Demi Moore, nur in Unterwäsche und eine Federboa gehüllt, tanzt mit lasziven Bewegungen zu den Klängen von Annie Lennox um die Stange auf der Bühne eines Nachtklubs. Roter Plüsch und sprudelnder Prosecco. Das ist noch immer das Bild vieler Menschen, wenn es um Stangentanz, Pole Dance, geht.
Ganz anders die Atmosphäre im Studio von Yvonne Haug, „Pole and Sports“ im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain. Vier junge Frauen zwischen 20 und 30 Jahren machen Kraftübungen.
Kraftintenistät beim Training
Sie ziehen sich mit den Händen an der Stange nach oben, überschlagen sie mit den Beinen, lehnen sich zurück und strecken die Beine in Scherenform ganz gerade wieder aus. „Scissors“, Schere, heißt diese Übung.
Eine der Tänzerinnen ist Jana. Seit drei Jahren macht die 21-Jährige Pole Dance, seit sechs Wochen trainiert sie in Berlin-Kreuzberg. Ihr gefällt vor allem die Kraftintensität beim Training.
Selbst wenn ich oben bin und denke: Oh, ich fall gleich runter, oder ich habe keine Kraft mehr, das dann zumindest versuchen, es noch so schön wie möglich aussehen zu lassen. Oder auch die Kreativität darin, neue Figuren oder neue Linien zu entdecken, das finde ich echt schön.
Tänzerin Jana
Der Film „Striptease“ mit Demi Moore entstand 1996. 27 Jahre später ist Pole Dance ein anspruchsvoller Sport. Hochleistungsakrobatik an der Stange. Diese hat einen Durchmesser von 45 Millimetern.
Die Sportlerinnen drehen ihren Körper in akrobatischen Figuren darum, hängen auch mal kopfüber. Ziel ist es, sich durch die eigene Körperkraft an der Stange zu halten und nicht auf den Boden zu kommen. Bei der einfachsten Drehung verlagert sich das Körpergewicht auf einen Arm. Schummeln ist unmöglich. Entweder man hält sich an der Stange – oder eben nicht.
Arme, Schultern, Rücken, Bauch und Po, der ganze Körper wird trainiert, sagt Trainerin Yvonne Haug, die Anfang der 80er-Jahre als deutsche Kunstturnerin international Erfolge feierte. 2019 eröffnete sie ihr eigenes Pole Dance Studio in Berlin-Kreuzberg. Wie lange muss man trainieren, um diesen Sport einigermaßen zu beherrschen?
Ich habe mit 42 angefangen, ich habe lange Pause gehabt. Ich konnte nicht mal mehr eine Brücke, kam auf meiner guten Seite in den Spagat, mit Ach und Krach – und ich habe ganz soft angefangen. Das ist ja auch ein neues Medium, die Stange, man muss sich erst mal dran gewöhnen. Man läuft um die Stange, man fängt ganz easy an auf dem Boden, Spins zu machen, das heißt: Man hakt ein Bein an, dreht sich um die Stange, geht vielleicht zum Boden, steht wieder auf, und die Kraft wird ganz schonend auch aufgebaut.
Pole-Dance-Trainerin Yvonne Haug
Pole Sport gibt es in Europa, Amerika und Asien
Manchen Frauen reicht es, im Studio eine Choreografie zu erlernen und sich richtig auszupowern, andere wollen auf die große Bühne, oder nehmen einfach ihr Video auf und teilen es in den sozialen Medien, erzählt Yvonne Haug. Oder man wird Wettkampfsportlerin. So wie selbst.
Mittlerweile ist sie sechsfache Weltmeisterin in jeweils zwei Altersklassen: Ü40 und Ü50. Viermal in Pole Sport und zweimal in Pole Artistic. Und sie hält den Weltrekord Ü50 im Pole Sport. Auch das hilft dabei, Vorurteile abzubauen. Der Sport muss sich mehr auf seinen artistischen Aspekt besinnen, ist die 56-Jährige überzeugt.
Pole Sport gibt es mittlerweile in Amerika, Europa und Teilen Asiens. Seit 2005 werden Meisterschaften veranstaltet. Seit 2015 auch in Deutschland.
Die Anfänge in Deutschland
Frank Hermes gehört zu den Organisatoren der ersten Stunde. 2015 war er Mitgründer des Verbandes "Organisation des Deutschen Pole Sports". Er hat das Kind in Deutschland mit aus der Taufe gehoben, erzählt der Lebensgefährte von Yvonne Haug, hauptberuflich Polizeibeamter:
Ich bin auch stolz, dass das Kind immer noch läuft, denn als es noch ein Baby war, war es unter sehr schweren Bedingungen nur möglich, eine entsprechende Halle zu bekommen, die Bühnen aufbauen zu können, die Musikanlage einzurichten. Es war schon ein Abenteuer, aber es hat riesigen Spaß gemacht. Ich freue mich auch, dass wir mittlerweile als eines der erfolgreichsten Länder in der Pole-Sport-Szene mitmachen können.
Frank Hermes, Mitgründer des Verbandes "Organisation des Deutschen Pole Sports"
Rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 6 und 60 Jahren sind regelmäßig bei den Deutschen Meisterschaften am Start. International sind es über 5000. Getanzt wird in drei Disziplinen: Pole Sports, Pole Artistic und die Battles. Sponsoren wären schön.
Frank Hermes erklärt: „Pole Sport ist stark reglementiert, dafür ist ein ‚Code of Points‘ erstellt worden, der international gültig ist, in dem viele Figuren angegeben sind, die genauso auch ausgeführt werden müssen. Man muss die Reihenfolge vorher angeben, wie man sie turnen/tanzen möchte. Nur so haben die Judges eine Chance, es vernünftig bewerten zu können.“
Beim Pole Artistic eine Geschichte vertanzen
Mehr Freiheit haben die Sportler in der Disziplin Pole Artistic. Hier geht es darum, eine selbst ausgedachte Geschichte zu vertanzen. Wertungsrichter vergeben dann Punkte für Ausführung, Athletik und Ausstrahlung – ähnlich wie beim Eiskunstlaufen oder Kunstturnen.
Marlene trainiert seit zweieinhalb Jahren im Studio von Yvonne Haug. Sportlich ist sie sehr vielseitig unterwegs: Sie bouldert, surft, macht Yoga. Aber Pole Dance ist ihre größte Leidenschaft: "Für mich ist es die perfekte Kombination aus Kraft, Beweglichkeit, Akrobatik, Tanz, der Kopf kann abschalten, man fühlt sich frei beim Tanzen."
Pole Dance kann man auch im fortgeschrittenen Alter noch gut betreiben. Die älteste Teilnehmerin im Studio ist über 60 Jahre. Bei Frauen über 40 steigt die Nachfrage. Für sie soll es künftig mehr Kurse geben.