Spielarten des Schattens
Das Museum Thyssen-Bornemisza zeigt derzeit in Madrid eine Ausstellung über den Schatten in der Kunst von der Renaissance bis zur Gegenwart. Plinius der Ältere hatte schon in der Antike festgehalten, dass der Schatten nichts anderes sei als der Ursprung der Malerei. Zu sehen sind Bilder von Claude Monet bis Giorgio de Chirico.
Kaum anders als paradox kann man es nennen, dass es eine solche Ausstellung nicht längst gegeben hat. Denn der Schatten, so hat es Plinius der Ältere in seiner "Naturgeschichte" bereits in der Antike festgehalten, war nichts anderes als der Ursprung der Malerei. Jenes Mädchen aus Korinth freilich, das den Umriss des Geliebten auf einer Wand nachzeichnete, um in der bevorstehenden Zeit der Trennung wenigstens ein Abbild des jungen Mannes vor sich zu haben, es geriet regelrecht in Vergessenheit, und zwar für Jahrhunderte. Der Kunsthistoriker Victor Stoichita, Verfasser einer vielbeachteten "Kurzen Geschichte des Schattens", ist der Kurator dieser Ausstellung:
"Es gibt kaum nennenswerte Kommentare. Die ersten ikonographischen Kommentare, die ersten Bilder zu diesem Mythos, wie wir hier eines aus der Schule von Murillo zeigen, stammen aus dem 17. Jahrhundert. Recht eigentlich aber gehören die Darstellungen dieses Mythos ins 18. Jahrhundert." (Übersetzung)
Eine Gruppe von fünf Gemälden, die diese Ursprungsszene der Malerei zeigen, eröffnet die Ausstellung. Unter ihnen ist eine Darstellung von Joseph Benoit Suvée, die rund 200 Jahre später, am Ende des 20. Jahrhunderts, sichtlich als Inspirationsquelle für das russische Maler-Duo Vitali Komar und Alexander Melamid diente. Hier erscheint Stalin in weißer Gala-Uniform als junger Geliebter, der Titel des Bildes "Der Ursprung des Sozialistischen Realismus" ist ein ironisches Glanzlicht mitten in dieser Hommage an die Gründungsszene der Malerei. Aber gleich nach diesem Auftakt widmet sich die Ausstellung in chronologischer Seriosität ihrem Thema.
Stoichita: "Der Schatten selbst wird in der Geschichte der Malerei so gut wie vergessen, das gilt für das gesamte Mittelalter. Die Malerei sucht hier das Spiel mit dem Licht, mit Transparenzen, es fehlt die Körperlichkeit. Der Schatten, das heißt auch: Volumen, Raum, Körper. All das wird nach dem Ende des Mittelalters eine Rolle spielen, in der Renaissance. Hier beginnt das Spiel mit den Perspektiven, Raum und Körper erhalten eine andere Dimension." (Übersetzung)
Das finstere Mittelalter, das vielleicht gerade darum die Schatten in der Malerei vermied, wird folglich ausgelassen, es geht von der Renaissance über Barock, Romantik, Symbolismus und Impressionismus bis zum modernen Realismus, zum Surrealismus und zur Pop Art. Die Biederkeit der Chronologie lässt den Gedanken aufkommen, dass sich Schatten letztlich noch auf fast jedem Gemälde finden lassen, so dass die Auswahl am Ende geradezu beliebig sein könnte. Aber das stimmt nicht: Die außerordentliche Qualität der Werke, die hier versammelt sind, rechtfertigt sowohl das Konzept als auch die etwas steife Chronologie.
Das Barock-Gemälde von Jean Leclerc, einem Maler aus dem Umfeld Caravaggios, ist ein Beispiel dafür. Während das untere Drittel jene Szene darstellt, in der Petrus seinen Meister Jesus verleugnet, werden die oberen zwei Drittel der Bildfläche dominiert von kämpfenden, chimärenhaften Gestalten, deren Schatten die dämonische Düsternis der Szene bis zur Unerträglichkeit steigern. Es ist nicht nur für seine Zeit ein sensationelles Bild, auch dass es sich in privater Hand befindet und kaum je öffentlich gezeigt wurde, macht es zu einer kleinen Sensation. In der Impressionismus-Abteilung sind es Bilder von Claude Monet oder Alfred Sisley, die Victor Stoichita eine etwas andere Wahrnehmung eingeben.
Stoichita: "In dieser Malerei, die gemeinhin und irrtümlich als reines Spiel der Farbe und des Lichts gesehen wird, ist der Schatten ein fester Bestandteil. Ein sehr ausbalancierter Bestandteil, denn es ist immer ein kolorierter Schatten. Formal fällt auf, dass der Schatten auf impressionistischen Bildern sehr oft von außen ins Bild fällt, von Objekten, die auf dem Bild selbst nicht zu sehen sind. Der Schatten wirkt wie ein Bindeglied zwischen Bildinhalt und Bild-Äußerem. Die hier versammelten Bilder könnten dazu beitragen, dass man auf neue Ideen bei der Interpretation von impressionistischen Werken stößt." (Übersetzung)
Der Fundus der Spielarten des Schattens hat sich im 20. Jahrhundert noch erweitert. Bei de Chirico wird er zum Ausdruck einer metaphysischen Angst, aus der Bildsprache der Surrealisten ist er nicht wegzudenken, Gerhard Richter stilisiert ihn fast zum Spiegelbild und leitet über zur fein herausgearbeiteten Foto-Abteilung, die Klassiker wie Man Ray oder Alexander Rodtschenko zeigt. Der Schatten in der Kunst, er wird in dieser Ausstellung auf eine faszinierende Weise ausgeleuchtet.
"Es gibt kaum nennenswerte Kommentare. Die ersten ikonographischen Kommentare, die ersten Bilder zu diesem Mythos, wie wir hier eines aus der Schule von Murillo zeigen, stammen aus dem 17. Jahrhundert. Recht eigentlich aber gehören die Darstellungen dieses Mythos ins 18. Jahrhundert." (Übersetzung)
Eine Gruppe von fünf Gemälden, die diese Ursprungsszene der Malerei zeigen, eröffnet die Ausstellung. Unter ihnen ist eine Darstellung von Joseph Benoit Suvée, die rund 200 Jahre später, am Ende des 20. Jahrhunderts, sichtlich als Inspirationsquelle für das russische Maler-Duo Vitali Komar und Alexander Melamid diente. Hier erscheint Stalin in weißer Gala-Uniform als junger Geliebter, der Titel des Bildes "Der Ursprung des Sozialistischen Realismus" ist ein ironisches Glanzlicht mitten in dieser Hommage an die Gründungsszene der Malerei. Aber gleich nach diesem Auftakt widmet sich die Ausstellung in chronologischer Seriosität ihrem Thema.
Stoichita: "Der Schatten selbst wird in der Geschichte der Malerei so gut wie vergessen, das gilt für das gesamte Mittelalter. Die Malerei sucht hier das Spiel mit dem Licht, mit Transparenzen, es fehlt die Körperlichkeit. Der Schatten, das heißt auch: Volumen, Raum, Körper. All das wird nach dem Ende des Mittelalters eine Rolle spielen, in der Renaissance. Hier beginnt das Spiel mit den Perspektiven, Raum und Körper erhalten eine andere Dimension." (Übersetzung)
Das finstere Mittelalter, das vielleicht gerade darum die Schatten in der Malerei vermied, wird folglich ausgelassen, es geht von der Renaissance über Barock, Romantik, Symbolismus und Impressionismus bis zum modernen Realismus, zum Surrealismus und zur Pop Art. Die Biederkeit der Chronologie lässt den Gedanken aufkommen, dass sich Schatten letztlich noch auf fast jedem Gemälde finden lassen, so dass die Auswahl am Ende geradezu beliebig sein könnte. Aber das stimmt nicht: Die außerordentliche Qualität der Werke, die hier versammelt sind, rechtfertigt sowohl das Konzept als auch die etwas steife Chronologie.
Das Barock-Gemälde von Jean Leclerc, einem Maler aus dem Umfeld Caravaggios, ist ein Beispiel dafür. Während das untere Drittel jene Szene darstellt, in der Petrus seinen Meister Jesus verleugnet, werden die oberen zwei Drittel der Bildfläche dominiert von kämpfenden, chimärenhaften Gestalten, deren Schatten die dämonische Düsternis der Szene bis zur Unerträglichkeit steigern. Es ist nicht nur für seine Zeit ein sensationelles Bild, auch dass es sich in privater Hand befindet und kaum je öffentlich gezeigt wurde, macht es zu einer kleinen Sensation. In der Impressionismus-Abteilung sind es Bilder von Claude Monet oder Alfred Sisley, die Victor Stoichita eine etwas andere Wahrnehmung eingeben.
Stoichita: "In dieser Malerei, die gemeinhin und irrtümlich als reines Spiel der Farbe und des Lichts gesehen wird, ist der Schatten ein fester Bestandteil. Ein sehr ausbalancierter Bestandteil, denn es ist immer ein kolorierter Schatten. Formal fällt auf, dass der Schatten auf impressionistischen Bildern sehr oft von außen ins Bild fällt, von Objekten, die auf dem Bild selbst nicht zu sehen sind. Der Schatten wirkt wie ein Bindeglied zwischen Bildinhalt und Bild-Äußerem. Die hier versammelten Bilder könnten dazu beitragen, dass man auf neue Ideen bei der Interpretation von impressionistischen Werken stößt." (Übersetzung)
Der Fundus der Spielarten des Schattens hat sich im 20. Jahrhundert noch erweitert. Bei de Chirico wird er zum Ausdruck einer metaphysischen Angst, aus der Bildsprache der Surrealisten ist er nicht wegzudenken, Gerhard Richter stilisiert ihn fast zum Spiegelbild und leitet über zur fein herausgearbeiteten Foto-Abteilung, die Klassiker wie Man Ray oder Alexander Rodtschenko zeigt. Der Schatten in der Kunst, er wird in dieser Ausstellung auf eine faszinierende Weise ausgeleuchtet.