Religion wird ins Kleingedruckte verbannt
Selbst Verlage, die starke Berührungspunkte mit Religion haben, trauen sich nicht, ihre Bücher als "religiöse Ratgeber" zu bezeichnen. Sie fürchten, die Kunden könnten das als belehrend empfinden. Was bleibt, sind Tipps für die Alltagsethik ohne erhobenen Zeigefinger.
Sechs Wochen Spezialdiät für eine schlankere Figur, sieben Wochen Bewegungskur für mehr Spannkraft – solche Gesundheitstrainingstipps findet man selten in den Ratgeber-Ecken der religiösen Verlage. Aber: "Acht Wochen Training für ein Leben mit Leuchtkraft" – einen solchen, ähnlich klingenden Ratgeber für die Seele gibt dann schon. "Shine" - so heißt das Werk- ist eigentlich kein klassisches gebundenes Buch, sondern so eine Art Heftkladde mit tag-täglichen Anweisungen, wie man sich in zwei Monaten mittels Meditationen und kleinen Gebeten zu einem anderen, besseren Menschen verwandeln kann. Gedacht ist das spirituelle Trainingsheft für Jugendliche. Alexander Tremp ist selbst noch Azubi im SCM-Verlag, der der freikirchlichen Evangelischen Allianz nahesteht und den Ratgeber anbietet:
"Und das ist von der Innengestaltung auch so gemacht, dass es speziell für Jugendliche ansprechend ist. Auch vom Sprachstil her ist das für junge Leute angepasst, dass die das auch gerne lesen."
Gar nicht gelesen wird im Gang gleich nebenan, sondern andächtig gelauscht. Selbst im Trubel der Buchmesse wie die meditative Kraft der Musik wirksam – ein niederländisches Klarinetten-Trio zieht die Buchmenschen für einen Augenblick mit Klezmer-Musik in seinen Bann.
"Menschen wollen keine Bücher mehr, haben wir den Eindruck, in denen steht, was richtig oder falsch ist .Oder fünf Tipps, wie man Punkt. Punkt. Punkt. Keiner möchte mehr Richtigkeiten hören."
…glaubt am Stand des Herder-Verlages die Lektorin Petra Hahn-Lütjen. Nur in Nuancen anders klingt Claudia Lueg, Programmleiterin für Religion und Spiritualität in der Verlagsgruppe Patmos:
"Vor allem steht der Begriff Ratgeber nicht so drüber. Denn welche Menschen wollen schon, zumal in religiösen Fragen einen Rat? Aber es geht immer darum und so ist unser Slogan: Lebe gut und lebe das Gute."
Ein Imam liebt die Bibel
Hm – das klingt noch sehr abstrakt. Hilft vielleicht Buddha herauszufinden, was das Gute ist und wie man es, wenn man es weiß, dann auch leben kann? Nicht weit vom Patmos-Stand hat das buddhistische Tibet-Haus aus Frankfurt am Main seinen kleinen Stand eingerichtet – Buddha-Statuen erblicke ich dort aber nicht. Auch keine Bücher, die wie religiöse Ratgeber aussehen. Keine Beziehungstipps, keine Traueranleitungen, keine Handreichungen für den Umgang mit Demenzkranken- so einige der Themen der aktuellen Ratgeberliteratur für den Alltag. Gisela Bär vom Tibethaus:
"Gut, das ist eigentlich der ganze buddhistische Kontext. Wie gehe ich mit dem Leben um, wie mit dem Tod, wie mit Krankheit. Das ist eigentlich der gesamte buddhistische Kontext."
Doch zwei Stände weiter finde ich jemanden, der es bedauert, dass es zu wenig religiöse Ratgeberliteratur mit speziellen Alltagthemen für seine Religion gibt. Benjamin Idris nämlich, Iman der Islamischen Gemeinde Penzberg in Bayern:
"Ich vermisse solche Bücher in deutscher Sprache. Es gibt natürlich Bücher, ich lese sie auf Türkisch oder auf Arabisch, es sind viele im Bereich des sozialen Lebens. Umgang mit Nachbarn, mit behinderten Menschen, mit Kindern und so weiter. Und solche Ratgeberbücher vermisse ich. Die Bücher sind in Deutschland sehr politisiert. Islamische Bücher sind sehr politisiert. Weil auch die Extremisten, die Radikalen nur schwarz-weiß denken."
Mehr alltagstaugliche religiöse Ratgeber für den Islam in Deutschland gegen zu viel fundamentalistische Ideologie zwischen Buchdeckeln – eine überraschende Perspektive. Und der bibliophile Imam am christlichen Buchmessen-Stand geht noch einen Schritt weiter. Er kann sich auch eine religionsübergreifende Ratgeberliteratur vorstellen.