Beten gegen den Sturm
Was bleibt den Menschen noch, wenn furchtbare Stürme ihre Häuser zerstören und ihnen nach den Leben trachten? Natürlich der Glaube. Der Katastrophenforscher Martin Voss erklärt, warum rationale Wissenschaft nicht weiterhilft, wenn "Harvey" und "Irma" kommen.
In Zeiten von Naturkatstrophen steht die Religion bei vielen Menschen plötzlich hoch im Kurs. Vor einigen Tagen suchte nach Hurrikan "Harvey" auch US-Präsident Trump Beistand in höheren Sphären. Er empfing eine Gruppe evangelikaler Führer im Oval Office und ließ sich - sicher ist sicher - beim gemeinsamen Gebet auch gleich die Hand auflegen.
Die Erklärungen, die die Wissenschaft über Wirbelstürme bereithält, scheinen den Menschen nicht zu reichen. Warum? Weil Naturkatastrophen die Frage nach dem Sinn des eigenen Daseins aufwerfen, meint der Soziologe und Katastrophenforscher Martin Voss.
Der Mensch und sein "Rest-Mysterium"
Der Mensch sei sterblich, das bleibe für ihn ein "Rest-Mysterium", sagte Voss im Deutschlandfunk Kultur: "Immer bleibt diese Frage: Warum bin ich eigentlich? Und warum geht das für mich zu Ende? Und wenn's denn kommt: Warum jetzt gerade ich und nicht jemand anders? Es stellt sich die Frage des Sinnes, und Katastrophen werfen diese Frage radikal auf."
Wenn die Welt unterzugehen scheint, hat die Religion Hochkonjunktur. Man müsse sich Religion in einem solchen Fall wie das politische Geschäft vorstellen, sagte Voss. Unterschiedliche Glaubensgemeinschaften konkurrierten dann miteinander um die Frage, wer das bessere Erklärungsangebot habe. Die eine Gemeinschaft werde dabei gestärkt, andere schieden "im Kampf um die Deutungshoheit" hingegen aus.
Auch der Glaube kann infrage gestellt werden
Ausnahme laut Voss: Wenn es richtig schlimm kommt. "Wenn die Katastrophe richtig radikal ist, dann passiert eben das, was historisch nur sehr selten vorkommt: Dass der Glaube, der Glaubensmodus an sich in Frage gerät. Dann wird man wirklich verflixt rational und glaubt an gar nichts mehr." (ahe)