Sport und Gleichberechtigung

Raus aus dem Abseits

23:41 Minuten
Die Gewichtheberin Swetlana Kabirowa steht auf einem Podest in der Hocke, sie drückte die Gewichte nach oben
Erstmals durften im Jahr 2000 Frauen bei Olympischen Spielen Gewichtheben. Eine von ihnen war damals die Russin Swetlana Kabirowa © Joel Saget/dpa
Von Jutta Heeß |
Audio herunterladen
In vielen Sportarten werden Sportlerinnen zurückgestellt. Ob Tour de France oder Formel 1, Männer dominieren viele Bereiche. Ein Grund ist auch, dass Sponsoren für Frauensport kaum zahlen. Sportlerinnen verdienen deshalb deutlich weniger als Sportler.
"Matchball Steffi Graf. Jetzt schlägt Martina auf, und mit einem Netzroller gewinnt Steffi Graf."
"Und jetzt läuft sie an, und jetzt schießt sie ins Tooooooor!"
"Die Gold-Ladies am Beach von Copacabana heißen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst."

Olympische Spiele waren einst frauenfrei

Athletinnen im Rampenlicht - erfolgreiche Sportlerinnen als Vorbilder für Mädchen und junge Frauen sind mittlerweile selbstverständlich. Und über Mädchen und Frauen, die in ihrer Freizeit Sport treiben, aus Spaß an der Bewegung oder einfach, um fit zu bleiben, wundern wir uns auch schon längst nicht mehr. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass die Kombination "Frauen und Sport" undenkbar war. "Ungezügeltes Rennen, Klettern oder Hüpfen können bei allzu großer Erschütterung die weiblichen Fortpflanzungsorgane funktionsuntüchtig machen", schrieb ein britischer Mediziner Ende des 19. Jahrhunderts. Vor gynäkologischen Schäden wie einer "Lageverschiebung der Gebärmutter" durch den Sport wurde gewarnt. Überhaupt: Durch das Wirken im Haushalt bekämen Frauen doch ausreichend Bewegung, meinte eine amerikanische Ärztin 1889. Kein Wunder, dass die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 in Athen ohne weibliche Beteiligung stattfanden. Petra Tzschoppe, Sportsoziologin an der Universität Leipzig:
"Der Begründer der modernen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, hat sich ja, als er die Spiele wieder ins Leben gerufen hat, hehre Ziele auch gestellt. Dass es eine pädagogische, philosophische, friedensstiftende Idee ist, die dahinter liegt. Aber da war er sicher ganz so in seiner Zeit – es war eben noch nicht die Idee, dass Frauen dort teilhaben sollten. Er hat sich da auch ganz ausdrücklich und ganz vehement dagegen ausgesprochen. Seine Idee hatte für Frauen lediglich die Rolle, dass der weibliche Applaus als Belohnung gelten sollte."

Der lange Weg in den Profisport

Doch es dauerte nicht lange, und die Frauen emanzipierten sich von ihrer Rolle als Beifallspenderin. Vor allem in der englischen Oberschicht wurden Sportarten wie Tennis und Hockey ausgeübt. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert ließen es sich Frauen nicht mehr nehmen, sich zunehmend sportlich zu betätigen, sie turnten, fochten und schwammen sich frei. Ab 1908 stieg der Anteil der Olympiateilnehmerinnen und der für Frauen zugelassenen Disziplinen stetig an. Petra Tzschoppe:
"Wenn wir jetzt den Zeitsprung in die Gegenwart vornehmen, dann können wir konstatieren, dass 2012 bei den Olympischen Spielen in London zum ersten Mal tatsächlich alle Sportarten für Männer und Frauen im olympischen Programm standen, indem man nämlich Boxen auch für Frauen geöffnet hat."
Bei den Winterspielen wurde 2014 Skispringen für Frauen zugelassen, die Nordischen Kombiniererinnen warten allerdings immer noch auf ihre eigenen olympischen Wettkämpfe.
Aber nicht nur mit Blick in die Olympia-Geschichte wird deutlich, wie sich Frauen den Zugang zum Sport regelrecht erkämpft haben – teilweise mit spektakulären Aktionen. 1924 fuhr die italienische Radsportlerin Alfonsina Strada den Giro d’Italia der Männer mit – erst unerkannt, dann als Sensation bejubelt bis ins Ziel. Und die US-Läuferin Kathrine Switzer mogelte sich 1967 als erste und einzige Frau in das männliche Starterfeld des Boston-Marathons.
"Ich fühlte mich wie eine Pilgerin auf dem Weg zum Schrein, weil ich so hart trainiert und so lange davon geträumt hatte."

Eine Frauen-Radtour als Protestfahrt

Die Geschichten von Alfonsina Strada und Kathrine Switzer sind starke Anekdoten im Kampf der Frauen um sportliche Teilhabe. Doch selbst heute sind Athletinnen nicht in allen sportlichen Bereichen den Männern gleichgestellt. Spektakuläre Aktionen gibt es immer noch.
Sommer 2017. Die Radsportlerin Anna Barrero erklimmt den Mont du Chat in Frankreich, rund zehn Prozent Steigung, von 600 auf 1.500 Meter. Sie ist eine von elf Radfahrerinnen, die jede Etappe der Tour de France einen Tag vor den Männern fahren – bis ins Ziel nach Paris. Bejubelt werden sie von den Fans, die sich zum Teil schon einen Tag vor der Männertour mit ihren Wohnwagen an der Strecke postiert haben. Auch 2018 fuhren die Frauen – bereits zum vierten Mal – die Tour im Voraus. Anna Barrero war wieder dabei. Und bis zu 150 Fahrerinnen und Fahrer, die auf einzelnen Etappen ihre Solidarität zeigten. Auch in diesem Jahr wird es wieder eine Frauen-Tour vor der Männer-Tour geben. Es ist eine Protestfahrt gegen die Benachteiligung der Frauen im Radsport und gegen die Abschaffung der Tour de France für Frauen, die 1984 erstmals und 2009 zum letzten Mal ausgeführt wurde.
"Wir haben mit unserer Fahrt zwei Ziele: Erstens wollen wir beweisen, dass Frauen ohne jegliche Probleme eine Tour de France fahren können. Zweitens wollen wir die Veranstalter auffordern, wieder eine Tour de France für Frauen auszurichten. Wir wollen nichts anderes als Gleichberechtigung und dieselben Chancen."

Sponsoren zahlen weniger für Frauensport

Anna Barrero ist Sportwissenschaftlerin in Barcelona, vom Radsport allein kann sie nicht leben. Die wenigen Frauen-Rennen, die es gibt, sind schlecht dotiert, das Sponsoren-Interesse ist gering, die Medien berichten so gut wie gar nicht. Sie sagt, dass die Organisatoren und Verbände keine plausiblen Gründe hätten, keine Tour de France für Frauen auszurichten. Und sie kritisiert, dass es insgesamt zu wenige Radrennen für Frauen gibt. Somit gibt es auch kaum Anreize für Radsportlerinnen, und dadurch weniger Mädchen und junge Frauen, die sich für Radsport entscheiden. Ein Teufelskreis.
"Ich glaube, es gibt weniger Radsportlerinnen, weil wir weniger Möglichkeiten haben. Ich bin sicher, wenn es mehr Rennen gäbe, würden auch mehr Frauen zum Radsport kommen. Keine Frauen, keine Rennen, keine Chancen. Aber in den letzten fünf Jahren ist Frauenradsport größer geworden, jetzt ist es Zeit, dass die Organisatoren für Gleichberechtigung sorgen."
Gleiche Chancen für beide Geschlechter: Davon ist vor allem der Radsport noch weit entfernt. Anfang März wurde die Führende eines Frauenrennens gestoppt, die zu dem zehn Minuten früher gestarteten Männerfeld aufgeschlossen hatte. Begründung: Sie sei in Gefahr, weil sie in die Begleitfahrzeuge der Radsportler hineingerate. "Gleiche Chancen für beide Geschlechter" würde aber bedeuten, dass Frauen keine organisatorischen Nachteile mehr hätten. Und dass Athletinnen gleiche Preisgelder und Prämien bekommen würden wie die Männer in der jeweils vergleichbaren Sportart. Doch hier gibt es immer noch zum Teil himmelweite Unterschiede. Einige Beispiele: Der Gewinner des Giro d’Italia konnte sich 2018 über 265.000 Euro freuen. Beim Giro Rosa, einem der wenigen Etappenrennen der Frauen, erhielt die Siegerin nur magere 1.145 Euro. Bei der Skisprung-WM 2019 bekamen die deutschen Frauen für ihren Sieg 4.400 Euro. Die siegreichen deutschen Männer 31.000 Euro.

Gehaltskluft trennt Sportlerinnen von Sportlern

"Tor für Deutschland, Garefrekes."
Eklatant sind die Unterschiede auch im Fußball: Im Schnitt verdient ein Profi in der Bundesliga 1,4 Millionen Euro im Jahr, eine Bundesligaspielerin lediglich 12.000 Euro. Wären die deutschen Frauen 2017 Europameisterinnen geworden, hätte der Deutsche Fußballbund eine Prämie von 37.500 Euro pro Spielerin bezahlt. Die Männer hingegen hätten für den Gewinn der EM 2016 pro Spieler 300.000 Euro eingestrichen. Der "Gender Pay Gap" bei den Prämien beträgt demnach 87,5 Prozent. Laut Statistischem Bundesamt beläuft sich der allgemeine Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen in Deutschland auf 21 Prozent. Im Fußball ist er also besonders ausgeprägt.
Die Liste der Sportarten, in denen Frauen finanziell das Nachsehen haben, ließe sich noch fortsetzen. Dabei geht es – wie der Blick über den Tellerrand zeigt – auch anders: Der Norwegische Fußballverband beschloss 2018, dass Fußballerinnen und Fußballer das gleiche Budget bekommen. Surferinnen erhalten seit Ende 2018 bei Wettbewerben genauso viel Preisgeld wie die männlichen Wellenreiter. Und bei den vier Grand Slam-Turnieren im Tennis gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den Gewinnerprämien. Dafür gekämpft haben Frauen seit Anfang der 1970er Jahre.
"Wir waren Amateure und haben etwa 14 Dollar am Tag verdient. Darüber habe ich mich beschwert, weil das einfach lächerlich war."
Die US-amerikanische Tennisspielerin Billie Jean King wollte diese Ungerechtigkeit nicht akzeptieren. Gemeinsam mit acht weiteren Spielerinnen rief sie 1970 eine eigene Turnierserie, die Virginia Slims Series, ins Leben. Am Ende des Jahres waren es 40 Frauen, die den offiziellen Spielbetrieb der damaligen "United States Lawn Tennis Association", boykottierten. 1973 gründete King die Vereinigung der Profi-Tennisspielerinnen, die heutige WTA. Und im selben Jahr bezahlten die US Open schließlich zum ersten Mal Frauen und Männern die gleichen Preisgelder.
"Ich finde das fantastisch, die Männer haben immer noch mehr Möglichkeiten, aber die Major Turniere haben gleiche Preisgelder. Das ist wunderbar."
Die Männer haben mehr Möglichkeiten – das betrifft nicht nur den Spitzensport. Auch heute noch haben es Mädchen in der Regel schwerer als Jungen, überhaupt einen Zugang zum Sport zu finden. In einer Halle im Hinterhof eines Altbaus mitten in Berlin-Kreuzberg ermöglicht der Verein "Seitenwechsel" Mädchen einen niederschwelligen Zugang zum Sport. Zehn Mädchen zwischen sieben und elf Jahren rennen an diesem Freitagnachmittag vergnügt durch die Halle.
"Ich finde toll, dass hier nur Mädchen sind, ich habe noch so einen anderen Sport und da sind auch Jungs und die sind auch sehr anstrengend. Die sind so wild und die toben immer so doll rum. Manchmal nervt mich das auch einfach."

Manchmal schrecken Jungs Mädchen vom Sport ab

Jungen, die Mädchen die Lust am Sport vermiesen – das klingt extrem. Doch offenbar lassen sich Mädchen zum Teil auch vom gemeinsamen Sporttreiben mit Jungs abschrecken. "Seitenwechsel" steuert dagegen und bietet Mädchen einen geschützten Raum.
"Es ist eine andere Form von Konkurrenz, wenn Jungs dabei sind, entsteht sehr schnell eine Wettkampfsituation. Es ist eine andere Dynamik dann und ich merke: Mädchen gehen da teilweise unter."
Ilaa Tietz ist Übungsleiterin bei "Seitenwechsel". Sie und ihre Kollegin Malina geben einige Spiele vor, dazwischen können die Mädchen frei entscheiden: Auf der Weichbodenmatte hüpfen, an Seilen klettern und schaukeln, Fangen spielen. Es ist eine ungezwungene Stunde, in der auch Mädchen Spaß an der Bewegung haben, die sonst nicht so einfach einen Zugang zum Sport finden würden – auch aus kulturellen und sozialen Gründen. Itong Ehrke, Leiterin der Abteilung Mädchensport bei "Seitenwechsel":
"Wir arbeiten halt viel in sozialen Brennpunkten, wo die Eltern in einer schwierigen sozialen Situation sich befinden. Wir sind an Schulen, die haben über 80 oder 90 Prozent Transferempfänger*innen. Da sind die Eltern einfach nicht in der Lage oder nicht willens ihre Kinder zu unterstützen."
"Seitenwechsel" hat ein vielseitiges Freizeitsportangebot, ist ein Frauen-/Lesben-, Trans*, Inter* und Mädchenverein. "Vielfalt, Verbundenheit, Vergnügen" – so der Slogan des Vereins. "Seitenwechsel" will die Ausgrenzung, die Menschen auch im Sport widerfährt, überwinden. In ihren Augen gehören auch Mädchen zu einer benachteiligten Gruppe. Jungen würden im Sport viel mehr gefördert, es gebe deutlich mehr Angebote für Jungen als für Mädchen, so Itong Ehrke. Und viele Mädchen empfänden, dass sie mit gleichaltrigen Jungen nicht mithalten könnten. Daher das Angebot ausschließlich für Mädchen.
"Unsere Erfahrung ist, dass Mädchen, wenn sie mit anderen Mädchen und vor allen Dingen auch mit Frauen als Trainerin und als Vorbilder in Angeboten sind, die nicht einfach nur für Mädchen sind, sondern die auch mit einer gewissen Haltung unterrichtet werden, nämlich, dass man was heute Empowerment heißt, dass man Mädchen stärken möchte, veranstaltet, also diese Sportangebote so macht, dass das den Mädchen einfach einen großen Erfolg gibt. Es ist einfach ein Rahmen, es guckt keiner. Wie sieht mein Körper aus. Ist das mädchenhaft, wie ich mich gerade verhalte. Ist meine Emotion so in Ordnung und ich glaube, dass es für Mädchen einfach einen guten Freiraum bietet unter Mädchen herauszufinden, was macht mir Spaß, wie möchte ich mich unter anderen Mädchen im Team verhalten, wie möchte ich sein, wer möchte ich sein, wer ist vielleicht mein Vorbild, an wem kann ich mich orientieren."

"Gemeinsam sind wir stark!"

Fängt die Benachteiligung von Frauen im Sport tatsächlich schon im Kindesalter an? Fehlt dem Frauensport im Grunde eine breite Basis? Gibt es zu wenige Mädchen, die später den Sprung an die Spitze schaffen oder wagen? Nur 40 Prozent der Mitglieder in deutschen Sportvereinen sind weiblich. Petra Tzschoppe sagt, dass das Sportangebot der Vereine sehr auf Jungen ausgerichtet ist, sieht aber auch ein Problem im Schulsport.
"Auch dort finden wir noch eine Differenzierung, was so typische Mädchen-, typische Jungssportarten sind, die von Sportlehrkräften auch nicht unbedingt aufgebrochen werden. So ein geschlechtersensibles Sportunterrichten und ein Abbauen von Barrieren, auch da sehe ich durchaus Nachholbedarf."
Die Sportsoziologin Petra Tzschoppe ist Vizepräsidentin und Gleichstellungsbeauftragte des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Sie setzt sich dafür ein, dass der Sport insgesamt Mädchen und Frauen mehr in den Blick nimmt und will zum Beispiel die Ausbildung von Trainerinnen, Kampf- und Schiedsrichterinnen stärken. Zwei weitere Handlungsschwerpunkte von Petra Tzschoppe sind: geschlechtergerechte Darstellung in den Medien sowie Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen. Beim DOSB selbst hat das schon ganz gut geklappt: Von neun Präsidiumsmitgliedern sind vier weiblich.
"Ich denke genauso wertvoll ist es aber, eben auch Frauen zu haben, die in anderen Bereichen des Sports als Vorbild wahrgenommen werden. Ob es als Funktionärin ist, ob es als Journalistin ist, ob es Frauen sind, die als Schiedsrichterin in der oberen Liga pfeifen. In ganz vielen Bereichen des Sports gibt es noch zu wenige Frauen und umso wichtiger ist es, Frauen zu haben, die diese Vorbildrolle auch ausüben."

Nur wenige Frauen im Männersport

Im Männersport etwa setzen sich nur ganz wenige Frauen durch: Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus etwa, die in der Fußball-Bundesliga der Männer erfolgreich eingesetzt wird. Imke Wübbenhorst, die die Oberliga-Fußballer von Cloppenburg trainiert. Oder die Französin Corinne Diacre, die drei Jahre erfolgreich die Zweitliga-Mannschaft von Clermont-Ferrand coachte. Doch es sind nach wie vor Einzelbeispiele. Interessant ist auch, dass sie stets als Exotinnen betrachtet werden. So geht es auch Jennifer Kettemann, die seit 2016 Geschäftsführerin des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar-Löwen ist, und wahlweise in der Presse als "Königin der Löwen", "Löwenbändigerin" oder als "Allein unter Männern" beschrieben wird.
"Generell finde ich persönlich es eigentlich schade, dass es so ein großes Thema ist. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass man gar nicht mehr darüber spricht und es einfach normal ist, aber das ist es leider noch nicht."
Jennifer Kettemann ist 36 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Sie kümmert sich um die Finanzen des Vereins, um das Marketing, Sponsoring, die Öffentlichkeitsarbeit und um die Zusammenarbeit mit den Fans. Im sportlichen Bereich arbeitet sie sehr eng mit dem Ex-Handballer Oliver Roggisch zusammen. Das sind umfangreiche und verantwortungsvolle Aufgaben. Vergleichbare Positionen werden auch in Unternehmen in anderen Branchen immer noch überwiegend mit Männern besetzt. Das sei kein sportspezifisches Problem, sagt Petra Tzschoppe:
"Wenn wir in andere gesellschaftliche Bereiche gucken, ob das jetzt Diskussionen um Regisseurinnen in der Filmbranche sind oder wo sind die Dirigentinnen? Ob das jetzt Kunst, Kultur, ob das Wissenschaft, ob das Politik, ob es Medizin anbetrifft - es sind eine ganze Reihe von Feldern, die über Jahrhunderte männerdominiert waren und dann so nach und nach sich die Bereitschaft und das Verständnis durchsetzt, dass man gemeinsam ja durchaus besser hinbekommen könnte."

"Wir sind ganz am Anfang"

Jennifer Kettemann sagt: "Ich denke auch, das kommt, nur das braucht alles Zeit, das ist sowieso eine Entwicklung insgesamt in der Gesellschaft, die ja auch sehr viel Zeit braucht. Und wenn die Rahmenbedingungen stimmen und Frauen auch im privaten Umfeld die Möglichkeit haben, beides unter einen Hut zu bekommen, dann wird sich das auch von selbst ändern. Ich glaube da sind wir ganz am Anfang noch. Ich finde das kommt drauf an, was für eine Leistung die Leute bringen und nicht welches Geschlecht sie haben."
Leistung statt Geschlecht – mehr Frauen in Führungspositionen könnten die Männerzentriertheit des Sports aufbrechen. Und mehr Frauen im Sportjournalismus würden vielleicht gängige Klischees und sprachlichen Sexismus vermeiden:
"Mein Je, was hat dieses Mädel geleistet in diesem Jahr."
"Das haben sie durchgestanden, aber danach ging es nicht direkt ins Bett, oder? Getrunken, geflirtet, die Verehrer in Scharen."
Die Leistung der Tennisspielerin Angelique Kerber, die kurz vor dem Interview das Wimbledon-Turnier gewonnen hatte, wird mit einer schlüpfrigen Frage gekrönt. Auch wenn der Reporter sich später dafür entschuldigte, der männliche Blick auf die Athletinnen ist generell ein großes Problem in der Sportberichterstattung. Und in der Werbung und bei Sponsoren, die sich gerne mal sexistischer Sprüche bedienen. Wie zuletzt der Schriftzug "Prachtregion" auf den knappen Hosen von Bundesliga-Volleyballerinnen. Dieser Sexismus und die damit einhergehende vermeintliche männliche Überlegenheit macht sich in einem weiteren Bereich im Sport bemerkbar: im Verhältnis zwischen Trainern und Sportlerinnen. In den vergangenen Jahren sind immer wieder Fälle von sexueller Gewalt im Sport bekannt geworden. Nicht ausschließlich sind Männer die Täter, aber überwiegend.

#Coachdonttouchme

Berlin-Kreuzberg. 30 Mädchen im Alter zwischen 8 und 17 Jahren sind heute zum Boxtraining gekommen. Sie machen ein Zirkeltraining mit mehreren Stationen. Vier junge Frauen bearbeiten die Sandsäcke. Die "Boxgirls" bieten seit zehn Jahren Boxen für Mädchen im Kiez an: Training und Workshops, Engagement an Schulen, um Mädchen zu stärken. Sie stellen sich gender-basierter Gewalt und Benachteiligung mit sozialer Arbeit und Sport entgegen. Box-Coach Linos Bitterling in einer kurzen Ansprache in einer Trainingspause:
"Wir wollen die Leute natürlich supporten, die sich einsetzen gegen Gewalt, auch sexualisierte Gewalt, Übergriffe und Grenzüberschreitungen von Männern oder wem auch immer an Mädchen und Frauen."
Anlass für diese Worte ist der Besuch der Boxerin Sarah Scheurich bei den Boxgirls. Die 25-Jährige war 2014 Vize-Europameisterin im Mittelgewicht. 2018 gewann sie EM-Bronze. Sarah Scheurich hat gemeinsam mit anderen Boxerinnen im vergangenen Jahr die Kampagne "Coach don't touch me" ins Leben gerufen, um sexualisierte Gewalt im Sport zu bekämpfen. Anlass war der Missbrauchsfall einer Boxerin, die ihren Trainer angezeigt hatte. Die Athletin wurde daraufhin in ihrem Verein bei einer Sitzung beschimpft – der Verband griff nicht ein.
"Das Schlimme an der Aktion war eigentlich, dass die Sportlerin ziemlich allein gelassen wurde vom Verband, von allen. Solange das vor Gericht ist, sollte man von der Unschuldsvermutung ausgehen, aber man darf so einen Fall nicht unbetreut lassen. Dann hat sich das so ein bisschen entwickelt, auch allgemein gegen Chauvinismus, sexualisierte Gewalt im Sport, Gleichberechtigung, das zählt ja alles da mit rein."
Daraufhin zeigten sich Athletensprecherin Sarah Scheurich und weitere Boxerinnen wie Susi Kentikian und Ornella Wahner analog zu #metoo mit dem Hashtag #CoachDon’tTouchMe auf Twitter solidarisch. Sie legten zudem ein Papier vor, in dem sie den Ehrenkodex des Boxverbandes überarbeitet sowie Regeln und Sanktionen für das Verhältnis von Trainern und Sportlerinnen festgelegt haben. Zum Beispiel sollte es künftig verboten sein, dass Trainer mit minderjährigen Sportlerinnen in einem Hotelzimmer übernachten – unvorstellbar, dass das immer wieder geschieht.

Keine öffentliche Unterstützung der Kampagne

"Wir hätten uns gewünscht, einfach eine öffentliche Unterstützung dieser Kampagne, quasi ‚Unsere Frauen, die Nationalmannschaft setzt sich gegen sexualisierte Gewalt ein’. Wir haben gesagt, wir fänden das gut, wenn unser Verband sagt, wir unterstützen das. Das ist auch eigentlich ne ganz normale, schöne Sache. So was kam halt nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich als Athletensprecherin nichts bewirken kann."
Sarah Scheurich trat als Athletensprecherin zurück.
Trotz der Rückschläge und Enttäuschungen – an vielen Fronten wird für eine Verbesserung der Bedingungen für Frauen im Sport gearbeitet und hart gekämpft. Hilfreich ist, dass sich zumindest der DOSB vorgenommen hat, die Organisationskultur im Sport spürbar zu verändern. Aber auch jeder einzelne Verein und jede Sportlehrerin und jeder Sportlehrer ist gefordert, im Kleinen zu beginnen und auch Mädchen gleichberechtigt am Sport teilhaben zu lassen. Mit mehr Sensibilität könnten viele Ungerechtigkeiten, verkrustete Strukturen und Vorurteile im Sport beseitigt werden, denen man auch im 21. Jahrhundert immer noch begegnet. Bezahlung, Anerkennung, Chancen einer Gleichbehandlung von Frauen – egal ob im Breiten- oder im Spitzensport – steht rational nichts im Wege.
"Sie hat es, sie hat es!" Angie Kerber ist Australian Open Siegerin."
"Das hier, das Ding, das ist Frauensache."
"Und jetzt läuft sie an, und jetzt schießt sie ins Tooooooor!"
Mehr zum Thema