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Ins Abseits gespielt

Von Christoph Richter |
Vor 40 Jahren gewann der 1. FC Magdeburg den Europapokal, auch Vereine wie Dynamo Dresden oder Lokomotive Leipzig sorgten für rauschende Fußballnächte. Doch das ist Geschichte, kein Verein im Osten ist erstligatauglich. Hauptgrund ist die wirtschaftliche Schwäche der neuen Länder. Dennoch gäbe es Ideen.
Archivaufzeichnung DDR-Kommentator: "Im Tor stand Schulze, in der Verteidigung Enge, Zapf, Abraham und Gaube, der …"
Bei der Aufzählung dieser Namen schnalzen Kenner noch heute mit der Zunge.
"…im Mittelfeld Seguin, Pommerenke, Tyll und im Angriff Raugust, Sparwasser und Hoffmann."
Spieler des 1. FC Magdeburg, die am 8. Mai 1974 im Rotterdamer Stadion De Kuip – also vor fast genau 40 Jahren – den einzigen Europapokalsieg einer DDR-Oberligamannschaft gewonnen haben. Gegen keinen Geringeren als den AC Mailand, der damals von dem noch jungen Giovanni Trapattoni trainiert wurde.
"Ja, es war ein Riesen-Ereignis gewesen, ganz klar. Das Thema wurde tagelang gefeiert."
Hans-Georg Moldenhauer, der letzte Präsident des DDR-Fußballverbandes DFV und jetzige Ehrenpräsident des DFB, war bis 1973 Torwart des 1. FC Magdeburg. Zu gerne wäre er mit nach Rotterdam gefahren, um das Finale live zu sehen.
"Ich wollte auch gerne mitfahren. Ich hab' die Genehmigung auch nicht erhalten. Ich hab dann zusammen mit meinen Freunden im Garten gesessen und wir haben es dann im Fernsehen angeguckt."
Stattdessen durften 500 ausgesuchte - linientreue – SED-Genossen zum Finale nach Holland, die wohl vorher noch nie ein Spiel der Blau-Weißen gesehen hatten. Der heute 73-Jährige kann sich noch gut an das 2:0 erinnern. Der erste Treffer war ein Eigentor der Italiener, den Zweiten machte Club-Ikone Wolfgang "Paule" Seguin.
Trainer des 1. FC Magdeburg war der - mittlerweile verstorbene - Heinz Krügel. Ein Idol, auch weil er den Spielern individuelle Freiräume, einen kreativen Fußball spielen ließ.
"Diese Leistung meinerseits – ich bilde mir darauf was ein – weil ich was geschafft habe, was ich früher als Jugendlicher erträumt habe. Denn ganz Magdeburg wurde nicht durchs Thälmannwerk bekannt, denn die belieferten ja nur den Ostblock, sondern durch den Fußball des 1. FC Magdeburg, wurde der Westen auf Magdeburg aufmerksam."
Doch so manchem Funktionär war Krügels offene Art ein Dorn im Auge. Keine zwei Jahre nach dem sensationellen Europapokalsieg bekam er lebenslanges Berufsverbot.
"Weil ich viele Staatsfunktionäre des Bezirkes an oberster Stelle, habe ich kritisiert. Und dass, haben sie nicht verkraftet. Warum? Weil sie ja nur nach unten kritisierten und an ihrer Person keine Kritik üben ließen."
Neben Magdeburg sorgten damals auch der FC Carl Zeiss Jena, Dynamo Dresden mit knapp 100 Europapokalspielen, Lokomotive Leipzig oder der Serienmeister BFC Dynamo aus dem Ostteil Berlins für rauschende Fußballnächte. Joachim Streich, der Gerd Müller des Ostens - 102 Länderspiele, 55 Länderspieltore, viermaliger Torschützenkönig der Oberliga - erinnert sich.
"Ach ich denke schon, wir haben in unserer Zeit mit Olympiade '72, WM '74, Olympiade '76 Montreal mit Gold ganz gut ausgesehen. Mehrfach knapp gescheitert an der Europameisterschaft. Ich denke noch gegen Holland in Leipzig, wo wir sehr unglücklich ausgeschieden sind, für die Europameisterschaft in Italien. Man wollte den Fußball immer ein bisschen klein halten."
In guter Erinnerung sind beispielsweise das 4:0 von Jena gegen den AS Rom 1980. Oder das 6:5 von Leipzig gegen Bordeaux, wobei Lok-Torwartlegende René Müller den letzten Elfmeter schoss und damit den Leipzigern 1987 ins Finale des Europapokals der Pokalsieger verhalf. Das man dann aber in Athen gegen Ajax Amsterdam mit 0:1 verlor.
Fonds für Vereine aus strukturschwachen Regionen
Das ist Geschichte, die glorreichen Zeiten sind längst vorbei. Sagt Christoph Dieckmann, Fan des FC Carl Zeiss Jena, Publizist und Autor der Kolumne "Ostkurve" in der Wochenzeitung "Die Zeit".
"Im Leipziger Bruno-Plache-Stadion, da weiden jetzt auf gesperrten Traversen Schafe eines Fans, damit man sich das Unkrautzupfen spart. Es kommen da so 2200 Fans. 'Ne uralte Holztribüne, und da hängt noch die Kehrschaufel und die Feuerpatsche. Und das Schild Rauchverbot, damit nicht alles abgefackelt wird. Unglaublich. Time-Tunnel ist das."
Von Europapokalabenden ostdeutscher Mannschaften wagt heute nicht einmal der kühnste Fan zu träumen. Seit 2009 ist kein Fußballclub zwischen Rostock und Suhl, Schwerin und Görlitz erstligatauglich.
"Für mich eine sportliche Katastrophe. Wir haben hier so viel Tradition, so viel Publikum. Und man kann denen ja nicht zumuten, wenn die ein Bundesligaspiel sehen wollen, dass sie in die tiefen westlichen Gefilde reisen müssen. Insofern ist die Situation besorgniserregend."
Trotzdem lebt der Ostfußball, meint Fußballfunktionär Hans-Georg Moldenhauer. Seine Gäste empfängt er im schwarzen goldbrokat-gestreiften Jogginganzug des DFB. Das Arbeitszimmer ist quasi eine einzige Glasvitrine: zugestellt mit Pokalen und signierten Fußbällen.
Auf der Spurensuche nach den Gründen der Dauerkrise des ostdeutschen Fußballs kristallisiert sich schnell eine simple Gleichung heraus: Dass nämlich die Situation des Fußballs in den neuen Ländern ein Spiegelbild des Wirtschaftsstandortes Ostdeutschland ist.
"Das Problem des Ostfußballs besteht darin, dass ein höherklassiger Fußball sich heute automatisch verbindet mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten, diesen auch zu spielen. Und da kommt der ostdeutsche Fußball an Grenzen, die nicht durch den Fußball gegeben sind. Sondern wenn sie eine 20-prozentig geringere Wirtschaftskraft haben, ist es milchmädchenhaft, aber relativ logisch, dass sie auch 20 Prozent weniger Sponsorenaufkommen haben. Diese fehlende Wirtschaftskraft kann man im Wettbewerb um qualitativ hohe Spieler momentan nicht kompensieren."
Michael Schädlich ist der Präsident des 1966 gegründeten Halleschen Fußballclubs. Ein Verein in der 3. Liga. Mit einem Etat von fünf Millionen Euro - der Durchschnitt eines Drittligisten liegt bei etwa acht Millionen – gehört er zu den Top Ten des ostdeutschen Fußballs. Qualität ist aber teuer, also können nur Spieler geholt werden, die anderswo nicht gefragt sind, behauptet Schädlich.
Den Vereinen im Osten fehle schlicht ein Hauptsponsor, ein großes Unternehmen. Und das zeige eindrücklich das Beispiel Hansa Rostock. Von 1995 bis 2005 war der Verein zwar durchgängig in der 1. Liga, dennoch dümpelt die Mannschaft jetzt im Mittelfeld der 3. Liga. Sie konnte bei einem Etat von acht Millionen Euro nie einen großen Sponsor an Land ziehen. Ähnlich sieht es in Jena aus. Rund 130 regionale Mittel- und Kleinbetriebe finanzieren hier den Etat von zwei Millionen Euro. Viertligist Magdeburg hat 200 Sponsoren und einen Etat von 2,4 Millionen Euro.
Mittlerweile steht Energie Cottbus vor dem Abgrund. Denn seit dem vergangenen Wochenende ist klar, dass der Verein nach 17 Jahren Profifußball in die 3. Liga absteigen muss. Fehlende Gelder – so formuliert es HFC-Präsident Michael Schädlich recht deftig – sorgen nur noch für Durchschnitt. Denn im Osten könne kein Sponsor einfach mal so dutzende Millionen für den Fußball ausgeben.
"Das ist halt das Problem vieler ostdeutscher Vereine."
Der aus dem vogtländischen Auerbach stammende Volkswirt Michael Schädlich – der als Fußballer keine große Karriere gemacht, bei Bezirksliga-Vereinen mit so illustren Namen wie Fortschritt Falkenstein bzw. Vorwärts Marienberg gespielt hat - ist weder der pathetische Traditionalist, noch der knallharte Kapitalist. Er sucht stattdessen das betriebswirtschaftliche Konzept für den Aufstieg des Fußball-Ostens. Sein Vorschlag: Finanzhilfen. Solidarzuschlag hieß es schnell. Der Aufschrei war groß. Michael Schädlich fühlt sich missverstanden.
"Und ich habe nie gefordert, dass man uns Geld schenkt. Ich glaube, dass es sinnvoll wäre, auch mit Hilfe der Wirtschaft, einen Fonds auszuloben, um den sich nicht nur ostdeutsche Vereine, sondern Vereine aus strukturschwachen Regionen – es gibt in Schleswig-Holstein oder anderen Regionen, wie dem Saarland auch strukturschwache Vereine, ich denke Elversberg wäre auch dankbar –, dass sie sich mit Konzepten um das Geld bewerben. Mit dem die besten Konzepte tatsächlich für drei bis fünf Jahre finanziert werden."
Wunsch nach deutsch-deutscher Fußball-Normalität
Nachteilsausgleich nennt es Fußballpräsident Michael Schädlich. Und mahnt an – wie ein Therapeut –, auch die psychologische Komponente nicht aus den Augen zu verlieren. Um endlich eine deutsch-deutsche Normalität im Fußball, 25 Jahre nach dem Mauerfall zu erreichen, wie er sagt.
"Ich habe den Aufstieg von Halle erlebt. Das Beeindruckendste ist nicht die sportliche Leistung, das Aufsteigen. Das Beeindruckendste ist, wenn sie spüren, dass der Tankwart, der nie beim Spiel war, stolz darauf ist, dass die Mannschaft aus Halle aufgestiegen ist. Das gibt dem Mann für seinen Job, für sein Leben ein Stück Selbstwertgefühl. Das wir unbedingt brauchen, um insgesamt weiterzukommen. Und das wird unterschätzt. Das werden sie sehr schwer – ich will niemandem zu nahe treten – mit Wasserball erreichen."
Noch 1991 spielte der HFC zweitklassig, daran wollte Michael Schädlich anknüpfen. Weshalb ihm Anfang der 2000er-Jahre die Idee eines schlagkräftigen Hallenser Teams, eine Fusion des HFC mit dem VfL Halle vorschwebte, ähnlich wie es Vestenbergsgreuth und die Spielvereinigung Fürth mit Greuther Fürth vorgeführt haben. Gescheitert. An den unüberwindbaren Hürden der Tradition, ein Aufstieg Halles ist nun auf Jahre ausgeschlossen, konstatiert Fußballfanatiker Schädlich. Der Fußballosten habe aber durchaus Möglichkeiten. Man müsse beispielsweise Synergien zwischen Vereinen und Standorten bündeln. In Halle habe man eine große Chance liegen lassen.
Mit Interesse beobachtet Schädlich das Modell RB Leipzig. Weil es nämlich Aufmerksamkeit für den gesamten Fußballosten schafft.
"Und wenn Leipzig 1. Bundesliga spielt, wird das Mitteldeutschland im Fußball insgesamt einen Schub geben. Und punktuell könnten wir gegebenenfalls partizipieren, weil der Fußball insgesamt gewinnt."
Ein Patent-Rezept sei das Modell allerdings nicht. Solange DAX-Konzerne wie Siemens, die Telekom oder BMW ihren Hauptsitz in den alten Bundesländern haben, solange werden sie die dortigen Vereine – die in der Nähe der Zentrale liegen - bedienen. Nicht den Osten. Darin sind sich alle Experten einig.
"Dort wo die Konzernzentrale sitzt, dort werden die Entscheidungen getroffen. Über hochwertige Dienstleistungen, über Marketingbudgets. Und dort sind historisch gewachsene Strukturen, die dort seit Jahrzehnten bedient werden. Ostdeutschland ist dazu gekommen. Das heißt, es ist die wirtschaftliche Leitungskraft und es ist das fehlende Moment, dass hier vor Ort die Entscheidungszentralen sitzen und damit die Entscheider."
Ein krasses Beispiel: Obwohl der Verein Jena den Firmennamen Carl Zeiss im Titel trägt, bekommt man keinen einzigen Cent aus der ostschwäbischen Zentrale in Oberkochen. Selbst als der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger vor ein paar Jahren dem Verein unter die Arme greifen wollte, wurde nicht einmal er beim Vorstandsvorsitzenden der Zeiss AG vorgelassen. Auf Nachfragen reagierte man nicht.
"Ich bin mal Anfang der 1990er-Jahre Lothar Spät begegnet…"
…dem damaligen Geschäftsführer der Jenoptik GmbH erzählt Publizist und Pastorensohn Christoph Dieckmann, während er fest mit beiden Händen die Kaffeetasse mit dem Jena-Logo umklammert.
"…und sagte dann zu mir: 'Haben Sie schon mitbekommen, wir haben heute gewonnen.' Dieses 'Wir' war da vorhanden, und ich weiß nicht, ob es da irgendwelche Zerwürfnisse gab, mit dem damaligen Fußballclubregenten. Ich weiß es nicht, ich kann es nicht sagen."
Berühmte Ehemalige als Werbeträger
Auch der Aufstieg des Privat- bzw. Bezahlfernsehens, der seit Anfang der 1990er-Jahre Millionen in den Fußball pumpt, war einer der Sargnägel des ostdeutschen Fußballs; weil es von den Umsätzen schlicht nichts ab bekam. Nach Angaben des DFB stiegen die Kosten der Übertragungsrechte von der Saison 1986/87 – mit acht Millionen Euro, auf 407 Millionen Euro in der Saison 2006/2007. Das ist innerhalb von 20 Jahren ein Anstieg um rund 5000 Prozent!
"Ja, da sind Gelder reingeschossen worden, über die der Osten nicht verfügte. Deshalb auch keine Kommerzialisierung und Industrialisierung hin zur Unterhaltungsindustrie mitmachen konnte."
Unverständlich sei auch, dass man die berühmten Ehemaligen nicht in die alten Clubs zurückholt, erwähnt noch Christoph Dieckmann. Als Werbeträger. Doch die wollen gar nicht, und arbeiten bei lukrativeren Vereinen, wie beispielsweise Matthias Sammer bei Bayern München. Über seine Gründe wollte er allerdings, trotz mehrfacher Nachfragen, nicht sprechen.
Rekordauswahlspieler Joachim Streich – rosa Polohemd, Jogginghosen, Adiletten und VoKuHiLa - kritisiert, dass es lange gedauert habe, bis sich sein 1. FC Magdeburg bei ihm gemeldet hat. Jetzt sitzt er im Sportbeirat des Vereins, ein beratendes Gremium in fußballerischen Fragen.
"Ich weiß nicht, ob die Spieler keine Lust haben, in ihren Vereinen zu helfen. Ist immer die Frage, ob die Vereine wollen, dass ehemalige Spieler helfen. Oftmals bekomme ich ja auch in den Gesprächen mit, wenn wir uns bei Länderspielen oder anderen sportlichen Ereignissen treffen, dass gar kein Interesse der Verantwortlichen bei den Vereinen da ist, Ehemalige mit einzubinden. Wie lange hat ein Dixie Dörner gebraucht, dass man ihn wieder mit eingebunden hat. Hat jetzt sicherlich auch ein Umdenken bei Dynamo Dresden stattgefunden."
In Jena geht man einen anderen Weg, und hat die prominentesten Vereins-Positionen gar mit Vereins-Ikonen besetzt: Lutz Lindemann – der ehemalige Spieler der Pokalmannschaft, die es 1981 bis ins UEFA-Pokalfinale geschafft hat – ist Präsident. Der frühere Jenaer Auswahlspieler Lothar Kurbjuweit ist der aktuelle Trainer der 1. Mannschaft.
Sozialromantik nennt das Gregor Hovemann, Professor für Sportökonomie und Sport-Management an der Uni Leipzig. Nüchterne Strategen, Marketing-Spezialisten werden gebraucht, bestens ausgebildete Spezialisten, die nicht unbedingt in der Bettwäsche ihres Lieblingsvereins schlafen.
"Aus der ökonomischen Perspektive kann ich ganz klar sagen, der Zug ist abgefahren. Also genau das, darauf braucht man nicht mehr zu hoffen. Darauf kann man nicht mehr bauen und sollte auch nicht bauen, weil den Riesen-Effekt wird das nicht haben. Sondern man muss sich gute Leute holen. Und nicht auf irgendwelche mildtätigen Leute hoffen."
Vereine als Versuchslabor
Gerade im Osten sollten sich die Vereine als Versuchslabor verstehen. Sollten die Situation als Chance verstehen, um ihre Strukturen auf den Prüfstand zu stellen, die von Grund auf neu gestaltet werden müssen. Geld allein ist kein Erfolgsgarant. Stattdessen müsse man sich als Teil der Unterhaltungsbranche begreifen, unterstreicht Hovemann. Der Bockwurstgeruch, den kann man in seinem Dorfverein haben, aber nicht wenn man erfolgreichen Profi- Fußball spielen wolle.
"Das sieht man schon, dass in den Vereinen zunehmend Leute eingestellt werden, die sich mit dem Fach auseinandergesetzt haben. Die BWL, VWL, Sportmanagement, Sportökonomie studiert haben. Und da wurde vor 20 Jahren ja noch nicht so ein großer Wert drauf gelegt. Dazu müsste man sich meines Erachtens im Osten auch radikal bekennen. Dass man es einfach als Business-Case, den Aufstieg als Wirtschaftsplan interpretiert."
Neben organisatorischem sei das sportliche Missmanagement einer der weiteren Sargnägel des ostdeutschen Fußballs, dass es zu ändern gelte, unterstreicht Gregor Hovemann. Dutzende Präsidenten und Trainer schaffen keine Nachhaltigkeit. Bundesligisten wie der SC Freiburg oder Mainz 05 machen es vor - Städte einer ähnlichen Größenordnung wie Jena oder Dresden -, dass man es mit vernünftigen Konzepten in die Bel-Etage des Fußballs schaffen kann. Doch stattdessen hat Hansa Rostock seit der Wiedervereinigung 24, Jena gar 32 Trainer und zwölf Präsidenten verschlissen. Im Vergleich dazu waren beim SC Freiburg in den letzten 25 Jahren gerade mal vier Trainer und zwei Präsidenten angestellt.
Ein anderes Problem ist das Image der oft gewaltbereiten Fans. Fangewalt gibt es zwar auch im Westen, doch seit den Ereignissen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen wird auf rassistische sowie antisemitische Schmähungen in den ostdeutschen Stadien ganz besonders genau geschaut. Ein Publikum, dass schnell reizbar ist, dass seinem Frust schnell freien Lauf lässt; insbesondere bei sogenannten Derbys – alten DDR-Oberliga-Duellen.
"Die Fanausschreitungen sind auch tödlich, also damit verbunden zu werden. Das beste Beispiel ist da immer die Telekom. Wenn der Radsport durch Doping so negativ belastet ist, wie schnell sich dann Sponsoren komplett zurückziehen. Und deswegen will sich hier auch kein Sponsor langfristig an einen Verein binden, der dann wieder durch Fanausschreitungen in die Presse kommt. Dass macht keinen Sinn. Und so schnell kann man sich teilweise gar nicht distanzieren, wie hier die Dinge eben auch passieren."
Die ökonomischen Schwierigkeiten der Ost-Vereine haben auch noch viel mit der Wiedervereinigung zu tun. Damals brach den Clubs die finanzielle Basis über Nacht weg. Während sich die etablierten Bundesligisten über Jahrzehnte entwickeln konnten, in den 1960er- und 1970er-Jahren gar massive Subventionen erhielten. Ein Beispiel: 1977 monierte beispielsweise der Bundesrechnungshof die hohen steuerlichen Vergünstigungen, die die Münchner Vereine – wie Bayern und 1860 - erhalten hätten. Da klingt es fast zynisch, wenn der DFB 1990 die ostdeutschen Vereine daran erinnerte, dass sie sich an die "Gesetze der freien Marktwirtschaft" zu halten hätten. Dennoch – so Hans-Georg Moldenhauer – einer der Architekten der Fußball-Einheit – man habe sich nichts vorzuwerfen. Er gesteht aber:
"Im Nachhinein muss ich sagen, mit den Mechanismen die ich später auch noch besser gesehen habe, vielleicht hätte aber der DFB stringenter handeln können. Ja, zum Beispiel mit einem Club XY, der in Frage kommt für die Bundesliga in der Qualifikation, sofort zusammen zu setzen, wie die Führung eines solchen Clubs aussieht. Bis hin, wie man einen Club in einer neuen Gesellschaftsordnung führen und öffnen kann. Öffnen muss. Stichwort Mitgliedergewinnung, Stichwort Sponsoring, also wie man Geld aquirieren kann."
Versäumnisse mit Langzweitwirkung. Vom viel beschworenen Solidarsystem des DFB, das in Sonntagsreden gerne die Unterstützung der Amateurvereine, der Kicker der unteren Ligen beschwört, ist im Osten nichts zu spüren. Eine Zähmung des Marktes, indem man beispielsweise die Gelder aus den Fernseh-Übertragungsrechten breiter streut, also auch Vereinen wie Stahl Riesa, Stahl Brandenburg, Lok Stendal, Chemie Böhlen oder Viktoria Frankfurt – alles ehemalige DDR-Erstligisten – zukommen lässt, würde den sozialen Ausgleich, die Chancen eines sportlichen Aufstiegs erhöhen.
Identifikation mit der Heimat
Das würde den Menschen Identifikation mit der Heimat bieten. Weil Stadien Orte intensiver Gemeinschaftserlebnisse sind, die weit über den Schlusspfiff hinaus, das Leben der Menschen bestimmen. Es könnte vielleicht dem demografischen Wandel entgegen wirken, da durch den Fußball Regionen auch an Attraktivität gewinnen. Das kann aber nur passieren - so Michael Schädlich, der Präsident des Halleschen Fußballclubs -, wenn der DFB seine Geldverteilungspolitik grundlegend überdenke.
"Der Erfolg im Fußball macht auch stolz, lehrt Selbstbewusstsein. Wär' auch glücklich, wenn wir weiter in der 3. Liga spielen. Aber ich weiß nicht, ob die Menschen – sollte es uns gelingen; fünf,sechs Jahre in der 3. Liga zu spielen – sich auf Dauer damit befriedigen lassen. Sie möchten mehr. Aber dieses Mehr sehe ich derzeit objektiv als nicht möglich."
Derzeit spielen viele Traditionsclubs der früheren DDR-Oberliga – wie Carl Zeiss Jena, der 1. FC Magdeburg, der FSV Zwickau, Babelsberg oder Lok Leipzig - in der Regionalliga Nordost, der 4. Liga. Doch auch wenn man hier am Ende Spitzenreiter ist – das ist eine Besonderheit der Regionalliga - qualifiziert man sich nicht automatisch für die Nächsthöhere, die 3. Liga. Ein sportlicher Aufstieg ist nämlich nicht so ohne Weiteres möglich. Das liegt daran, dass die Spitzenreiter der fünf Regionalligen sogenannte Aufstiegsrunden spielen müssen, bei der am Ende nur zwei Mannschaften am Ende sicher aufsteigen.
Im Klartext bedeutet das: Obwohl man vielleicht eine ganz Saison die Liga angeführt hat, kann es passieren, dass man am Ende mit leeren Händen dasteht. Nur weil man es nicht durch das Nadelöhr Qualifikation – die Relegationsrunde – geschafft hat.
Für die Ostvereine ist das – neben dem fehlenden finanziellen Unterbau - ein großes Problem, meint zumindest DFB-Ehrenpräsident Hans-Georg Moldenhauer.
"Ich bemängele , dass bei diesen Aufstiegsregelungen, es einen sicheren Aufsteiger aus dem Osten geben muss. Einen Sicheren. Also der Aufstiegsmechanismus müsste so gestaltet werden, dass immer ein sicherer Aufsteiger da ist, dass ist ja jetzt nicht gegeben… "
…eine "widersinnige Regelung", sei "russisch Roulette", hört man die Trainer schimpfen.
Letztlich gibt es kein Patentrezept, wie der Fußball im Osten an Boden gewinnt. Sicher ist nur, dass die derzeitige Lage im direkten Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Leistung der neuen Bundesländer steht. Solange man in Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Thüringen ein geringeres Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet, solange sich kein DAX-Konzern im Osten niederlässt, solange wird auch der Fußball hinterher hängen. Mit einem Deutschen Meister aus den neuen Ländern rechnet Rekordauswahlspieler Joachim Streich daher so schnell nicht.
"Wird keiner in den nächsten Jahren in diese Höhen aufsteigen, wo sie um die Meisterschaft spielen. Das wäre auch unrealistisch. Jeder sollte sich realistische Ziele setzen. Für Rostock ist es der bezahlte Fußball. Für Magdeburg, Jena oder auch Cottbus muss ganz einfach die Zielstellung lauten: Wir wollen in den bezahlten Fußball. Dann ist man in der Region glücklich und dann hat man viel erreicht. Das ist auch viel wert."
Ähnlich sieht es Publizist Christoph Dieckmann:
"Da sich die Parallelen im Unendlichen schneiden, ist alles möglich. Wenngleich derzeit nicht absehbar."
Konkurrenzfähig ist der Fußball im Osten derzeit nicht. Punkt. Einen Europapokalsieg wie ihn einst Magdeburg vor 40 Jahren errungen hat, ist heute so gut wie unmöglich. Doch angst und bange ist dem eingeschworenen Jena-Fan Dieckmann um den Ostfußball trotzdem nicht.
"Ich kenne auch Heimniederlage gegen Neugersdorf. Im Jahre 2008 im Viertelfinale spielt Jena in Stuttgart, gegen die erste Mannschaft des VfB Stuttgart, den Deutschen Meister. Schmeißt ihn aus dem DFB-Pokal, im Halbfinale spielt Jena gegen 80.000 Zuschauer in Dortmund, gegen Borussia. So. Und ein halbes Jahr später ist Jena wieder 3. Liga und spielt zu Hause gegen Stuttgarts Zweite und verliert 0:6. Das sind die Abstände. Alles ist drin."
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