Der Glaube spielt immer mit
"Turek, du bist ein Fußballgott!" Dieser Jubelschrei im WM-Finale 1954 brachte der Radio-Legende Herbert Zimmermann Ärger ein: Blasphemisch sei das gewesen. Heute bekreuzigen sich Fußballstürmer - das Verhältnis zwischen Sport und Glauben geht aber darüber hinaus.
David Kadel: "Im Alten Testament sagt ja Gott schon zu Noah: 'Geh in den Kasten, ich mach Sturm!' Der alte Klassiker."
Herbert Zimmermann (1954): "Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott."
David Kadel: "Es gibt tatsächlich – ernsthaft! – eine Passage, wo Paulus sagt: 'Hey, lebt euer Leben so wie so ein Marathonläufer, der im Stadionrund ankommt!' Und dass er das Ziel erreicht. Also gebt nicht auf!
Ich glaub', damit meint er: 'Hey, es könnte durchaus passieren, dass man den Glauben verliert!' Und er sieht das sportlich. Dranbleiben, also durchhalten bis zur Neunzigsten!"
Gunter Gebauer: "Maradona kam in den 80er-Jahren zum SSC Neapel. Da war Neapel Letzter, Vorletzter in der Serie A, in der italienischen Fußballliga. Unter Maradona gab es einen unmittelbaren Aufschwung, und der endete damit, dass der SSC Neapel italienischer Fußballmeister wurde. Das wurde in Neapel als ein Wunder betrachtet.
Maradona und Madonna hängen ja schon mal zusammen. Die Verehrung, die Maradona widerfuhr, erfährt in Neapel normalerweise der Stadtheilige, San Gennaro, dessen Blut im Dom von Neapel aufbewahrt wird. Und im Jahre 1987 wurde SSC Neapel eben italienischer Meister, und im selben Jahr verflüssigte sich auch das Blut des heiligen San Gennaro. Also da lag es nahe zu glauben, dass hier eine Wiedergeburt des Stadtheiligen stattgefunden hatte."
"In der Altstadt befindet sich in die Wand eines Hauses eingelassen ein kleines Heiligenbild."
Schreibt der Berliner Philosoph Gunter Gebauer in seinem Buch "Das Leben in 90 Minuten".
"Es zeigt Maradona im anno santo, im Heiligen Jahr 1987, daneben befinden sich ein runder Glasbehälter mit einer Flüssigkeit und ein kleines Haarbüschel. Am Rand ist ein Hinweis angebracht, dass hier eine Träne und das Haar des Heiligen Maradona als Reliquien zur Anbetung dargeboten werden. Das Haar und die Träne sind Absonderungen von Maradonas Körper – sie sind biologisch und magisch."
Gunter Gebauer: "Das ist etwas, das von der Römischen Kirche immer mit äußerstem Misstrauen betrachtet wird: Heiligenglauben, Wunderglauben, aber auf sehr populärer Ebene."
Sagt der Berliner Philosoph Gunter Gebauer.
"Auf der anderen Seite sehr volkstümlich, sehr verbreitet, und konnte insofern auch sehr gut eine Ehe mit dem Fußball eingehen. Zumal eben Maradonna jemand ist, der tatsächlich ja in Spielen manchmal Dinge zustande brachte, die an Wunder grenzten zumindest."
Englischer Fernsehreporter (1986): "The ball came back and Maradona gaves Argentina the lead. The England players protesting to the referee and the goal is given. Was it a use of the hand that England are complaining about?"
Die Klage des englischen Teams bei der WM 1986 blieb erfolglos, denn wer kann schon gegen die höchste Instanz gewinnen? Das Tor wurde nicht durch die irdische Hand Diego Maradonas verursacht, sondern von "der Hand Gottes", wie der Fußballer immer wieder beteuerte.
Die spirituelle Dimension des Sports
Gunter Gebauer: "Das war sehr tricky von ihm argumentiert. Dass er sich so zum Handlanger Gottes gemacht hat, hat ja seine Tat in seinen Augen gerechtfertigt."
Und es hat ihr eine andere Dimension gegeben. Eine Dimension, die im Sport auf vielfältige Weise mitschwingt.
David Kadel: "Diese spirituelle Dimension interessiert mich eigentlich am meisten. Also ich liebe Fußball, aber irgendwann kennt man dann auch alles über die Fußballer."
David Kadel, Filmemacher aus Aachen.
David Kadel: "Kennt ihren Marktwert, ihre Laufwerte. Mich interessiert viel eher: Warum ist der Kloppo so ein selbstbewusster Typ? War der schon immer so selbstbewusst? Also was hat Spiritualität damit zu tun, dass einer sich zu einer Persönlichkeit entwickelt und auf einmal von solchen Dingen wie Glaube und philosophischen Dingen fast schon spricht?"
Jürgen Klopp (aus Film): "Meine absolute Grundfeste und meine absoluter Stabilisator ist mein Glaube. Der Glaube führt mich durchs Leben. Ist meine Reißleine, ist meine Leitlinie, ist für mich einfach unendlich wichtig."
Sagt Meistertrainier Jürgen Klopp in David Kadels Dokumentarfilm "Und vorne hilft der liebe Gott". Kadel hat mit Fußballmenschen über ihr Christsein geredet, denn er ist selbst im Glauben fest verankert. Genauso wie Frank Michael Brunn:
Frank Martin Brunn: "Ich war bis 2012 Judo-Trainer, hab Unitraining geleitet, mit Studierenden gearbeitet. Selber Judo mach ich seit meinem 14. Lebensjahr."
Eigentlich ist Brunn evangelischer Pastor. 2014 habilitierte er sich mit der Schrift "Sportethik. Theologische Grundlegung und exemplarische Ausführung".
Frank Martin Brunn: "Ich kenne ein paar wenige Pastoren, die auch Judo machen. Es ist halt ein Kampfsport! Aber es ist ein Kampfsport, in dem alle Techniken so gewählt sind, dass sie den Gegner nicht verletzen können."
Evangelische Geistliche betreiben einen Sport, der spirituelle Elemente fremder Herkunft enthält?
Frank Martin Brunn: "Natürlich gibt es bestimmte rituelle Formen wie das Angrüßen, wo man merkt, da ist ein gewisser japanischer Geist mit bei, aber jetzt so eine klar ausgesprochene religiöse Dimension find ich im deutschen Judo nicht."
Gunter Gebauer: "Das ist genau dasselbe wie in der Philosophie. Es gibt eben östliche Philosophien, genauso wie es östliche Körperpraxen gibt, die den Anschein haben, als habe es die schon immer so gegeben, wie wir sie heute vorfinden. Tatsächlich aber sind sie im Kontakt mit dem Westen aufgenommen worden von westlichen Beobachtern und Befürwortern und dann hinterher sogar Bewunderern und Fanatikern dieser Kampfpraktiken, die dann ausgebildet wurden zu Wettkampfpraktiken."
Sport als Religionsersatz
Wir lernen: Im Sport fließen religiöse Elemente mit spirituellen und esoterischen Versatzstücken aller möglichen Ursprünge zusammen und bilden eine Mischung. In dieser Mischung findet Heiligenverehrung von Fußballstars ebenso ihren Platz wie Religion als mentaler Kraftquell. Doch ...
"Um es in den Worten des ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, zu sagen: Sport und Körperkult sind womöglich für viele Menschen ein Religionsersatz, sie können aber keine Ersatzreligion sein."
So der Sportsoziologe Robert Gugutzer.
Die andere Dimension, die da mitläuft, mitspringt, mitschwimmt, -stößt und -wirft umhüllt den Sport auf mehreren Ebenen. Da wäre zunächst der persönliche Glaubensvollzug wie etwa beim Fußballer Daniel Didavi, dem der Filmemacher und Motivationscoach David Kadel ein Credo entlockt:
Didavi (aus Film): "Ich hab das drei-, viermal gelesen, das Neue Testament. Einfach die Geschichte von Jesus, was das für ne starke Persönlichkeit war! Und dann denkst du dir: 'Guck mal, was der für andere Menschen getan hat, was der durchlebt hat … und du hast ne Verletzung!' Du hast immer noch genug. Und hast eine Verletzung und heulst rum, sozusagen."
Doch über diese intimen Glaubensbekenntnisse der einzelnen Sportler hinaus, zeigen sich Elemente des Religiösen in den Bausteinen des sportlichen Regelwerks, in der Inszenierung von Sportereignissen und im Körper- und Menschenbild – bis hin zur grundsätzlichen Frage, ob Sport, wie wir ihn kennen, nicht ohnehin ein Produkt der Religion ist.
Einer ganz bestimmten Religion.
Gunter Gebauer: "Man kann sehen, dass Länder mit strengem buddhistischem Glauben so gut wie keine Medaillen bei Olympischen Spielen gewonnen haben bislang. Das liegt natürlich ganz an der Konstitution und den Inhalten dieser Religion."
David Kadel: "Buddhistische Kicker kenn ich auch nicht. Ich glaub, Mehmet Scholl ist Buddhist?"
Protestanten sind stark kompetitiv
Gunter Gebauer: "Ähnlich ist es mit Religionen, die stark meditativen Charakter haben, Zen-Charakter haben beispielsweise. Die haben keine wettkampfmäßige Disposition. Das ist sehr typisch für das Christentum. Aber auch da nur für eine Spielart des Christentums."
Nämlich vor allen für den Protestantismus. Und man kann sehen, dass die Länder, die protestantisch orientiert sind, sehr stark kompetitiv wettkampfmäßig orientiert sind.
Frank Martin Brunn: "Das Christentum ist insofern wettbewerbsfeindlich, als das es im Bezug auf die Gottesbeziehung jegliche Form des Wettbewerbs ablehnt. Martin Luther, hat er wunderschön herausgearbeitet, dass dieses Sich-vor-Gott-Brüsten, dass das alles Unsinn ist! Das heißt noch lange nicht, dass es nicht abgegrenzte Bereiche geben darf, in denen Wettbewerb gut und sinnvoll ist. Aber es darf eben nie den Wettbewerb so weit führen, dass es um die nackte Existenz geht."
Das tat es allerdings in der Antike, deren körperliche Praxis mit dem Spielcharakter heutiger Sportarten wenig gemein hatte. Frank Martin Brunn:
Frank Martin Brunn: "In der Antike ist das Maß an Gewalt hoch, Verletzungen sind ganz normal. Der Tod im Sport zeigt, dass der Athlet den Göttern nah ist. Und es gibt Geschichten von Ringkämpfern, die verbissen bis in den eigenen Tod hinein gekämpft haben und posthum zum Sieger erklärt wurden, so was können wir heute alles nicht nachvollziehen. Wir denken völlig anders."
Wir denken in Kategorien des freundlichen Spektakels, der Unterhaltung, des Spiels, in denen der Begriff "Sieger" kaum noch eine kriegerische, gar tödliche Konnotation hat. Dennoch brachten ausgerechnet die Erfinder des modernen Sports mit seinem Fairness-Ideal – die Briten – eine Art muskuläres Religionsverständnis in die Welt. Es trug deutliche Züge des antiken Militär-Ethos und passte gut ins Weltmachtstreben des 19. Jahrhunderts.
Gunter Gebauer: "Also muskulär sag ich jetzt in Anlehnung an das muskuläre Christentum, das die Briten propagiert haben. 'Muscular christianity', das darin bestehen sollte, dass die Christen in England dem Rest der Welt zeigen wollten, dass sie über muskuläre Tätigkeiten, über Stärke, über Ausdauer, Kampfgeist, eine Fähigkeit besitzen, den modernen Kampf um Vorherrschaft aufzunehmen."
Erläutert der Philosoph Gunter Gebauer. Daraus entwickelt sich dann, von England auf den Kontinent übergreifend, die moderne Auffassung von Sport als Spielbetrieb. Den Theologen bereitete diese Sicht aber lange Zeit durchaus Schwierigkeiten. Denn Spiel ist nicht Ernst. Ist Spiel dann auch gottgefällig?
Frank Martin Brunn: "Die Bibel kennt die Vorstellung von der Weisheit, die spielend die Welt erschafft. Da spielt Frau Weisheit vor Gott, und die Welt entsteht."
Spiele beweisen die Existenz Gottes
"Spielen bedarf verlässlicher äußerer Rahmenbedingungen."
Schreibt der Mainzer Theologe Eilert Herms.
"Daher ist an der Spielhandlung als solcher erkennbar, dass die Reichweite von Sünden und Naturübeln keine totale, sondern eine begrenzte ist. Die verabredungsgemäße Durchführung der Spiele und ihre Wiederholung lässt sich also per se als ein Lob des Schöpfers begreifen."
In anderen Worten: Wo Spiele veranstaltet werden, beweist die schiere Möglichkeit dazu die Existenz Gottes.
Frank Martin Brunn: "Wollen Sie in Aleppo in der Straße Fußball spielen? Das geht nicht. Das heißt, wenn ich die Möglichkeit habe, Fußball zu spielen, dann ist es schon mal per se ein Lob, dass wir Frieden haben. Und damit die Sünde, die den Menschen dazu bringt, gegeneinander Krieg zu führen, offensichtlich durch irgendwas im Zaum gehalten wird. Und das mein ich damit, dass im Sport sozusagen ein verdecktes Gotteslob liegt, weil eben die äußeren Bedingungen, die das Sporttreiben ermöglichen, nicht selbstverständlich sind."
David Kadel: "Das ist ja phantastisch, müsste ich mir ja fast aufschreiben. Ich find das richtig gut! Also ja, diese Leichtigkeit des Spiels, die ist uns ja abhanden gekommen in unserem Alltag."
Gunter Gebauer: "Das war auch die Grundlage dieses muskulären Christentums. Dass man gesagt hat: Wir haben einen wunderbaren Körper bekommen, den können wir ausbilden, der kann sehr schön aussehen, der kann lustvoll erlebt werden, das hat uns Gott gegeben, jetzt wollen wir das auch mal wirklich spüren und anderen Menschen vorführen."
Reibungsfeld zwischen Sport und Religion
Aber in welcher Weise? Stolz, gewiss. Aber auf keinen Fall ... nackt!
Frank Martin Brunn: "Auffällig ist, dass zum Beispiel das Stadion, was neben dem Herodianischen Tempel gebaut worden ist, im Neuen Testament mit keinem Wort erwähnt wird! Also da hatten die was gegen! Und haben’s einfach totgeschwiegen. Da wurde nackt Sport getrieben, und das war den Juden ein Gräuel."
Mathias Rohe: "Man zeigt sich vor anderen nicht nackt!"
So äußert sich Mathias Rohe, Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, zu einem zeitgenössischen Konflikt, der sich aus der Vergangenheit zu uns hinübergeschlichen zu haben scheint.
Mathias Rohe: "Auch nicht vor dem gleichen Geschlecht! Also, da gibt’s eine ganz, ganz große Schwelle, und da setzen manchmal die Probleme an. Ich weiß, dass der eine oder andere Sportverein, Fußballverein, von Türken beispielsweise, auch deswegen gegründet wurde, weil die vorher ausgelacht wurden oder komisch angemacht wurden von deutschen Kameraden. Nach dem Motto: 'Was hast du dich denn so, hier gemeinsame Dusche, was ist denn los?' Und das entspricht nicht der eigenen Körperkultur. Und dann macht man lieber das Eigene, weil man sich da nicht ständig rechtfertigen und erklären muss."
Rechtfertigungszwang besteht vor allem dort, wo der deutsche Schullehrplan Schwimmunterricht vorsieht, Kinder aus islamischen Familien daran aber nicht teilnehmen wollen. Ein durchaus heftiges Reibungsfeld zwischen Sport und Religion. Oder wirken da andere Voreingenommenheiten?
Mathias Rohe: "Es geht ja in der Regel dann um Mädchen, die nicht sich zeigen möchten in Badekleidung. Das hat mittelbar vielleicht mit der Religion zu tun, sehr viel mehr mit einem kulturellen Schamverständnis, das insbesondere ja so aus patriarchalischem Denken heraus die Frau als etwas Verhülltes sehen möchte."
Der Jurist und Islamkundler Mathias Rohe, der zwar selbst praktizierender Christ, aber kein Theologe ist, sieht die sportliche Ver- und Enthüllungsfrage eher weltlich.
Mathias Rohe: "Ich denke, dass die Religion insgesamt da gar keinen so starken Einfluss hat, sondern das sind eigentlich mehr kulturelle Prägungen. Das ist vom Klima abhängig, das ist von den Lebensverhältnissen abhängig. Ich hab Jungs beobachtet in Saudi Arabien oder im Jemen, wie sie Fußball spielen, wie sie die langen Kutten so halb hochziehen und dann ständig hinfallen, weil das für Fußball nicht so die ideale Kleidung ist. Aber das hat mit der Religion des Islam von Herzen wenig zu tun. Sondern das sind halt die Konventionen: Wie kleidet man sich in der Region? Und dann passt’s halt mehr oder weniger mit dem Sport."
Man muss sich bewegen - fünf Mal täglich
Manchmal allerdings passt es aus religiösen Gründen ganz schön schlecht.
Mesut Özil (2014): "Ramadan fängt natürlich Samstag an, aber ich kann leider dann nicht mitmachen, weil ich halt arbeite. Und deswegen kommt das auch nicht in Frage."
Das gab Nationalspieler Mesut Özil 2014 vor der Fußball-WM in Brasilien zu Protokoll. Für Reisende und Arbeitende erlaubt die religiöse Fastenvorschrift Ausnahmen. 2016 nahm Özil seine Pflichten ernster und pilgerte vor der Europameisterschaft nach Mekka. Die Fotos davon gingen durch die sozialen Netzwerke.
David Kadel: "Find ich gut! Also wenn er Vorbild ist für viele junge Moslems, die sagen: 'Mensch, der Özil hat einen Superfreistoß, der hat die tolle Technik, aber jetzt geht er auch noch pilgern, wow!' Also wenn er jetzt andere animiert und sagt: 'Ich beschäftige mich mal mit meinem Gott und will ihm mal ein bissel näher kommen.' Also großartig, wenn Leute sich auf den Weg machen und andere damit anstecken!"
Versuchen wir bei David Kadel, dem christlichen Motivationscoach, eine Ansteckung anderer Art. Der Islam ist nämlich die einzige große Weltreligion, die ein körperliches Ertüchtigungsprogramm in den Gebetsvorgang eingebaut hat: Man muss sich bewegen, fünf Mal täglich.
"Es wurde festgestellt, dass viele ältere Muslime, die das Gebet schon seit der Kindheit regelmäßig verrichteten, viel länger einen gesunden Verstand und Körperbau aufweisen als andere. (...) Durch das frühe Angewöhnen der korrekten Gebetshaltungen wird der medizinische Nutzen des Gebets noch intensiver."
So zu lesen in einem Buch der norwegische Sportwissenschaftlerin Dagmar Dahl.
David Kadel: "Das hört sich ja mega an! Vielleicht sollte ich mich doch hinknien, in meinem Büro? Warum eigentlich nicht? 'Alter, knie dich mal hin, mach dich mal demütig!' Ist nicht das Schlechteste, wenn sich mal so ein stolzer Gockel hinkniet und sagt: 'Ich bin zwar echt ne coole Socke, aber da oben ist noch einer über mir, den respektier ich als Gott!' Ich knie mich hin vor ihm, also mit Kopf auf den Boden. Das ist ne tolle Geste. Vielleicht sollten wir das auch in der evangelischen Kirche mal wieder einführen."
Die könnte allerdings ein Problem damit haben. Nicht allein, weil man keine Gebetspraktiken fremder Religionen übernimmt, sondern auch, weil Gebete etwas rein Geistiges sind, und das Geistige im Christentum über alles Körperliche dominiert.
Sie singen nicht nur christliche Lieder
"Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten."
Galaterbrief 6, Vers 7 und 8.
"Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze."
Johannesevangelium, Kapitel 6, Vers 64.
Frank Martin Brunn: "Hier ist der Geist Gottes gemeint, der lebendig macht. Der dem ersten Menschen eingehaucht wird, der Odem Gottes, der belebt das.
Deswegen ist auch die Vergottung der sportlichen Leistung so verkehrt! Das ist fleischliche Existenz! Das wird etwas vergottet, was aus sich heraus gar nicht lebensfähig ist. Sondern es ist der Geist Gottes, der das überhaupt erst möglich macht. Aber das ist natürlich nur aus einer Perspektive des Glaubens her sichtbar. Aus einer anderen Perspektive ist das unsichtbar."
Herbert Zimmermann (1954): "Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott."
Frank Martin Brunn: "Also die Rede vom Fußballgott finde ich einfach nur dumm! Denn sie ist der Sache unangemessen. Es ist der Not entsprungen, da ein Superlativ zu finden, und da muss jetzt eben Gott für herhalten."
David Kadel: "Wenn wir im Stadion sitzen und wir würden 'Thomas Müller – Fußballgott!' … da hätt ich gar kein Problem mit! Ich seh das ja auch als Augenzwinkern, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass irgendein Fußballfan in unserem Land tatsächlich Thomas Müller für einen Fußballgott hält, der einem die Hand auflegt und alles wird gut."
Gunter Gebauer: "Ein sehr schöner Gesang in englischen Stadien. Das kommt von der Geschichte mit den Emmaus-Jüngern. Jesus erscheint nach seiner Wiederauferstehung den Jüngern in Emmaus. Und die Jünger sagen, als Jesus sich erhebt um wegzugehen: 'Verweile doch, es ist schon spät!' Und das singen die im Stadion!"
Sie singen nicht nur Lieder christlichen Ursprungs. Die ganze Inszenierung sportlicher Großereignisse, etwa beim Fußball, folgt einer Liturgie, die kirchliche Elemente aufgreift und sich zueigen macht.
"In den Stadien stellt die Architektur einen verdichteten Innenraum her, der die Blicke der Zuschauer auf den ‚heiligen Rasen‘ richtet und eine Nähe der Zuschauer untereinander und zu den Spielern erzeugt. Durch das rituelle Geschehen wird in dieser abgeschlossenen Welt ein Raum des Glaubens hervorgebracht."
Schreibt Gunter Gebauer.
"Gott lässt dich nie allein!"
"Es ist gerade das typische Merkmal des Religiösen, dass die Gläubigen wesentlich an seiner Hervorbringung beteiligt sind. Religiöse Erfahrung entsteht zuerst in der körperlichen Erregung intensiven gemeinschaftlichen Handelns. (...) Was die Beteiligten wahrnehmen, fühlen, erwarten, das glauben sie."
Gunter Gebauer: "Auf jeden Fall gibt das Erleben in großen Stadien so etwas wie Erschütterung und eine tiefe Ergriffenheit. Das ist etwas, was diejenigen, die keine Erfahrung haben mit Stadien, umhaut, wenn sie in die großen Arenen gehen!"
Frank Martin Brunn: "Es ist immer die Frage, welchen Religionsbegriff man zugrunde legt, nicht wahr? Also wenn ich stark von Ritualen her denke, dann werde ich auch sagen, dass diese Fans auch eine Form von Religion haben. In der kommt … kein Gott vor."
Bisweilen jedoch geht diese Religion so tief, dass sie auch die letzten Dinge umfasst.
Gunter Gebauer: "Es gibt einige Vereine – Schalke, HSV –, die einen eigenen Fanfriedhof angelegt haben, wo sich der ehemalige Fan dann aufgrund seines letztes Wunsches begraben lassen kann. Da sieht man, dass also die Verbundenheit mit dem Fußball auch über das Lebensende hinausgeht."
Gunter Gebauer: "Das sind ja alles Muster, die aus dem Christentum kommen, aus den Begräbnisritualen. Die werden ja eingehalten! Die nun allerdings nicht auf einem christlichen Gottesacker stattfinden, sondern auf dem heiligen Rasen, und im Grunde genommen zeigen, dass die Leute, die diese Wahl getroffen haben, ihren Verein als ihre auch spirituelle Heimat empfinden. Also nicht die Kirche, sondern ihren Verein!"
Jürgen Klopp (aus Film): "Gott lässt dich nie allein!"
David Kadel: "Das Thema Glaube ist eigentlich so was Wertvolles, was aber verloren geht in Deutschland. Vielleicht hört der eine oder andere dann mal besser rein in so ein Thema, wenn Jürgen Klopp daherkommt!"
Jürgen Klopp (aus Film): "Gott lässt dich nie allein!"
David Kadel: "Bei einem Pfarrer hört ja keiner mehr hin."