Sportgerichtsbarkeit

Tatort Stadion

Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne
Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne © picture alliance / dpa - Dominic Favre
Von Thomas Jaedicke |
Immer neue Führungskrisen in großen internationalen und nationalen Verbänden, schwere Doping- und Korruptionsaffären haben die Welt des Sports zuletzt arg in Verruf gebracht. Der Internationale Sportgerichtshof in Lausanne hat deshalb viel zu tun.
"Sie müssen davon ausgehen, dass in den verschiedenen Rechtsordnungen um den Globus die Instanzen, die Gerichte, zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangen würden."
Dirk-Reiner Martens ist Jurist, ein Spezialist für Streitfälle aus Wirtschaft und Sport. Seit 30 Jahren ist er unter anderem Schiedsrichter in Verfahren, die in Lausanne vor dem Court of Arbitration for Sport, dem CAS, der obersten Sportgerichtsbarkeit, verhandelt werden.
"Natürlich entscheidet ein Gericht in Nigeria vielleicht anders als dasjenige in Finnland. Und dasjenige in Bissau entscheidet anders als dasjenige in Kasachstan. Das heißt, man muss irgendeine Instanz finden, die für alle bindend entscheidet. Und das ist eben der Court of Arbitration for Sport, der da eine extrem wichtige Funktion erfüllt."

400 Streitfälle pro Jahr

Der CAS ist die letzte Entscheidungsinstanz für Sportverbände und Nationale Olympische Komitees in Streitfragen. 1984 wurde das Schiedsgericht auf Initiative des damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch gegründet. Wurden zunächst pro Jahr nur wenige Fälle verhandelt, sorgten in den 90er-Jahren einige Reformen dafür, dass die Bedeutung des Gerichts, das seit dem Jahr 2000 in einem kleinen Schlösschen in der Avenue de Beaumont in Lausanne untergebracht ist, stetig wuchs. Mittlerweile landen vor dem CAS etwa 400 Streitfälle pro Jahr, wie zuletzt die Suspendierung russischer Athleten von den Olympischen Spielen und Paralympics in Rio. Verhandelt wird in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
"Meistens ist es ja der Sportler, der eigentlich diese Öffentlichkeit nicht will, zumindest in Dopingverfahren, weil dort sicherlich Dinge zur Sprache kommen, die er vielleicht gar nicht so gerne in der Öffentlichkeit breitgetreten wissen will. Die offiziellen Sprachen sind Englisch und Französisch. Und wenn man sich einigt auf eine andere Sprache, dann kann das auch in einer anderen Sprache geführt werden."
Bevor ein Athlet überhaupt bei großen Wettkämpfen an den Start gehen darf, muss er in der Regel bei dem für seine Disziplin zuständigen Sportverband eine Schiedsvereinbarung unterschreiben. Dadurch wird die alleinige juristische Zuständigkeit des CAS in Streitfragen festgelegt. Der Rechtsweg vor ein staatliches Gericht ist damit ausgeschlossen. In CAS-Verfahren gibt es üblicherweise drei Schiedsrichter. Jeder von ihnen hat eine Stimme und am Ende der Verhandlung gibt es eine Mehrheitsentscheidung. Rund 300 Juristen aus aller Welt, die von einem besonderen CAS-Gremium, dem ICAS, bestimmt werden, stehen den Parteien zur Auswahl. Von dieser geschlossenen Schiedsrichterlistesuchen sich Sportler und Verband jeweils einen Schiedsrichter, eine Person ihres Vertrauens, aus. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts wird vom ICAS bestimmt.
"In diesem Gremium sitzen 20 Personen, die nach einem bestimmten Modus gewählt werden und in dem theoretisch die sogenannten Verbände, was immer das ist, das IOC, die Nationalen Olympischen Komitees, die internationalen Verbände ein theoretisches Übergewicht haben. Darüber hat man ja gestritten und darüber hat sich ja auch der Bundesgerichtshof geäußert, in dem Sinne, dass dieses Übergewicht nicht dazu führt, dass dieses Schiedsgericht nicht als solches, als ein echtes Schiedsgericht anerkannt werden kann."
Claudia Pechstein läuft in der Uniform der Bundespolizei am Tor des BGH mit Bundesadler vorbei.
Claudia Pechstein auf dem Weg zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe© dpa
"Jetzt geht es in die letzte Runde… Und das wäre natürlich etwas Einmaliges… Sie wäre die erste Frau der Welt, die drei Mal in Folge die 5000 Meter gewinnen könnte."
Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist mit fünf Olympiasiegen und vier weiteren olympischen Medaillen die erfolgreichste deutsche Olympionikin bei Winterspielen.
"Jetzt wird es super spannend. Jetzt kommt sie gewissermaßen aus der letzten Kurve raus. Und jetzt Claudia Pechstein. Jawohl, ja! 6:46:9, Weltrekord!"
Der Fall Claudia Pechstein zeigt die Tücken der Sportgerichtsbarkeit und Fallstricke des Sportrechts ganz besonders deutlich. Im Juli 2009 wurde die Athletin anhand von Indizien "wegen Blutdopings" vom Eislaufweltverband, der International Skating Union, ISU, für zwei Jahre gesperrt. Sie legte vor verschiedenen Instanzen Revision ein. Im Juni dieses Jahres entschied der Bundesgerichtshof, die Schadenersatzklage der Eisschnellläuferin wegen einer entgegenstehenden Schiedsvereinbarung vor deutschen Zivilgerichten nicht zuzulassen.
"Jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, hat Rechtsschutz. Und wir nicht. Also, das ist ein Witz. Ein totaler Witz."
... sagte Claudia Pechstein in ihrer ersten öffentlichen Reaktion, nachdem der Bundesgerichtshof im Juni 2016 sein Urteil verkündet hatte.
"Und fest steht, hier ist noch nicht zu Ende. Ich gehe weiter, die nächste Instanz. Ich werde weiter vors Bundesverfassungsgericht ziehen und wenn´s denn noch soweit kommt, auch vor den Europäischen Gerichtshof und werde für mein Recht kämpfen, bis zum Schluss."
"Sie sehen daran, dass mittlerweile sieben Jahre verstrichen sind und noch kein Ende in Sicht ist."
Thomas Summerer ist Claudia Pechsteins Rechtsbeistand. Als er vor 25 Jahren anfing, als Anwalt zu arbeiten, gab es nur eine Handvoll Sportrechtsanwälte. Inzwischen sind es über 400.
"Im Grunde hat Claudia Pechstein jetzt schon sechs Instanzen hinter sich. Das Sportgericht der ISU in der Schweiz, also Sportgericht des Verbandes. Dann den CAS. Dann die Beschwerde Und die Revision zum Schweizer Bundesgericht. Dann das Landgericht München. Dann das Oberlandesgericht München. Und dann der BGH. Und jetzt auch noch das Bundesverfassungsgericht. Also wir sind jetzt praktisch in der siebten Instanz. Das ist für einen Sportler im Grunde unzumutbar."
Thomas Summerer, der an der Ludwig-Maximilians-Universität über "Internationales Sportrecht vor dem staatlichen Richter in Deutschland, Schweiz, England und in den USA" promoviert wurde, hat große Zweifel an der Neutralität des CAS. Im Fall seiner Mandantin, die vor dem CAS verlor, sei das besonders deutlich geworden.
"Wenn aber, wie im Fall Pechstein, ein Vorsitzender ernannt wird von einem Gremium, das von Verbandsvertretern dominiert ist, dann muss man sehr wachsam sein. Denn dann kommt es zu einer Übermächtigkeit der Sportverbände bei der Benennung des Vorsitzenden."
Weil der Athlet so gut wie keinen Einfluss auf die Benennung des Vorsitzenden habe, könne man sich schon vorher leicht ausmalen, wie der Prozess ausgehe, sagt Thomas Summerer.
"Und das hat sich im Fall Claudia Pechstein fatal ausgewirkt. Dort wurde nämlich als Vorsitzender ein Italiener benannt. Und allein das hatte schon ein Geschmäckle, denn der Präsident der verklagten International Skating Union war ebenfalls Italiener."

Schiedsrichter darf kein Parteivertreter sein

"Ich glaube, was er meint, ist, dass der Präsident der ISU seinerzeit Herr Cinquanta war. Und Herr Cinquanta ist Italiener. Und der Chairman des Pannels beim CAS war ein Italiener. Wenn er das meint, dann lockt das mir ein kleines Lächeln auf das Gesicht, aber mehr auch nicht. Ich kenne alle drei Richter, die dort das Verfahren geführt haben, und die sind über jeglichen Verdacht erhaben."
Der erfahrene CAS-Schiedsrichter Dirk-Reiner Martens vertritt die ISU als Anwalt im Pechstein-Fall, aber nur bei Streitigkeiten, die vor staatlichen Gerichten geführt werden. Beim CAS, sagt Martens, gebe es die eiserne Regel, dass derjenige, der auf der Liste der Schiedsrichter stehe, in keinem CAS-Verfahren als Parteivertreter auftreten dürfe.
"Natürlich bin ich voreingenommen, weil ich diesem Gericht seit 30 Jahren angehöre. Auf der anderen Seite glaube ich, bin ich sehr gut platziert, um beurteilen zu können, ob Frau Pechstein ein faires Verfahren bekommen hat. Natürlich hat sie das."
Sie sagen, die drei Richter, die dort bestellt worden sind, seien über jeden Zweifel erhaben. Was waren das für Schiedsrichter?
"Ein Schweizer Anwalt, den ich seit 20 Jahren kenne, früherer Ruderer, Olympionike. Dann als Chairman ein Italiener, der aus der Basketballwelt stammt, wo ich auch herstamme und der Universitätsprofessor in Rom ist. Und der Dritte, wenn ich mich recht entsinne, ist ein Anwalt aus Zürich gewesen, der extrem viele Verfahren führt und mit dem ich persönlich auch in vielen Verfahren tätig war."

Klage auf 4,4 Millionen Euro Schadenersatz

Thomas Summerer, Claudia Pechsteins Anwalt, sieht das ganz anders. Er hält die Schiedsklausel, die ein Athlet gezwungenermaßen unterschreiben muss, um überhaupt bei Wettkämpfen starten zu dürfen, für unfair. Sie hat zur Folge, dass der Sportler bei Streitigkeiten - wenn sich die Konflikte nicht verbandsintern lösen lassen - nur den CAS anrufen darf. Weil Summerer den CAS aber wegen der geschlossenen Schiedsrichterliste für parteiisch hält, klagte er im Namen Pechsteins vor dem Oberlandesgericht München auf 4,4 Millionen Euro Schadenersatz.
"Also, dieser Angriff ist zunächst erfolgreich gewesen. Das OLG München hat klar und deutlich gesagt, dass eine Ungleichgewichtslage da ist zwischen Sportler und Verband. Dass die Verbände eine zu große Dominanz haben bei der Besetzung des Schiedsgerichts CAS. Und diese ungleiche Besetzung führt dazu, dass es sich um kein echtes Schiedsgericht handelt, mit der Folge, dass Claudia Pechstein die staatlichen Gerichte anrufen darf."
Die International Skating Union akzeptierte das aber nicht und legte Revision ein. Der Bundesgerichtshof folgte der Argumentation der ISU und erklärte Pechsteins Schadenersatzklage für unzulässig. Thomas Summerer findet dieses Urteil skandalös.
"Der Sportler oder die Sportlerin muss entscheiden können, unterwerfe ich mich der ausschließlichen Sportgerichtsbarkeit oder habe ich mehr Vertrauen in die staatliche Justiz? Dieses Wahlrecht hat der Sportler nicht, so der Bundesgerichtshof. Insofern, muss man leider konstatieren, ist ein Sportler ein Bürger zweiter Klasse. Er hat nicht denselben Rechtsschutz wie jeder von uns."
Als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs legte Thomas Summer für Claudia Pechstein Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Noch hat das höchste deutsche Gericht nicht entschieden, ob es sich überhaupt mit dem Fall beschäftigen wird. Aber wenn es sich dieser Sache annehmen sollte, könnte es dem Sportler in allerletzter Instanz das Wahlrecht zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Justiz einräumen.
"Wenn es dazu nicht kommt, dann halte ich auch eine echte Schiedsgerichtsbarkeit im Sport für durchaus vertretbar."

Keine Alternative zum CAS

Wenn dafür gesorgt würde, dass die Schiedsrichter wirklich unabhängig wären, hätte Thomas Summerer kein Problem damit, dass Sportler weiter gezwungen wären, sich im Streitfall ausschließlich an den CAS wenden zu dürfen.
"Dann muss man sich aber einige Reformen überlegen, die man beim CAS durchführen müsste. Wie gesagt, eine offene Schiedsrichterliste, keine geschlossene. Ein öffentliches Verfahren, bei dem auch die Presse zugelassen wird. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens bei neuer Beweislage. Und eine angemessene Prozesskostenhilfe für finanziell nicht so betuchte Athleten."
"Wer halbwegs vernünftig ist, stellt die Einrichtung eines internationalen Sportschiedsgerichts nicht in Frage. Es gibt dazu keine Alternative."
CAS-Schiedsrichter Dirk-Reiner Martens hält Thomas Summerers Argumentation zum Teil für diskussionswürdig.
"Schauen Sie mal, wenn die Frau Pechstein beim CAS gewonnen hätte, dann wäre die Frau Pechstein eine Zeugin gewesen dafür, wie gut der CAS ist, was das für ein tolles Ding ist. So ist das immer."
Abgesehen von einem demnächst anstehenden Umzug aus dem kleinen Lausanner Schlösschen, wo der Platz wegen der Vielzahl der Fälle vorne und hinten einfach nicht mehr ausreiche, sieht Dirk-Reiner Martens beim CAS keinen großen Reformbedarf. Sicher könne man über einiges diskutieren. Sollten z. B. die Athleten im ICAS, dem Gremium das die Schiedsrichter bestimmt, stärker vertreten sein?
"Wo nehmen Sie dann den Athletenvertreter her? Nehmen Sie den Tischtennisspieler aus Vanuatu? Oder nehmen Sie den Schwimmer aus Chile? Und wo nehmen Sie den denn her? Der muss ja auch gewisse Voraussetzungen mit sich bringen. Der muss ja juristisch vorgebildet sein. Das muss er auf jeden Fall. Er muss die verschiedenen Sprachen können. Und er muss auch objektiv sein."
Und auch die umstrittene geschlossene Schiedsrichterlistehat sich nach Dirk-Reiner Martens Ansicht bewährt.
"Warum gibt es eine geschlossene Schiedsrichterliste? Weil man sicherstellen will, dass dort Personen sind, die gewisse Voraussetzungen mit sich bringen. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass z. B. die Juristenausbildung in Deutschland gleichwertig ist mit der in Ghana."
Die Vorstandsvorsitzende der NADA, Andrea Gotzmann, äußert sich am 01.06.2016 in Berlin vor Journalisten. Die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) stellt im Otto Bock Science-Center in Berlin ihre Bilanz für das Jahr 2015 vor
Die Vorstandsvorsitzende der NADA, Andrea Gotzmann© picture alliance / dpa Alexander Heinl
Auch in Deutschland gibt es ein Sportschiedsgericht. Es wurde unter anderem auf Initiative der Nationalen Anti-Doping Agentur, NADA, gegründet und besteht seit dem 1. Januar 2008. Verhandelt wurden seitdem etwa 80 Fälle. Anders als der CAS hat es kein eigenes Gerichtsgebäude, sondern nur ein Büro, das bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit in Köln untergebracht ist. Um zum Deutschen Sportschiedsgericht zu kommen, braucht man aber, genau wie beim CAS, eine Schiedsvereinbarung. Diese kann z.B. in der Satzung eines Sportverbandes verankert sein. Ist der Athlet Mitglied des Verbandes, hat er das anerkannt und der Streitfall wird vorm Sportschiedsgericht verhandelt.
"Auch beim Deutschen Sportschiedsgericht ist es so, dass es verschiedenste Streitigkeiten geben kann."
... sagt der Jurist Karsten Hofmann.
"Vertragliche Streitigkeiten, Nominierungsstreitigkeiten und ein Großteil der Verfahren derzeit beim Deutschen Sportschiedsgericht sind Anti-Doping-Streitigkeiten."
Als begeisterter Hobbyvolleyballer kam er schon während seines Studiums mit Sportrechtsfragen in Berührung. Für Hofmann, der mit einer Arbeit "Zur Notwendigkeit eines institutionellen Sportschiedsgerichtes in Deutschland" promovierte, sind Transparenz und Effizienz entscheidend, um die Akzeptanz bei den Streitparteien zu erhöhen. Deswegen hat er an einer Reform der Schiedsgerichtsordnung des Deutschen Sportschiedsgerichts mitgearbeitet, die im April dieses Jahres in Kraft trat.
"Ein wesentlicher Unterschied jetzt z.B. gegenüber den CAS-Verfahren ist eine mündliche Verhandlung. Es gibt jetzt beim Deutschen Sportschiedsgericht ein einseitiges Antragsrecht des Athleten. Bisher war es dann nicht möglich, das öffentlich zu machen. Jetzt ist es aber so, wenn eine Person sagt, ich möchte, dass die mündliche Verhandlung öffentlich ist, dann wird diese Verhandlung mündlich stattfinden."
Und im Unterschied zum CAS gibt es auch keine geschlossene Schiedsrichterliste?
"Für die allgemeinen Verfahren ist es so, da gibt es diese Liste nicht. Es gibt eine Liste, aber die ist mittlerweile eine reine Empfehlungsliste. D.h., also in so einer Nominierungsstreitigkeit oder in einer Sponsoring-Streitigkeit da kann jeder Schiedsrichter werden. Für Anti-Doping-Streitigkeiten hat man allerdings gesagt, es ist eine sehr komplexe Materie. Und man möchte dort Leute haben, die einerseits Erfahrung mit Schiedsgerichtsverfahren haben und andererseits sich im materiellen Recht, also den Anti-Doping-Regeln auskennen."

Märchenhafte Verdienstmöglichkeiten

Fairplay galt immer als Markenzeichen des Sports. Ein Sportsmann war eine Umschreibung für jemanden mit einem einwandfreien Charakter. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Sport dramatisch verändert, seine gesellschaftliche Bedeutung ist enorm gestiegen. Sport ist zu einer Industrie, einer Gelddruckmaschine geworden. Für viele Player im System ist der Fairplay-Grundsatz angesichts der märchenhaften Verdienstmöglichkeiten nur noch ein leeres Wort. Es wird betrogen, was das Zeug hält.
Der Sport mit seinen vielbeschworenen Selbstheilungskräften ist heillos überfordert. Das System kann sich nicht selbst effektiv überwachen und die nötigen Sanktionen einleiten. Geht es vor nichtstaatlichen Schiedsgerichten um Wettkampfsperren für dopende Athleten, will der Staat mit dem geplanten Gesetz gegen Betrug im Sport und dem im Dezember des vergangenen Jahres eingeführten Anti-Doping-Gesetz den kriminellen Hintermännern das Handwerk legen.
"Man ist jetzt weitergegangen und hat eben auch nicht mehr nur als Schutzgut die Gesundheit genommen, sondern auch Fairness im Sport. Insofern ist es schon eine Reaktion des Gesetzgebers auf das Geschehen im Bereich des Sports, aber es ist als Ergänzung gedacht. Weil es natürlich auch hinsichtlich von strafrechtlichen Ermittlungen, Ermittlungsmethoden, Beweisbeschaffung jetzt Möglichkeiten gibt mit staatlichen, also staatsanwaltlichen Ermittlungsmethoden, die die Sportverbände gar nicht haben."
"Dieses Anti-Doping-Gesetz muss natürlich erstmal anlaufen. D.h. nicht, dass es auch hier in Stralsund keine Fälle gibt, wo man denkt: Weit weg…"
Thomas Götze ist in Stralsund als Staatsanwalt für Betäubungsmittelstraftaten zuständig.
"Sind natürlich nicht die Masse, eher die Ausnahmen, aber es gibt sie. Und damit kann man eigentlich auch sagen, sie sind flächendeckend. Es ist ja auch der erste Versuch, so was überhaupt in Gang zu bringen. Von der Systematik, vom Aufbau und von den Möglichkeiten ist das schon ein sehr modernes Gesetz. Was die Möglichkeiten in sich hat, theoretisch auch was zu bewegen."
Als Jugendlicher war Thomas Götze in der DDR Hammerwerfer und wurde auf der Kinderundjugendsportschule von seinen Trainern gedopt. Wegen diverser gesundheitlicher Folgeschäden hat er einen Antrag auf Entschädigung als DDR-Dopingopfer gestellt. Der Kampf gegen den Einsatz verbotener Medikamente ist Thomas Götze wichtig. Darin liegt für ihn etwas Grundsätzliches.
"Die Gesellschaft muss sich entscheiden. Will sie Fairness und Chancengleichheit im Sport oder will sie das nicht. Wenn wir Vorbilder produzieren wollen und der Gesellschaft zeigen wollen: Fairness! Der Beste gewinnt! Dann sollte man das natürlich unterbinden, dass mit Betrug gewonnen wird. Der Umkehrschluss wäre: Wer am meisten betrügt, ist der Beste."
Für jedes Ermittlungsverfahren braucht es einen Anfangsverdacht. Den würde z.B. ein Sportler mit einer positiven Dopingprobe liefern. Hierzulande ist für die Kontrollen die Nationale Anti-Doping Agentur, NADA, zuständig. Laut Jahresbericht der NADA wurden 2014 bei rund 14.000 Dopingkontrollen gerade einmal 22 Athleten bestraft. Eine Trefferquote von 0,2 Prozent. In einer Studie der Deutschen Sporthilfe aus dem Jahr 2013 gaben dagegen sechs Prozent der befragten deutschen Kaderathleten Doping zu. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, denn 40 Prozent weigerten sich, die Frage überhaupt zu beantworten.

Der Zweck (Medaillen) heiligt die Mittel

Angesichts der Forderungen des für den Sport zuständigen Innenministers nach immer mehr Medaillen könnte man - ohne allzu viel Phantasie aufwenden zu müssen -, davon ausgehen, dass der Einsatz leistungssteigernder Mittel billigend in Kauf genommen wird. Der Zweck heiligt die Mittel. Solange am Mantra Leistung um jeden Preis festgehalten wird, kann auch ein Anti-Doping-Gesetz kaum mehr als Symbolpolitik sein.
Für Staatsanwalt Thomas Götze kommt erschwerend hinzu, dass er einem überführten Doper vor Gericht nachweisen muss, die Medikamente mit dem Vorsatz, im Wettkampf betrügen zu wollen, eingenommen hat.
"Welcher Sportler wird sagen: Ja, ich hatte das, um das mir selber zuzuführen und damit den Wettbewerb zu verfälschen. Das wird Ihnen keiner sagen."
Thomas Götze braucht andere, äußere Anhaltspunkte. Und die sind schwer zu ermitteln.
"Angenommen, man wird im Internet 'ne Bestellung finden von einem bestimmten Stoff. Immer kurz vor 'nem Wettbewerb. Und derjenige Sportler würde sich kontinuierlich halt in seinen Weiten, Geschwindigkeiten verbessern. Und dann erwischen Sie ihn mit dem Stoff in der Tasche, vorm Wettkampf. Und der sagt: 'Ja, wollte ich ja nie nehmen!'… Sie haben ja den Beweis, er hat den Stoff in der Tasche. Ja… aber dieses Subjektive. Das ist dann, wie sagt man so schön, die Überzeugung des Richters aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung."
Frankfurts Spieler Marco Russ (links) gibt Nürnbergs Hanno Behrens nach dem Spiel die Hand. 
Frankfurts Spieler Marco Russ (links) gibt Nürnbergs Hanno Behrens nach dem Spiel die Hand. © picture alliance/dpa/Arne Dedert
Der erste, in der Öffentlichkeit wahrgenommene Fall, in dem es nach Inkrafttreten des Anti-Doping Gesetzes zu einer Hausdurchsuchung kam, war der des Frankfurter Fußballprofis Marco Russ. Wie sich herausstellte, war der erhöhte Wert des Wachstumshormons HCG, der den Dopingverdacht ausgelöst hatte, auf eine Tumorerkrankung zurückzuführen.
"Der Staatsanwalt kann ja nicht wissen, ob dieser Doping-Verdacht, der hier aufgrund von Befunden, von Untersuchungsbefunden vorhanden war, ob der begründet ist oder nicht."
Hellmut Mahler ist beim Landeskriminalamt in Nordrheinwestfalen Sachverständiger für Betäubungsmittel und Toxikologie. Unter anderem trat er auch als Sachverständiger im DDR-Staatsdopingprozess gegen die Sportfunktionäre Manfred Ewald und Manfred Höppner auf.
"Allein der Nachweis einer Substanz im Körper eines Menschen ist kein Beweis für den bewussten Konsum, die Aufnahme eines Stoffes. Wenn ich das Dopinggesetz ernst nehme, muss ich mehr tun, als nur Stoffe im Blut oder Urin eines Sportlers nachweisen. Ich muss über eine Hausdurchsuchung oder über eine Durchsuchung der Umgebung feststellen, ob der Tatvorwurf auch tatsächlich begründet ist."
In Marco Russ' Fall haben die Möglichkeiten, die das Anti-Doping Gesetz den Ermittlern eröffnen, dazu geführt, den Verdacht schnell auszuräumen und den Sportler zu entlasten. Der Toxikologe Hellmut Mahler ist sich bewusst, dass der Kampf gegen Doping auch mit dem neuen Gesetz nur schwer zu gewinnen sein wird.
"Muss denn der Kampf überhaupt gewonnen werden? Was heißt denn gewinnen? Das ist ein sehr absolutes Wort. Einen solchen Kampf werden Sie sehr wahrscheinlich nie gewinnen können. Aber Sie müssen ihn führen. Sie müssen die Bevölkerung schützen. Sie müssen die jungen Menschen schützen. Und natürlich müssen Sie auch dafür sorgen, dass eine Chancengleichheit besteht."
Mehr zum Thema