Spionage im Netz ist Selbstschutz

Von Anthony Glees · 08.07.2013
Wie viel Spionage braucht die Demokratie? Und welche Spitzelei führt in den Überwachungsstaat? - Für den Politikwissenschaftler Anthony Glees ist nicht der Staat verantwortlich dafür, dass viele private Aktivitäten nun öffentlich werden und verfolgt werden können, sondern vielmehr das Internet-Zeitalter.
Die Enthüllungen Edward Snowdens haben einen weltweiten Sturm verursacht, noch heftiger und weitaus bedrohlicher als derjenige, den wir Julian Assange zu verdanken hatten. Assange veröffentlichte die geheimen Vermerke amerikanischer Diplomaten. Snowden dagegen bescherte uns haargenaue Details, mit welchen Methoden Geheimdienste im digitalen Zeitalter arbeiten.

Snowden hat mit seinen Informationen die Furcht verbreitet, dass die Geheimdienste Amerikas und Englands außer Kontrolle geraten sind und auf der Freiheit wie auf den Rechten der Bürger herumtrampeln.

Doch sieht die Wirklichkeit anders aus. Daten werden gesammelt, jawohl! Aber zu glauben, alles was elektronisch aufgefangen wird, werde auch gelesen und analysiert, ist einfach falsch. Nicht alle Nutzer von Telefon und Internet werden überwacht, sondern nur diejenigen, die verdächtigt sind, Terroristen oder Sexualverbrecher zu sein. So rechtfertigte sich die amerikanische NSA, dass sie 50 Terroranschläge habe verhindern können.

Etwas hat Snowden schon richtig geschildert: das altbekannte Spionieren, das bei allen Regierungen beliebt war und ist, hat einen großen Aufschwung erfahren – und zwar durch die moderne Informationstechnik. Es wird immer mehr spioniert, weil es - um es grob zu sagen - so viel einfacher geworden ist. Sicherheitsdienste machen es, weil sie es machen können.

Aber bitte: Wen überrascht das? Seit 1907 hat England Deutschland beschnüffelt und Amerika seit 1947 die ganze Welt. Auch die Bundesrepublik bedient sich vorzüglicher Nachrichtendienste. Es wird gegen Feinde, gegen vermutliche Feinde, und auch schon seit vielen Jahren gegen Freunde spioniert.

Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland und andere europäische Partner als Feinde gelten. Schließlich arbeiten die Geheimdienste innerhalb des NATO-Bündnisses zusammen.

Der Punkt ist: Geheimdienste führen aus, was ihre Regierung befiehlt. Wenn Bürger meinen, es werde zu viel spioniert, dann müssen sie sich also bei den Politikern beschweren. Denn sicherlich: Elektronische Überwachung braucht gesetzliche Regeln und starke parlamentarische Aufsicht.

Eines aber sollte man sich fragen: Ist eine Welt, in der viel spioniert wird, gefährlicher als eine Welt, in der es keine Spionage gibt? In Großbritannien überwiegt die Meinung, ohne Spionage sind wir immer nur Opfer. Mit einem Informationsvorsprung aber haben wir zumindest eine Chance, im Ernstfall das Schlimmste zu vermeiden.

Und noch etwas Positives: Im Internet-Zeitalter bleiben Geheimnisse auf Dauer nicht geheim - weder staatliche noch private. Anhänger einer offenen Gesellschaft werden mit mir sagen: Das ist gut so!

Anthony Glees, geboren 1948 in Oxford, ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Buckingham. Er studierte in Oxford, Bonn und Göttingen, lehrte ebenfalls in Oxford, aber auch in Warwick und Brunel, beschäftigt sich wissenschaftlich mit den britisch-deutschen Beziehungen, der Europapolitik und nationalen Sicherheitsfragen (Terrorgefahren, Geheimdienstarbeit), und schrieb sechs Bücher sowie Artikel für Zeitungen und Hörfunk.

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Der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees
Der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees© June Costard