Im Bezirksligafrauenteam des FC Nordost Berlin spielt auch der 23-jährige Dennis Magnus mit. Dennis hieß früher Jacqueline. Er hat sich 2016 als trans geoutet und nimmt seit 2017 regelmäßig Testosteronpräparate ein. Auch geschlechtsangleichenden Operationen hat er sich schon unterzogen.
Ich habe schon meine Mastektomie, also meine Brustabnahme. Und letztes Jahr Ende Mai hatte ich die Gebärmutter- und Eierstock-Entfernung. Alles Weitere habe ich noch nicht und ich will mir auch noch Zeit lassen. Ja, und November 2020 hatte ich dann meine Namens- und Personenstandsänderung gehabt.
Dennis Magnus, Fußballspieler
Dennis erzählt, dass er mit elf, zwölf Jahren gemerkt habe, dass er ein Junge sei. Er habe sich früh an eine Psychologin gewandt. Mit ihrer Begleitung durchlief er dann die Transition, den Prozess der Geschlechtsangleichung.
Dennis Magnus hat geschlechtsangleichende Operationen hinter sich.© Deutschlandradio / Jutta Heeß
Dennis Magnus ist im Bezirk Marzahn-Hellersdorf aufgewachsen und macht zurzeit eine Ausbildung zum Erzieher. Seine Kindheit hat er auf dem Bolzplatz verbracht und mit zehn Jahren im Verein mit Fußball angefangen. Auch während seiner Transition hat er weiter in seinem Team gespielt, aber immer verbunden mit der Sorge, dass er als Mann bald nicht mehr dabei sein darf.
„Dann kam natürlich die Zeit, wo ich dann die Namens- und Personenstandsänderung beantragt habe. Da war ich natürlich die ganze Zeit sehr traurig, und es war sehr belastend für mich, weil ich da noch dachte, jetzt ist es vorbei für mich bei meiner Mannschaft, wo ich jahrelang schon spiele", sagt Dennis Magnus.
Berliner Regelung für trans Sportler*innen
Doch dann erfuhr Dennis, dass der Berliner Fußball-Verband 2020 eine Regel eingeführt hatte, nach der trans- und intergeschlechtliche Menschen in den Teams ihrer Wahl spielen dürfen. Auch für diverse oder nicht-binäre Menschen – also Menschen, die sich weder als weiblich noch männlich definieren – gilt das „Berliner Modell“, das erste dieser Art in Deutschland.
Sport ist für viele Menschen ein elementarer Teil ihrer Identität. Umso wichtiger ist es, dass trans Menschen während und nach ihrer Transition nicht aus ihrem persönlichen Umfeld gerissen werden. Um auftretende Fragen und Unsicherheiten aufzufangen, hat der Berliner Fußball-Verband zwei Ansprechpersonen zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt benannt.
Eine ist Christian Rudolph, auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) hat er diese Funktion inne. Er sagt, dass sich die neue Regelung für trans Fußballer und Fußballerinnen noch nicht in ausreichendem Maße herumgesprochen habe:
Der nächste Schritt ist natürlich auch, dass wir auch die Angebote in den Vereinen stärken und schaffen müssen. Das ist ja auch eine Hürde für trans Personen, überhaupt mit Fußball anzufangen, direkt in einen Fußballverein zu gehen. Zukünftig wollen wir gucken, dass wir auch geschlechtsneutrale Spielklassen anbieten.
Christian Rudolph, Berliner Fußball-Verband
Auch für Dennis’ Mitspielerinnen und seinen Trainer ist die neue Regelung ein großer Gewinn, sie können Dennis im Team behalten – als Spieler und als Mensch. Überhaupt war Dennis’ Geschlechtsangleichung kein großes Ding, wie Trainer Oliver Kniezyk sagt:
„Ja, im Prinzip war es für mich ganz normal gewesen, weil ich kannte ihn schon von klein auf an.“
Aber wie kommt es bei den anderen Mannschaften in der Liga an, wenn sie realisieren, dass im gegnerischen Team ein Mann mitspielt?
„Da haben wir bisher noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Das ist so angenommen worden. Klar, es gab schon Fragen, aber dann wurde es erklärt“, sagt Oliver Kniezyk.
Dennis würde gerne eines Tages in der Männermannschaft spielen. Doch noch fehle ihm die Robustheit auf dem Platz, sagt er.
Körperliche Vorteile für trans Sportlerin Thomas?
Trans Personen fühlen sich im Sport nicht immer so gut angenommen wie Dennis Magnus – das sieht man am aktuellen Fall der trans Schwimmerin Lia Thomas, die die US-College-Meisterschaften über 500 Meter Freistil gewann. Die 22-Jährige startete bis 2019 als Mann, dann begann sie eine Hormontherapie und nahm Östrogene und Testosteronblocker ein. Testosteron, das im Männerkörper in der Regel in höherer Konzentration vorhanden ist, gilt als leistungssteigernd.
Trans Schwimmerin Lia Thomas gewann die US-Collegemeisterschaften über 500 Meter Freistil.© dpa / picture alliance / John Bazemore
Nach Lia Thomas’ Sieg war die Aufregung im Schwimmsport und in den sozialen Medien groß. Ihr wurden körperliche Vorteile vorgeworfen. Nach einer Studie des „British Journal of Sports Medicine“ haben trans Frauen jedoch höchstens ein Jahr nach dem Beginn ihrer Hormontherapie noch athletische Vorteile gegenüber ihren Konkurrentinnen, danach gleichen sich die körperlichen Voraussetzungen immer mehr an.
Die Skepsis gegenüber Lia Thomas erinnert an die Anfeindungen, denen sich im vergangenen Jahr die Gewichtheberin Laurel Hubbard ausgesetzt sah. Die Neuseeländerin durfte als erste trans Sportlerin an Olympischen Spielen teilnehmen, da ihr Testosteronwert unter einer vom Internationalen Olympischen Komittee (IOC) festgelegten Grenze lag. Das Gerede um angebliche Leistungsvorteile war womöglich am Ende zu viel Gewicht für die Athletin: Laurel Hubbard schied in Tokio nach drei ungültigen Versuchen aus.
Früher gab es demütigende "Sex-Tests" für Frauen
Das ist das Dilemma des Sports: in Wettkämpfen für Chancengleichheit sorgen zu wollen, dabei aber gleichzeitig niemanden zu diskriminieren. Schon in den 1960er-Jahren ließ sich beobachten, wie sehr der Sport seine reine Zweigeschlechtlichkeit zementieren wollte: Mit sogenannten Sex-Tests mussten Frauen auf demütigende Weise ihre Weiblichkeit unter Beweis stellen.
Mit den Themen Vielfalt und Inklusion setzt sich Birgit Gutschlhofer-Emerich auseinander. Sie leitet das Ressort Geschlechtergleichstellung und Diversity beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und erklärt:
Im Leistungssport zeigt sich das Thema nämlich ganz besonders dadurch, dass es dieses binäre Geschlechtersystem gibt und eine Einteilung in Männer- und Frauenkategorien vorgenommen werden muss, weil es diese Geschlechtertrennung im Sport einfach gibt. Aber generell muss man dazu sagen, dass das Problem hauptsächlich im Bereich der trans Frauen auftritt, die da auf Widerstand und auf Vorurteile stoßen und denen es zum Teil schwer bis unmöglich gemacht wird, in der Frauenkategorie zu starten.
Birgit Gutschlhofer-Emerich, Deutscher Olympischer Sportbund
Erst Ende 2021 hat das IOC in einem neuen Regelrahmen beschlossen, den Vereinen und Verbänden die Entscheidung zu überlassen, wer in welcher Kategorie das Startrecht hat. Der Berliner Fußball-Verband war hier Vorreiter, sein Modell wurde bereits von sechs Landesverbänden übernommen, der Deutsche Fußball-Bund will bald mit einer einheitlichen Regelung folgen. Der Deutsche Hockey-Bund hat das flexible Spielrecht bereits bundesweit umgesetzt.
Semenyas Klage gegen die "Testosteronregel"
Die Probleme, die der Sport mit geschlechtlicher Vielfalt hat, zeigen sich exemplarisch im Fall der 800-Meter-Läuferin Caster Semenya. Die dreifache Weltmeisterin und Doppelolympiasiegerin ist intergeschlechtlich. Intergeschlechtliche Menschen haben körperliche Geschlechtsmerkmale, die sich nicht als nur männlich oder nur weiblich einordnen lassen. Die Südafrikanerin hat von Natur aus erhöhte Testosteronwerte.
Die südafrikanische Leichtathletin Caster Semenya ist intergeschlechtlich.© dpa / picture alliance / Jasper Jacobs
2011 hatte der Internationale Leichtathletikverband die "Testosteronregel" eingeführt, die intersexuellen Mittelstreckenläuferinnen vorschreibt, ihren Hormonwert zu senken. Caster Semenya weigert sich, die hierfür notwendigen Medikamente einzunehmen und ist daher von Wettkämpfen ausgeschlossen. Die 31-Jährige klagte mehrfach gegen die Regelung, zurzeit wartet sie auf eine Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die zeitnah stattfinden soll.
Was im Wettkampf- und Leistungssport problematisch ist, funktioniert im Breitensport häufig schon sehr gut. Es gibt immer mehr Vereine, die sich ganz gezielt an die LGBTIQ-Community wenden, also an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans, inter, queere und non-binäre Menschen. Diese Vereine sorgen mit ihren Sportangeboten für mehr Gendergerechtigkeit und sind Schutzräume gegen Diskriminierungen.
Homophobe Anfeindungen im Sport
Seit 2018 bietet der DOSB jährlich eine Tagung an, bei der sich diese Vereine vernetzen und austauschen können. Das Interesse an Fragen zur Gleichstellung von queeren Personen im Sport sei in den letzten Jahren gestiegen. Hier möchte der DOSB ansetzen und noch mehr Vereine und Verbände, Funktionäre, Trainerinnen und Trainer im Umgang mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt unterstützen.
Es sind nicht nur trans- und intergeschlechtliche Menschen, denen im Sport Diskriminierung begegnet. Auch homosexuelle Athletinnen und Athleten müssen zum Teil immer noch mit Anfeindungen und Abwertung rechnen – trotz zunehmender Akzeptanz in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Christian Rudolph, Ansprechperson für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim DFB, sieht auch hier den Sport hinterherhinken:
„Ich glaube, dass der Sport grundsätzlich in den letzten Jahren viele Entwicklungen nicht mitgemacht hat, gesellschaftlich. Und dass der Sport sehr männlich geprägt ist. Aber das trifft ja nicht nur auf den Fußball zu, sondern auf alle Sportarten letztendlich auch.“
Erster queerer Spieler einer deutschen Profiliga
Schmettern, Baggern, Pritschen, Hechten – die Spieler der BR Volleys, Bundesliga-Serienmeister der vergangenen Jahre, hängen sich im Training voll rein. Hoch konzentriert dabei: der 27-jährige Diagonalangreifer Benjamin Patch. Bei seinen Schmetterschlägen hebt der 2,03 Meter große Athlet kraftvoll und elegant vom Boden ab. Der US-Amerikaner spielt seit 2018 für die BR Volleys. Vor zwei Jahren machte er öffentlich, queer zu sein, als erster Spieler einer deutschen Profiliga. Was genau versteht er darunter?
„Ich identifiziere mich nicht ausschließlich als schwuler Mann. Ich bin sexuell sehr offen und ich möchte mich nicht einschränken. Alles ist möglich. Für mich war es einfach die Verkündung meiner Identität. Ein Coming-Out hat immer diesen Beigeschmack von Dramatik und Wow-Faktor. Und für mich war es das nicht, ich habe mein Leben vorher auch gelebt, meine Mannschaftskameraden, mein Verein – es war kein Geheimnis. Ich will nichts verheimlichen oder im Schrank leben, wie man so schön sagt.“
Benjamin Patch outete sich als erster queerer Spieler einer deutschen Profiliga.© dpa / picture alliance / Engler
Nicht immer fiel es ihm leicht, seine sexuelle Identität und seine Vorlieben neben dem Sport offen zu zeigen. Er wuchs als schwarzes Kind bei weißen Adoptiveltern im US-Staat Utah auf.
Klare Vorstellung von Männlichkeit
In vielen Sportarten dominiert auch heute noch eine klare Vorstellung von Männlichkeit und Härte, die sich leider nach wie vor in homophoben Sprüchen Luft macht: “der schwule Pass“ etwa, als Ausdruck eines schlechten Passes.
Christian Rudolph, der auch beim Bündnis „Fußballfans gegen Homophobie“ aktiv ist, erinnert sich an ein Beispiel aus seiner aktiven Zeit als Footballspieler:
Da hatte ich auch schon mal ein ernstes Gespräch mit dem Trainer, weil – er ist nicht homophob – aber der hat auch mal gesagt ‚Schluss jetzt mit dem Schwuchtel-Training’. Und in dem Moment, ich habe verstanden, was er wollte, und habe es dann hinterher thematisiert gehabt. Und das war ein ganz entscheidender, wichtiger Moment.
Christian Rudolph, Berliner Fußball-Verband
Nach Benjamin Patch machten im vergangenen Jahr auch der neuseeländische Fußballer Josh Cavallo und der US-amerikanische Footballspieler Carl Nassib ihre Homosexualität öffentlich. An den Olympischen Spielen in Tokio nahmen, der Website „Outsports“ zufolge, über 180 offen homo- oder bisexuell lebende Sportlerinnen und Sportler teil – olympischer Rekord. Und Fußballnationaltorhüter Manuel Neuer trug bei den deutschen EM-Spielen eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben als Zeichen der Solidarität mit der queeren Community.
Und dennoch, trotz fühlbar gestiegener Akzeptanz: In Deutschland wartet die Öffentlichkeit immer noch auf den ersten aktiven Fußballprofi, der zu seiner Homosexualität steht.
Ein Coming-Out allein leitet noch keinen grundlegenden Wandel ein, wie man am Beispiel von Thomas Hitzlsperger sieht, der kurz nach dem Karrierende über seine Homosexualität gesprochen hatte. Das war vor über acht Jahren und er ist nach wie vor der Einzige im deutschen Profifußball der Männer.
Christian Rudolph hofft auf mehr Sensibilisierung an der Basis.© Deutschlandradio / Jutta Heeß
Wichtiger als das Outing eines prominenten Fußballers sind in Christian Rudolphs Augen auch hier wieder Aufklärung und Sensibilisierung, die an der Basis, also bei den Sportvereinen, beginnen müssten. Er hofft, dass der DFB und auch andere Verbände für diese Arbeit in Zukunft mehr Ressourcen und Finanzen zur Verfügung stellen werden als momentan.
„Wenn ich sehe, wie viel Geld in der Bundesliga gemacht wird, dann sehe ich aber im Vergleich, was für Antidiskriminierungsabeit am Ende hängenbleibt. Aber wir wollen eben Millionen von Menschen bewegen. Wenn ich an Fußball denke, sind es über sieben Millionen Menschen. Und da können wir nicht einfach nur so tun, als wenn es nur um den Fußball geht.“
Denn in einem Umfeld, in dem sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nichts Besonderes mehr ist, können bekannte Sportlerinnen und Sportler womöglich leichter zu ihrer Homo- oder Bisexualität stehen.
Die ersten Schritte auf dem Weg zur Normalität für LGBTIQ-Personen sind gegangen – Vorurteile werden vielerorts ausgeräumt und Barrieren abgebaut. Das sieht auch Volleyball-Profi Benjamin Patch:
Ich glaube, allein im letzten Jahr gab es zehn oder zwölf wirklich prominente Sportler in verschiedenen Sportarten auf der ganzen Welt – Männer und Frauen, die offen über ihre sexuelle oder ihre geschlechtliche Identität sprechen konnten. Die Tatsache, dass die Leute darüber reden, darüber berichten – das zeigt, es geht voran. Wir müssen so lange darüber reden, bis wir nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch speziell im Sport mehr Gleichberechtigung erreicht haben.
Benjamin Patch, Volleyball-Profi
Das heißt im Klartext aber auch: In der besten aller Sportwelten wären Diversität und Gendergerechtigkeit nicht mehr der Rede wert. Doch solange Vielfalt in Vereinen, auf Funktionärsebene und bei Wettkämpfen noch nicht selbstverständlich ist, werden Athleten wie Dennis Magnus und Benjamin Patch hoffentlich nicht aufhören, ihre Geschichten zu erzählen.