Stephanie Heinecke: "Fit fürs Fernsehen?"
Die Medialisierung des Spitzensports als Kampf um Gold und Sendezeit
Herbert von Halem Verlag, 504 Seiten, 34 Euro
Fit fürs Fernsehen?
Wie passen sich Sportarten ans Fernsehpublikum an? Das hat die Medienwissenschaftlerin Stephanie Heinecke untersucht. Sie stieß auf eine radikal angepasste Randsportart, die trotzdem ignoriert wird und einen Reitsport, der sich kaum verändert hat.
"Der professionelle Sport muss sich dem Fernsehen ... anbiedern ist vielleicht schon zu stark gesagt, aber muss sich dem Fernsehen anpassen, weil Fernsehen für den Spitzensport elementar ist."
... sagt die Münchner Medienwissenschaftlerin Stephanie Heinecke. In ihrer Dissertation stellte sie eine höchst interessante Frage: Lassen sich im Regelwerk, ja im kompletten Setting von sechs verschiedenen Sportarten ....
"Das waren Fußball, Badminton, Biathlon, Moderner Fünfkampf, Dressurreiten und Beachvolleyball."
1984 war entscheidendes Jahr
Anpassungseffekte an die zunehmende Mediendominanz unserer Gesellschaft beobachten? Über einen Zeitraum von beinahe 30 Jahren wertete sie alle vorhandenen Materialien aus, jede Spielregeländerung, Schulungsbriefe für Schiedsrichter, verbandsinterne Diskussionen, Strategiepapiere und so weiter. Der Startpunkt lag keineswegs zufällig im Orwell-Jahr 1984:
"1984 ist in Deutschland das private Fernsehen eingeführt worden. Wenn wir überlegen, welches Verhältnis haben die meisten Menschen zum Spitzensport, dann ist das die Zuschauerrolle. Inklusion findet also über die Zuschauerrolle statt. Und die Zuschauerrolle kann nur passieren, wenn man entweder live vor Ort ist oder über Verbreitungsmedien daran teilnehmen kann. Durch die Einführung des privaten Fernsehens gab es jetzt viel mehr Programmplätze, und deswegen gehe ich davon aus, dass es extrem wichtig war, dass 1984 eben dieser Startschuss gefallen ist."
... und nicht unerhört verhallte. Dass Fußball sich „gut im Breitbildformat des Fernsehgerätes abbilden" lässt und fast symbiotisch mit der TV-Welt verschmolzen ist, erstaunt wohl niemanden. Wohl aber, wie aus dem „Militärpatrouillenlauf" – so hieß das wirklich mal – ein Publikumsmagnet wurde:
"Biathlon hat sich tatsächlich aus militärischem Ursprung heraus entwickelt. Und noch in Sarajewo, während der Olympischen Spiele 1984, fand Biathlon im Grunde genommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dann während der 90er-Jahre hat der Biathlonverband ganz gezielt fernsehtaugliche Formate erfunden."
... wozu Massenstarts und Verfolgung gehörten, sowie die flächendeckende Aufrüstung des Parcours mit Kameras, so dass der Zuschauer daheim viel mehr sehen kann als das Publikum vor Ort. Die Medienerfolgsgeschichte des Biathlon ist legendär; heute findet diese ehemals exotische Disziplin sogar bisweilen in der Prime Time statt, und sie hat als erfolgreichste Wintersportart der Deutschen eigene Stars hervorgebracht. Für die Athleten war das allerdings nicht nur mit Vorteilen verbunden, wie Stephanie Heinecke erläutert:
"Wir müssen auch mal auf die die körperlichen Anforderungen gucken. Und die verschieben sich gravierend. Wenn wir beim Biathlon sind: Früher fanden Biathlonrennen in den frühen Morgenstunden statt. Und dann war der Tag zur Regeneration oder noch mal Vorbereitung auf den nächsten Wettkampf. Heute möchte der Zuschauer Flutlichtrennen sehen, zur nachtschlafender Stunde."
Dass vom "Mediensystem" auf den Biorhythmus der Leistungssportler wenig Rücksicht genommen wird, weil publikumsstarke Sendezeiten Vorrang haben, merken viele Sportarten – die Anstoßzeiten der Fußballbundesliga sind da nur ein Beispiel. Fast tragisch wird es aber da, wo sich eine Randsportart radikal anpasst, aber dennoch vom Fernsehen unbeachtet bleibt. Der ur-olympische Moderne Fünfkampf ist solch ein Fall:
"Da wurden Disziplinen so verändert, dass sie ganz neue Anforderungen hatten! Zum Beispiel wurden Laufen und Schießen zusammengelegt zum Combined Event. Vorher waren das zwei getrennte Disziplinen. Und jetzt kann sich jeder vorstellen, der schon mal gejoggt ist, dass es ne ganz andere Kiste ist, aus dem Laufen heraus zu schießen, und den Atem erstmal unter Kontrolle zu bekommen, als in aller Ruhe zum Schießstand zu gehen und seine Schüsse abzugeben."
Dressurreiten ist unabhängig von fremden Sponsoren
Genützt hat das ebenso wenig wie eine weitere radikale Veränderung am Ablauf und am verwendeten Sportgerät:
"Früher ging der Moderne Fünfkampf über vier bis fünf Tage. Heute ist das alles an einem Tag. Das Schießen findet nicht mehr mit Munition statt, sondern mit Laserpistolen. Da kam tatsächlich aus Athletenreihen auch schon die kritische Anmerkung, wie weit sich eine Sportart überhaupt verbiegen soll, um medientauglich zu sein?"
Das ist die Gretchenfrage. "Fit fürs Fernsehen?" heißt zugespitzt der Titel von Stephanie Heineckes Studie, die durchaus unterschiedliche Ergebnisse zutage gefördert hat. So verzeichnet die eher elitäre Sportart des Dressurreitens die wenigsten "Medienwirkungen zweiter Ordnung" – also Anpassungen seiner autonomen Struktur. Beim Dressurreiten spielen fremde Sponsoren eine geringe Rolle, die Teilnehmer sind selbst kapitalkräftig. Die Trendsportart Beachvolleyball nahm dagegen Anpassungen bis hin zum Ball vor, der auf dem kleinen Spielfeld nicht zu schnell fliegen sollte, damit ihn die Kamera noch erwischt. Und wenn die Medienwissenschaftlerin konstatiert, "das Team Fußball – Fernsehen funktioniert", so blieb über 30 Jahre hinweg der Publikumsmagnet zwar einerseits immun gegen gravierende Regeländerungen, kam andererseits der TV-Ästhetik jedoch unauffällig entgegen. Zum Beispiel mit der Einführung der "Coaching Zone" am Spielfeldrand:
"Man muss natürlich auch aufpassen, dass man nicht überinterpretiert. Aber die Einführung der "technischen Zone" hat natürlich einen ganz großen Vorteil: Die Personen, die ich im Kamerabild haben möchte, die halten sich alle an einem Ort auf! In anderen Sportarten ist es zum Beispiel nicht erlaubt, dass die Trainer am Spielfeldrand sind. Dann hab ich dann aber auch keine Bilder von den Trainern. Das ist was, was ich abwägen muss."
Wer wollte schon auf die Tiraden eines Jürgen Klopp oder Tumulte auf der Ersatzbank verzichten? Manchmal sind sie ja viel unterhaltsamer als das Geschehen auf dem Rasen. Und in Richtung Unterhaltung bewegen sich die meisten Profi-Sportarten heutzutage.