Sporadisch singen

Von Tabea Soergel |
Vor drei Jahren wurde an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig der HGB-Chor ins Leben gerufen. Viele Sänger besuchen die Proben eher sporadisch, die Besetzung wechselt deshalb wöchentlich - ein Experiment unter Extrembedingungen. Doch es ist geglückt.
Ein Donnerstagabend in der renommierten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Durch die Flure schallt der Lärm einer Ausstellung mit Party im Treppenhaus. In einem Seminarraum im zweiten Stock steht ein Dutzend junger Leute im Kreis und singt sich ein: Die wöchentliche Probe des HGB-Chors hat begonnen.

Ein grauweißer Terrier läuft aufgeregt zwischen den Sängern umher, neben einem Stuhl steht eine Flasche Bier. Während noch ein paar Nachzügler eintrudeln, verteilt Chorleiter Christoph Scholtz die Noten: "Back for good" der britischen Boygroup Take That. 2009 hat Scholtz den HGB-Chor mitgegründet. Darüber hinaus gibt es keine große Beständigkeit:

"Das Konzept ist, wir singen alles, was schön klingt und möglichst nicht zu lange dauert, um einstudiert zu werden, weil einfach die Leute zu unregelmäßig kommen."

Ob man Sopran oder Alt, Tenor oder Bass singt, kann von Mal zu Mal wechseln. Nur wenige Sänger sind immer da, jede Probe ist ein Neuanfang. Pro Semester erarbeitet der Chor intensiv zwei, drei Lieder für vier Stimmen, die er dann etwa beim hochschulinternen Weihnachtsmarkt oder dem alljährlichen HGB-Rundgang präsentiert. Den letzten öffentlichen Auftritt hatte er bei der feierlichen Diplom-Verteilung in der Hochschule. Das restliche Programm ändert sich wöchentlich. Erlernt werden die Stücke, ob Pop, Jazz oder schwedische Folklore, auditiv: Christoph Scholtz singt und spielt jede Stimme am Klavier vor, der Chor singt nach.

Christoph Scholtz: "Ich suche viele Stücke raus, wo ich denke: Okay, jetzt kommen diese Woche vielleicht 20 Leute und wahrscheinlich nur vier Männer, das heißt, dementsprechend suche ich was aus, was passen könnte."

Birgit Kuch: "Man weiß ja vorher auch nie, an was für einem Stück wir üben, und das mag ich sehr gern. Auch diese Überraschung. Und: Wer ist heute da, was machen wir heute, was passiert heute. Und: Kriegen wir heute ein Stück zusammen oder vielleicht auch nicht, fangen wir drei an?"

Birgit Kuch hat nicht an der HGB studiert, sondern gerade ihren Doktor in Theaterwissenschaften gemacht. Wer wie sie von außerhalb kommt, wer an der Hochschule studiert und wer hier unterrichtet, lässt sich während der Probe kaum unterscheiden.

Es wird viel gelacht, auch und gerade während des Singens, die Atmosphäre ist locker und freundschaftlich. Nicht jeder Ton sitzt, und wenn eine Stimmgruppe nur aus zwei Sängerinnen besteht, wird eher schüchtern geflüstert als inbrünstig intoniert - doch all das spielt keine Rolle. Beim HGB-Chor ist jeder willkommen, der gerne in Gesellschaft singt, ganz egal, wie er singt.

Luise Bartels: "Der Hauptbeweggrund auch für die meisten Leute herzukommen, dass es eben nicht ein Drill ist. Und es können auch nicht alle Noten lesen, und man muss auch nichts vorsingen, und es hat überhaupt nicht diesen Vorführcharakter."

Markus Dreßen: "Hier bin ich nicht Lehrender, sondern hier bin ich genauso jemand, der schief singt und sich die Stimme erarbeiten muss und all das."

Luise Bartels, Typographie-Studentin, und Markus Dreßen, Professor für Grafikdesign, sind beide Gründungsmitglieder des HGB-Chors, beide Teil des harten Kerns. Ganz neu ist dagegen Matthias Jügler, der am Deutschen Literaturinstitut studiert. Ihm kommt gerade die entspannte Haltung des Chors sehr entgegen.

Matthias Jügler: "”Ich singe wahnsinnig gerne, aber ich kann, glaube ich, nicht – ich bin nicht gut genug für einen richtig oberprofessionellen Chor. Und der HGB-Chor ist eher so ein, eher so ein cooler Chor, wo man auch hin kann, wenn man nicht perfekt und sehr, sehr schnell nach Noten singen kann.""

Christoph Scholtz: "Na klar bin ich manchmal frustriert, weil ich denke: Mensch, das Stück ist so cool, und wenn wir einfach mal zwei Proben lang daran arbeiten würden, dann würden das auch alle anderen gleich merken, ja."

Auch wenn Christoph Scholtz nichts gegen etwas mehr Ehrgeiz und Disziplin bei den Chorsängern hätte, ist ihm der Spaß am gemeinsamen Musikmachen überdeutlich anzumerken - vielleicht auch die Freude an der Herausforderung, Woche für Woche das Chaos aufs Neue zu bändigen. Der Bauingenieur Heiner März und die Illustratorin Maryna Zhdanko wissen jedenfalls genau, woran es liegt, dass sie immer wiederkommen.

Heiner März: "Dass das immer eine wechselnde Mischung ist, und dass das eigentlich was ganz Tolles ist. Dass Christoph es jedes Mal schafft, ein Lied auf die Beine zu stellen, und das, obwohl es zwei Drittel neue Leute sind, die noch nie da waren, und ein Drittel harter Kern quasi."

Maryna Zhdanko: "Ich bin noch nicht so lange dabei. Aber die Leute sind sehr nett, muss ich mal sagen, und es ist schon sehr angenehm hinzukommen und mitzusingen."

Maryna Zhdanko: "Die Glücksgefühle danach."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.