Spielfilm "Remainder"

Einer baut sich seine Welt

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Der Protagonist Tom (Tom Sturridge) bastelt ein Haus aus Pappkarton - so wie er es in Erinnerung hat. © Piffl Medien
Regisseur Omar Fast im Gespräch mit Susanne Burg  · 07.05.2016
Im Spielfilm "Remainder" hat Tom sein komplettes Gedächtnis verloren und beginnt, die Vergangenheit penibel zu rekonstruieren. Damit ist er ein Künstler, sagt Regisseur Omar Fast im Interview. Wenn das Künstlerische voll verwirklicht sei, diene es als Ersatz für das Leben.
Susanne Burg: Erst mal herzlich willkommen!
Omer Fast: Danke!
Burg: Der Film, der beruht ja auf dem Roman von Tom McCarthy, "Achteinhalb Millionen". Was hat Sie an dem Buch so angeregt, dass Sie beschlossen haben, daraus einen Film zu machen?
Fast: Ich habe das Buch im Flugzeug gelesen, und das Ende des Buchs findet auch im Flugzeug statt, insofern gab es eine gewisse Synchronizität, könnte man sagen vielleicht, Parallelität mit dem Leben, und das ist nicht unwichtig für das Buch. Es geht um jemanden, der versucht, so wie ein Künstler etwas zu schaffen, was nur er – oder sie, aber in dem Fall er – sieht. Diese Parallelität mit dem Leben und mit der künstlerischen Tätigkeit hat mich sehr bewegt, könnte man sagen vielleicht, aber ich wusste nicht, dass ich einen Film daraus machen würde. Ich habe einfach den Schriftsteller kontaktiert, und das war vor etwa sechs Jahren schon.

Rätselhafter Bilder als Basis der Rekonstruktion

Burg: Dann ist bei Ihnen der Film draus geworden, "Remainder", im Prinzip ist der Inhalt ähnlich: Also der Protagonist Tom, dem fällt was auf den Kopf, und er ist im Krankenhaus, überlebt es fast nicht und versucht dann irgendwie, sein – ja, was versucht er –, sein Leben zu rekonstruieren. Sie sagen, er versucht, etwas zu schaffen wie ein Künstler. Das ist ja fast auf die Zukunft bezogen oder versucht er auch – gibt ja auch die andere Interpretation –, er versucht, sich zu erinnern, denn er weiß gar nicht genau, was da eigentlich damals passiert ist?
Fast: Genau. Ich darf nicht zu viel sagen, weil das Ende des Films, ich will daraus keinen Spoiler machen. Es gibt ein bisschen wie ein Spiel mit der Temporalität oder mit der Zeit in dem Film. Wir haben da eine Situation, die relativ bekannt ist: Es gibt den Unfall, einen schweren Unfall, Erinnerungsverlust und ein Trauma. Aus dem Nichts fast versucht der Protagonist, einen Umgang mit der Gesellschaft zu finden, zu konstruieren. Er hat einige Bilder, die etwas rätselhaft, etwas abstrakt sind im Kopf, und er versucht aus diesen Bildern eine kleine Welt zu schaffen.
Er hat eine Entschädigung bekommen, und durch diese Entschädigung und durch seine, könnte man sagen vielleicht, Vision oder Vorstellung setzt er manche Dinge in Bewegung, nämlich Geld, Immobilien, Leute, und am Ende ist er in einer Gegenwart oder sogar in einer Zukunft. Mehr darf ich vielleicht nicht sagen.

Simulation überholt Toms reales Leben

Burg: So viel dürfen Sie aber vielleicht auch sagen, denn das haben Sie ja schon angedeutet, es hat mit Immobilien zu tun: Er kauft sich ein Mietshaus, weil da irgendwas ist. Er erinnert sich irgendwie an einen Moment. Er weiß, es hat irgendwas mit einem Haus zu tun, und er verhakt sich darin. Er sieht immer einen Riss in einer Wand, er kann sich an Katzen auf dem Dach erinnern, an einen Flur, in dem es nach gebratener Leber riecht, und ganz manisch beginnt er dann, diese Situation nachzubauen. Jedes Detail muss stimmen. Er sagt, nur so kann er sich erinnern, aber irgendwie scheint dann auch die Simulation echt zu werden und die Realität zurückzudrängen.
Fast: Ja, insofern überholt die Simulation oder Überholen die Bilder, die er schafft, sein Leben, und damit wird vielleicht gemeint, dass indem, was er schafft, das Künstlerische im Grunde, wenn voll verwirklicht – kann man das sagen –, so lebensnah ist, dass es im Grunde als Ersatz für das Leben funktioniert, zumindest für ihn. Für mich als Künstler und als jemand, der die Kunst so studiert und in etwa lebt, hat das viel mit dem Traum der historischen Avantgarde zu tun, nämlich die Verschmelzung von Kunst und Leben.
Natürlich ist es ihm alles nicht bewusst. Also er ist überhaupt nicht wie so ein postmoderner Protagonist, der in seiner kleinen Blase gefangen und aus einer Notsituation versucht, da die Erinnerungsfetzen, die kleinen Bilderfragmente, die er hat, zusammenzufügen durch das Schaffen und durch diese Besessenheit, die Lücken auszufüllen, sodass er am Ende ein ganzes Bild hat. Sobald er das Bild hat, verschwindet dieses Bild nochmal, und sein Leben kann erneut anfangen.

Übersetzung des Romans in Bilder schwierig

Burg: Das Interessante ist ja auch, ein Buch arbeitet ja mit Sprache, Sie arbeiten mit Bildern. Im Roman kann man auch aus der Perspektive eines Helden erzählen. Im Film muss man Bilder zeigen. Wie sind Sie damit umgegangen, wie schwierig war das?
Fast: Das war ziemlich schwierig. Der Protagonist quatscht ohne Ende im Buch, und zwar nicht mit den Leuten, mit denen er unterwegs ist, sondern eigentlich ist er so an die Leser gerichtet. Ich wollte keinen Voice-over-Film machen, insofern ist der Protagonist und seine Sprache sehr reduziert. Wir haben einfach versucht, einige Situationen ein bisschen deutlicher zu machen, aber es geht wirklich um jemanden, der sehr verschlossen ist und der keinen Umgang mit dem Leben hat. Insofern sind wir mehr oder weniger in der gleichen Situation wie er am Anfang: Wir finden mit ihm heraus, was seine Umgebung beinhaltet und in welche Richtung er fährt.
Burg: Sie arbeiten auch sehr stark mit Thriller-Elementen. Es gibt ja auch andere Filme, an die ich gedacht habe: "Trance" von Danny Boyle oder "Memento" von Christopher Nolan. Eignet sich der Thriller für so eine Thematik, das Verlieren des Gedächtnisses besonders gut.

"Einen Film zu schaffen, ist sehr verführerisch"

Fast: Vielleicht, aber wir haben tatsächlich keinen Thriller gemacht. Wir haben versucht, mit der Sprache von Thrillern zu spielen, aber letztendlich sind das Hinweise. Für mich waren diese Hinweise auch wichtig, weil für den Protagonisten ist es sehr schwierig, einen Kontakt zu finden und seinen Zustand innerhalb einer Gesellschaft zu definieren. Leute, die um ihn treiben und die auftauchen und dann plötzlich verschwinden, sind insofern auch bedrohlich für ihn und versucht, im Grunde durch diese innere Treibe oder Bilder eine Orientierung zu finden, und es gelingt ihm nur in etwa.
Burg: Sie arbeiten ja viel als Videokünstler mit Bildschirmen im Raum, mit Rekonstruktion, Wiederholung. Nun hat man eine Leinwand. Wie mussten Sie sich da umstellen im Arbeiten oder mussten Sie das gar nicht?
Fast: Das, was ich kenne, ist von Budgets her bescheidener, aber von der Freiheit her so viel enormer. Also in der Kunst hat man eine große Freiheit, um die Arbeit zu schaffen. Was ich zumindest im Laufe dieses Films entdeckt habe, war, dass die Entstehung eines Films viel kollaborativer ist, und das meine ich nicht nur im positiven Sinne. Es kann sehr positiv sein. Als Künstler ist man viel mehr alleine unterwegs, und das gefällt mir. Einen Film zu schaffen ist sehr verführerisch, weil mit dem Budget, was man hat, und mit der Idee, dass man quasi 90 Minuten Erzählung schafft, kann man wirklich eine kleine Welt schaffen, so einen Mikrokosmos und in diese Welt so verschwinden. Für jemanden, der mit Vorstellung, mit Fantasie, mit Ideen arbeitet, ist das ja sehr verführerisch.
Burg: Der Vorteil ist auch, jetzt kann man den Film überall in der Welt sehen hoffentlich, auf jeden Fall in Deutschland. In der kommenden Woche kommt er hier ins Kino – "Remainder" heißt er. Omer Fast ist der Regisseur. Vielen Dank fürs Gespräch!
Fast: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.