Sport

Paralympics vor dem Hintergrund der Krim-Krise

Das Emblem der 11. Paralympics am 5. März 2014 vor blauweißem Himmel über dem russischen Sotschi.
Das Emblem der 11. Paralympics im russischen Sotschi. © dpa/Alexey Filippov/RIA Novosti
Von Gesine Dornblüth |
Die Paralympischen Winterspiele werden heute eröffnet - und schon gibt es Boykott-Diskussionen. Wegen der aktuellen Lage der Ukraine hat die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, angekündigt, nicht nach Sotschi zu reisen.
Russland macht weiter wie bisher. Auf die mittlerweile zahlreichen Boykottankündigungen europäischer Politiker und Mitglieder der Königshäuser gibt es in Moskau kaum Reaktionen. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bereits bei seiner Pressekonferenz vor wenigen Tagen in Moskau zur Lage in der Ukraine deutlich gemacht, was er von Boykottdrohungen gegen die Paralympischen Spiele hält. Nämlich nichts.
"Es wäre der Gipfel des Zynismus, die Paralympischen Spiele jetzt zu gefährden. Sie und ich wissen doch, worum es bei den Paralympics geht. Das ist ein internationales sportliches Forum, bei dem Menschen mit begrenzten Möglichkeiten sich und der Welt beweisen können, dass sie in Wirklichkeit unbegrenzte Möglichkeiten haben. Wer das verhindern will, der zeigt damit nur eines: Dass ihm nichts heilig ist."
Russland wollte sich schon mit den Olympischen Spielen als weltoffen und modern präsentieren. Mit den Paralympischen Spiele verfolgen die Organisatoren noch ein weiteres Ziel: Sie wollen einen Anstoß geben, die Situation von Menschen mit Behinderungen in Russland zu verbessern. Nicht nur im Sport, sondern auch im Alltag. Denn der ist oft beschwerlich. Russland hat zwar vor den Paralympischen Spielen die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und sich damit verpflichtet, für Barrierefreiheit zu sorgen, doch es hapert an der Umsetzung. Gerade außerhalb der großen Städte sind viele Rollstuhlfahrer an die eigenen vier Wände gebunden. Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen sind ebenso ein Problem wie private Betreuung oder Hilfsmittel. Wladimir Lukin, russischer Menschenrechtsbeauftragter und Chef des Paralympischen Komitees:
"Ich beschäftige mich seit 16 Jahren mit Behindertenfragen und mit der Rehabilitation von Invaliden. In dieser Zeit wurde ein ziemlich großer Fortschritt erzielt. Denn der Ausgangspunkt war Null. Aber was getan wurde, reicht nicht. Barrierefreiheit beschränkt sich auf große Städte wie Moskau oder St. Petersburg und Sotschi. Und auch dort lässt die Qualität der Maßnahmen zu wünschen übrig."
"Wir fürchten niemanden"
Es muss sich auch etwas in den Köpfen ändern. In Russland werden Menschen mit Behinderungen oft noch wie zu Sowjetzeiten weggesperrt. Ärzte raten Eltern, Kinder mit Behinderungen in Pflegeheime zu geben. Wenn sie volljährig sind, landen sie nicht selten in Heimen für Alkoholiker oder Drogenkranke. Die Paralympics könnten helfen, mit Vorurteilen aufzuräumen, meint Sergej Schilow. Sechs mal hat er für Russland paralympisches Gold gewonnen, im Ski-Langlauf. Er hatte mit 16 Jahren einen Autounfall, seitdem sitzt er im Rollstuhl. Nun ist er Botschafter der Paralympischen Spiele.
"Als die russische Mannschaft bei den Paralympischen Spielen in Turin Gold in der Gesamtwertung holte, hat der Staat begonnen, uns ernst zu nehmen. Als Russland dann die Olympischen und Paralympischen Spiele in Sotschi bekam, musste ein völlig neues Denken her. Der Staat hat über viele Jahre eine Politik gemacht, die davon ausging, dass es bei uns überhaupt keine Menschen mit Behinderungen gibt. Die Leute dachten: „Wenn einer behindert ist, ist er entweder ein Bettler oder ein Pflegefall.“ In Turin aber haben sie Menschen gesehen, die trotz ihrer Behinderungen selbständig sind, aktiv und die Ehre des Landes verteidigen."
Damit diese Botschaft überall ankommt, wird das russische Fernsehen alle paralympischen Wettkämpfe aus Sotschi landesweit live übertragen und sich nicht, wie bisher, auf Zusammenfassungen beschränken. Die Medaillenchancen der russischen Sportler stehen gut, noch besser, als bei der anfangs schwächelnden Olympia-Mannschaft. Lidia Abramowa, Präsidentin der russischen Blindensportvereinigung:
"Wir hoffen in allen Sportarten auf Medaillen. Die Konkurrenz ist groß. Kanada ist stark. Und sehr gut vorbereitet ist auch die ukrainische Mannschaft, die Herren genauso wie die Frauen. Aber wir fürchten niemanden."
Ob die ukrainischen Sportler angesichts der Krimkrise überhaupt nach Sotschi kommen, ist allerdings offen.