Das Gespräch ist eine Wiederholung vom 6.8.2021
Spielzeug-Gestalterin Renate Müller
Robust und vielfältig sind die Stofftiere, die Renate Müller seit fast 60 Jahren herstellt. © picture alliance / ZB / Michael Reichel
Stofftiere für alle Sinne
34:21 Minuten
Renate Müllers therapeutisches Spielzeug aus festem Rupfen ist weltberühmt. Dass es sogar in New York ausgestellt wird, hätte sie sich nicht träumen lassen. Mit 75 Jahren arbeitet sie immer noch in der Werkstatt - nur ein Nachfolger fehlt.
"Das stehen zwei Amerikaner vor der Tür", ruft eines Tages die Schwiegertochter von Renate Müller. 2010 sind die Männer ins thüringische Sonneberg gekommen um die Spielzeug-Gestalterin davon zu überzeugen, in New York auszustellen.
Therapeutisches Spielzeug – Nilpferde und Elefanten, Schildkröten und Seehunde, Würfel und Kegel – alles aus grobem Sackleinen, Leder und Holz, das soll jetzt als Kunst zu sehen sein? Normalerweise finden die Werke von Renate Müller seit Jahrzehnten in Kindergärten, Arztpraxen und Krankenhäusern ihren Platz.
Von Oberhof nach Manhattan
Die Designerin lässt sich jedoch überzeugen. Und so wird den Besuchern der Galerie in Manhattan, die heute "R & Company" heißt, eine Sitz- und Spielinstallation präsentiert. Die Thüringerin hat diese Arbeit 1985 ursprünglich für das Pionierhaus in Oberhof angefertigt. Bis heute arbeitet Renate Müller mit der Galerie zusammen.
2012 landen ihre so genannten Rupfentiere sogar im New Yorker Museum of Modern Art, in der Ausstellung "Century of the Child". Wurden ihre Tierfiguren zu DDR-Zeiten für 150 Mark verkauft, gelten sie mittlerweile als Design-Klassiker, erzielen Preise von mehreren tausend Dollar.
"Ich kam aus dem kuscheligen Bereich"
"Für mich ist das alles schwer nachvollziehbar", sagt Müller. Seit bald 60 Jahren entwirft und fertigt sie Spielzeug. "Ich kam eigentlich aus dem kuscheligen Bereich." Aufgewachsen ist sie in Sonneberg, im Spielwarenbetrieb der Eltern, zwischen Puppen und Plüschtieren. Schon der Großvater verkauft Spielwaren. Im 20. Jahrhundert sollen 20 Prozent der weltweit gehandelten Spielwaren aus der thüringischen Kleinstadt gekommen sein. Noch heute nennt sich das Örtchen "Spielzeugstadt Sonneberg".
Während des Designstudiums in ihrer Heimatstadt kommt Renate Müller mit einem besonders groben Material in Kontakt. Daraus entstehen, gefüllt mit Holzwolle, die ersten Rupfentiere.
"Rupfen stammt aus dem Mittelalter, das war ein grobes Leinengewebe, Zuckersäcke, Kaffeesäcke oder Teesäcke, also einfach ein grobes Sackleinen. Unsere Dozentin, die Frau Haeusler, hat uns das im Studium hingelegt und gesagt: 'Mädels, macht mal was aus dem groben Material'."
Spielzeug soll daraus entstehen. Für ihre Dozentin Helene Haeusler ist dabei eines besonders wichtig: "Denkt daran", habe sie ihren Studentinnen gesagt, "es gibt auch Kinder mit Einschränkungen. Es gibt auch geistig behinderte Kinder mit Entwicklungsverzögerungen".
"Rau, aber herzlich"
Also entwickelt Renate Müller große und kleine Tiere, die möglichst viele Sinne ansprechen. Der grobe Stoff ist dabei nicht nur strapazierfähig, sondern eignet sich auch besonders gut zum Tasten, die großen Ohren der Elefanten zum Greifen, auf den Nilpferden lässt es sich gut sitzen.
Zufällig, so erinnert sich die Designerin, trifft sie in den 60er-Jahren auf einen Arzt. Für ihn sei ziemlich schnell klar gewesen, das Spielzeug könne man auch für Therapiezwecke verwenden.
Nach dem Studium darf Renate Müller ihre Rupfentiere im elterlichen Betrieb herstellen. Auf der Leipziger Messe 1967 findet sie den passenden Slogan dafür: "Rau, aber herzlich."
Die Tiere verkaufen sich immer besser, Kindergärten wollen sie haben, Ärzte fragen an, Behinderteneinrichtungen sind begeistert. Bevor die Spielsachen ein Zertifikat als "therapeutisch wertvoll" erhalten, so Renate Müller, testet man sie schon damals in verschiedenen Kliniken.
Bis nach Japan verkauft
Die Rupfentiere werden zu DDR-Zeiten auch in den Westen verkauft, gelangen sogar bis nach Japan. Davon wird Renate Müller erst nach 1989 erfahren. Bis heute hat die Designerin über 60 verschiedene Tierfiguren geschaffen. In den 80er-Jahren spezialisiert sie sich als freischaffende Künstlerin auf die Gestaltung von Spielplätzen. Nicht ganz freiwillig verlässt sie 1978 den elterlichen Betrieb in Sonneberg, sechs Jahre zuvor hat man ihn verstaatlicht. Nach dem Mauerfall kauft Renate Müller ihn von der Treuhand zurück.
Auch mit 75 Jahren steht sie fast täglich in ihrer Werkstatt. Ihre Auftragsliste, gerade aus den USA, ist lang. Noch immer ist alles schwere Handarbeit. Kraft genug, so Renate Müller, besitze sie noch, aber leider keinen Nachfolger. Große Hoffnung, dass der Betrieb weitergeführt wird, habe sie nicht mehr.
Das Interesse an ihrem Nachlass sei dagegen umso größer. Anfragen gäbe es zum Beispiel aus den USA, von ihrer Galerie. "Die New Yorker würden meinen kompletten Nachlass übernehmen. Aber was soll das in New York? Das bleibt in Sonneberg und geht ins Museum."
(ful)