Dieses Feature wurde am 6. März 2022 zum ersten Mal ausgestrahlt-
Tiermaskottchen im Sport
1964 kam Kapuzineraffe Popo als Maskottchen zu Hannover 96 an die Leine. © Hannover 96
Wie "Popo" an die Leine kam
28:49 Minuten
Geißbock Hennes in Köln und der Frankfurter Steinadler Atilla sind die letzten lebendigen Tiermaskottchen im Fußball. Sonst setzen die Vereine auf Darsteller im Kostüm. Die bunten Kunstfiguren sollen vor allem Kinder für immer an die Klubs binden.
Die Fans in der Eissporthalle am Seilersee sind optimistisch. Die Iserlohn Roosters, Tabellenletzte der Deutschen Eishockey Liga, empfangen an diesem Sonntagnachmittag die Augsburger Panther. Ein Sieg muss her, damit die „Hähne“ das Abstiegsgespenst vielleicht doch noch aus dem Sauerland verscheuchen können.
Als ein kleiner Junge mit einer kleinen Roostersflagge auf die Spielfeldmitte zusteuert, haben sich die Iserlohner Spieler bereits parallel zur Mittellinie in einer Reihe aufgestellt. Plötzlich stürmt ein bunter, zwei Meter großer Hahn aufs Eis, fällt auf die Knie und schlittert, den Kopf nach hinten geworfen, in Siegerpose Richtung Mittelkreis.
Statt Flügeln hat diese Kreatur Arme. Der imposante Kopf, gekrönt von einem mächtigen Kamm, ist feuerrot; knallgelb der Schnabel genau wie die riesigen Füße. Unter dem blauen Vereinstrikot trägt das kapitale Geflügel ein schwarzes Federkleid zur Schau. „Icey“, das Maskottchen der Roosters, steckt in einer Hülle aus Stoff und Plüsch. Seit 13 Jahren gibt der 29-jährige Felix Schumacher bei den Iserlohn Roosters das Maskottchen „Icey“.
Felix Schumacher war schon mit zwölf im Kostüm
Felix Schumacher alias „Icey“ ist Maskottchen-Profi. Das erste Mal schlüpfte er als 12-Jähriger in seiner Heimatstadt Hagen für den Basketballclub Phönix in so ein Kostüm. Aus dem anfänglichen Schüler-Hobby ist ein Beruf geworden. Mit 18 machte sich Schumacher selbstständig. Der rot-gelbe Vogelkopf des damaligen Hagener Basketballmaskottchens „Felix“ wurde zum Logo seiner Firma „Best Motivation“. Mittlerweile sind dort 20 Mitarbeiter beschäftigt.
Im Hagener Stadtteil Hohenlimburg entstehen die Maskottchen. In den großen Räumen, mitten im Gewerbegebiet an der Lenne, wird entworfen, genäht und gecoacht. Denn es gibt einiges, was man wissen sollte, bevor man in so ein Kostüm steigt. Auch Iserlohns bunter Hahn „Icey“ wurde hier gefertigt. Alles aus einer Hand und in Handarbeit. Wie in der Garderobe eines Fantasietheaters sieht es in Felix Schumachers Firma aus. Regale, bis unter die Decke vollgestopft mit den Einzelteilen der Kostüme. Prächtige, überdimensional große Tierköpfe warten in den obersten Regalreihen auf ihren nächsten Einsatz.
Vor drei Jahren hat SkySport News Felix Schmumacher zum „besten Maskottchen Deutschlands“ gewählt. Seine Auftragsbücher sind voll und die Firma wächst. Maskottchen aus dem Hause „Best Motivation“ treten nicht nur im Sport auf. Sie werden für Betriebsfeste oder Industriemessen gebucht, wo sie inzwischen sogar auch international in Erscheinung treten.
Trotzdem ist der Sport immer noch das Herzstück in Felix Schumachers Maskottchenstall. Der knapp zwei Meter große, drahtig-sportliche Firmengründer und seine Kolleginnen und Kollegen bespielen aktuell rund 25 Sportvereine, vor allem im Eishockey, Basketball und Fußball.
Sechs bis acht Wochen Arbeitszeit stecken in so einem selbstgemachten Kostüm. Das aufwändigste, komplizierteste und kostspieligste Element ist der riesengroße Kopf.
Maskottchen sprechen nie
„Das Geheimnis ist einfach nur bei diesem Material, dass es super robust ist und megaleicht. Das heißt, ich kann den jetzt wirklich auf den Boden legen, drauf rumtrampeln“, sagt Schumacher. „Der springt in die Form zurück. Und es ist nichts passiert. So was muss man leider im Sport mit bedenken. Weil, gerade wenn der Alkoholkonsum zu hoch ist bei gewissen Zuschauern, werden die einfach auch handgreiflich. Muss man wissen. Kann einfach auch sein, dass Fäuste fliegen. Hatte ich leider schon öfter. Dann federt das Kostüm das einfach ab.“
Felix Schumacher steigt jetzt ins „Icey“-Kostüm. Nach 13 Jahren kennt er die Hahn-Montur wie seine Westentasche. Wenn es Stau auf der Autobahn gibt und er auf den allerletzten Drücker in die Halle rauscht, muss es schnell gehen. Auch unter Stress braucht er nicht länger als 40 Sekunden, um die Maskerade komplett anzulegen und sich von Kopf bis Fuß in das Iserlohner Maskottchen zu verwandeln.
Ganz zum Schluss kommen immer die Handschuhe. Sie haben nur vier Finger. Auf der ganzen Welt gilt das als Markenzeichen für richtige Maskottchen und soll vor allem Kinder davon abhalten, auf die Idee zu kommen, dass vielleicht doch ein Mensch im Kostüm stecken könnte. Natürlich funktioniert das nur, solange die Kleinen noch an den Weihnachtsmann glauben, sagt der Zwei-Meter-Mann, während er, grinsend wie ein Lausbube, in die Hocke geht und routiniert nach den riesigen quietsch-gelben Hahnenfüßen fingert.
Nur ein einziges Mal war Felix Schumacher während seiner knapp 20-jährigen Maskottchenkarriere richtig böse verletzt. Eine Meute begeisterter Kinder hatte sich auf ihn gestürzt und unter dieser Jubeltraube begraben. Er hörte nur noch ein lautes Knacken. Achtfacher Schlüsselbeinbruch. Krankenhaus. Operation. Ein halbes Jahr war er außer Gefecht. Doch selbst in solchen Extremsituationen darf der internationale Maskottchenkodex eigentlich nicht gebrochen werden. Erstens: Maskottchen sprechen niemals! Zweitens: Maskottchen ziehen sich niemals öffentlich um. Drittens: Maskottchen sind immer freundlich und nett. Und viertens: Maskottchenträger sind immer komplett verkleidet.
Erste lebende Tiermaskottchen vor 70 Jahren
Die ersten Tiermaskottchen tauchten im bundesdeutschen Sport ungefähr vor 70 Jahren auf; anfangs vor allem beim Fußball. 1950 schenkte die Zirkusdirektorin Carola Williams dem 1. FC Köln einen Geißbock namens Hennes. Vier Jahre später hatte Hannover 96 einen ersten, vierbeinigen Freund: Schäferhund Etzel. Viel lässt sich über die lebendigen Maskottchen dieser Zeit nicht zusammentragen. Archive wurden von den Klubs kaum geführt.
Außerdem waren diese Glücksbringer, wahrscheinlich in Bierlaune ersonnen, oft bloß vorübergehende Kuriositäten, die schnell wieder von der Bildfläche verschwanden. Marketing und Merchandising spielten im Fußball noch keine Rolle. Im Vereinsarchiv von Hannover 96 gibt es immerhin ein Schwarz-Weiß-Foto von Etzel.
„Was das weitere Schicksal dieses Hundes angeht, darüber haben wir keine Kenntnisse. Der taucht nur an diesem einen Tag einmal auf. Ansonsten wissen wir nicht viel darüber.“ Sebastian Kurbach arbeitet in der Pressestelle von Hannover 96. Er sitzt im großen Besprechungsraum der schicken Geschäftsstelle des Zweitligisten und blickt hinaus auf den Maschsee. Kurbach ist Historiker und hat eine kleine Schwäche für die Geschichte der Fußball-Maskottchen, besonders natürlich für diejenigen, die bei 96 eine auftraten.
Zehn Jahre nach Etzel kam ein Affe namens Popo an die Leine. „Dieses Äffchen ist auf einigen Fotos überliefert, hat bei unserem damaligen Mannschaftsbetreuer, bei Rolf Röschlau, zuhause gewohnt. Und hat da aber wohl die Wohnung auseinandergenommen. Und über das weitere Schicksal dieses Äffchens ist dann nichts weiter bekannt. Der taucht an ein, zwei, drei Spielen auf. Ist in der Presse, wie gesagt, wahrgenommen worden, aber sonst hat er keinen vom Verein sozusagen offiziellen Maskottchencharakter bekommen.“
Nachdem sich also auch das Popo-Kapitel rasch erledigt hatte, kamen die 96er ganz lange ohne Maskottchen aus. Seit mittlerweile neun Jahren setzen die Niedersachsen nun auf den Hannoverschen Schweißhund Eddi. Das etwa 1,70 Meter große, von Experten der Marketingabteilung entwickelte Plüschtier soll vor allem Kinder an den Verein binden und so die nächste Fangeneration ins Stadion locken. Bei Planung und Einsatz der Figur hat 96 - anders als in früheren Zeiten - nichts mehr dem Zufall überlassen. Kurz vor dem Eingang zur Südtribüne hat der Verein sogar eine begehbare, hölzerne Hundehütte aufgebaut. Hier können EDDIs Fans an Spieltagen das Maskottchen treffen.
Spannendes Spiel zwischen Nähe und Distanz
In Iserlohn, beim Eishockey, haben die Roosters die Augsburger Panther im Penaltyschießen besiegt. Für Felix Schumacher, den Maskottchendarsteller im „Icey“-Kostüm, war das Schwerstarbeit. Vielleicht hat seine Show ja ein bisschen geholfen, dass Iserlohn gewinnt. Felix Schumacher sitzt jetzt auf einer Holzbank in der Umkleidekabine, zieht ganz langsam den riesigen Hahnenschädel aus Raumfahrtplastik vom verschwitzten Kopf. Die nassen Haare kleben im Gesicht.
Nach fast 20 Jahren im Kostüm weiß Schumacher inzwischen ganz genau, wer im Publikum für Späße zu haben ist, und bei wem man besser das Weite sucht. Die Körpersprache der anderen lesen zu können, habe ihm viel Stress erspart. Umgekehrt ermuntert seine Kostümierung andere, in direkten Körperkontakt mit ihm zu gehen. Ein spannendes Spiel zwischen Nähe und Distanz.
Felix Schumacher: „Weil die Menschen gegenüber auch einfach sagen: Das ist ein Kostüm, ich sehe die Person dahinter auch nicht. Klar umarme ich das Hühnchen. Die wissen ja nicht, wer da drunter ist. Und das ist dann auch immer ein riesengroßer Vorteil, den man dann auch nutzen muss, um die Leute zu unterhalten, zu interagieren. Weil, in dem Moment bin ich ja jetzt nicht Felix Schumacher, sondern ich bin Icey.“
Felix Schumacher ist geduscht und umgezogen. Die Einzelteile des „Icey“-Kostüms hat er in einer riesigen Tasche verstaut. Eine Tasche, wie sie auch die Iserlohner und Augsburger Eishockeyspieler benutzen. Als sich die Tür der Umkleidekabine hinter Schumacher schließt und er, die große Tasche geschultert, zusammen mit den Spielern Richtung Parkplatz läuft, könnte man ihn glatt für einen von ihnen halten.