Spielregeln der Demokratie

Durchregieren? Gar nicht so einfach!

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe; Aufnahme vom Januar 2017
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe; Aufnahme vom Januar 2017 © picture alliance / Uli Deck/dpa
Von Armin Nassehi · 16.02.2017
Legislative, Exekutive, Judikative und dann noch die Medien. Das Leben in demokratischen Gesellschaften ist kompliziert, gesellschaftliche Veränderungen brauchen Zeit. Doch was wir oft beklagt haben, wissen wir womöglich wieder zu schätzen, seitdem in den USA ein Donald Trump regiert, glaubt der Soziologe Armin Nassehi.
Seien wir ehrlich: Wir haben alle gedacht, dass sich der neue US-Präsident Donald Trump sprachlich mäßigen wird, sobald er im Amt ist. Dass er in diesem Sinne durchregieren will, haben nur wenige geahnt. Trumps Politikstil rechnet mit der unmittelbaren Umsetzbarkeit konkreter Ziele.
Es stellt sich dabei eine merkwürdige Erfahrung ein. Haben wir nicht bis vor kurzem darüber geklagt, wie schwierig es ist, mit politischen Programmen Wirkung zu erzielen? Gab es nicht ein merkwürdiges Unbehagen bei vielen politischen Beobachtern, dass sich fast jedes gute politische Programm an den Instanzen des politischen Systems, an den Checks and Balances bricht? Ist nicht die Langsamkeit der Demokratie ein stetes Ärgernis, weil damit ein schnelles und beherztes Reagieren auf Herausforderungen fast unmöglich wird?

Gewaltenteilung entstellt politische Idee zur Unkenntlichkeit

Politische Programme müssen unbescheiden sein. Sie müssen so tun, als gebe es so etwas wie einen direkten Zugriff auf die Gesellschaft, auch wenn am Ende Kompromisse und das Malmwerk der Gewaltenteilung und der unterschiedlichen Instanzen, die verfassungsmäßig mitreden müssen, manches Programm zur Unkenntlichkeit entstellen.
Mit Trump ändert sich diese Erfahrung. Was wir zuvor noch implizit oder explizit beklagt haben, erhoffen wir uns nun. Vieles wird davon abhängen, ob es den Instanzen des politischen Systems, der Verwaltung, des Rechts und der Justiz gelingen wird, jene Stoppregeln durchzusetzen, für die sie einst erfunden und erstritten worden sind. Moderne politische Systeme zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie die Macht der Machthaber einschränken und teilen, Kontrollinstanzen einbauen, Kompromisse einfordern und vor allem Langsamkeit installieren.
All das, was die Demokratie an Schutzmechanismen eingebaut hat und was in normalen Zeiten bisweilen als lästig empfunden wird, bekommt durch Trump geradezu einen Sinnschub verpasst. Wir lernen gerade wieder, dass liberale Verfassungen weniger das Zusammenleben der Menschen regeln, sondern vor allem die Macht der legitimen Machthaber einschränken und kontrollierbar machen. Vielleicht wird die Erfahrung, die wir derzeit mit Trump machen, so etwas wie ein historischer Lernanlass, das, was uns wie selbstverständlich erscheint, in seiner politischen und gesellschaftlichen Funktion wiederzuentdecken.

Die moderne Komplexität hindert Trump am "Durchregieren"

Wenn es ein grundlegendes Merkmal westlicher gesellschaftlicher Modernität gibt, dann ist es wohl, dass niemand "durchregieren" kann und dass die Gesellschaft Unterbrechungen einbaut – Unterbrechungen etwa in dem Sinne, dass es keinen direkten Zugriff politischer Entscheidungen auf das konkrete Leben der Menschen gibt. Wen wir lieben, wie und ob wir an die Götter glauben, was den Sinn unseres Lebens ausmacht, wird nicht politisch entschieden. Auch nicht, wo wir investieren, was wissenschaftlich wahr ist oder wie man gerichtlich entscheidet. All diese Dinge bedingen sich irgendwie gegenseitig, aber es gibt keinen wirklichen Zugriff vom einen auf das andere. Das macht die moderne Gesellschaft so unübersichtlich, so wenig steuerbar, stattet sie mit so viel Eigensinn aus, dass man manchmal verzweifeln will.
Nun erhoffen wir uns von dieser gesellschaftlichen Komplexität, von diesem Malmwerk der modernen Gesellschaft, dass sie Trump daran hindert, wirklich "durchregieren" zu können. Eine gut gemachte Soziologie der Komplexität versucht schon länger, uns mit der Komplexität der Gesellschaft zu versöhnen – sollte das nun womöglich dem großen Vereinfacher und Grobian Trump gelingen? Es wäre wenigstens eine schöne Volte der berühmten List der historischen Vernunft.

Armin Nassehi, geboren 1960 in Tübingen, ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er wuchs in Deutschland und im Iran auf, studierte Erziehungswissenschaften, Philosophie und Sozialwissenschaften. Armin Nassehi arbeitet zu politischen und kulturellen Themen.


Soziologe Armin Nassehi.
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