischen Identität und Rollenspiel geschickt zuspitzt, zieht sich die Aufführung in sämig ausgemaltem realistischem Biederstil recht spannungslos dahin.

Auf viel zu großer Bühne, die Bert Neumann für diese Koproduktion mit der Berliner Volksbühne als ein 60er-Jahre-Boudoir nur funktional statt ästhetisch beeindruckend ausgestattet hat, spielen alle so, wie es Jean Paul Sartre in seinem Essay über das Stück geschrieben hat: Jeder Schauspieler muss die Rolle einer Figur spielen, die eine Rolle spielt.

Die Zofen sind immer andere, während die Herrin sie selber bleibt, aber eine gesellschaftliche Rolle spielt und der falschen Unterwerfung der Zofen mit falscher Zärtlichkeit begegnet. So, wenn sie großmütig ihre Kleider an die Zofen verschenkt, weil ihr Geliebter, der nie auftretende Gnädige Herr, im Gefängnis sitzt:

"Gnädige Frau: Ihr habt Glück, dass man euch Kleider schenkt. Ich muss sie mir kaufen, wenn ich welche will. Aber ich werde noch prächtigere bestellen, damit der Trauerzug für den gnädigen Herrn noch glänzender ausfällt.
Claire: Die gnädige Frau ist schön.
Gnädige Frau: Nein, nein, bedankt euch nicht."


Claire spielt, dass sie Madame ist, und Solange spielt, dass sie Claire ist. Das Ganze ist ein Ritual, dass im Mord enden soll. Was wir bei Luc Bondy sehen, ist das Ritual der Routine. Dabei gibt Caroline Peters ohne all ihre in Pollesch-Inszenierungen gewonnene Überdrehtheit eher zurückhaltend eine im Rollenspiel als Herrin zwischen Lust und Verzweiflung schwankende Zofe Claire, und auch Sophie Rois, die als Solange in die Rolle ihrer Schwester schlüpft, bleibt sehr verhalten, wenn sie ihren üblichen Part als rotzig-direkte, aggressiv zielgerichtete und witzige Person ausstellt.

Wie die beiden anfangs in Unterwäsche still miteinander tanzen, wie sie dann ineinander verhakt auf dem Bett liegen, um dann doch zu streiten, über die richtige Darstellung der Gefühle der Herrin wie beim Streit um den Milchmann, aber auch über das richtige Verhalten gegenüber der Herrin in der Realität, das ist zwar sehr genau ausgemalt, doch es fasziniert nicht. Weil es mehr an Ibsens psychologisch-realistische Erklärweise denn an Genet Verrätselungen psychologischer Abgründe gemahnt.

Wir erleben nur routinierte Schauspielerei, die Rollenspiele vorführt, ohne die existenziellen Konflikte der Schwestern mit Genets Text für heute noch oder neu zu beglaubigen. Auch existiert kein rechtes Timing, kein Spannungsaufbau in dieser gleichförmig dahinfließenden Inszenierung gibt.

Nur wenn Edith Clever als die Gnädige Frau auf die Bühne stolziert, wird es wirklich Theater, manchmal sogar großes Theater. Wie Edith Clever mit einer Armbewegung echte Haltung und falsches Gefühl zugleich auszudrücken vermag, wie sie ihre Texte moduliert und zelebriert, das gibt ihrer Figur echte Bühnenaura. Man schaut ihr gerne zu, selbst wenn man auch von ihrer Figur inhaltlich nicht überzeugt wird .

Das Publikum im kammerspielartig kleinen Theater Akzent spendete den Schauspielerinnen solidarisch-freundlichen Applaus, während Regisseur Luc Bondy etliche Buhs quittieren musste.

Die Zofen
Von Jean Genet
Inszenierung: Luc Bondy
Wiener Festwochen