Spiritueller Tanz

Im Rhythmus des Herzens

Von Étienne Roeder |
Am vergangenen Wochenende ging in Berlin ein Festival zu Ende, das sich den heiligen Gesängen und Tänzen ganz unterschiedlicher Religionen gewidmet hat. Und unser Autor Étienne Roeder kam ganz verzaubert zurück.
Die erste feine Schwingung, die der Mensch verspürt, ist der Herzschlag seiner Mutter. Dieses Metronom unseres Lebens macht uns zu rhythmischen Wesen. Die Werkstatt der Kulturen in Berlin, die sich als alljährliche Veranstalterin des Karnevals der Kulturen einen Namen gemacht hat, setzte zu ihrem zwanzigjährigen Bestehen diese Freude an den feinen Schwingungen in sakraler Musik und Tanz in den Mittelpunkt eines Festivals. An drei Tagen folgten zwanzig verschiedene Künstler und Ensembles der Einladung der Werkstatt und boten einen einzigartigen Einblick in die Reichhaltigkeit religiöser und spiritueller Rhythmen in Berlin.
Das Sacred Music und Dance Festival zeigte, dass Musik nicht nur den Weg zum Glauben ebnen kann, sondern auch Grenzen zu durchstoßen vermag, die allzu oft zwischen den Religionen stehen. Durch Lieder, Mantren und Gesänge unterschiedlicher Religionen vermittelte sich Musik und Tanz als göttliche Sprache, als verbindender Rhythmus eines größeren Ganzen. Neben Erdal Kaya, der auf der Baglama, seinem Koran mit Saiten, wunderschöne alevitische Lieder darbot, verwandelten auch die senegalesischen Trommler des Baye Fall Ensembles den Saal und ihr Publikum in eine spirituell - ekstatische Gemeinschaft. Neben diesen beiden - gemeinhin unter dem Label muslimisch geführten – Musikdarbietungen, verzauberte das Suffi Ensemble Rabbaniyya. Mit geschlossenen Augen, träumend und fast in Trance folgten die Besucher dem Weg des Islam, in der musikalischen Sprache des Suffismus.
Die Derwische drehen sich um die Herzachse
"Die Derwische, die sich drehen, die nennt man eigentlich Sema- Sen, und das Drehen, was die machen, das nennt man Semá. Und das hat eigentlich nichts mit Trance zu tun, sondern sie begeben sich ganz bewusst, auf die Suche nach dem Geliebten. Sie drehen sich, so wie alles sich in der Existenz dreht, sie drehen sich um die Herzachse, weil der Geliebte sagt, ich bin nirgendwo in der Schöpfung zu finden, nur im Herzen meines wahren Liebenden. Und so begibt sich der Derwisch, der Sema- Sen, auf diese Reise, indem er sich genauso wie der gesamte Kosmos, das Universum dreht, schaut in sein Herz, öffnet die Arme, um den Geliebten willkommen zu heißen.
Das ist Nej. Nej ist auch Mutterblasinstrument in der Welt. Man findet es heute beim arabischen Orchester, bei türkischem Orchester auch. Wir spielen an dem Zahn, direkt in der Mitte auf dem Zahn. Ich weiß es nicht warum wir müssen mit Zahn spielen. Keine Ahnung, das ist eine unglaubliche Sache. Weil hat ganz unterschiedliche Sound und drei Oktaven kann ich ganz leicht und locker spielen. Es ist uns gelungen einen kleinen winzigen Ausschnitt dessen zu zeigen, was hier in der Stadt los ist."
So beschrieb die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Werkstatt der Kulturen Phillippa Ebéné das Festival.
"Wir haben zwanzig Programmpunkte gehabt, die nicht ganz zufällig mit unserem zwanzigjährigen Jubiläum zusammenfallen. Das ist die eigentliche Idee gewesen, eine Geburtstagsparty zu feiern, die zur Werkstatt der Kulturen passt. Die Werkstatt der Kulturen wurde 1993 eröffnet, mit einer wunderbaren Fotoausstellung, die man jetzt auch wieder sehen kann. Wir dachten es wäre eine schöne Idee 20 Jahre später wieder anzuschließen mit einem Festival, das die unterschiedliche Kulturpraxis im Bereich Tanz und Musik abbildet."
Die Ausstellung "Weltreligionen in Berlin" zeigt Gotteshäuser koptischer Christen, Koranschulen für Mädchen und buddhistische Tempelrituale in Berliner Privatwohnungen und verdeutlicht damit, dass Religion als wichtiger Aspekt von Kultur von Anfang an miteinbezogen wurde. So erscheint es fast überfällig, dass die Werkstatt dem breiten Spektrum sakraler Tänze und Musik ein eigenes Festival widmet.
"Es war ein sehr schönes Festival. Wir hatten Gospel, wir hatten thailändische buddhistische Tempeltänzerinnen, daneben hatten wir Schamanismus aus der Mongolei, Schamanismus aus Korea. Wir hatten Tigari."
Der Tigari Geist in Christentum und Islam
Über die Augen von Nyanyo Addo, dem Tänzers des Ensembles, ist ein weißer Balken gemalt: Seine Haare stehen wild zu Berge, er ist barfuß. Mal freudig verspielt, mal bedrohlich kokettiert er mit dem Publikum. Am Beispiel des Tigari Geistes zeigt sich auch der spirituelle Charakter, den Widerstand annehmen kann. Widerstand in und durch Religion. In Ghana ließ er sich problemlos in beide großen monotheistischen Religionen integrieren und schuf die sakrale Verbindung zu einer Vergangenheit vor der Kolonisierung Afrikas durch Christen und Muslime.
"Ich denke wir müssen zurück zu dieser Sakralität. Es gab uralte Kulturen, die in der Natur gewohnt haben und ich denke es ist sehr wichtig, dass wir zurück zu diesem Sakralen gehen."
Zum Höhepunkt und würdigen Abschluss des Sacred Music & Dance Festivals wurden die langen sphärischen Gesänge aus der inneren Mongolei. Die international renommierte Sängerin Urna Chahar Tugchi gewährte den Festivalbesuchern mit ihrer Vier- Oktaven Stimme einen kurzen Einblick in die Mitte der Welten. Zwischen dem "ewigen blauen Himmel", der "Mutter Erde" und dem "Sohn des Himmels" sucht der Mensch sein Gleichgewicht, unabhängig von Konfession oder Kultur, als Teil des übergeordneten Schönen.