Spiritueller Bestsellerautor

Anselm Grün zum 70. Geburtstag

Benediktinerpater Anselm Grün, aufgenommen vor der Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg
Benediktinerpater Anselm Grün, aufgenommen vor der Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg © dpa / picture alliance / David Ebener
Von Rocco Thiede |
Anselm Grün ist der Star der spirituellen Szene. Der Benediktinermönch und Schriftsteller füllt große Hallen. In der kommenden Woche feiert er seinen 70. Geburtstag. Wie konnte Grün aus der Klosterzelle heraus zum Bestsellerautor werden?
Ganz einfach war es nicht, Anselm Grün zum Gespräch über die Wurzeln seiner Kreativität zu bekommen. Denn der vielschreibende Pater Anselm ist gut gebucht mit durchschnittlich drei Vorträgen in der Woche plus zusätzlich vielen Auslandsreisen. Auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt? Keine Chance - ausgebucht. In Berlin am Rande eines Vortrages? Keine Zeit, da er gleich danach zum Flieger nach Hongkong musste. Also war es wohl das Beste, dahin zu reisen, wo der Benediktinerpater seit fünfzig Jahren lebt und arbeitet: nach Bayern ins Kloster Münsterschwarzach.
Die monumentale Abteikirche in Münsterschwarzach mit ihren vier markanten Türmen ist der größte während der NS-Zeit in Deutschland errichtete sakrale Bau. Das Gotteshaus wurde ab 1935 gebaut und 1938 geweiht. Aber Mönche und Nonnen gab es auf dem Klostergelände schon seit Karl dem Großen. Unter den vielen Mönchen im Chor bei der abendlichen Vesper ist Anselm Grün vom langen Mittelschiff der Kirche aus nicht zu erkennen. Von weitem sehen ihm einige seiner Mitbrüder ähnlich: mit ihren einheitlichen Kutten, langen weißen Bärten und etwas längeren Haaren, die über der Stirn schon ausgegangen sind.
Das Treffen mit dem Bestsellerautor findet am Folgetag statt. An der Klosterpforte sagt der Mönch nach einem kurzen Anruf, dass Pater Anselm in seinem Büro wartet. Das Büro des Paters befindet sich in einem schlichten Verwaltungsbau aus den 60er-Jahren. Alles ist hier recht nüchtern und sachlich. Auf seinem Schreibtisch steht ein großer Computerbildschirm. Rechts davon ein massiver Drucker. Links ein Kruzifix mit Rosenkranz. An den Wänden hängen zwei abstrakte in blauen Tönen gehaltene Bilder und eine große Uhr. Wie kam der Benediktinermönch Anselm Grün zum Schreiben?
"Mein erstes Buch war meine Doktorarbeit. Darüber gibt es nicht viel zu sagen. Das findet nicht so viele Leser. Der Ursprung des Schreibens war eigentlich 1976 eine Tagung: Beten im Mönchtum. 68 war ja auch hier eine Studentenrevolution, und im Kloster haben wir rebelliert gegen viele alte Traditionen. Und dann haben wir versucht, Zen-Meditation durch psychologische Erkenntnisse mit den Weisheiten der Wüstenväter und der frühen Mönche in Verbindung zu bringen. Und da habe ich einen Vortrag gehalten und den Vortrag an eine benediktinische Monatszeitschrift geschickt, und dann kam ein kleiner Verlag – Kaffke Verlag in Frankfurt, den es gar nicht mehr gibt, -ob man das nicht zum Buch machen kann. Und das war mein erstes Buch: 'Reinheit des Herzens', das war einfach die Verbindung von Mönchtum und Psychologie. Dann kamen wir auf die Idee, das könnten wir auch hier machen. Wir haben gespürt: Das interessiert die Menschen – damals mehr die religiös interessierten Menschen, die Ordensleute, viele engagierte Christen, und dann ist so allmählich auch ein weiteres Publikum entstanden."
Aber der Ursprung seines Schreibens von Sachbüchern war vielschichtiger. Im Alter von 25 bis 30 Jahren hatte er eine längere persönliche Krise. Das Schreiben von Büchern war für ihn auch eine Selbst-Therapie. Und der damals junge Klosterbruder merkte bei seinen Lesern, dass sie ähnliche Gedanken und Probleme hatten wie er. Das war befreiend, sagt Anselm Grün rückblickend. Seitdem sind viele Millionen Bücher auf fünf Kontinenten von ihm erschienen. Die genaue Auflagenhöhe kann er nur schätzen.
"300 Titel sind ungefähr erschienen von mir. Die Auflage kann ich nicht 100-prozentig sagen, aber zwischen 18 und 20 Millionen dürften es sein. Meine Bücher sind bisher in 35 Sprachen erschienen. Ich reise auch immer mal in andere Länder. In Polen sind sehr viele Bücher übersetzt worden, dann im chinesischen Sprachraum, dann in Argentinien, Chile und viel in Brasilien – das Land, das die meisten Bücher übersetzt hat. Über 100 schon und über eine Million Auflage. Dann war ich auch in Korea, die haben mindestens 60 bis 70 übersetzt."
Sechs Stunden in der Woche schreibt Anselm Grün
Pater Anselm schreibt nur in Deutsch. Da er sich ich in keiner anderen Sprache so gut ausdrücken kann, wie in seiner Mutersprache. Auch seine Vorträge hält er im Ausland immer nur in deutscher Sprache - auch wenn er E-Mails gern auf Englisch oder Italienisch beantwortet. Als Bestsellerautor hat er viele Themen behandelt: vom Glauben, über Hoffnung, dem Glück, der Liebe bis zum Sinn des Lebens. Was fehlt da noch an Themen für zukünftige Bücher?
"Ich habe keine Planung für mein Schreiben und ich habe keine Themen, wo ich sag, das muss ich unbedingt schreiben, sondern die Themen kommen dann so spontan aus Gesprächen mit Menschen, die ich führe bei Kursen, wenn ich natürlich auch mit Lektoren spreche, die haben auch ihre Ideen, und da muss ich immer schauen, springt mich da etwas an, habe ich da Lust, etwas zu schreiben. Aber ich habe keine so Planungen, was ich unbedingt schreiben müsste. Ein wichtiges Ziel ist mir immer wieder, biblische Texte so zu formulieren und so auszulegen, dass die Menschen sie verstehen. Und da gibt es immer Bedarf, aber ich habe mir noch keinen Plan gemacht, ob ich mal alttestamentliche Texte da auslegen soll oder die Briefliteratur im Neuen Testament, weil das ist nicht ganz so leicht, diese theologische Sprache in unsere Sprache zu übersetzen."
Er ist mit seinen Themen immer nah am Menschen, wenn man beispielsweise an die letzten Titel denkt, wo er als Onkel Willi zusammen mit seiner Nichte Andrea Larson, einer jungen, amerikanischen Mutter von drei Kindern, über das Leben mit seinen Freiheiten und Begrenzungen im Kontext von Liebe, Beziehung, Gemeinschaft, Einsamkeit oder Verantwortung nachdachte. Oder unlängst mit Walter Kohl, dem Sohn des früheren Bundeskanzlers, ein Buch über gelingendes Leben herausgab und dort über den Sinn des Daseins sowie Lebensglück reflektierte. Seine Themen findet er bei ihm nahestehenden Menschen:
"Ich greife immer die Themen auf, die Menschen mir bringen, also das sind oft der Umgang mit Angst, mit Depressionen, mit Ärger, mit Gefühlen. Wie kann mein Leben gelingen? Wie gehe ich um mit Konflikten? Das sind so ganz existentielle Themen, und ich versuche, sie von meiner Erfahrung und meinem Gefühl her zu beschreiben. Ich möchte nicht der typische Ratgeberautor sein, der sagt, so geht's lang, sondern ich möchte die Fragen der Menschen aufgreifen, ihnen Antworten - aber keine Patentantworten geben, sondern mit meinen Antworten möchte ich die Menschen in Berührung bringen mit der Weisheit ihrer eigenen Seele. Diese Weisheit ist Urwissen, das jeder Mensch in sich hat und der gesunde Menschenverstand, ein philosophisches Wissen, ein spirituelles Wissen, und ich glaube, dass in jedem Menschen eine Ahnung ist von gelingendem Leben und auch eine Ahnung von Gott, vom Geheimnis. Ich bin Missionsbenediktiner, sehe meine Aufgabe durchaus auch missionarisch, aber nicht in dem Sinn, ich muss die Leute bekehren zum Christentum, sondern ich möchte die christliche Botschaft in einer so offenen Sprache verkünden, dass die Menschen spüren, das ist ja gar nicht weit weg von mir."
Seit fast 40 Jahren ist Anselm Grün nun schon Autor. In dieser Zeit war er auch dreieinhalb Jahrzehnte für die Haushaltung und Wirtschaft eines der größten deutschen Klöster zuständig, in dem Landwirtschaft genauso betrieben wie sich um die schulische Ausbildung junger Menschen gekümmert wird. Da fragt man sich schon, wie er dieses Pensum schaffte:
"Für mich war immer wichtig, dass ich einen guten Rhythmus habe. Als Cellerar habe ich vor allem vormittags gearbeitet und nachmittags habe ich Gespräche und abends Vorträge gehabt. Zum Schreiben hatte ich so in der Woche sechs Stunden Dienstag und Donnerstagmorgen zwischen sechs und acht und am Sonntagnachmittag. Das war für mich eine heilige Zeit. Darauf habe ich mich gefreut und wenn man so seine regelmäßigen Zeiten hat, dann kommt man schon zu einigem. Außerdem bin ich kein Perfektionist. Ich schreibe einfach, was ich spüre. Lese dann immer wieder. Lass mich wieder anregen. Manche Bücher brauchen länger, bis sie wachsen. Manche schreibe ich so spontan. Natürlich ist kein Buch perfekt, sondern es ist immer der Versuch, eine Antwort zu geben auf Fragen, die mich gerade bewegen."
Könnte ein wohlhabender Schriftsteller sein
Pater Anselm Grün ist dabei nicht auf einen Verlag festgelegt. Für den hauseigenen Vier-Türme-Verlag in Münsterschwarzach entstehen genauso Bücher wie für Adeo in Dillerberg oder den Herder Verlag in Freiburg. Und in den Bücherregalen des Handels fallen die Dutzenden kleine Geschenkbücher zu Themen wie "Glück", "Hoffnung" oder "Liebe" von Anselm Grün auf. Da scheint auch viel kluges Verlagsmarketing dabei zu sein.
"Ich versuche immer, neue Bücher zu schreiben, und die Verlage machen natürlich aus alten Büchern neue. Das ist mir nicht immer ganz recht, weil erstens es eine Irritation für manche Leser, die dann sagen, das habe ich schon mal gelesen, ist. Natürlich gibt es ein Bedürfnis nach einem Jahreslesebuch. Das macht dann der Verlag. Aber wenn man immer wieder zu viel durcheinandermischt, dann ist es nicht unbedingt in meinem Sinn."
Wenn Anselm Grün nicht Benediktinermönch wäre, dann gehörte er mit seinen Millionen Auflagen auch zu den wohlhabenden Schriftstellern in Deutschland. Doch von seinen Einnahmen aus den Büchern bleibt ihm persönlich nichts, dem Kloster hingegen viel.
"Das Geld kommt in die Klosterkasse, und das Kloster unterstützt die Mission, in Tansania vor allem, dann haben wir eine Schule, die wir finanzieren müssen, wir haben 300 Arbeitsplätze, und da muss immer in was investiert werden, renoviert werden, und dafür wird das Geld verdient. Ich selber bekomme da nichts davon. Ich habe keine Privilegien, sondern ich habe das Geld in meinem Geldbeutel, das ich für die Fahrten brauche, wenn ich mal tanken muss oder einen Cappuccino trinke, aber sonst habe ich nichts."
Obwohl er es könnte, verhandelt Anselm Grün mit seinen Verlagen nicht um das Honorar und Provisionen.
"Ich verhandele nicht. Ich nehme die normalen Sätze, die der Verlag anbietet. Ich habe da keine Lust zu sagen, weil ich bekannt bin, brauche ich ein paar Prozent mehr - also dieses Handeln das liegt mir nicht."
Wer so ein erfolgreicher Sachbuchautor ist, könnte doch sicher auch andere Menschen im Schreiben unterrichten. Doch eine "Schreibschule Anselm Grün" gründen und eine Schülerschar aufbauen, das möchte er nicht.
"Manchmal schreiben mir Menschen, ob Sie bei mir in die Schule gehen können, zum Beispiel ob ich Kurse gebe. Aber da merke ich, da habe ich keinen Impuls. Also ich möchte nicht, dass die Leute Schüler von mir werden. Ich erlebe das bei manchen geistigen Gurus, die sagen ich bin Schüler von dem oder von dem. Ich möchte keine Schüler haben. Sie sollen Schüler Jesu werden. Und mein Schreibstil? Ich weiß gar nicht, was mein Schreibstil ist. Ich schreibe einfach und mache mir da nicht so viele Gedanken.
Für mich ist beim Schreiben wichtig, dass ich eine einfache und verständliche Sprache spreche, dass ich nicht moralisiere und nicht bewerte, sondern das Leben beschreibe, wie es ist, und Anregungen gebe - aber keine Ratgeberbücher, die sagen, Du musst das und das machen, dann geht's. Und ich habe nicht den Anspruch, dass die Leute alles befolgen, was ich schreibe, sondern ich sage immer: Es genügt, einfach im Lesen in eine andere Welt einzutauchen und mit mir selber in Berührung zu kommen. Und die Viertelstunde, wo ich lese, wo ich mich spüre, das ist schon was Heilsames."
Das nächste Thema ist die Gier
Und Anselm Grün verrät auch, wo seine Bücher entstehen - und dass er eine besondere Form von Tagebuch führt:
"Die Bücher schreibe ich auf der Zelle. Ich bin kein Tagebuchschreiber. Ich schreib mir auch nie etwas auf, was mir einfällt. Ich habe keine Block, wo ich irgendetwas notiere. Ich schreibe ganz selten einmal - im Urlaub, da habe ich ein Traumtagebuch dabei, weil ich meine Träume dann aufschreibe."
Seinen Lesern ist er immer nahe gewesen. Doch mittlerweile kann er sich nicht mehr mit allen treffen. Aber er steht mit ihnen persönlich im Austausch:
"Ich bekomme viele Zuschriften. Auf die Zuschriften antworte ich alle. Aber viele schreiben mir, sie wollen unbedingt ein Gespräch mit mir haben. Sie fühlen sich verstanden. Am Anfang habe ich diese Bitten auch erfüllt. Aber jetzt merke ich, das geht nicht mehr. Und da muss ich auch viele enttäuschen. Aber ich versuche, zumindest kurz auf einen Brief zu antworten."
Zum Abschied möchte man natürlich wissen, was als nächstes Buch kommt und mit welchen Thema sich Anselm Grün gerade beschäftigt:
"Gerade schreibe ich etwas über Gier. Das ist auch ein Thema was momentan sehr aktuell ist. Aber ich möchte da eben auch nicht zu moralisierend schreiben, sondern: Was ist die Gier? Wo ist sie auch ein positiver Antrieb? Was haben Menschen in der Antike darüber gedacht? Für mich ist es auch wichtig, die Weisheit zu spüren und ich möchte von der Bibel her einige Facetten, Gierfelder beschreiben. Wichtig ist, nicht anzuklagen, sondern: Wie finde ich zur inneren Freiheit und zur inneren Ruhe? Darum geht es ja im Umgang mit der Gier, dass ich mich nicht beherrschen lasse, sondern dass ich zur inneren Ruhe finde."
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