Spirituelle Selbstfindung

Macht Religion glücklicher?

07:11 Minuten
Hände von betenden Menschen die in einer Gruppe stehen.
Studien deuten an, dass es einen Zusammenhang zwischen Religiosität und Glück geben könnte - das liege auch an der Sicherheit, die religiöse Systeme bieten, sagt Psychologe Sebastian Murken. © unsplash / Pedro Lima
Von Valentin Beige · 17.07.2022
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Gläubige Menschen sollen angeblich zufriedener sein, heißt es. Doch stimmt das auch? Die Besuche bei einer Glücks-AG in einer Schule und bei einem Religionspsychologen liefern aufschlussreiche Antworten.
Dienstagnachmittag, ein Gymnasium in Baden-Württemberg. Zeit für die Glücks-AG. Lehrerin Miriam Ederer erklärt, was heute auf dem Plan steht: „Wir haben uns in der letzten Woche damit auseinandergesetzt, was ihr so machen könnt, wenn ihr frustriert seid. Und von dem ausgehend, möchte ich heute über Gefühle allgemein sprechen, mit euch Gefühle anschauen. Und wir gucken uns die tatsächlich erst mal richtig an, in Form von Bildern.“
Vier Jungs und vier Mädchen aus den Klassen fünf bis sieben haben zusammen mit Lehrerin Miriam Ederer in einem Stuhlkreis Platz genommen. Das Klassenzimmer im Ernst-Sigle-Gymnasium in Kornwestheim, zehn Kilometer nördlich von Stuttgart, ist lichtdurchflutet. Großflächige Fenster, die Wände mit Holz gestaltet – ein Raum, in dem man sich gerne aufhält.

Das Glück praktisch erlernen

Jeden Dienstag trifft sich hier die Glücks-AG. Auf einem Tisch liegen Bilder, die Gefühle symbolisieren sollen. Ederer erklärt die Aufgabenstellung: „Ich möchte euch bitten, dass ihr euch zwei Karten aussucht. Nachher in der Gruppe benennt ihr das Gefühl. Ihr überlegt euch: Wie entsteht das Gefühl bei euch? Und wenn es ein Gefühl ist, das ihr nicht mögt: Wie kommt ihr aus dem Gefühl wieder heraus? Wie könnt ihr das verändern? Los geht‘s.“
Die Schülerinnen und Schüler suchen sich zwei Bilder aus und setzen sich zurück in den Stuhlkreis. Eine Schülerin hat sich ein Bild ausgesucht, auf dem ein Kind vor einer Toilette sitzt. Ederer fragt, wer anfangen will. Das Mädchen meldet sich.

Ich habe hier, so würde ich das nennen, die ‚Klodepression‘. Ich glaube das entsteht durch Probleme in der Schule, weil es sieht ein bisschen nach einer Schultoilette aus – also, wenn man Probleme in der Schule hat, geärgert wird.

Ich rede da jetzt eher so aus meiner Erfahrung heraus, weil ich saß schon mal ähnlich da, an einem ähnlichen Ort. Ich vermute einfach, dass das mit Schulstress, Problemen mit Menschen und verschiedenen Dingen zusammenhängt.

Eine Schülerin

Ein geschützter Raum

In der Glücks-AG öffnen sich die Schülerinnen und Schüler, erzählen auch von ihren Problemen und Sorgen, so wie auch diese Schülerin: „Wir haben mal über Fehler geredet, uns unsere Fehler erzählt. Und manche davon waren für einen selbst nicht so leicht zu erzählen, weil sie einen ein bisschen verletzt haben. Das ist manchmal nicht so leicht. Aber hier kann man sich überwinden, weil es nicht so viele Menschen sind, und man weiß, dass es auch nicht weitererzählt wird.“  
Alles, was in diesem Klassenzimmer gesprochen wird, bleibt auch in dem Klassenzimmer – ein geschützter Raum, das ist Lehrerin Miriam Ederer wichtig. Sie hat am Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg eine einjährige Zusatzausbildung zur Glückslehrerin gemacht. Das habe sie auch als Mensch und Lehrerin verändert, sagt sie:

Ich glaube, es ist wichtig, dass jeder guckt: Was tut mir gut im Leben? Wo will ich hin in meinem Leben? Und dass man Wege für sich findet, diesen Weg zu gehen.

Miriam Ederer, Lehrerin

Studien deuten Zusammenhang an

Menschen Räume zu geben, über solche existenziellen Fragen nachzudenken, innezuhalten, zu mehr Zufriedenheit zu finden – das gehört seit jeher auch zum Repertoire von Religionsgemeinschaften. Sich bei der Suche nach Glück im Leben aber beispielsweise in eine Kirche zu begeben, fällt heute kaum mehr jemandem ein.
Dabei zeigen Studien, dass es einen Zusammenhang zwischen Religiosität und dem persönlichen Glücksempfinden geben kann. Eine Studie aus den USA wertete 2019 Daten aus verschiedenen Ländern aus. Die Befragten konnten damals unter anderem angeben, ob sie religiös aktiv sind und glücklich sind.
Die Ergebnisse waren in verschiedenen Ländern unterschiedlich. In Mexiko sind religiös aktive Menschen am glücklichsten. 71 Prozent der Menschen, die angegeben haben „sehr glücklich“ zu sein, sind dort auch religiös. In Deutschland sind es 30 Prozent.

Religion bietet Sicherheit

Dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Religiosität und dem persönlichen Glücksempfinden gibt, liege daran, dass religiöse Systeme eine gewisse Sicherheit bieten, sich auf die Welt einzulassen und die Welt dann so zu akzeptieren wie sie sei, sagt der Religionspsychologe Sebastian Murken. Er erforscht, welchen Einfluss Religionen auf unser Leben haben. Er findet, Akzeptanz sei wiederum ein wichtiges Merkmal von Glück.

Wenn Religionen dazu beitragen, die Dinge und das Leben auch in seinen Widrigkeiten zu akzeptieren, dann kann darüber sicher so etwas wie ein Glücksgefühl vermittelt werden. Es gibt aber natürlich auch viele Menschen, die mit ihrem religiösen Glauben und der Weltwirklichkeit in Konflikt kommen – was eher eine Akzeptanz hindert.

Wenn etwas Schreckliches passiert, wenn trotz des Glaubens ein Angehöriger krank wird oder verstirbt, entstehen auch Fragen, die genau dieses innere Hadern fördern.

Sebastian Murken, Religionspsychologe

Dann kann Glaube auch eine Quelle von Unglück sein.

Ein sehr moderner Anspruch

Prinzipiell sei es auch gar nicht Aufgabe der Religionen, die Menschen glücklich zu machen, sagt Murken: „Es ist die Aufgabe der Menschen, sich den Religionen gemäß zu verhalten, um damit die Chance zu haben, an einem Heil teilzuhaben. Und diese moderne Frage, ‚Ist es hilfreich, religiös zu sein?‘, im Sinne von ‚Macht Religion gesünder? Macht Religion glücklicher?‘ und so weiter, ist ja eine funktionale Frage, die der inneren Logik von Religionen nicht wirklich entspricht.“
Aus psychologischer Sicht gibt es Elemente, die zum Glück beitragen, sagt Sebastian Murken: stabile Beziehungen beispielsweise, Familie oder Zufriedenheit mit dem Beruf. Und Religionen wiederum können dabei helfen, diese Faktoren zu fördern und damit das Glück anzukurbeln. Das erlebt er auch bei sich selbst.

Wollen, was man hat

„Das was mich selber prägt, ist durchaus das Prinzip der Akzeptanz: zufrieden zu sein mit dem, was man hat“, sagt er. „Für mich sehr prägend war und ist der Satz eines Klinikleiters, bei dem ich in den USA gelernt habe, der immer wieder gesagt hat: ‚Success is getting what you want. Happiness is wanting what you got.‘ Auf Deutsch: ‚Erfolg ist, das zu bekommen, was du möchtest. Glück ist, das zu wollen, was du hast.‘ Das, finde ich, ist ein ganz wichtiger Spruch und für mich auch durchaus handlungsleitend.“  
Womöglich ist es für religiöse Menschen also einfacher, Sinn und Glück zu finden. Aber eine Garantie gibt es natürlich nicht. Die gute Nachricht: Glücklichsein lässt sich bis zu einem gewissen Grad auch erlernen. Nicht nur in Glücks-AGs in Schulen, sondern beispielsweise auch durch positive Psychologie. Religiosität kann ein Weg zum Glück sein – er ist aber bei Weitem nicht der einzige.

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