Spielzeugland ist abgebrannt

Von Verena Kemna |
<strong>In unserer Reihe "Meridian 11" reisen zur Zeit unsere Reporter entlang des 11. Längengrads in Deutschland - von Süd nach Nord. Ein halbes Jahr lang sind sie unterwegs, in 25 Live-Reportagen werden - immer Mittwochs um 8.20 Uhr - Geschichten aus dem Alltag erzählt. Oft sind die Orte, die unsere Reporter besuchen, so spannend, dass sie mehrere Geschichten von dort mitbringen. Diese erzählen sie alle vier Wochen - immer Sonntags um 13.05 Uhr. Heute: Verena Kemna unterwegs an der bayerisch-thüringischen Grenze.
Die Kleinstadt Sonneberg wirbt noch immer mit dem Titel Spielzeugstadt, doch die Hochzeit der Produktion ist lange vorbei. Das Schaubild für die Weltausstellung 1910 in Brüssel, die Thüringer Kirmes, steht im Spielzeugmuseum. Viele Fabrikantenvillen verfallen. In den Lagerhallen des einst größten Spielwarenherstellers der DDR stapeln sich heute Kartons mit Billigspielzeug Made in China.

"Dieser Friedhof ist der schönste Bergfriedhof. In den alten Reisebeschreibungen stand immer: Sonneberg hat einen der schönsten Bergfriedhöfe Deutschlands. Also diese großen Grabmale oder Grabsteine haben alle was mit der Spielzeugindustrie zu tun."

Petra Pawletta zieht die kalte Luft durch die Nase, sie stemmt die Beine gegen den steilen Hang, läuft vorbei an verwilderten Gräbern zu einem Mausoleum mit verwitterter Inschrift.

"Also auf dem Grabstein sieht man die Firma Heubach, das ist eine riesengroße Porzellanbude gewesen, die Familie Dressel, die haben sehr viele Bälge, also Gestelle hergestellt und haben ihre Köpfe bei dem Heubach machen lassen und die Familie Swaine, das war auch eine Firma, die hat in Köppelsdorf, in einem Vorort, Porzellanköpfe machen lassen."

Sonneberger Spielzeugdynastien, deren Söhne und Töchter untereinander geheiratet haben. Nachfahren? Sie schüttelt den Kopf, beugt sich über den bemoosten Stein, kaum lesbar sind die eingravierten Jahreszahlen 1870 und 1910. Ein rot-weißes Plastikband ist um zwei Säulen gespannt, flattert im Wind. Das Mausoleum aus rotem Stein ist einsturzgefährdet.

"Also man sieht, dass zu DDR-Zeiten diese Familiengeschichte von diesen Spielzeugherstellern schon damals nicht gepflegt worden ist und da ist das alles runtergebrochen. Eigentlich standen hier nur noch die Seitenmauern und da hat man nach der Wende, vielleicht hat es die Stadt oder der Denkmalschutz bezahlt, das wieder oben drüber gemacht, dass es nicht ganz vergammelt. Da müsste man ja Geld übrig haben, um das zu erhalten, es ist ja noch nicht mal Geld für die Straße da."

Die gelernte Puppendesignerin hat ein Buch über die Stadtgeschichte unter den Arm geklemmt. Nur wegen der Fotos, sagt sie und lacht. Ihr Mann ist gebürtiger Sonneberger. Sie selbst lebt seit 30 Jahren hier und weiß fast alles über die Geschichte der ehemaligen Spielzeugmetropole. Während sie erzählt, fallen der kleinen zierlichen Frau immer wieder neue Details ein. Etwa, dass um die Jahrhundertwende regelmäßig Einkäufer aus den USA nach Sonneberg reisen, dass damals jede zweite Familie in dem kleinen Tal zwischen Thüringen und Bayern in Heimarbeit und in Fabriken Teddybären, Plüschtiere und Puppen produziert. Plötzlich hält sie sich die Nase zu. Sie weiß noch, wie es riecht, wenn aus grauen Puppenköpfen bunte werden.

"Jeder, der so Nitro gespritzt hat, da gab es zwar eine Absaugung aber nicht diese Sicherheitsmaßnahmen wie heute. Die ganzen Puppenköpfe, die aus diesem Tonschlicker waren, die waren ja grau, als sie gegossen worden sind, und die hat man dann farbig überzogen. Genauso wie die Holzbausteine und die anderen Dinge. Farbe war nur Nitro, ich weiß gar nicht, aus was das hergestellt worden ist. Auf alle Fälle viel Lösungsmittel."

Im Vorbeigehen mustert sie die ungepflegten Grabstellen der einstigen Großfabrikanten. Sie erzählt von giftigen Dämpfen, lauten Maschinen, Hitze. Zu DDR-Zeiten ist die Arbeit am Gelierofen das härteste. Zähflüssiges Vinyl wird in Formen gegossen, auf 200 Grad erhitzt, in Wasser abgekühlt. Schließlich wird der kalte Puppenbalg mit einer Zange aus der Form gezogen.

"Da gab es auch so ein Berufsbild. Wer in der Schule nichts getaugt hat, der geht woanders auf den Bau, bei uns hieß es halt, der wird Gelierer. Das ist eine richtig schlimme Arbeit gewesen. Auch diese Papp-Prägereien, die hatten so ganz große Metallmatrizen, das positive und negative, die hatten so einen ganz harten Grat außen drum. Tuff, das musst du mal den ganzen Tag machen."

Sie bleibt stehen, schlägt das Buch auf, zeigt auf ein prächtiges Gebäude im Barockstil, 1901 als Industrieschule gebaut. Fast 80 Jahre später, zu DDR-Zeiten, hängt über dem Haupteingang ein Schild mit der Aufschrift: Ingenieurschule für Maschinenbau und Spielzeugformgestaltung. Petra Pawletta zeigt auf das Foto. "Dort habe ich Puppendesign studiert", sagt sie, wendet den Kopf, blickt auf einen schmalen Weg zwischen den Grabstellen. Da hinten am Berg zwischen alten Eichen liegt die Fabrikantenvilla der Familie Dressel. 1873 ist die Firma Cuno und Otto Dressel der größte Spielwaren-Exporteur in Sonneberg. Sie klappt das Buch zu und meint, "als Studentin wollte ich davon nichts wissen."

"Wem haben die Fabriken gehört, dem Volk. Da stand nie ein Name dahinter. Ich habe, als ich 79 als Student herkam, nie gefragt, was sind das für Häuser, nie. Das war später, als ich mich dafür interessiert habe, da habe ich mir gesagt, warum hast du nie jemanden gefragt? Auch das Augeneinsetzen. In der Verwandtschaft von meinem Sonneberger Mann da hatten wir jemand, der hat immer gesagt: Mädla, dir zeig ich mal, wie man Aachen einsetzt. Ich habe das nie hinterfragt, es hat mich einfach nicht interessiert."

Sie läuft einige Meter über eine schmale Holzbrücke, am Ende bleibt sie stehen, dreht sich um. Wer da rüber geht und gelogen hat, bricht ein, heißt es in Sonneberg. Sie läuft weiter, eine Baumallee entlang, gerade so breit, dass zwei Pferde nebeneinander laufen können.

"Das ist jetzt eigentlich der herrschaftliche Zugang der Familie Dressel in die Kirche. Da hinten stehen so zwei große Villen. Das eine sieht man nur so als Fragment, das andere ist das hellgelbe. Dass der Herr Dressel schön in seine Kirche gekommen ist, hat er die Allee pflanzen lassen und ist dann mit der Kutsche hier in die Kirche gefahren."

Vor der Villa Dressel bleibt sie stehen, legt den Kopf weit in den Nacken. Die unteren Fensterhöhlen sind mit Brettern vernagelt.

"Sehen sie diese tragenden Nymphen oder was das ist, und das fällt halt jetzt alles zusammen. Die untere Etage hier war bestimmt vom Personal. Bis 1991 haben da noch Leute gewohnt. In dem Moment, wo es nicht mehr bewohnbar ist, da fällt es halt zusammen. Das da war das Gärtnerhäuschen, ist eigentlich von der Sache her ziemlich Luxus gewesen."

Sie zeigt auf Reste eines Springbrunnens, geht weiter. Steil bergab führt ein schmaler Weg ins Tal, in die Altstadt. Auf beiden Seiten säumen niedrige Fachwerkhäuser mit Schiefer gedeckt den Weg, dazwischen Baulücken. Zu DDR-Zeiten waren die meisten Häuser noch bewohnt, heute stehen fast alle leer.

Petra Pawletta sieht nach rechts und links, alles Heimarbeiterbuden, sagt sie. Wenige Minuten später steht sie auf dem alten Marktplatz. Ein normaler Wochentag und doch ist niemand unterwegs. Keine Touristen, keine Sonneberger. Petra Pawletta geht über den Marktplatz durch eine Hofeinfahrt. Ein meterhoher Steilhang mit schiefen Kiefern ragt weit über die niedrigen Häuser. Der Wanderweg auf dem Kamm ist längst gesperrt, Sand und Geröll drücken nach unten. Der Innenhof, menschenleer, in der Ecke eine Betonmischmaschine. Wie Mikadostäbe liegen gebrochene Holzbalken übereinander, dazwischen Steine und Sand. Die Puppendesignerin flüstert, sie breitet die Arme aus, spricht voller Respekt. Überall haben hier vor 100 Jahren Heimarbeiter gearbeitet und gewohnt.

"Also weiter hinten das waren alles solche Buden und wenn man das so sieht, das war ja auch ganz billig gebaut, Zig verschiedene Backsteine, das waren auch Lager. Die mussten ja ihr Zeug auch irgendwo lagern."

Puppenaugen, Arme, Beine und Köpfe, wer lange genug sucht, findet alles in diesem Bauschutt. Auch die Rohlinge von Porzellanpuppenköpfen wurden als Baumaterial benutzt. Und heute? Alles Made in China, sagt die Puppendesignerin.

Es ist ein kurzer Fußweg den Berg hoch bis zur Kirche. Daneben hat sie ihren eigenen Spielzeugladen. Zip Zap steht in bunten Buchstaben über der Eingangstür. Vor dem Eingang stecken bunte Windräder im Rasen. Sie öffnet die Tür.

"Mein Reich", sagt die Puppendesignerin. Der Laden ist kleiner als ein Klassenzimmer, eine Holztreppe führt nach oben. In den Holzregalen sitzen Puppen und Teddys, dazwischen liegen Schachteln, Holzspielzeug, kleine Körbe gefüllt mit Winzigkeiten. Made in China, damit hat sie sich längst abgefunden, aber Petra Pawletta verkauft nur, was ihr gefällt. Sie wiegt einen handtellergroßen Ball in der Hand, nimmt das angebundene Seil, lässt den grünen Plastikball fallen.

"Also, was ich sehr schön finde, ist dieser Ball. Beim Hochwerfen wechselt der die Farbe und ich finde das Ding ganz toll. Das hat irgendjemand am PC entwickelt, nehme ich an. Also das ist so ausgeklügelt und verzwickt und die Kinder lieben es. Aber es müsste in einer besseren Qualität sein. Das kostet 2,80. Aber wenn ich das jetzt richtig toll herstellen würde, dann käme das Ding auf 20 Euro und das will keiner ausgeben."

Heute zählt der schnelle Spaß, sagt sie, geht ein paar Schritte zum nächsten Regal. Da stehen die Kästen mit den bunten Ankerbausteinen. Eines der wenigen Spielzeuge, die bis heute in Thüringen produziert werden. Die Bausteine aus Kreide, Leinöl und Quarzsand fühlen sich an wie echte Steine. Je nach Ausführung kosten die Kästen mindestens 60 oder auch weit über 100 Euro. Eben etwas für Liebhaber.

"Diese Ankerbaukästen, wo die Opas und die Väter sagen, Mensch, das hatten wir auch. Die können sich daran erinnern und diese Eltern haben auch viel Geld dafür ausgegeben. Aber die haben halt den kleinen Spaß, den es jetzt so immerfort gibt, nicht gehabt. Die haben das Geld zusammen gehalten und gesagt, es gibt Weihnachten für den Jungen einen Ankerbausteinkasten. Die haben gespart und konnten das dann auch kaufen. Heute gibt man immer das kleine Geld aus oder es gibt halt dann für richtig viel Geld den game boy."

Sie greift nach einer Kasperpuppe, steckt den Finger in den Kopf, lässt die Hexe mit grünem Zauberhut durch die Luft tanzen.

"Die Teile sind halt einfach auch Import. Kosten 2 Euro 90. Dafür kannst du noch nicht mal einen Kopf drechseln und die sind noch nicht mal schlecht. An dieser Handpuppe sind separat genähte Füße. Also nicht, dass das nur die Handpuppe ist, da gibt es noch Schlenkerbeine und die ist noch nicht mal hässlich. Also wenn ich mir die anguck, die ist so sauber genäht und gedreht, da ist noch eine Knubbelnase dran, ein gestopfter Hut, dass der nicht runter fällt."

Für sie ist die Sache klar, Billigproduktion aus Asien im 21. Jahrhundert entspricht der Billigproduktion in Sonneberg um die Jahrhundertwende.

"So wie die Sonneberger die billigen Spielzeuge damals für Amerika gemacht haben, die haben das auch nur gekauft, weil die Sonneberger zehn oder zwölf Köpfe für 50 Pfennig gemacht haben und die Arbeiter, die waren meistens in Heimarbeit. Das heißt, dass Oma und Opa mitgemacht hat und da haben die jeden Tag einen Berg fertig gekriegt. Die haben schon ihr Geld irgendwo verdient, aber dadurch, dass alle Verwandten, die irgendwo zuhause waren, mitgearbeitet haben."

Es stört sie seit Jahren, dass die Sonneberger selbst ihren Kindern solche Geschichten von früher selten erzählen. Sie wühlt in einer Schachtel, hält ein fingerlanges buntes Holzpferd hoch. Ein Reiter sitzt auf dem Pferd, über dem Schweif klemmt eine winzige Holzpfeife. Das ist das Sonneberger Reiterlein auf Pferdlein mit Pfeiflein im Ärschlein. Die Designerin lacht. Dieses Symbol für Spielzeug aus Sonneberg kennen nur wenige Kinder.

"Dieses Stadtsymbol, das Sonneberger Reiterlein müssten die Kinder kennen, oder es müsste auch jemand geben, der so etwas herstellt oder wo die Kinder eins aussägen in der Schule oder wenn sie allein nur eins malen."

Ihre Reiterlein sind entstanden aus einer Laune heraus, eine gemeinsame Tüftelei mit einem befreundeten Designer. Arbeitsstunden, die keiner bezahlt, sagt sie, lacht. Liebhaberei wie der ganze Laden. Ihr Mann betreibt eine Firma für Elektro- und Heizungsbau. Wer in Sonneberg lebt heute noch vom Spielzeug? Gehen sie zu Plüti, sagt Petra Pawletta und schließt die Ladentür hinter sich.

Ein Fußweg von fünf Minuten Richtung Bahnhof. An einer unscheinbaren weiß verputzten Hausfassade ein rot-weißes Schild mit der Aufschrift "Plüti". Neben dem rot umrandeten Ladenfenster steht "Fabrikverkauf". Cornelia Volkmar, Urenkelin des Firmengründers, und ihr Ehemann sind allein im Verkaufsraum. Wir haben Fans in aller Welt, sagt Hartmut Volkmar. Sein Blick schweift durch den Laden, der ist etwa so groß wie ein Klassenzimmer. Rassehunde, lebensgroß, liegen, sitzen und stehen auf dem Boden. Das ist unsere Spezialität, meint er.

"Die Sonneberger weniger, die halten auch zur Stange, aber es kommen sehr viele Urlauber, es kommen auch viele Fanatiker und Fans. Wir haben schon so eine richtige Fangemeinde. Wir produzieren ja Plüschspielwaren, hochwertige Plüschspielwaren, angefangen vom kleinsten, so 15 Zentimeter bis drei Meter fünfzig."

Nächstes Jahr wird Plüti 110 Jahre alt. Hartmut Volkmar zeigt auf ein buntes Faltblatt mit den Daten der Firmengeschichte. Zu DDR-Zeiten haben bei VEB Plüti über 1000 Sonneberger gearbeitet. Nach der Wende haben die Volkmars weitergemacht. Doch ihre exklusiven Plüschtiere Marke Plüti hatten gegen Made in China keine Chance. Die haben Preise, da wird's ihnen schlecht, sagt Hartmut Volkmar.

"Ich meine, wir produzieren hier im Haus, wir brauchen den Preis und da können wir nicht auf Teufel komm raus billig produzieren. Unsere Kunden, bestimmte Kunden, die wir Anfang der 90er Jahre hatten, sind uns weggebrochen, muss ich ehrlich sagen. Warum? Die haben ihre Einkaufshäuser nach Fernost verlegt, kaufen direkt in Fernost, können gar nicht mehr bei uns kaufen, weil die Marge zu gering ist. Aber ich mein, man muss Geduld haben im Geschäft und Ausdauer, dann wird's vielleicht auch mal wieder was."

Die beiden steigen im Treppenhaus vier Stockwerke hoch. Im Firmensitz vom Urgroßvater ist es still und menschenleer. Die Miete, die wir bräuchten, ist den meisten zu teuer, sagt Cornelia Volkmar, es klingt wie eine Entschuldigung. Sonnenlicht scheint durch die großen Fenster in der Produktionshalle unter dem Dach. Cornelia Volkmar läuft über die alten Bodendielen, vorbei an einer Huskygruppe. Sie nimmt einen Plüschaffen auf den Arm, streicht über die flache Nase und strahlt.

"Wenn man so diese Gesichter anguckt, da kommt so viel Liebe und Herzlichkeit, Freundlichkeit und wirklich durchweg sehen das unsere Kunden, so viel Liebe, so viele schöne Gesichter, die sieht man überhaupt nirgendwo. Auch wenn wir auf der Nürnberger Messe sind, kein Vergleich. Und es gibt viele, die unsere Sachen kopieren."

Plüti, das ist Nischenproduktion mit etwa fünf Mitarbeitern. Unsere Hunde schicken wir bis nach Amerika, sagt Hartmut Volkmar. Er schüttelt die Plüschhülle eines schwarz-weißen Landseers glatt. Seine Frau erzählt, warum ein schönes Plüschtier ein Kunstwerk ist.

"Die Rehe, das Bambi, die Hunde, die Huskys, das ist einfach! Die Augen, alles muss sitzen, wenn ein bissel was verkehrt sitzt, dann ist es gleich gar nicht mehr gut und das ist halt erstmal die Kunst."

Hartmut Volkmar greift nach einem Nilpferd, zieht am kurzen Stummelschwanz und lacht.

"Das ist das pupsende Nilpferd, so etwas gibt es auch bei uns. Wenn die in der Produktion sind, dann pupst es an jeder Ecke."

Auf einem Tisch liegen die Stimmbüchsen. Europaweit einzigartig und garantiert made in Thüringen, meint er, schüttelt eine der handtellergroßen Büchsen und lauscht.

"Da gibt es verschiedene Stimmen, die wir einsetzen ... Schafe, Kühe, Teddys, Möven ... das auch von einer Firma, die hier in der Gegend ansässig ist, alteingesessene Firma, Stimmenmacher. Da gibt es immer verschiedene Töne ..."

Die Tradition aufgeben, das kommt für beide nicht in Frage. Doch die Zeit der Illusionen ist endgültig vorbei.

Sie: "Es sollte ja was Großes werden, Anfang der 90er sollte es expandieren, die Zeit war ganz anders. Damals waren große Kaufhäuser unsere Kunden."
Er: "In Sonneberg ist vor 150 Jahren in jedem zweiten Haus produziert worden, was ist jetzt noch übrig geblieben? Das kann man an einer Hand abzählen. Jetzt ist der Zug abgefahren."

Von der Innenstadt an den Stadtrand im Gewerbegebiet Ortsteil Oberlind. Auf Brachflächen, so groß wie Fußballfelder, wuchert Unkraut. Rostige Metallschiebetore stehen mitten in der Landschaft. Zwischen langgestreckten Flachbauten, ein Zehngeschosser mit herausgebrochenen Fensterscheiben. "Sonni" steht da in roter Schrift. Einige Meter weiter parkt ein einziges Auto.

Puppendesignerin Petra Pawletta wartet vor einem schäbigen Plattenbau. Sie hält eine Brötchentüte in der Hand, sieht auf die Uhr. Es ist früh am morgen, kurz nach acht. Bis zur Wende haben auf dem viele Hektar großen Gelände fast 30.000 Sonneberger gearbeitet, Spielwaren für die gesamte DDR hergestellt, für den Westen und die Sowjetunion. Die da drin haben überlebt, Petra Pawletta deutet mit dem Kinn auf die Tür, drückt ein Schild mit der krakeligen Aufschrift "Büroservice". Die Firma meiner Freundin, sagt sie, öffnet die Tür, geht die Treppe rauf.

Wie jeden Morgen legt Petra Pawletta die Tüte mit den Ostschrippen auf den Tisch. Ihre Freundin Gudrun Henschel stellt selbstgemachte Marmelade dazu. Nach und nach kommen die vier Mitarbeiterinnen, setzen sich auf die wackeligen Stühle. Die Frauen streichen Margarine auf die Brötchen, mitgebrachte Wurst. Alle kennen sich gut, verstehen sich ohne viele Worte.

Gudrun Henschel 55 Jahre alt, eine zierliche Frau, sitzt am Kopfende. Sie ist die Chefin. Jahrelang hat sie im VEB-Sonni gearbeitet, nach der Wende in den privatisierten Nachfolgebetrieben, doch die sind längst insolvent. Seit sechs Jahren leitet Gudrun Henschel die eigene Minifirma am alten Standort, in der ehemaligen Kompressorenstation.

"Dieses ganze Gelände war ja alles Sonni. Das waren ja die verschiedenen Hallen, Produktionshallen und Lagerhalle. Das hier war eben nur die Kompressorenstation, wo eben das ganze Betriebsgelände mit Luft versorgt worden ist. Wir hatten ja die Riesengeliererei, dann gab es eine Blaserei, wir hatten ja die vielen Arbeitsplätze in der Plüschfertigung, die Luft gebraucht haben, auch in der Puppenendfertigung, die Luft gebraucht haben und damit ist das ganze Gebäude versorgt worden."

Sie sieht sich um. Nein, schön ist es nicht, aber praktisch und billig. Seit DDR-Zeiten hat sich hier nichts verändert. Die Fensterscheiben sind stumpf, die Griffe wackeln. Ordner, Puppen, Spielzeug und Stoffreste liegen scheinbar durcheinander in den Regalen rund um den Frühstückstisch.

Unten stehen drei Produktionsmaschinen aus alten Sonni-Beständen. In einem Karton liegen Puppen mit leuchtend orangefarbenem Gummikörper. 700 Stück, ein Auftrag der Berliner Stadtreinigung. Einen Tisch weiter Teddybären, Spezialfertigung für englische Krankenhäuser, erklärt Gudrun Henschel, nimmt einen Bären, zieht die braune Bauchdecke nach oben. Der Bär ist gefüllt mit Innereien aus buntem Stoff.

"Der hat zum Beispiel hier drin eine Blase, da kann der Arzt eine rote Flüssigkeit rein spritzen und den Kindern zeigen, wie Blut genommen wird. Dann gibt es hier diesen Bauchraum mit Herz, Lunge und Milz. Da kann man jetzt von da unten zum Beispiel zeigen, wenn der Arzt eine Blasenspiegelung beim Kind macht, wie das dann funktioniert. Wenn sie da mit einem Katheder reingehen, dann kann der das alles zeigen."

So einen Bären verkauft sie für 81 Euro. Da steckt ein ganzer Tag Arbeit drin. Neben dem Arbeitstisch stehen Schaumstoffwürfel zum Draufsitzen mit aufgedrucktem Glücksschweinen, in einem Karton liegen Bärenhüllen zum Selberstopfen. Die Firma lebt von Werbeaufträgen.

"Also die Zukunft geht bei uns von Monat zu Monat, mehr kann man dazu nicht sagen. Weil wir uns ja jetzt doch auf diese Werbeartikel konzentriert haben, weiß ja keiner, wird mehr Werbung oder weniger Werbung gemacht, das steht im Moment total offen."

Sie freut sich über jeden Tag, an dem ihre vier Mitarbeiterinnen Arbeit haben und nähen, entwerfen, stopfen und steppen. Gudrun Henschel nimmt es gelassen, dass sie die Monatsmiete für die Gewerberäume an ihren größten Konkurrenten überweist, die Simba Dickie Group. Die Firmengruppe hat das ehemalige Sonnigelände gekauft. Simba Dickie importiert Spielzeug aus Asien, ist ein Umschlagplatz für ganz Europa. Direkt vor Gudrun Henschels Bürotür.

"Wenn man das hier drüben sieht, was da abgeht, das ist schon der blanke Wahnsinn. Da können sie von der Mädchenkette bis zum Riesenauto, über ein Musikinstrument oder Plüschtier, die haben einfach die breite Palette. Was zwar alles aus China kommt, aber es gibt einfach alles. Es gibt nichts auf dem Markt, was es dort nicht gibt."

Gudrun Henschel aus Sonneberg pflegt gute Nachbarschaft mit dem Chef des Simba Dickie Logistikzentrums. Norbert Pillmann aus dem fränkischen Fürth hat ein schlichtes Büro in einem renovierten Plattenbau. Er rechnet vor: Die Simba Dickie Group hatte im vergangenen Jahr 525 Millionen Euro Jahresumsatz mit insgesamt nicht einmal 2000 Angestellten. In den Lagerhallen auf dem alten Sonnigelände arbeiten heute 128 Sonneberger.

"Also dieses Logistik- und Servicezentrum nimmt pro Jahr 1200 Container entgegen, die aus Asien kommen. Diese Ware wird bei uns eingelagert und dann auch wieder zugeliefert. Wir beliefern europaweit, eigentlich weltweit, Spielzeuge für die Ferngruppe."

Bei Qualität und Lohnkosten ist Made in China außer Konkurrenz, für Norbert Pillmann eine Binsenweisheit. Heute in und morgen out, auf dem Spielzeugmarkt lassen sich keine langfristigen Visionen entwickeln, sagt der Manager aus Fürth. Er ist seit Jahren im Geschäft.

"Wir haben zum Beispiel in Hongkong eine Niederlassung und wir haben dort Leute, die an die Firmen rangehen, wir sind auch an Firmen beteiligt, und die machen genau das, was wir wollen. Also mit der ganzen Qualitätskrise, die es auf dem Spielzeugmarkt gab, da haben wir überhaupt keine Probleme gehabt, weil wir auf unsere Qualität sehr großen Wert legen. Unsere Qualität wird mehrfach überprüft, auch von der Landesgewerbeanstalt in Nürnberg."

Rundgang beim Lagerverkauf im Erdgeschoß. Ferngesteuerte Autos, Baukästen, Spielesammlungen, Puppen, Plüschtiere. Nichts, was es in den Regalen nicht gibt. An den Wochenenden müssen die Kunden manchmal Schlange stehen, sagt Norbert Pillmann. An diesem Nachmittag ist es leer. Made in China und Sonneberger Tradition, der Manager versteht es eher als Anreiz. Er plant für Juni ein großes Kinderfest auf dem Firmengelände.

"Das ist auch so eine Sache, da wollen wir in Sonneberg auch ein Zeichen setzen. Spielzeugstadt kann nicht nur der Name sein und ein Spielzeugmuseum, da muss auch gespielt werden. Das wollen wir dieses Jahr noch mal starten. Das Schönste, was es gibt ist, wenn möglichst viele Kinder kommen und wenn man hier nur lachende Kinderaugen sieht, das ist eigentlich für alle das Tollste, was es gibt. Da sind die Mitarbeiter auch gerne bereit zu sagen, den Tag opfern wir und machen ein richtig schönes Fest!"

Norbert Pillmann freut sich. Sein Arbeitstag ist fast um. Bald steigt er wie jeden abend ins Auto und fährt nach Hause, nach Fürth auf die andere, die bayerische Seite der Landesgrenze.
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