Twisten, Hüftkreisen und Dehnen auf dem Balkon
04:27 Minuten
Pilates fällt aus, Sitz-Yoga und Tanz ebenso. Vielen kommt zu Hause die Decke auf den Kopf. Die Quartiersmanager im Berliner Brunnenviertel haben daher Balkonsport für Anwohnerinnen und Anwohner organisiert. Das stiftet auch ein Gemeinschaftsgefühl.
Unüberhörbar - mit Kelle und Topfdeckel - geht Ieva Liela im Innenhof eines grauen Mehrgeschoßers in Berlin-Wedding umher. Im ersten Stock tritt eine alte Dame im gelb-gestreiften Rollkragenpullover auf ihren Balkon. Im dritten ein junges Pärchen. Im fünften Stock lugt ein dunkler Haarschopf über die Balkonbrüstung.
"Hallo, hallo, schön, dass ihr da seid, wir starten gleich… bisschen Musik…"
Ieva legt die Kelle und den Topfdeckel beiseite. Die Schauspielerin mit lettischen Wurzeln und DOSB-Trainerlizenz startet via Smartphone eine transportable Musikbox.
Wie bringt man Menschen auch in der Krise zusammen?
Trainerin Ieva macht die Bewegungen vor, die Menschen auf ihren Balkonen ahmen sie nach: Marschieren auf der Stelle, Ausfallschritte, Hüftschwünge. Den Balkonsport im Innenhof der Swinemünder Straße 95 hat das Quartiersmanagement Brunnenviertel organisiert, erzählt Teamleiterin Katja Niggemeier.
"Wir überlegen uns eben auch: Wie bringt man Menschen zusammen, ohne, dass man sich wirklich begegnen darf? Da hatte meine Kollegin die Idee, könnten wir es nicht mit Balkonsport versuchen?"
Katja Niggemeier lässt den Blick über die Teilnehmenden schweifen. Auch im vierten Stock schunkelt jetzt eine ältere Dame zur Musik. Eigentlich bietet die Seniorenbegegnungsstätte im Kiez Sport-Kurse an. Von Tischtennis über Gymnastik und Pilates bis hin zu Tanz.
"Das fällt jetzt erstmal alles weg und deswegen, denke ich, werden wir da auch weiter gucken, dass wir für Senioren und Seniorinnen auch noch gezielter so was im öffentlichen Raum anbieten können."
Gymnastik in der kleinen Grünanlage um die Ecke etwa und mit gehörigem Abstand natürlich. Twisten, Hüftkreisen – und wieder auf der Stelle marschieren, dabei die Arme schwingen. Nicht allen gelingt das. Die Seniorin im ersten Stock hat Mühe, Arme und Beine sicher zu koordinieren. Eva ruft nach oben, sie solle sich lieber am Balkongeländer festhalten.
Gut 15 Minuten einmal den ganzen Körper durchbewegen, dabei Kondition und Koordination trainieren. Zum Schluss gibt es eine kleine Selbst-Massage: "Wir klopfen unsere Hände, genau, Schulter, genau, andere Seite wieder zurück, und andere Seite wieder zurück."
Balkonsport vor anderen erfordert Mut
Die "Hampelei" habe ihr Spaß gemacht, ruft die Seniorin im gelb-gestreiften Pulli vom ersten Stock herunter. Sie strahlt, auch wenn sie nicht alle Übungen mitmachen konnte:
"Alle fröhlich, schöne Sonne... Was man kann, kann man machen, das andere muss ich lassen. Man hat ja ein paar Macken mit 86, nicht?"
Die 86-Jährige ist jetzt viel zu Hause. Ihr Sohn geht für sie einkaufen. Ihr Sitz-Yoga-Kurs findet zurzeit nicht statt. Nächste Woche will sie wieder dabei sein, beim Sport auf dem Balkon.
Trainerin Ieva Liela hat die Musik-Box wieder verstaut. Ist auf dem Sprung zur nächsten Balkonsport-Runde, gleich um die Ecke, vor den Hochhäusern am Vineta-Platz. Die Trainerin weiß: Vor aller Augen auf dem Balkon zu turnen ist gewöhnungsbedürftig. "So eine Art kleine Mutprobe, weil die anderen einen auch sehen, die Nachbarn…"
Ieva versucht, potenziellen Teilnehmenden die Scheu zu nehmen:
"Wenn ich auch ein bisschen gute Laune verbreite und mich dynamisch bewege, dann gebe ich auch Mut. Weil, es geht ja nicht darum, dass wir hier perfekt irgendwelche Übungen ausüben, aber dass wir Spaß bei Bewegung haben, zusammen! So entsteht ein Gemeinsamkeit-Gefühl, der Gesundheitsfaktor ist auch wichtig dabei."
Und so heißt es auch nächste Woche wieder: "Balkonsport, guten Morgen!"