Sportförderung

Medaillen um jeden Preis?

Cindy Roleder sprintet mit verbissenem Gesicht über eine Hürde. Sie ist von vorne zu sehen.
Die deutsche Sprinterin Cindy Roleder bei der Leichtathletik-WM in Peking: Wie sieht eine gute Sportförderung aus? © Christian Charisius/dpa
Von Thomas Jaedicke |
"Die harte Währung der Förderung sind Medaillen", sagt der für den Sport zuständige Innenminister Thomas de Maizière. Weil deutsche Athleten zuletzt hinter den Erwartungen blieben, wird nun die gesamte Sportförderung umgebaut. Medaillen sollen künftig noch stärker belohnt werden.
Olympia 2014, Sotschi:
"Das könnte was werden mit Gold. Mensch, Maria, mach Dich schon mal bereit, unten, zum Feiern! Das wird eng: 2´34"62. USA oder Deutschland?! Es ist Deutschland! Schwarz-Rot-Gold! Gold! Gigantengold für Maria Höfl-RieschWahnsinn!! Die schwarz-rot-goldene Mütze zieht sie auf. Ich verneige mich vor dieser Leistung. Brutal toll!, wie sie diese Strecke gefahren ist."
153 Millionen Euro an Steuergeldern steckt das für den Sport zuständige Innenministerium in diesem Jahr in den Spitzensport. Dazu kommen noch Personal- und Sachleistungen in zweistelliger Millionenhöhe für Athleten und Trainer der Sportfördergruppen von Bundeswehr, Polizei und Zoll. Ist dieses Geld gut angelegt? Was für einen gesellschaftlichen Nutzen bringen diese Investitionen?
Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist Sportfan. Für ihn und viele andere Politiker sind erfolgreiche Athleten ein nationales Aushängeschild. Doch in vielen Disziplinen hat Deutschland international den Anschluss verloren. Die Medaillenausbeute ist rückläufig. Der Minister fordert höhere Erträge. Damit Deutschland wieder in die Spitzengruppe der Nationenwertung vorstößt, wird das komplizierte System der Spitzensportförderung reformiert. Im Kern geht es darum, die Fördergelder anders zu verteilen, was dazu führen soll, dass mit derselben Summe künftig rund ein Drittel mehr Medaillen bei Olympia herausspringt. Allerdings wird es wohl mindestens zehn Jahre dauern, bis die neuen Konzepte, die jetzt gerade erarbeitet werden, greifen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)© picture alliance / dpa / Armando Babani
"Das Programm soll beginnen ab 1.1.2017. Ein Ansatz, eine Überlegung ist eben auch im Spitzensportbereich nicht nur eine Förderung auf vier Jahre auszurichten, sondern auf acht, wie es ja andere internationale Verbände auch schon machen."
Talente noch früher entdecken
Dirk Schimmelpfennig ist beim Deutschen Olympischen Sportbund, DOSB, Vorstand Leistungssport. Zusammen mit den Sportverbänden und der Politik koordiniert er die Prozesse, die jetzt notwendig sind, um die Sportförderung neu zu strukturieren.
"Z.B. Großbritannien, U.K. Sports, aber auch andere haben acht Jahre bis zum Podium in der Planung. Damit bin ich schon bei 24, wenn´s 17 anfängt. So, und wenn ich dann noch über Nachwuchsleistungssport spreche, dann ist es so, dass ich auch eben darüber hinausschaue, im Aufbau auf 28."
Der Erfolg hat den Briten recht gegeben. In London belegten die acht Jahre lang geförderten Athleten des Olympiagastgebers im Medaillenspiegel hinter den USA und China Platz drei. Deutschland landete auf Rang sechs. Künftig sollen also auch hierzulande vielversprechende Talente möglichst noch früher entdeckt, noch gezielter und länger gefördert werden, um maximale sportliche Erfolgen erzielen zu können. Das System wird von Sportmanagern wie DOSB-Funktionär Schimmelpfennig auf noch höhere Effizienz getrimmt.
"Wir haben ja seit vielen Jahren die Problematik, dass wir in manchen Sportarten sehr gute Jugendliche haben, aber die schaffen den Anschluss an die Spitze nicht. Die Analysen sehen heute so aus, dass es durchaus auch in einigen Sportarten schon so ist, dass wir im Nachwuchsbereich schon den Anschluss verpasst haben, weil andere Nationen konsequenter gearbeitet haben. Von daher ist schon die Überlegung, eben wirklich hier Eliten aufzubauen und sich auf Eliten zu konzentrieren."
Dirk Schimmelpfennig, der, bevor er zum DOSB wechselte, mehr als zwei Jahrzehnte als Trainer und Sportdirektor für den Deutschen Tischtennisbund tätig war, will bei der Sportförderung weg vom Gießkannenprinzip. Medaillen sollen künftig noch stärker belohnt werden. Damit ist er ganz auf der Linie des Innenministers.
Um den künftigen Förderbedarf zu ermitteln, werden die Verbände noch mehr in Vorleistung gehen müssen. Sie seien aufgefordert, ihre "Erfolgspotenziale zu definieren" und Schimmelpfennigs Reformkommission vorzulegen. Je ehrgeiziger die formulierten Ziele, desto mehr finanzielle Unterstützung winkt. Der Druck auf die Sportler wird weiter erhöht.
"Also, es geht zunächst mal darum, dass jeder Verband für sich eben zeigt, welche Möglichkeiten sehe ich für mich und welche Bedingungen brauche ich dafür. Und dann müssen wir uns eben anschauen, wie sieht das dann eben in der Summe aus? Wie sieht das Leistungskonzept, wie sieht die Struktur aus und welches Preisschild ist am Ende da dran? Und können und wollen wir uns das leisten?"
Die Konkurrenz im Tischtennis ist groß
Beispiel Tischtennis: Der Deutsche Tischtennisbund, DTTB, ist mit rund 600.000 Mitgliedern in über 10.000 Vereinen der zwölftgrößte Verband im Deutschen Olympischen Sportbund. Nach eigenen Angaben wirtschaftet der DTTB pro Jahr mit einem Haushaltsvolumen von knapp über vier Millionen Euro. Etwas mehr als eine Million Euro sind Steuergelder, die aus der öffentlichen Leistungssportförderung zugeschossen werden. Der Rest des Etats kommt jeweils zu etwa rund einem Drittel aus Mitgliedsbeiträgen und eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten. Was für Veränderungen werden durch die Reform der Leistungssportförderung auf Deutschlands ambitionierte Tischtennisspieler zukommen?
"Auf die kurze Sicht erstmal relativ wenig Änderungen, weil wir zu den Verbänden gehören, die erfolgreich sind. Wir haben bei den letzten beiden Olympischen Spielen jeweils Medaillen gewonnen."
Sagt DTTB-Generalsekretär Matthias Vatheuer.
"Wir sind zuversichtlich, dass wir das beim nächsten Mal in Rio auch wieder schaffen werden. Wir haben das auch in unseren Zielvereinbarungen mit dem DOSB so geregelt. Was die weitere Zukunft dann bringt, hinsichtlich von Erfolgen, das lässt sich natürlich mit Stand heute nicht sagen. Wir haben einige hoffnungsvolle Talente, aber man kann ja nie genau sagen, wie sich ein einzelnes Sporttalent dann wirklich in der Realität entwickelt."
Bei Olympia 2012 in London waren es die Herren, die für die Medaillen sorgten: Bronze im Mannschaftswettbewerb und ebenfalls Bronze im Einzel durch Dimitrij Ovtcharov standen am Ende in der Bilanz. Die Damen gingen zwar, was Medaillen betrifft, leer aus. Aber die Mannschaft schaffte es immerhin bis ins Viertelfinale.
Christian Süß an der Platte für seinen Verein Borussia Düsseldorf.
Christian Süß an der Platte für seinen Verein Borussia Düsseldorf.© picture alliance/dpa/Revierfoto
Die Konkurrenz im Tischtennis ist groß. Entsprechend hart umkämpft sind die Wettbewerbe bei großen Turnieren, Weltmeisterschaften oder Olympia. Gemessen an registrierten Spielern ist Tischtennis die zweitgrößte Sportart der Welt. Der Internationale Verband, ITTF, versammelt 217 Nationen aus allen Kontinenten. Tischtennisprofis werden zwar nicht so reich wie Fußballstars, aber in vielen Ländern der Erde hat Tischtennis besonders für den Breitensport eine enorme Bedeutung.
Angesichts der starken internationalen Gegner, die traditionell vor allem aus Asien kommen, hätten Deutschlands Spieler vor zweieinhalb Jahren in London stark abgeschnitten, findet Matthias Vatheuer. Trotz eines regelmäßigen, jährlichen Mitgliederrückgangs von etwa einem Prozent, der vor allem auf demographische Ursachen zurückzuführen sei, macht sich der DTTB-Generalsekretär keine Sorgen um spielstarken Nachwuchs, zumindest bei den Damen nicht.
"Bei den Herren ist es so, dass wir vielleicht das eine oder andere Jahr mal überbrücken müssen. Wir haben dann aber Gerrit Engemann, der jetzt aus der Schüler- in die Jugendklasse aufgestiegen ist, der sich da sehr gut entwickelt. Wir haben aber auch wieder, bei den noch Jüngeren, dann auch schon wieder Leute, wo auf jeden Fall Potenzial da ist. Aber das ist dann eben die Frage, wie kann man dann aus diesem Potenzial das Beste machen? Dafür haben wir die Trainer, haben unsere Einrichtungen und Fördermaßnahmen. Und dann müssen wir sehen, wie das am Ende läuft."
Hervorragende Infrastruktur für Hochleistungssportler
"Ich würde schon sagen, dass Tischtennis psychisch auch sehr anstrengend sein kann und körperlich halt auch. Aber das Eine funktioniert nicht ohne das Andere wirklich, also zumindest beim Hochleistungssport."
Nina Mittelham ist 18. Sie spielt seit zehn Jahren intensiv Tischtennis und ist eine der vielversprechendsten deutschen Spielerinnen.
"Im Moment gehe ich ja noch zur Schule. Und wenn ich mit der Schule fertig bin, dann möchte ich eigentlich schon gerne Profi machen. Also wirklich die ganze Zeit dann mit Tischtennis mich beschäftigen. Am Anfang war das gar keine Option, das kam erst so nach zwei Jahren, wo ich halt mehr trainiert habe und halt auch die Erfolge da waren. Und mir viele halt auch gesagt haben, dass ich viel Talent hab´. Und wenn man halt so jung ist, nimmt einen das schon positiv mit."
Im Deutschen Tischtenniszentrum in Düsseldorf, dem Bundesleistungszentrum, trainiert Nina Mittelham regelmäßig mit der Nationalmannschaft.
Die Anlage bietet eine hervorragende Infrastruktur für Hochleistungssportler. Es gibt dort zwei moderne Trainingshallen, Krafträume, Konferenzzimmer, ein Sporthotel, Büros, Räume zur medizinischen und physiotherapeutischen Behandlung, eine Caféteria und diverse Außenanlagen für sportliche Aktivitäten im Freien. Bis vor kurzem besuchte Nina Mittelham dort auch das Deutsche Tischtennisinternat, das vom DTTB betrieben wird und ebenfalls in dem großräumigen Sportkomplex untergebracht ist. Es bietet 16 hochveranlagten Tischtennisspielern im Rahmen der sogenannten Dualen Karriere, die Leistungssport und Schule optimal verbinden soll, einen Platz.
Die Schüler leben im Internat, werden aber mit Bussen des Bundesfreiwilligendienstes in städtische Düsseldorfer Schulen gebracht. Am Wochenende reisen sie quer durch die Republik, um nach Hause zu fahren oder Wettkämpfe zu bestreiten. Drei Mal in der Woche trainieren die jungen Spieler bereits zwei Stunden vor dem Unterricht. Das bedeutet: Aufstehen um 20 nach sechs, 20 vor sieben Frühstück, sieben Uhr Tischtennis. Zwei Stunden Training, Duschen um neun und ab in den Schulbus. Um 15 Uhr 45 sind die Schüler zurück im Tischtennisinternat, trainieren bis 18 Uhr. Abendbrot, 19 Uhr.
"Und dann fängt das an, was andere Schüler dann machen, wenn unsere Schüler aus dem Unterricht kommen: Sie lernen! Sie kriegen Nachhilfe hier."
Klaus Bellartz leitet das Tischtennis-Internat seit anderthalb Jahren.
"Wir reden also hier über eine bis zu 60-Stunden-Woche, manchmal kann es auch ein bisschen mehr sein, eben weil am Wochenende auch noch Spiele sind und weil wirklich die Schule und das Lernen hier anfängt, wenn das Training vorbei ist. Das ist also schon komprimiert."
Bevor Klaus Bellartz nach Düsseldorf kam, war der Sozialpädagoge, der zusätzlich noch ein Managementstudium und eine Beraterausbildung absolviert hat, an einem Internat für intellektuell Hochbegabte. Das vom DTTB in Eigenregie geführte Sportinternat muss alle drei Jahre einen Heimaufsichtstermin bestehen. Dann stehe das Jugendamt vor der Tür, um zu prüfen, ob alles o.k. sei, sagt Klaus Bellartz. Wegen der deutlichen Fokussierung auf den Sport gebe es in der Schule hohe Fehlzeiten.
"Man muss ein hohes Durchhaltevermögen haben"
Bellartz: "Ich hab hier einfach nur mal einen kurzen Überblick mitgebracht. Das sind alle Schüler von uns. Die rot markierten Felder sind alle Trainingszeiten, die die Kinder wahrnehmen. Z.B. hier unsere Schülerin, äh, das ist die Vivi oder was, genau....Sie hat z.B. dienstags kein Frühtraining, weil sie sagt, da ist mir die Schule wichtig."
Autor: "Ach so."
Bellartz: "Da sind wichtige Fächer, da gehen sie hin. Oder im Nachmittagsbereich hier: Montags ist nachmittags Training. Da sagen die Kinder aber in den nichtmarkierten Feldern: Wir gehen zur Schule, weil uns das wichtiger ist."
Autor: "Und wo ist in dem Plan die Freizeit?"
Bellartz: "Das ist so...Die Kinder....Das ist auch das, was ich Ihnen hier noch mal mitgebracht habe....."
Autor: "Wenn ich jetzt draufgucke: 6 Uhr 30 geht´s los. 22 Uhr ist Nachtruhe. Es gibt keine Möglichkeit, auszubrechen..."
Bellartz: "Man muss es wollen. Man muss eine hohe Motivation haben. Man muss ein hohes Durchhaltevermögen haben. Aber es ist so, dass man, wenn man individuell guckt, wenn es einem Kind mal nicht gut geht, wenn man auch sieht, dass man da mal eine Pause braucht, dann bin ich derjenige, der da der Ansprechpartner ist. Und dann sage ich auch mal: ´ne lockere Trainingseinheit oder mal aussetzen. Das ist völlig o.k. Das trifft hier auch auf Verständnis."
Nina Mittelham:
"Ja also, phasenweise hatte ich schon so Momente, wo ich eigentlich keine Lust mehr so auf Tischtennis hatte, weil es halt schon relativ viel war. Und gerade wenn man halt viel verletzt war, oder wenn man merkt, man hätte auch ein ganz anderes Leben haben können, weil als Leistungssportler verzichtet man ja auf ziemlich viel."
Nach sechs Jahren hat Nina Mittelham das Internat, die Talentschmiede des Deutschen Tischtennisbundes, verlassen. Trotzdem kommt die junge Frau, die jetzt wieder bei ihren Eltern in Düsseldorf wohnt, immer noch zu den Trainingseinheiten ins Tischtenniszentrum. Ihren Plan, Profi zu werden, hat sie trotz der hohen Belastung und vieler Ungewissheiten nicht aufgegeben. Oft fühlt sie sich jedoch mit ihren Zukunftssorgen ziemlich alleingelassen. Nina Mittelham wünscht sich mehr Unterstützung, besonders von den Laufbahnberatern an den Olympiastützpunkten erwartet sie bessere Antworten auf ihre Fragen zur weiteren Ausbildung und Berufswahl.
"Ich habe manchmal das Gefühl, dass das zu wenig noch ist. Also, dass man zu wenig Kontakt hat, und man halt auch das nicht oft genug einrichten kann, dass man sich da wirklich mit den Laufbahnberatern z.B. unterhalten kann, wie jetzt wirklich der Plan aussieht oder was für Möglichkeiten es wirklich alle da gibt."
"Mit dem finanziellen Hintergrund von der Bundeswehr, in der Sportfördergruppe, ist das jetzt finanziell dann auch erst erstmal, so die ersten Jahre, abgedeckt gewesen."
Kristin Silbereisen ist schon ein ganzes Stück weiter als die junge Nina Mittelham. Nachdem sich die inzwischen 30jährige vor zehn Jahren dazu entschieden hatte, eine Profikarriere im Tischtennis anzustreben, schaffte Kristin Silbereisen mit Anfang 20 den Sprung in die Sportfördergruppe der Bundeswehr.
Sportsoldaten trainieren wie die Profis
"Aber die Gefahr, finde ich immer, die man dabei hat, wenn man sagt, man ist im jungen Alter, man geht direkt in die Sportfördergruppe, wenn man dann den Sprung nicht in die Top 50 der Welt schafft, und man ist dann trotzdem als Nummer fünf oder Nummer sechs oder Nummer sieben in Deutschland in der Bundeswehr, ist das sehr bequem. Man bekommt monatlich sein Geld, muss sich aber über seine Zukunft wenig Gedanken machen."
Für den Deutschen Tischtennisbund sind bei Bundeswehr zehn Plätze reserviert. Fünf Damen und fünf Herren, die allerdings Mitglied im A- oder B-Kader der Nationalmannschaft sein müssen, können sich bei der Truppe voll auf den Sport konzentrieren. Offiziell ist das Verhältnis zwar 70 Prozent Sport, 30 Prozent militärischer Dienst. Aber de facto gilt: Trainingsplan ist gleich Dienstplan. Die Sportsoldaten trainieren wie die Profis und wann immer sie wollen, werden sie für wichtige Wettkämpfe freigestellt.
"Und dann geht ein Jahr rum. Und dann denkt man, ach, ein Jahr macht man das noch. Und deswegen hatte ich mir dann halt gesagt, o.k. 27, also nach Olympia, egal wie gut oder schlecht, dann machst Du auf jeden Fall was, weil ich dann hinterher nicht von jemandem abhängig sein möchte."
Doch weil selbst eine erfolgreiche Profitischtenniskarriere nur in seltenen Fällen bis zur Rente reicht, entschied sich Kristin Silbereisen nach den Olympischen Spielen in London, eine Ausbildung zur Physiotherapeutin zu machen. Als Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr hätte sie bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsbetrieb, der auf jeden Fall Verständnis für die zeitlichen Nöte von Leistungssportlern haben musste, Anspruch auf Hilfe von den Laufbahnberatern der Olympiastützpunkte gehabt. Doch sie entschied sich, ihre Ausbildung selbst zu organisieren.
"Es war vorher mit den Trainern abgesprochen. Ich hatte mir vorher auch das O.k. geholt, dass ich das machen darf und jetzt nicht aus dem Kader rausgeworfen werde, nur weil ich jetzt dann ein Mal am Tag trainiere und vorher hab´ ich das zwei Mal getan."
Als Kristen Silbereisen ihre Lehrstelle hatte, musste sie ihren Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr natürlich räumen. Zwei Vollzeitjobs können selbst Hochleistungssportler nicht besetzen.
"Mein Tag war dann, ich bin von acht bis vier in die Schule gegangen, oder ich hab´ von acht bis fünf gearbeitet und bin dann hierher gefahren und hab´ trainiert und bin dann heim. An manchen Tagen war ich total kaputt, dann hab´ ich vielleicht mal nur Krafttraining gemacht, aber ich hab´ schon versucht, vier, fünf Mal die Woche zu trainieren. Und hab´ dann meine Weltranglistenposition über die drei Jahre gehalten. Der Stand ist gleich geblieben, aber es war auch unheimlich harte Arbeit, aber hat sich gelohnt."
Obwohl Kristin Silbereisen zu Beginn ihrer Berufsausbildung aus der Bundeswehr ausscheiden musste, übernahm die Truppe einen Teil der Ausbildungskosten, die insgesamt 18.000 Euro betrugen. Weil sie während der dreijährigen Ausbildungszeit nie aus den Top 50 der Weltrangliste fiel und auch ihren Platz in der Nationalmannschaft behaupten konnte, ist Kristin Silbereisen inzwischen wieder Sportsoldatin bei der Bundeswehr. Zusätzlich zu ihrem Sold als Oberfeldwebel hat sie als Mitglied des A-Kaders der Nationalmannschaft Anspruch auf 300 Euro Unterstützung von der Deutschen Sporthilfe.
Dazu kommt das Geld, das sie als Profi beim Bundesligaclub SV DJK Kolbermoor verdient. Schläger, Belege und Sportkleidung werden von ihrem Tischtennissponsor Tipa gestellt. Um ihre in der Ausbildung erworbenen Fertigkeiten nicht gleich wieder zu verlieren, jobbt Kristin Silbereisen auch noch auf Minijobbasis als Physiotherapeutin. Die Finanzierung ihrer Tischtenniskarriere ist eine ziemlich breit gestreute Mischkalkulation, ein unübersichtlicher Flickenteppich:
"Bessere Leistung, bessere Chance auf Sponsoren. Wobei im Damentischtennis gibt´s kaum jemanden, der einen privaten Sponsor von extern hat. Ist bei den Herren ja schon selten. Klar, ein Timo Boll, ein Dimitrij Ovtcharov, aber danach ist es jetzt auch nicht so, dass jetzt irgendeine Firma anklopft und sagt, ach, wir würden mal gerne aufs Trikot kommen, damit Sie bei den Polish Open vor 200 Zuschauern unseren Namen tragen, ne. Ist halt ein bisschen schade, dass die Medienpräsenz im Tischtennis nicht so gut ist, dass man sich auch selbst mehr vermarkten kann."
"Die Privatwirtschaft, die richtet sich natürlich nach ihren eigenen, materiellen Interessen aus."
Hans Wilhelm Gäb, ehemaliger Toptischtennisspieler, Automobilmanager und Ehrenvorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe.
"Und die Bundeswehr unterstützt ja zahllose Sportarten, in denen Geld eigentlich keine Rolle spielt. Von Volleyballspielern, bis Tischtennisspielern, bis Kanuten oder Hockeyspielern. In diesen Sportarten gibt es kein Sponsorship, weil es kein Fernsehen gibt und keine Fernsehquoten. Das ist die Tragödie des deutschen Sports, in dem sich also diejenigen durchsetzen, die in den Medien die große Rolle spielen."
Sportsoldaten wie Georg Hackl, Anni Friesinger oder Andrea Henkel
Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Hans Wilhelm Gäb mit den verschiedensten Modellen zur finanziellen Förderung des Hochleistungssports. Sportsoldaten wie Georg Hackl, Anni Friesinger oder Andrea Henkel hätten ohne die Bundeswehr wahrscheinlich nicht den Sprung in die Weltspitze geschafft. Den Vorwurf, die Spitzensportförderung der Bundeswehr sei eine Verschwendung von Steuergeldern, weil man bei der Truppe Medaillenanwärter aus Randsportarten wie Rodeln, Eisschnelllauf oder Biathlon unter Profibedingungen trainieren lasse und diesen Sportlern so auf Kosten der Allgemeinheit zu lukrativen Profikarrieren verhelfe, hält Hans Wilhelm Gäb nur in ganz wenigen Ausnahmen für gerechtfertigt. Er empfiehlt deshalb, an der Spitzensportförderung aus öffentlichen Geldern, auch durch die Bundeswehr, festzuhalten.
"Also, der Sport insgesamt ist ganz unglaublich wichtig. Aber aus dem Breitensport entsteht die Spitze. Und wenn ich, wie es im Augenblick die politische Richtung zu sein scheint, Medaillen nur kaufe, dann trenne ich den Spitzensport vom Breitensport. Und das darf einfach nicht sein. Das wäre auch unlogisch. Es hat keinen Zweck, 1000 Eisschnellläufer mit Millionen zu fördern. 1000 Eisschnellläufer, hinter denen überhaupt keine demokratische Breite steht. Da gibt es kein Vereinsleben dahinter."
Der Rennrodler Georg Hackl
Der Rennrodler Georg Hackl war auch Sportsoldat© dpa/picture alliance/Michael Reichel
Bei der Neuordnung der Sportfinanzierung dürften nach Hans Wilhelm Gäbs Überzeugung Olympische Medaillen aus vielerlei Gründen nicht mehr so hoch bewertet und zum absolut wichtigsten Kriterium der Förderungshöhen gemacht werden. Olympische Spiele gibt es nur alle vier Jahre. Künftig müsse außerdem viel stärker berücksichtigt werden, welches Volumen an Breitensport, Sportvereinen und Mitgliedern hinter der Elite der einzelnen Sportarten stehe.
Aus einer vom Deutschen Olympischen Sportbund zusammengestellten Übersicht über die Förderung olympischer Sportarten aus dem Jahr 2011 geht unter anderem hervor, dass jedes Mitglied der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft mit rund 1400 Euro gefördert wurde. Die 1223 Mitglieder des Verbandes verteilten sich auf insgesamt 40 Vereine. Ein Mitglied des 600.000 Sportler zählenden Deutschen Tischtennisverbandes, in dem knapp 11.000 Vereine organisiert sind, erhielt demnach nur einen Förderbetrag von 1,34 Euro.
Ein widersprüchliches System, findet Hans Wilhelm Gäb. Wenn Sportarten, die nur von wenigen betrieben werden und kaum Auswirkungen auf den Breitensport haben, zehnfach, hundert- oder gar tausendfach mehr Förderung pro Vereinsmitglied erhalten als eine Sportart, deren Volumen an Sportlern und Vereinen aber zehn- oder hundertfach größer ist und die zudem in einem viel intensiveren, globalen Wettbewerb steht, dann könne von einem transparenten und gesellschaftspolitisch begründbaren Fördersystem kaum gesprochen werden.
"Aber scheinbar will das Ministerium diesen Trend jetzt noch verstärken. In dem Moment, wo also ein Sportverband und damit die Sportler unter Druck gesetzt werden und genau wissen, dass ihre Existenzfähigkeit davon abhängig ist, ob sie Medaillen gewinnen bei Olympia. Dann ist ja der Druck gegeben, dann ist die Abhängigkeit gegeben. Und dann ist auch die Versuchung gegeben, sich dem Thema Doping zuzuwenden."
Nach Angaben der Deutschen Sporthilfe müssen deutsche Olympiakämpfer, die mit Ausbildung, Arbeit und Training auf eine 60-Stunden-Woche kommen, im Schnitt von 700 bis 800 Euro im Monat leben. Dem 400-Meter-Hürdensprinter Silvio Schirrmeister wurde das alles zu viel. Gestresst von der Doppelbelastung gab der 26jährige seine Sportkarriere im Sommer auf. Die Sportförderung gieße dort Geld hin, wo schon Leistung sei, nicht dorthin, wo Leistung entstehen könne, bilanzierte er entnervt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Schirmmeister ist kein Einzelfall: Vor ihm hatten schon der Schwimmer Markus Deibler und die Leichtathleten Christian Reif und Helge Schwarzer aus ähnlichen Motiven die Notbremse gezogen.
"In den USA wird Sport intensiv über die Universitäten gefördert. Da ist Sport ein ganz anderer, anerkannter Teil der Gesellschaft."
Hans Wilhelm Gäb von der Deutschen Sporthilfe sucht nach neuen, zeitgemäßen Fördermodellen, um nicht noch mehr hoffnungsvolle Talente zu verlieren.
"Da ist Leistung in diesem Bereich und die Frage, dass das unterstützt wird, das ist eben gar keine Frage. Das geschieht automatisch, das gehört zum gesellschaftlichen Leben. In Deutschland, Menschen, die gute Sportler sind und an den Universitäten sind, die erhalten keinerlei Privilegien, die dürfen nicht mal irgendwelche Prüfungen verschieben. Also, da gibt es kein Verständnis für Sport."
Immer mehr junge Talente entscheiden sich gegen Spitzensport
"Alle Träume werden wahr. Die der 28.000, die der Millionen an den Fernsehschirmen zuhause. Und die natürlich der deutschen Staffel. Die deutsche Fahne in der Hand. Und das ist die vorläufige Krönung dieser Welttitelkämpfe. Gold für Deutschland in der Staffel. Gold für Tina Bachmann, für Miriam Gössner, für Magdalena Neuner, ihre vierte Medaille, und Gold für Andrea Henkel. Was für eine sensationelle Schlussrunde! Was für ein Happy End! Träume werden wahr! Druck fällt ab! Es ist der helle Wahnsinn!"
Im Gegensatz zu Frankreich gibt es hierzulande, abgesehen von den Sportfördergruppen bei Bundeswehr, Polizei und Zoll, kaum staatliche Unterstützung. In England fließen seit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in London vor zweieinhalb Jahren große Summen aus der Wirtschaft.
"Der Spitzensportler steht im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Er muss Leistung bringen, wird schwerstens kritisiert, wenn er das nicht kann. Ihm werden wenig Erleichterungen gegeben, wenn er während seiner Sportkarriere auch noch eine zweite Karriere zumindest vorbereitet."
Gunter Gebauer hat beobachtet, dass sich in Deutschland immer mehr begabte Jugendliche gegen den Spitzensport entscheiden, weil sie und ihre Eltern sich von Sportfunktionären, Politik und Wirtschaft im Stich gelassen fühlen. Für Thomas de Maizières Forderung an die Sportler, mehr Medaillen für Deutschland zu holen, ohne die Athleten besser zu unterstützen, hat der renommierte Sportphilosoph, der von der Deutschen Bank gerade in einen Think Tank zur Reform der Sportförderung berufen wurde, kein Verständnis.
"Also, wenn man solche Entscheidungen trifft, wie es Herr de Maizière gemacht hat, dann muss er auch dafür sorgen, dass die Sportler, die sich für die Sportkarriere entscheiden, eine berufliche Zukunft haben nach Beendigung ihrer Karriere. Das tut er aber nicht, er fordert einfach nur. Und dann möchte ich mal sein Argument hören, warum wir unbedingt diese harte Währung sportliche Erfolge brauchen."
Was passiert wenn sich mehr und mehr hochveranlagte Athleten aus dem Sport zurückziehen? Wird sich das Fernsehen, so wie es zum Teil schon bei Leichtathletik Wettkämpfen der Fall ist, weiter abwenden? Schon jetzt sind die Stadien oft leer, weil das Publikum das Interesse verloren hat. Gunter Gebauer hielte es für einen großen Verlust, wenn der Leistungssport, nach fast 80-jähriger Tradition, in Deutschland künftig keine Rolle mehr spielen würde.
"Was dann fehlt, ist ein Sport, der mit großem Engagement betrieben wird, wo es um Leistung geht, wo es darum geht, das Beste aus sich zu machen, ein diszipliniertes Leben zu führen. Das sind ja auch gewisse Werte in unserer Gesellschaft. Ich hab´ großen Respekt vor den Leuten, die so etwas schaffen. Und ich finde unter diesen Gesichtspunkten, dass sie sozusagen Modelle einer Lebensführung darstellen, kann man sie auch als bestimmte Vorbilder für eine leistungsorientierte Lebensführung ansehen."
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